zu erreichen ist; sollen in Deutschland überhaupt Durchfuhrzölle bestehen, so doch jedenfalls ein anderes System als das preußische! -- Die Finanz- partei in Berlin klagte laut über die offenbare Zweizüngigkeit. Geh. Rath Michaelis fragte in einer scharfen Denkschrift: soll diese Sprache des sächsischen Bundestagsgesandten etwa die öffentliche Meinung in Sachsen für den preußischen Zollverein gewinnen? -- Wen konnten auch die nichtigen Entschuldigungen überzeugen, die der sächsische Minister Minckwitz seinem Berliner Gesandten Watzdorf schrieb (29. Nov. 1832)? Der harm- lose Mann betheuerte, die Vorgänge in Frankfurt sollten den Berliner Verhandlungen "keinen Eintrag thun"! Eichhorn aber, als ein gewiegter Kenner des Charakters der kleinen Höfe, mahnte seine erzürnten Amts- genossen zur Geduld: gönnen wir doch den Herren in der Eschenheimer Gasse ihre unschuldigen Stilübungen; der Dresdner Hof meint es ehrlich, wenngleich er zuweilen einem Anfall von Schwäche unterliegt; noch eine kurze Frist, und er kommt wieder zu uns.
Und so geschah es. Im Januar 1833 besprach sich Mieg in Dresden mit Zeschau, und als darauf die Berliner Verhandlungen mit Baiern so glücklich vorangingen, kam der sächsische Finanzminister (24. März) zum dritten male in die preußische Hauptstadt. Nach kaum acht Tagen (30. März 1833) schlossen Eichhorn, Maassen, Zeschau und Watzdorf den Zollvereinsvertrag, der wörtlich mit dem soeben beendigten bairischen über- einstimmte. Einige Separatartikel ordneten den Zustand der Messen. Der Frankfurter Zollrabatt blieb etwas ermäßigt bestehen, doch durfte Sachsen seinem Leipzig ähnliche Vergünstigungen zuwenden. Der Meß- handel erhielt eine große Erleichterung durch die Einrichtung der Meß- contirung; für Leipziger Großhandlungen von gutem Rufe wurde sogar ein über die Meßzeiten hinaus fortdauerndes Steuerconto zum Abschreiben eröffnet -- eine wichtige Vergünstigung, die noch manchen Mißbrauch ver- anlassen sollte. Auch die Herabsetzung einiger Zollsätze, namentlich für Woll- und Baumwollwaaren, wurde vereinbart. Preußen verpflichtete sich, die Ermäßigung der Elbschifffahrtsabgaben, welche Anhalt dem preußischen Elbhandel zugestanden hatte, auch dem sächsischen Verkehre zuzuwenden; der gute Vorsatz scheiterte freilich an Anhalts Kleinsinn.
Nicht ohne Zagen unterschrieb Maassen den Vertrag, der den preu- ßischen Markt den Fabriken des Erzgebirges eröffnete; von allen seinen Räthen stimmte ihm nur Kühne unbedingt zu. "Das ist ein schwerer Vertrag -- sagte er zu Kühne und wog die Actenstücke auf der flachen Hand -- es hätte ihn nicht jeder unterzeichnet." Die Besorgniß des Staatswirths hatte zurücktreten müssen vor den Hoffnungen der Politiker. Sachsen stand gerade in den Flitterwochen seines constitutionellen Lebens; der Eintritt dieses Staates mußte die öffentliche Meinung günstig stimmen. Leider verging wieder eine geraume Frist, bis die deutsche Welt mit der vollendeten Thatsache sich versöhnte. Die preußischen Fabrikanten lärmten,
IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
zu erreichen iſt; ſollen in Deutſchland überhaupt Durchfuhrzölle beſtehen, ſo doch jedenfalls ein anderes Syſtem als das preußiſche! — Die Finanz- partei in Berlin klagte laut über die offenbare Zweizüngigkeit. Geh. Rath Michaelis fragte in einer ſcharfen Denkſchrift: ſoll dieſe Sprache des ſächſiſchen Bundestagsgeſandten etwa die öffentliche Meinung in Sachſen für den preußiſchen Zollverein gewinnen? — Wen konnten auch die nichtigen Entſchuldigungen überzeugen, die der ſächſiſche Miniſter Minckwitz ſeinem Berliner Geſandten Watzdorf ſchrieb (29. Nov. 1832)? Der harm- loſe Mann betheuerte, die Vorgänge in Frankfurt ſollten den Berliner Verhandlungen „keinen Eintrag thun“! Eichhorn aber, als ein gewiegter Kenner des Charakters der kleinen Höfe, mahnte ſeine erzürnten Amts- genoſſen zur Geduld: gönnen wir doch den Herren in der Eſchenheimer Gaſſe ihre unſchuldigen Stilübungen; der Dresdner Hof meint es ehrlich, wenngleich er zuweilen einem Anfall von Schwäche unterliegt; noch eine kurze Friſt, und er kommt wieder zu uns.
Und ſo geſchah es. Im Januar 1833 beſprach ſich Mieg in Dresden mit Zeſchau, und als darauf die Berliner Verhandlungen mit Baiern ſo glücklich vorangingen, kam der ſächſiſche Finanzminiſter (24. März) zum dritten male in die preußiſche Hauptſtadt. Nach kaum acht Tagen (30. März 1833) ſchloſſen Eichhorn, Maaſſen, Zeſchau und Watzdorf den Zollvereinsvertrag, der wörtlich mit dem ſoeben beendigten bairiſchen über- einſtimmte. Einige Separatartikel ordneten den Zuſtand der Meſſen. Der Frankfurter Zollrabatt blieb etwas ermäßigt beſtehen, doch durfte Sachſen ſeinem Leipzig ähnliche Vergünſtigungen zuwenden. Der Meß- handel erhielt eine große Erleichterung durch die Einrichtung der Meß- contirung; für Leipziger Großhandlungen von gutem Rufe wurde ſogar ein über die Meßzeiten hinaus fortdauerndes Steuerconto zum Abſchreiben eröffnet — eine wichtige Vergünſtigung, die noch manchen Mißbrauch ver- anlaſſen ſollte. Auch die Herabſetzung einiger Zollſätze, namentlich für Woll- und Baumwollwaaren, wurde vereinbart. Preußen verpflichtete ſich, die Ermäßigung der Elbſchifffahrtsabgaben, welche Anhalt dem preußiſchen Elbhandel zugeſtanden hatte, auch dem ſächſiſchen Verkehre zuzuwenden; der gute Vorſatz ſcheiterte freilich an Anhalts Kleinſinn.
Nicht ohne Zagen unterſchrieb Maaſſen den Vertrag, der den preu- ßiſchen Markt den Fabriken des Erzgebirges eröffnete; von allen ſeinen Räthen ſtimmte ihm nur Kühne unbedingt zu. „Das iſt ein ſchwerer Vertrag — ſagte er zu Kühne und wog die Actenſtücke auf der flachen Hand — es hätte ihn nicht jeder unterzeichnet.“ Die Beſorgniß des Staatswirths hatte zurücktreten müſſen vor den Hoffnungen der Politiker. Sachſen ſtand gerade in den Flitterwochen ſeines conſtitutionellen Lebens; der Eintritt dieſes Staates mußte die öffentliche Meinung günſtig ſtimmen. Leider verging wieder eine geraume Friſt, bis die deutſche Welt mit der vollendeten Thatſache ſich verſöhnte. Die preußiſchen Fabrikanten lärmten,
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ſo doch jedenfalls ein anderes Syſtem als das preußiſche! — Die Finanz-
partei in Berlin klagte laut über die offenbare Zweizüngigkeit. Geh. Rath
Michaelis fragte in einer ſcharfen Denkſchrift: ſoll dieſe Sprache des
ſächſiſchen Bundestagsgeſandten etwa die öffentliche Meinung in Sachſen
für den preußiſchen Zollverein gewinnen? — Wen konnten auch die
nichtigen Entſchuldigungen überzeugen, die der ſächſiſche Miniſter Minckwitz
ſeinem Berliner Geſandten Watzdorf ſchrieb (29. Nov. 1832)? Der harm-
loſe Mann betheuerte, die Vorgänge in Frankfurt ſollten den Berliner
Verhandlungen „keinen Eintrag thun“! Eichhorn aber, als ein gewiegter
Kenner des Charakters der kleinen Höfe, mahnte ſeine erzürnten Amts-
genoſſen zur Geduld: gönnen wir doch den Herren in der Eſchenheimer
Gaſſe ihre unſchuldigen Stilübungen; der Dresdner Hof meint es ehrlich,
wenngleich er zuweilen einem Anfall von Schwäche unterliegt; noch eine
kurze Friſt, und er kommt wieder zu uns.
Und ſo geſchah es. Im Januar 1833 beſprach ſich Mieg in Dresden
mit Zeſchau, und als darauf die Berliner Verhandlungen mit Baiern
ſo glücklich vorangingen, kam der ſächſiſche Finanzminiſter (24. März)
zum dritten male in die preußiſche Hauptſtadt. Nach kaum acht Tagen
(30. März 1833) ſchloſſen Eichhorn, Maaſſen, Zeſchau und Watzdorf den
Zollvereinsvertrag, der wörtlich mit dem ſoeben beendigten bairiſchen über-
einſtimmte. Einige Separatartikel ordneten den Zuſtand der Meſſen.
Der Frankfurter Zollrabatt blieb etwas ermäßigt beſtehen, doch durfte
Sachſen ſeinem Leipzig ähnliche Vergünſtigungen zuwenden. Der Meß-
handel erhielt eine große Erleichterung durch die Einrichtung der Meß-
contirung; für Leipziger Großhandlungen von gutem Rufe wurde ſogar
ein über die Meßzeiten hinaus fortdauerndes Steuerconto zum Abſchreiben
eröffnet — eine wichtige Vergünſtigung, die noch manchen Mißbrauch ver-
anlaſſen ſollte. Auch die Herabſetzung einiger Zollſätze, namentlich für
Woll- und Baumwollwaaren, wurde vereinbart. Preußen verpflichtete ſich,
die Ermäßigung der Elbſchifffahrtsabgaben, welche Anhalt dem preußiſchen
Elbhandel zugeſtanden hatte, auch dem ſächſiſchen Verkehre zuzuwenden;
der gute Vorſatz ſcheiterte freilich an Anhalts Kleinſinn.
Nicht ohne Zagen unterſchrieb Maaſſen den Vertrag, der den preu-
ßiſchen Markt den Fabriken des Erzgebirges eröffnete; von allen ſeinen
Räthen ſtimmte ihm nur Kühne unbedingt zu. „Das iſt ein ſchwerer
Vertrag — ſagte er zu Kühne und wog die Actenſtücke auf der flachen
Hand — es hätte ihn nicht jeder unterzeichnet.“ Die Beſorgniß des
Staatswirths hatte zurücktreten müſſen vor den Hoffnungen der Politiker.
Sachſen ſtand gerade in den Flitterwochen ſeines conſtitutionellen Lebens;
der Eintritt dieſes Staates mußte die öffentliche Meinung günſtig ſtimmen.
Leider verging wieder eine geraume Friſt, bis die deutſche Welt mit der
vollendeten Thatſache ſich verſöhnte. Die preußiſchen Fabrikanten lärmten,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/390>, abgerufen am 24.11.2024.
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