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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Schlußprotokoll. Baierns Zögerung.
den inneren Frieden und die Unabhängigkeit nach außen zu sichern?"*)
Noch bevor ihm diese Predigt vorgelesen wurde hatte der launische Wittels-
bacher sich schon eines Anderen besonnen und die Unterzeichnung des
Schlußprotokolls befohlen; indeß stellte er noch einige kleine Bedingungen
um der Conferenz doch zu zeigen was auf Baiern ankomme. Auf sein
Verlangen wurde in elfter Stunde noch Mehreres geändert: die Verab-
redungen über die Presse und die Universitäten sollten nur auf sechs
Jahre gelten, eine gemeinsame Dienstvorschrift für die Censoren sollte
nicht erlassen werden, und was der Armseligkeiten mehr war. Nun erst,
am 12. Juni konnte man das Schlußprotokoll einmüthig unterzeichnen.
Ancillon bedang sich als besondere Ehre aus, daß ihm die kostbare Ur-
kunde zur nachträglichen Mitunterzeichnung nach Berlin geschickt wurde,
und Metternich hielt eine feierliche Schlußrede. Der preußische Minister
ermahnte das Münchner Cabinet in einer neuen Depesche, nunmehr wenig-
stens das Beschlossene ernsthaft auszuführen, und der Baier Mieg gelobte
dies auch heilig in der Schlußsitzung.**)

Mit Genugthuung wurde das klägliche Ergebniß dieser fünfmonat-
lichen Berathungen wohl nur am Berliner Hofe begrüßt. Dort dachte
man sehr bescheiden über die Aufgaben des Bundes, seit die Politik der
lebendigen deutschen Einheit im Zollvereine einen großen Wirkungskreis
gefunden hatte; man war zufrieden, wenn nur der Schein der Eintracht
zwischen den Bundesgenossen gewahrt, und der Revolution mit einigem
Ernst begegnet wurde. Darum richtete der König ein warmes Dankschreiben
an Metternich; trotz der Meinungsverschiedenheiten der jüngsten Jahre
hatte sich seine persönliche Verehrung für den österreichischen Staatsmann
nicht vermindert. Ancillon aber pries in einem Rundschreiben an die
Gesandtschaften den schönen Erfolg der Conferenzen: man habe weder die
Bundesgesetze noch die beschworenen Verfassungen ändern, sondern ledig-
lich "verhindern wollen, daß die bestehenden Gesetze entarteten"; dies sei
glücklich gelungen gegenüber den Landtagen, der Presse und den Universi-
täten, von denen mehrere heute als "wahre Pflanzstätten der Demagogie,
ja selbst des Aufruhrs" erschienen.***)

Auch die über deutsche Dinge immer schlecht unterrichtete französische
Regierung hielt die Wiener Conferenzen für ein folgenschweres Ereigniß.
Der neue Minister des Auswärtigen, Rigny, versuchte durch ein Rund-
schreiben und durch persönliche Unterredungen die Diplomatie der Mittel-
staaten vor der Tyrannei der deutschen Großmächte zu warnen: wie könnten
Monarchen, deren Souveränität durch Frankreich verbürgt sei, sich freiwillig
einem auswärtigen "subalternen Gerichte" unterwerfen?+) Frankreichs

*) Ancillon, Weisung an Dönhoff, 2. Juni 1834.
**) Ancillon, Weisung an Dönhoff, 26. Juni 1834.
***) Ancillon, Rundschreiben 30. Juni 1834.
+) Jordan's Bericht, 6. Dec. 1834.

Schlußprotokoll. Baierns Zögerung.
den inneren Frieden und die Unabhängigkeit nach außen zu ſichern?“*)
Noch bevor ihm dieſe Predigt vorgeleſen wurde hatte der launiſche Wittels-
bacher ſich ſchon eines Anderen beſonnen und die Unterzeichnung des
Schlußprotokolls befohlen; indeß ſtellte er noch einige kleine Bedingungen
um der Conferenz doch zu zeigen was auf Baiern ankomme. Auf ſein
Verlangen wurde in elfter Stunde noch Mehreres geändert: die Verab-
redungen über die Preſſe und die Univerſitäten ſollten nur auf ſechs
Jahre gelten, eine gemeinſame Dienſtvorſchrift für die Cenſoren ſollte
nicht erlaſſen werden, und was der Armſeligkeiten mehr war. Nun erſt,
am 12. Juni konnte man das Schlußprotokoll einmüthig unterzeichnen.
Ancillon bedang ſich als beſondere Ehre aus, daß ihm die koſtbare Ur-
kunde zur nachträglichen Mitunterzeichnung nach Berlin geſchickt wurde,
und Metternich hielt eine feierliche Schlußrede. Der preußiſche Miniſter
ermahnte das Münchner Cabinet in einer neuen Depeſche, nunmehr wenig-
ſtens das Beſchloſſene ernſthaft auszuführen, und der Baier Mieg gelobte
dies auch heilig in der Schlußſitzung.**)

Mit Genugthuung wurde das klägliche Ergebniß dieſer fünfmonat-
lichen Berathungen wohl nur am Berliner Hofe begrüßt. Dort dachte
man ſehr beſcheiden über die Aufgaben des Bundes, ſeit die Politik der
lebendigen deutſchen Einheit im Zollvereine einen großen Wirkungskreis
gefunden hatte; man war zufrieden, wenn nur der Schein der Eintracht
zwiſchen den Bundesgenoſſen gewahrt, und der Revolution mit einigem
Ernſt begegnet wurde. Darum richtete der König ein warmes Dankſchreiben
an Metternich; trotz der Meinungsverſchiedenheiten der jüngſten Jahre
hatte ſich ſeine perſönliche Verehrung für den öſterreichiſchen Staatsmann
nicht vermindert. Ancillon aber pries in einem Rundſchreiben an die
Geſandtſchaften den ſchönen Erfolg der Conferenzen: man habe weder die
Bundesgeſetze noch die beſchworenen Verfaſſungen ändern, ſondern ledig-
lich „verhindern wollen, daß die beſtehenden Geſetze entarteten“; dies ſei
glücklich gelungen gegenüber den Landtagen, der Preſſe und den Univerſi-
täten, von denen mehrere heute als „wahre Pflanzſtätten der Demagogie,
ja ſelbſt des Aufruhrs“ erſchienen.***)

Auch die über deutſche Dinge immer ſchlecht unterrichtete franzöſiſche
Regierung hielt die Wiener Conferenzen für ein folgenſchweres Ereigniß.
Der neue Miniſter des Auswärtigen, Rigny, verſuchte durch ein Rund-
ſchreiben und durch perſönliche Unterredungen die Diplomatie der Mittel-
ſtaaten vor der Tyrannei der deutſchen Großmächte zu warnen: wie könnten
Monarchen, deren Souveränität durch Frankreich verbürgt ſei, ſich freiwillig
einem auswärtigen „ſubalternen Gerichte“ unterwerfen?†) Frankreichs

*) Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 2. Juni 1834.
**) Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 26. Juni 1834.
***) Ancillon, Rundſchreiben 30. Juni 1834.
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[347/0361] Schlußprotokoll. Baierns Zögerung. den inneren Frieden und die Unabhängigkeit nach außen zu ſichern?“ *) Noch bevor ihm dieſe Predigt vorgeleſen wurde hatte der launiſche Wittels- bacher ſich ſchon eines Anderen beſonnen und die Unterzeichnung des Schlußprotokolls befohlen; indeß ſtellte er noch einige kleine Bedingungen um der Conferenz doch zu zeigen was auf Baiern ankomme. Auf ſein Verlangen wurde in elfter Stunde noch Mehreres geändert: die Verab- redungen über die Preſſe und die Univerſitäten ſollten nur auf ſechs Jahre gelten, eine gemeinſame Dienſtvorſchrift für die Cenſoren ſollte nicht erlaſſen werden, und was der Armſeligkeiten mehr war. Nun erſt, am 12. Juni konnte man das Schlußprotokoll einmüthig unterzeichnen. Ancillon bedang ſich als beſondere Ehre aus, daß ihm die koſtbare Ur- kunde zur nachträglichen Mitunterzeichnung nach Berlin geſchickt wurde, und Metternich hielt eine feierliche Schlußrede. Der preußiſche Miniſter ermahnte das Münchner Cabinet in einer neuen Depeſche, nunmehr wenig- ſtens das Beſchloſſene ernſthaft auszuführen, und der Baier Mieg gelobte dies auch heilig in der Schlußſitzung. **) Mit Genugthuung wurde das klägliche Ergebniß dieſer fünfmonat- lichen Berathungen wohl nur am Berliner Hofe begrüßt. Dort dachte man ſehr beſcheiden über die Aufgaben des Bundes, ſeit die Politik der lebendigen deutſchen Einheit im Zollvereine einen großen Wirkungskreis gefunden hatte; man war zufrieden, wenn nur der Schein der Eintracht zwiſchen den Bundesgenoſſen gewahrt, und der Revolution mit einigem Ernſt begegnet wurde. Darum richtete der König ein warmes Dankſchreiben an Metternich; trotz der Meinungsverſchiedenheiten der jüngſten Jahre hatte ſich ſeine perſönliche Verehrung für den öſterreichiſchen Staatsmann nicht vermindert. Ancillon aber pries in einem Rundſchreiben an die Geſandtſchaften den ſchönen Erfolg der Conferenzen: man habe weder die Bundesgeſetze noch die beſchworenen Verfaſſungen ändern, ſondern ledig- lich „verhindern wollen, daß die beſtehenden Geſetze entarteten“; dies ſei glücklich gelungen gegenüber den Landtagen, der Preſſe und den Univerſi- täten, von denen mehrere heute als „wahre Pflanzſtätten der Demagogie, ja ſelbſt des Aufruhrs“ erſchienen. ***) Auch die über deutſche Dinge immer ſchlecht unterrichtete franzöſiſche Regierung hielt die Wiener Conferenzen für ein folgenſchweres Ereigniß. Der neue Miniſter des Auswärtigen, Rigny, verſuchte durch ein Rund- ſchreiben und durch perſönliche Unterredungen die Diplomatie der Mittel- ſtaaten vor der Tyrannei der deutſchen Großmächte zu warnen: wie könnten Monarchen, deren Souveränität durch Frankreich verbürgt ſei, ſich freiwillig einem auswärtigen „ſubalternen Gerichte“ unterwerfen? †) Frankreichs *) Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 2. Juni 1834. **) Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 26. Juni 1834. ***) Ancillon, Rundſchreiben 30. Juni 1834. †) Jordan’s Bericht, 6. Dec. 1834.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/361>, abgerufen am 24.11.2024.