fallen lassen, wenn dadurch nur endlich das Elend der Binnenmauthen aufgehoben würde.*) Anders empfand die große Mehrzahl der Liberalen; sie dachte von dem Musterlande der constitutionellen Freiheit nicht eine Geviertmeile aufzuopfern, und ihr Entschluß stand um so fester, da sie auch den Zollvereinsplänen mißtraute. Der Hauptverkehr des langge- streckten Landes ging von Norden nach Süden und konnte durch den An- schluß an Baiern-Württemberg wenig gewinnen. Man übersah oder wollte übersehen, daß dieser Anschluß nur das Mittel bilden sollte zur späteren Vereinigung mit Preußen; unleugbar war der bairische Plan zu fein, zu verwickelt um sogleich vom Volke verstanden zu werden.
Ueberall in Baden sprach man begeistert von einem gesammtdeutschen Zollverbande; denn so viel Boden hatte die Idee der deutschen Handels- einheit durch Preußens Siege doch gewonnen, daß Niemand mehr sie schlechthin zu verwerfen wagte. Freilich benutzten viele badische Liberale das schöne Wort vom allgemeinen deutschen Zollvereine nur als ein Schurz- fell um die Blöße ihrer partikularistischen Selbstsucht zu bedecken. Wie behaglich lebte sich's doch unter der badischen Handelsfreiheit -- auf Kosten der lieben Nachbarn! Mit Stolz sah der Badener -- so sagte eine Flug- schrift des Rastatter Kaufmanns F. Meyer "über die Zollverhältnisse Ba- dens" -- wie die Nachbarn aus dem Elsaß, aus Schwaben, aus der Rhein- pfalz in "das wohlfeile, gastfreie" Ländle kamen um dann ihre billigen Einkäufe über die heimathliche Grenze hinüberzuschmuggeln. Nimmermehr sollte diese gemüthliche Unordnung durch eine gewissenhafte Grenzbewachung beseitigt werden. Der Freiburger Handelsstand stellte dem Landtage vor: ein Zollverein "wird rechtliche, sittlich gute Menschen in eine Rotte von Zöllnern, Schmugglern, Spionen und Gaunern verwandeln" -- wobei nur verschwiegen ward, daß die große Mehrzahl der badischen Geschäfte, zumal die Colonialwaarenhandlungen, dem Schleichhandel längst als Herbergen dienten. Noch kräftiger sprach das Straßburger Constitutionelle Deutsch- land: "Mauth, Mauth, preußische Mauth erhalten wir! Unglückliches Vaterland! Im Geheimen, im Dunkel der Nacht wird sie Dir gegeben! Wehe Dir, Kammer von 1831!" Als Großherzog Leopold sein Oberland bereiste, wurde er überall dringend gewarnt, und Winter, der in Fragen der großen Politik immer rathlos war, wagte nicht einer scheinbar so starken Volksüberzeugung zu widersprechen.
So schleppte sich der Zank durch fast anderthalb Jahre dahin. Die beiden vermittelnden Höfe boten alle ihre Beredsamkeit auf. Der Berliner sprach sanft, der Stuttgarter schroff; denn König Wilhelm sah sein Land unmittelbar unter dem badischen Schmuggel leiden, er drohte dem Karls- ruher Hofe geradezu: Baiern und Württemberg würden "dem bisherigen
*) Bürgermeister Weimar in Wertheim an Fürst Georg v. Löwenstein, 28. Mai; F. Georg v. Löwenstein an Otterstedt, 30. Mai 1831.
Vermittlung von Preußen und Württemberg.
fallen laſſen, wenn dadurch nur endlich das Elend der Binnenmauthen aufgehoben würde.*) Anders empfand die große Mehrzahl der Liberalen; ſie dachte von dem Muſterlande der conſtitutionellen Freiheit nicht eine Geviertmeile aufzuopfern, und ihr Entſchluß ſtand um ſo feſter, da ſie auch den Zollvereinsplänen mißtraute. Der Hauptverkehr des langge- ſtreckten Landes ging von Norden nach Süden und konnte durch den An- ſchluß an Baiern-Württemberg wenig gewinnen. Man überſah oder wollte überſehen, daß dieſer Anſchluß nur das Mittel bilden ſollte zur ſpäteren Vereinigung mit Preußen; unleugbar war der bairiſche Plan zu fein, zu verwickelt um ſogleich vom Volke verſtanden zu werden.
Ueberall in Baden ſprach man begeiſtert von einem geſammtdeutſchen Zollverbande; denn ſo viel Boden hatte die Idee der deutſchen Handels- einheit durch Preußens Siege doch gewonnen, daß Niemand mehr ſie ſchlechthin zu verwerfen wagte. Freilich benutzten viele badiſche Liberale das ſchöne Wort vom allgemeinen deutſchen Zollvereine nur als ein Schurz- fell um die Blöße ihrer partikulariſtiſchen Selbſtſucht zu bedecken. Wie behaglich lebte ſich’s doch unter der badiſchen Handelsfreiheit — auf Koſten der lieben Nachbarn! Mit Stolz ſah der Badener — ſo ſagte eine Flug- ſchrift des Raſtatter Kaufmanns F. Meyer „über die Zollverhältniſſe Ba- dens“ — wie die Nachbarn aus dem Elſaß, aus Schwaben, aus der Rhein- pfalz in „das wohlfeile, gaſtfreie“ Ländle kamen um dann ihre billigen Einkäufe über die heimathliche Grenze hinüberzuſchmuggeln. Nimmermehr ſollte dieſe gemüthliche Unordnung durch eine gewiſſenhafte Grenzbewachung beſeitigt werden. Der Freiburger Handelsſtand ſtellte dem Landtage vor: ein Zollverein „wird rechtliche, ſittlich gute Menſchen in eine Rotte von Zöllnern, Schmugglern, Spionen und Gaunern verwandeln“ — wobei nur verſchwiegen ward, daß die große Mehrzahl der badiſchen Geſchäfte, zumal die Colonialwaarenhandlungen, dem Schleichhandel längſt als Herbergen dienten. Noch kräftiger ſprach das Straßburger Conſtitutionelle Deutſch- land: „Mauth, Mauth, preußiſche Mauth erhalten wir! Unglückliches Vaterland! Im Geheimen, im Dunkel der Nacht wird ſie Dir gegeben! Wehe Dir, Kammer von 1831!“ Als Großherzog Leopold ſein Oberland bereiſte, wurde er überall dringend gewarnt, und Winter, der in Fragen der großen Politik immer rathlos war, wagte nicht einer ſcheinbar ſo ſtarken Volksüberzeugung zu widerſprechen.
So ſchleppte ſich der Zank durch faſt anderthalb Jahre dahin. Die beiden vermittelnden Höfe boten alle ihre Beredſamkeit auf. Der Berliner ſprach ſanft, der Stuttgarter ſchroff; denn König Wilhelm ſah ſein Land unmittelbar unter dem badiſchen Schmuggel leiden, er drohte dem Karls- ruher Hofe geradezu: Baiern und Württemberg würden „dem bisherigen
*) Bürgermeiſter Weimar in Wertheim an Fürſt Georg v. Löwenſtein, 28. Mai; F. Georg v. Löwenſtein an Otterſtedt, 30. Mai 1831.
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Vermittlung von Preußen und Württemberg.
fallen laſſen, wenn dadurch nur endlich das Elend der Binnenmauthen
aufgehoben würde. *) Anders empfand die große Mehrzahl der Liberalen;
ſie dachte von dem Muſterlande der conſtitutionellen Freiheit nicht eine
Geviertmeile aufzuopfern, und ihr Entſchluß ſtand um ſo feſter, da ſie
auch den Zollvereinsplänen mißtraute. Der Hauptverkehr des langge-
ſtreckten Landes ging von Norden nach Süden und konnte durch den An-
ſchluß an Baiern-Württemberg wenig gewinnen. Man überſah oder wollte
überſehen, daß dieſer Anſchluß nur das Mittel bilden ſollte zur ſpäteren
Vereinigung mit Preußen; unleugbar war der bairiſche Plan zu fein, zu
verwickelt um ſogleich vom Volke verſtanden zu werden.
Ueberall in Baden ſprach man begeiſtert von einem geſammtdeutſchen
Zollverbande; denn ſo viel Boden hatte die Idee der deutſchen Handels-
einheit durch Preußens Siege doch gewonnen, daß Niemand mehr ſie
ſchlechthin zu verwerfen wagte. Freilich benutzten viele badiſche Liberale
das ſchöne Wort vom allgemeinen deutſchen Zollvereine nur als ein Schurz-
fell um die Blöße ihrer partikulariſtiſchen Selbſtſucht zu bedecken. Wie
behaglich lebte ſich’s doch unter der badiſchen Handelsfreiheit — auf Koſten
der lieben Nachbarn! Mit Stolz ſah der Badener — ſo ſagte eine Flug-
ſchrift des Raſtatter Kaufmanns F. Meyer „über die Zollverhältniſſe Ba-
dens“ — wie die Nachbarn aus dem Elſaß, aus Schwaben, aus der Rhein-
pfalz in „das wohlfeile, gaſtfreie“ Ländle kamen um dann ihre billigen
Einkäufe über die heimathliche Grenze hinüberzuſchmuggeln. Nimmermehr
ſollte dieſe gemüthliche Unordnung durch eine gewiſſenhafte Grenzbewachung
beſeitigt werden. Der Freiburger Handelsſtand ſtellte dem Landtage vor:
ein Zollverein „wird rechtliche, ſittlich gute Menſchen in eine Rotte von
Zöllnern, Schmugglern, Spionen und Gaunern verwandeln“ — wobei nur
verſchwiegen ward, daß die große Mehrzahl der badiſchen Geſchäfte, zumal
die Colonialwaarenhandlungen, dem Schleichhandel längſt als Herbergen
dienten. Noch kräftiger ſprach das Straßburger Conſtitutionelle Deutſch-
land: „Mauth, Mauth, preußiſche Mauth erhalten wir! Unglückliches
Vaterland! Im Geheimen, im Dunkel der Nacht wird ſie Dir gegeben!
Wehe Dir, Kammer von 1831!“ Als Großherzog Leopold ſein Oberland
bereiſte, wurde er überall dringend gewarnt, und Winter, der in Fragen
der großen Politik immer rathlos war, wagte nicht einer ſcheinbar ſo
ſtarken Volksüberzeugung zu widerſprechen.
So ſchleppte ſich der Zank durch faſt anderthalb Jahre dahin. Die
beiden vermittelnden Höfe boten alle ihre Beredſamkeit auf. Der Berliner
ſprach ſanft, der Stuttgarter ſchroff; denn König Wilhelm ſah ſein Land
unmittelbar unter dem badiſchen Schmuggel leiden, er drohte dem Karls-
ruher Hofe geradezu: Baiern und Württemberg würden „dem bisherigen
*) Bürgermeiſter Weimar in Wertheim an Fürſt Georg v. Löwenſtein, 28. Mai;
F. Georg v. Löwenſtein an Otterſtedt, 30. Mai 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/373>, abgerufen am 24.11.2024.
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