hohen Rath der deutschen Bundespolizei zum letzten male zu unfrucht- baren Verhandlungen um sich versammelte, erstand im Westen und Nor- den das neue in Arbeit geeinigte Deutschland, scharf abgegrenzt gegen Oesterreich wie gegen das Ausland. Das letzte Ziel der fridericianischen Politik, die Lösung des deutschen Dualismus, schien jetzt nicht mehr un- erreichbar, und hoffnungsvoll sagte Karl Mathy: "Noch niemals ist Deutsch- land so einig gewesen wie seit der Stiftung des Zollvereins."
Der junge Tag, der über Deutschland heraufdämmerte, ward aber nur von wenigen Einsichtigen bemerkt; die emporsteigende Sonne verbarg sich hinter dem Gewölk langweiliger und widerwärtiger diplomatischer Zwi- stigkeiten. Wie oft hatten die Patrioten gesungen und gesagt von der Stunde des Heiles, da die Raben nicht mehr den Kaiserberg umkreisen, da der Birnbaum auf dem Walserfelde wieder grünen, der alte Rothbart seinen Flamberg schwingen und den Reichstag der freien deutschen Nation einberufen würde -- ein Gedanke, der noch kaum greifbarer war als weiland die Weissagungen des Simplicissimus von dem "deutschen Hel- den" und seinen Parlamentsherren. Neben diesen strahlenden Traum- bildern eines Volkes, das schon in zorniger Ungeduld seine künstlich nieder- gedrückte Kraft zu fühlen begann, erschien das neue wirthschaftliche Ge- meinwesen der Nation in seinem Werktagskleide unscheinbar und nüchtern. Die Deutschen wußten ihrem Beamtenthum für seine treue Arbeit wenig Dank; denn immer ist es das tragische Loos neuer politischer Ideen, daß sie zuerst von der gedankenlosen Welt bekämpft und dann, sobald der Er- folg sie rechtfertigt, als selbstverständlich mißachtet werden. Eben in den Tagen, da der deutschen Politik Preußens endlich wieder ein großer Wurf gelungen war, verfiel die öffentliche Meinung nochmals in einen Zustand der Ermattung und Verstimmung, wie zehn Jahre zuvor, und fast allein in den Kämpfen des literarischen Lebens entlud sich noch die verhaltene poli- tische Leidenschaft der Zeit.
Erst seit Goethe die Augen schloß (22. März 1832), gelangte die neue radicale Literatur, die sich in Börne's und Heine's Schriften zuerst an- gekündigt hatte, für kurze Zeit zur unumschränkten Herrschaft. Sein Da- sein schon war ein beredter Vorwurf gegen die freche Tendenz, und moch- ten die Kleinen sich wechselseitig als junge Titanen verherrlichen, an seine Größe reichte alles Selbstlob nicht heran. Nichts erregt so unwiderstehlich die fromme Ahnung einer höheren Welt, wie der Anblick eines gottbegna- deten Greises, der an den letzten Grenzen menschlichen Alters, allen kleinen irdischen Sorgen entwachsen, nur noch für die Idee seines Lebens wirkt und dann in der Verklärung einer zweiten Jugend abscheidet. Friedrich's ernster Lebensausgang ließ neben der scheuen Bewunderung die Freude nicht aufkommen; erst an Goethe's Alter lernten die Deutschen die glück- liche, in sich befriedete und zugleich über die Erde hinausweisende Voll- endung eines großen Menschendaseins kennen. Gedenke zu leben! -- so
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
hohen Rath der deutſchen Bundespolizei zum letzten male zu unfrucht- baren Verhandlungen um ſich verſammelte, erſtand im Weſten und Nor- den das neue in Arbeit geeinigte Deutſchland, ſcharf abgegrenzt gegen Oeſterreich wie gegen das Ausland. Das letzte Ziel der fridericianiſchen Politik, die Löſung des deutſchen Dualismus, ſchien jetzt nicht mehr un- erreichbar, und hoffnungsvoll ſagte Karl Mathy: „Noch niemals iſt Deutſch- land ſo einig geweſen wie ſeit der Stiftung des Zollvereins.“
Der junge Tag, der über Deutſchland heraufdämmerte, ward aber nur von wenigen Einſichtigen bemerkt; die emporſteigende Sonne verbarg ſich hinter dem Gewölk langweiliger und widerwärtiger diplomatiſcher Zwi- ſtigkeiten. Wie oft hatten die Patrioten geſungen und geſagt von der Stunde des Heiles, da die Raben nicht mehr den Kaiſerberg umkreiſen, da der Birnbaum auf dem Walſerfelde wieder grünen, der alte Rothbart ſeinen Flamberg ſchwingen und den Reichstag der freien deutſchen Nation einberufen würde — ein Gedanke, der noch kaum greifbarer war als weiland die Weiſſagungen des Simpliciſſimus von dem „deutſchen Hel- den“ und ſeinen Parlamentsherren. Neben dieſen ſtrahlenden Traum- bildern eines Volkes, das ſchon in zorniger Ungeduld ſeine künſtlich nieder- gedrückte Kraft zu fühlen begann, erſchien das neue wirthſchaftliche Ge- meinweſen der Nation in ſeinem Werktagskleide unſcheinbar und nüchtern. Die Deutſchen wußten ihrem Beamtenthum für ſeine treue Arbeit wenig Dank; denn immer iſt es das tragiſche Loos neuer politiſcher Ideen, daß ſie zuerſt von der gedankenloſen Welt bekämpft und dann, ſobald der Er- folg ſie rechtfertigt, als ſelbſtverſtändlich mißachtet werden. Eben in den Tagen, da der deutſchen Politik Preußens endlich wieder ein großer Wurf gelungen war, verfiel die öffentliche Meinung nochmals in einen Zuſtand der Ermattung und Verſtimmung, wie zehn Jahre zuvor, und faſt allein in den Kämpfen des literariſchen Lebens entlud ſich noch die verhaltene poli- tiſche Leidenſchaft der Zeit.
Erſt ſeit Goethe die Augen ſchloß (22. März 1832), gelangte die neue radicale Literatur, die ſich in Börne’s und Heine’s Schriften zuerſt an- gekündigt hatte, für kurze Zeit zur unumſchränkten Herrſchaft. Sein Da- ſein ſchon war ein beredter Vorwurf gegen die freche Tendenz, und moch- ten die Kleinen ſich wechſelſeitig als junge Titanen verherrlichen, an ſeine Größe reichte alles Selbſtlob nicht heran. Nichts erregt ſo unwiderſtehlich die fromme Ahnung einer höheren Welt, wie der Anblick eines gottbegna- deten Greiſes, der an den letzten Grenzen menſchlichen Alters, allen kleinen irdiſchen Sorgen entwachſen, nur noch für die Idee ſeines Lebens wirkt und dann in der Verklärung einer zweiten Jugend abſcheidet. Friedrich’s ernſter Lebensausgang ließ neben der ſcheuen Bewunderung die Freude nicht aufkommen; erſt an Goethe’s Alter lernten die Deutſchen die glück- liche, in ſich befriedete und zugleich über die Erde hinausweiſende Voll- endung eines großen Menſchendaſeins kennen. Gedenke zu leben! — ſo
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den das neue in Arbeit geeinigte Deutſchland, ſcharf abgegrenzt gegen
Oeſterreich wie gegen das Ausland. Das letzte Ziel der fridericianiſchen
Politik, die Löſung des deutſchen Dualismus, ſchien jetzt nicht mehr un-
erreichbar, und hoffnungsvoll ſagte Karl Mathy: „Noch niemals iſt Deutſch-
land ſo einig geweſen wie ſeit der Stiftung des Zollvereins.“
Der junge Tag, der über Deutſchland heraufdämmerte, ward aber
nur von wenigen Einſichtigen bemerkt; die emporſteigende Sonne verbarg
ſich hinter dem Gewölk langweiliger und widerwärtiger diplomatiſcher Zwi-
ſtigkeiten. Wie oft hatten die Patrioten geſungen und geſagt von der
Stunde des Heiles, da die Raben nicht mehr den Kaiſerberg umkreiſen,
da der Birnbaum auf dem Walſerfelde wieder grünen, der alte Rothbart
ſeinen Flamberg ſchwingen und den Reichstag der freien deutſchen Nation
einberufen würde — ein Gedanke, der noch kaum greifbarer war als
weiland die Weiſſagungen des Simpliciſſimus von dem „deutſchen Hel-
den“ und ſeinen Parlamentsherren. Neben dieſen ſtrahlenden Traum-
bildern eines Volkes, das ſchon in zorniger Ungeduld ſeine künſtlich nieder-
gedrückte Kraft zu fühlen begann, erſchien das neue wirthſchaftliche Ge-
meinweſen der Nation in ſeinem Werktagskleide unſcheinbar und nüchtern.
Die Deutſchen wußten ihrem Beamtenthum für ſeine treue Arbeit wenig
Dank; denn immer iſt es das tragiſche Loos neuer politiſcher Ideen, daß
ſie zuerſt von der gedankenloſen Welt bekämpft und dann, ſobald der Er-
folg ſie rechtfertigt, als ſelbſtverſtändlich mißachtet werden. Eben in den
Tagen, da der deutſchen Politik Preußens endlich wieder ein großer Wurf
gelungen war, verfiel die öffentliche Meinung nochmals in einen Zuſtand
der Ermattung und Verſtimmung, wie zehn Jahre zuvor, und faſt allein
in den Kämpfen des literariſchen Lebens entlud ſich noch die verhaltene poli-
tiſche Leidenſchaft der Zeit.
Erſt ſeit Goethe die Augen ſchloß (22. März 1832), gelangte die neue
radicale Literatur, die ſich in Börne’s und Heine’s Schriften zuerſt an-
gekündigt hatte, für kurze Zeit zur unumſchränkten Herrſchaft. Sein Da-
ſein ſchon war ein beredter Vorwurf gegen die freche Tendenz, und moch-
ten die Kleinen ſich wechſelſeitig als junge Titanen verherrlichen, an ſeine
Größe reichte alles Selbſtlob nicht heran. Nichts erregt ſo unwiderſtehlich
die fromme Ahnung einer höheren Welt, wie der Anblick eines gottbegna-
deten Greiſes, der an den letzten Grenzen menſchlichen Alters, allen kleinen
irdiſchen Sorgen entwachſen, nur noch für die Idee ſeines Lebens wirkt
und dann in der Verklärung einer zweiten Jugend abſcheidet. Friedrich’s
ernſter Lebensausgang ließ neben der ſcheuen Bewunderung die Freude
nicht aufkommen; erſt an Goethe’s Alter lernten die Deutſchen die glück-
liche, in ſich befriedete und zugleich über die Erde hinausweiſende Voll-
endung eines großen Menſchendaſeins kennen. Gedenke zu leben! — ſo
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/422>, abgerufen am 24.11.2024.
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