Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 6. Der Deutsche Zollverein. Auch den Nüchternen schien so viel mindestens sicher, daß die Wundermärirgend einen wahren Kern enthalten und die geheimnißvollen, aller Nach- forschungen und ausgeschriebenen Preise spottenden Feinde des Mißhan- delten über große Machtmittel gebieten müßten. Nur der Polizeirath Merker in Berlin und wenige andere gewiegte Kenner der Verbrecherwelt wagten jetzt schon, zur Entrüstung des gebildeten Publicums, das Kind Europas für einen gemeinen Betrüger zu erklären, da die Kerkergeschichte offenbar allen Naturgesetzen widerspräche. Unter den Gläubigen befanden sich nicht blos Saphir und ähnliche literarische Klopffechter, sondern auch ernste, bedeutende Männer, wie der Staatsrechtslehrer Klüber, der Heraus- geber des Neuen Pitaval Hitzig, vor Allen aber Anselm Feuerbach, der von tiefem Mitleid ergriffen, mit der ganzen Gluth seines leidenschaftlichen Herzens sich des Findlings annahm und in einer eigenen Schrift die un- heimliche Kerkergeschichte als "Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen" schilderte. Also verwöhnt, verzogen, angestaunt und zum Heucheln geradezu herausgefordert lebte sich Hauser immer tiefer ein in seine Lügenwelt, er spielte die ihm halb aufgedrungene Rolle des langsam aus dem Seelenschlafe Erwachenden nicht ohne Bauernschlauheit und erlernte allmählich Alles wieder was er schon vor seinen Nürnberger Tagen gewußt hatte; viel mehr konnten die Erziehungskünste seiner Gönner in diesen harten Kopf nicht hineinbringen. Als er fühlte, daß sein Ansehen zu wanken begann, verwundete er sich selbst und erweckte noch einmal die Theilnahme aller zarten Seelen indem er vorgab, daß ein unbekannter Mörder ihn angefallen habe. Dann lebte er als Schreiber in Ansbach und wagte dort im Schloßgarten nochmals den nämlichen Versuch, aber diesmal drang sein Dolch tiefer ein als er selbst beabsichtigte, und er starb schon nach drei Tagen (Dec. 1833). Da diese Selbstverwundung sich weder ganz unzweifelhaft erweisen ließ, noch mit der Feigheit des Burschen leicht vereinbar schien, so gab Hauser's Tod den umlaufenden Gerüchten nur neue Nahrung. Seine Grabschrift nannte ihn aenigma sui temporis, und auf der Unglücksstelle im Schloßgarten wurde ein Denkstein errichtet mit der doppelsinnigen Inschrift: hic occultus occulto occisus. Nach mannichfachen abenteuerlichen Vermuthungen war der Verdacht *) S. o. II. 361. Beiläufig sei ein dort angegebenes falsches Datum berichtigt.
Der zweite Sohn des Großherzogs Karl, Prinz Alexander wurde am 1. Mai 1816 geboren und starb 8. Mai 1817. IV. 6. Der Deutſche Zollverein. Auch den Nüchternen ſchien ſo viel mindeſtens ſicher, daß die Wundermärirgend einen wahren Kern enthalten und die geheimnißvollen, aller Nach- forſchungen und ausgeſchriebenen Preiſe ſpottenden Feinde des Mißhan- delten über große Machtmittel gebieten müßten. Nur der Polizeirath Merker in Berlin und wenige andere gewiegte Kenner der Verbrecherwelt wagten jetzt ſchon, zur Entrüſtung des gebildeten Publicums, das Kind Europas für einen gemeinen Betrüger zu erklären, da die Kerkergeſchichte offenbar allen Naturgeſetzen widerſpräche. Unter den Gläubigen befanden ſich nicht blos Saphir und ähnliche literariſche Klopffechter, ſondern auch ernſte, bedeutende Männer, wie der Staatsrechtslehrer Klüber, der Heraus- geber des Neuen Pitaval Hitzig, vor Allen aber Anſelm Feuerbach, der von tiefem Mitleid ergriffen, mit der ganzen Gluth ſeines leidenſchaftlichen Herzens ſich des Findlings annahm und in einer eigenen Schrift die un- heimliche Kerkergeſchichte als „Beiſpiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menſchen“ ſchilderte. Alſo verwöhnt, verzogen, angeſtaunt und zum Heucheln geradezu herausgefordert lebte ſich Hauſer immer tiefer ein in ſeine Lügenwelt, er ſpielte die ihm halb aufgedrungene Rolle des langſam aus dem Seelenſchlafe Erwachenden nicht ohne Bauernſchlauheit und erlernte allmählich Alles wieder was er ſchon vor ſeinen Nürnberger Tagen gewußt hatte; viel mehr konnten die Erziehungskünſte ſeiner Gönner in dieſen harten Kopf nicht hineinbringen. Als er fühlte, daß ſein Anſehen zu wanken begann, verwundete er ſich ſelbſt und erweckte noch einmal die Theilnahme aller zarten Seelen indem er vorgab, daß ein unbekannter Mörder ihn angefallen habe. Dann lebte er als Schreiber in Ansbach und wagte dort im Schloßgarten nochmals den nämlichen Verſuch, aber diesmal drang ſein Dolch tiefer ein als er ſelbſt beabſichtigte, und er ſtarb ſchon nach drei Tagen (Dec. 1833). Da dieſe Selbſtverwundung ſich weder ganz unzweifelhaft erweiſen ließ, noch mit der Feigheit des Burſchen leicht vereinbar ſchien, ſo gab Hauſer’s Tod den umlaufenden Gerüchten nur neue Nahrung. Seine Grabſchrift nannte ihn aenigma sui temporis, und auf der Unglücksſtelle im Schloßgarten wurde ein Denkſtein errichtet mit der doppelſinnigen Inſchrift: hic occultus occulto occisus. Nach mannichfachen abenteuerlichen Vermuthungen war der Verdacht *) S. o. II. 361. Beiläufig ſei ein dort angegebenes falſches Datum berichtigt.
Der zweite Sohn des Großherzogs Karl, Prinz Alexander wurde am 1. Mai 1816 geboren und ſtarb 8. Mai 1817. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0376" n="362"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 6. Der Deutſche Zollverein.</fw><lb/> Auch den Nüchternen ſchien ſo viel mindeſtens ſicher, daß die Wundermär<lb/> irgend einen wahren Kern enthalten und die geheimnißvollen, aller Nach-<lb/> forſchungen und ausgeſchriebenen Preiſe ſpottenden Feinde des Mißhan-<lb/> delten über große Machtmittel gebieten müßten. Nur der Polizeirath<lb/> Merker in Berlin und wenige andere gewiegte Kenner der Verbrecherwelt<lb/> wagten jetzt ſchon, zur Entrüſtung des gebildeten Publicums, das Kind<lb/> Europas für einen gemeinen Betrüger zu erklären, da die Kerkergeſchichte<lb/> offenbar allen Naturgeſetzen widerſpräche. Unter den Gläubigen befanden<lb/> ſich nicht blos Saphir und ähnliche literariſche Klopffechter, ſondern auch<lb/> ernſte, bedeutende Männer, wie der Staatsrechtslehrer Klüber, der Heraus-<lb/> geber des Neuen Pitaval Hitzig, vor Allen aber Anſelm Feuerbach, der von<lb/> tiefem Mitleid ergriffen, mit der ganzen Gluth ſeines leidenſchaftlichen<lb/> Herzens ſich des Findlings annahm und in einer eigenen Schrift die un-<lb/> heimliche Kerkergeſchichte als „Beiſpiel eines Verbrechens am Seelenleben<lb/> des Menſchen“ ſchilderte. Alſo verwöhnt, verzogen, angeſtaunt und zum<lb/> Heucheln geradezu herausgefordert lebte ſich Hauſer immer tiefer ein in<lb/> ſeine Lügenwelt, er ſpielte die ihm halb aufgedrungene Rolle des langſam<lb/> aus dem Seelenſchlafe Erwachenden nicht ohne Bauernſchlauheit und<lb/> erlernte allmählich Alles wieder was er ſchon vor ſeinen Nürnberger Tagen<lb/> gewußt hatte; viel mehr konnten die Erziehungskünſte ſeiner Gönner in<lb/> dieſen harten Kopf nicht hineinbringen. Als er fühlte, daß ſein Anſehen<lb/> zu wanken begann, verwundete er ſich ſelbſt und erweckte noch einmal die<lb/> Theilnahme aller zarten Seelen indem er vorgab, daß ein unbekannter<lb/> Mörder ihn angefallen habe. Dann lebte er als Schreiber in Ansbach und<lb/> wagte dort im Schloßgarten nochmals den nämlichen Verſuch, aber diesmal<lb/> drang ſein Dolch tiefer ein als er ſelbſt beabſichtigte, und er ſtarb ſchon<lb/> nach drei Tagen (Dec. 1833). Da dieſe Selbſtverwundung ſich weder<lb/> ganz unzweifelhaft erweiſen ließ, noch mit der Feigheit des Burſchen leicht<lb/> vereinbar ſchien, ſo gab Hauſer’s Tod den umlaufenden Gerüchten nur<lb/> neue Nahrung. Seine Grabſchrift nannte ihn <hi rendition="#aq">aenigma sui temporis</hi>,<lb/> und auf der Unglücksſtelle im Schloßgarten wurde ein Denkſtein errichtet<lb/> mit der doppelſinnigen Inſchrift: <hi rendition="#aq">hic occultus occulto occisus.</hi></p><lb/> <p>Nach mannichfachen abenteuerlichen Vermuthungen war der Verdacht<lb/> entſtanden, Hauſer ſei der im Jahre 1812 geborene und nach wenigen<lb/> Tagen geſtorbene Erbgroßherzog von Baden; der berüchtigte Major Hennen-<lb/> hofer ſollte ein todtes Kind untergeſchoben und den Prinzen aus dem<lb/> Wege geräumt haben um den hochbergiſchen Zähringern den Thron zu<lb/> verſchaffen. Beweiſe, ja ſelbſt verdächtige Anzeichen fehlten gänzlich; aber<lb/> der plötzliche Tod der beiden Söhne des Großherzogs Karl hatte ſchon vor<lb/> Jahren viel müßiges Gerede hervorgerufen,<note place="foot" n="*)">S. o. <hi rendition="#aq">II.</hi> 361. Beiläufig ſei ein dort angegebenes falſches Datum berichtigt.<lb/> Der zweite Sohn des Großherzogs Karl, Prinz Alexander wurde am 1. Mai 1816<lb/> geboren und ſtarb 8. Mai 1817.</note> dem Großherzog Ludwig und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [362/0376]
IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
Auch den Nüchternen ſchien ſo viel mindeſtens ſicher, daß die Wundermär
irgend einen wahren Kern enthalten und die geheimnißvollen, aller Nach-
forſchungen und ausgeſchriebenen Preiſe ſpottenden Feinde des Mißhan-
delten über große Machtmittel gebieten müßten. Nur der Polizeirath
Merker in Berlin und wenige andere gewiegte Kenner der Verbrecherwelt
wagten jetzt ſchon, zur Entrüſtung des gebildeten Publicums, das Kind
Europas für einen gemeinen Betrüger zu erklären, da die Kerkergeſchichte
offenbar allen Naturgeſetzen widerſpräche. Unter den Gläubigen befanden
ſich nicht blos Saphir und ähnliche literariſche Klopffechter, ſondern auch
ernſte, bedeutende Männer, wie der Staatsrechtslehrer Klüber, der Heraus-
geber des Neuen Pitaval Hitzig, vor Allen aber Anſelm Feuerbach, der von
tiefem Mitleid ergriffen, mit der ganzen Gluth ſeines leidenſchaftlichen
Herzens ſich des Findlings annahm und in einer eigenen Schrift die un-
heimliche Kerkergeſchichte als „Beiſpiel eines Verbrechens am Seelenleben
des Menſchen“ ſchilderte. Alſo verwöhnt, verzogen, angeſtaunt und zum
Heucheln geradezu herausgefordert lebte ſich Hauſer immer tiefer ein in
ſeine Lügenwelt, er ſpielte die ihm halb aufgedrungene Rolle des langſam
aus dem Seelenſchlafe Erwachenden nicht ohne Bauernſchlauheit und
erlernte allmählich Alles wieder was er ſchon vor ſeinen Nürnberger Tagen
gewußt hatte; viel mehr konnten die Erziehungskünſte ſeiner Gönner in
dieſen harten Kopf nicht hineinbringen. Als er fühlte, daß ſein Anſehen
zu wanken begann, verwundete er ſich ſelbſt und erweckte noch einmal die
Theilnahme aller zarten Seelen indem er vorgab, daß ein unbekannter
Mörder ihn angefallen habe. Dann lebte er als Schreiber in Ansbach und
wagte dort im Schloßgarten nochmals den nämlichen Verſuch, aber diesmal
drang ſein Dolch tiefer ein als er ſelbſt beabſichtigte, und er ſtarb ſchon
nach drei Tagen (Dec. 1833). Da dieſe Selbſtverwundung ſich weder
ganz unzweifelhaft erweiſen ließ, noch mit der Feigheit des Burſchen leicht
vereinbar ſchien, ſo gab Hauſer’s Tod den umlaufenden Gerüchten nur
neue Nahrung. Seine Grabſchrift nannte ihn aenigma sui temporis,
und auf der Unglücksſtelle im Schloßgarten wurde ein Denkſtein errichtet
mit der doppelſinnigen Inſchrift: hic occultus occulto occisus.
Nach mannichfachen abenteuerlichen Vermuthungen war der Verdacht
entſtanden, Hauſer ſei der im Jahre 1812 geborene und nach wenigen
Tagen geſtorbene Erbgroßherzog von Baden; der berüchtigte Major Hennen-
hofer ſollte ein todtes Kind untergeſchoben und den Prinzen aus dem
Wege geräumt haben um den hochbergiſchen Zähringern den Thron zu
verſchaffen. Beweiſe, ja ſelbſt verdächtige Anzeichen fehlten gänzlich; aber
der plötzliche Tod der beiden Söhne des Großherzogs Karl hatte ſchon vor
Jahren viel müßiges Gerede hervorgerufen, *) dem Großherzog Ludwig und
*) S. o. II. 361. Beiläufig ſei ein dort angegebenes falſches Datum berichtigt.
Der zweite Sohn des Großherzogs Karl, Prinz Alexander wurde am 1. Mai 1816
geboren und ſtarb 8. Mai 1817.
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