Den Herold ihres Ruhmes spielte der Berliner Journalist Theodor Mundt. Der heimste im Salon der Rahel die neuen Gedanken ein, besprach in den Dioskuren und anderen kurzlebigen Zeitschriften die Werke der jungen Titanen, verherrlichte in seiner "Madonna" das Recht der freien Liebe, wiederholte in den "Modernen Lebenswirren" die alten Börnischen Witze über Hochwohlgeboren, über den Zeitpolypen, über Kleinweltwinkel, und erwies in einer langweiligen Schrift über die Einheit Deutschlands, daß große Monarchen fortan weder möglich noch nöthig seien, da die con- stitutionelle Monarchie das Königthum "physiognomielos" mache und mithin nur den Durchgang zur Republik bilde. Geistreicher klangen die "Aesthe- tischen Feldzüge" und die anderen kleinen kritischen Aufsätze des Holsten Ludolf Wienbarg. Sinnlichkeit und Verstand betrachtete er als die Mächte der neuen Zeit; nachdem Luther den Verstand befreit sollten nunmehr auch die Sinne zu ihrem Rechte kommen. Darum blieb den modernen "Destinsschriftstellern" vorbehalten, die Dichtung ganz mit der Wirklichkeit zu erfüllen: "Poesie und Leben sind Inseparabeln, das Weibchen härmt sich zu Tode wenn das Männchen von ihm getrennt." Dazu Aufklärung und Weltbürgerthum im Ueberschwang, denn "Pantheismus und Pan- civismus wachsen auf einem Stiel". Weder Mundt noch Wienbarg ver- mochte zu wachsen; jenem fehlte die Begabung, diesem der Fleiß.
Mehr Lebenskraft besaß Heinrich Laube; er brachte etwas schlesische Munterkeit in die blasirte Berliner Schriftstellerwelt. Leider trat er zu früh auf den literarischen Markt hinaus, und da er noch nichts Eigenes bieten konnte, so mußte er durch Peitschenknallen und burschikose Großsprecherei Aufsehen erregen. In seinem "Neuen Jahrhundert" versuchte er "alles Mög- liche und Unmögliche dem Maßstabe des Liberalismus anzuzwingen" -- so gestand er späterhin als gereifter Mann: er feierte Rotteck als deutschen Lafayette, erklärte die Vernunft für die Grundlage der liberalen Weltan- schauung, für die oberste aller Rechtsquellen und bewunderte die polnische Freiheit mit einer Unschuld, die einem Schlesier wunderlich anstand. Auch "das junge Europa" enthielt nur Feuilleton-Betrachtungen; er gab ihnen je- doch, wie er selbst sagt, "eine Roman-Physiognomie", und bei den mehr aufrichtigen als anmuthigen Schilderungen der freien Liebe konnten jugend- liche Leser wohl glauben, daß sie eine Dichtung vor sich hätten. Von künstlerischer Schönheit war nichts darin; nur der gesunde Menschenver- stand, der zuweilen durchbrach, ließ errathen, daß der junge Poet dieser vorlauten Prahlereien bald müde werden würde. Ueber Goethe sprach Laube mit Bewunderung, aber auch mit dem Gefühle der Ueberlegenheit; denn das stand dem Jungen Deutschland fest, daß die neue Literatur über den alten genußsüchtigen Fürstendiener unendlich weit hinausschreiten müsse: "So lange Goethe's Zeit klein war, war er groß; als sie groß wurde, war er klein. Vielleicht wird aus seinem Sarge die Freiheit steigen. Mit allen Jungfrauen hat er gekost, aber mit dieser schönsten nimmer."
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
Den Herold ihres Ruhmes ſpielte der Berliner Journaliſt Theodor Mundt. Der heimſte im Salon der Rahel die neuen Gedanken ein, beſprach in den Dioskuren und anderen kurzlebigen Zeitſchriften die Werke der jungen Titanen, verherrlichte in ſeiner „Madonna“ das Recht der freien Liebe, wiederholte in den „Modernen Lebenswirren“ die alten Börniſchen Witze über Hochwohlgeboren, über den Zeitpolypen, über Kleinweltwinkel, und erwies in einer langweiligen Schrift über die Einheit Deutſchlands, daß große Monarchen fortan weder möglich noch nöthig ſeien, da die con- ſtitutionelle Monarchie das Königthum „phyſiognomielos“ mache und mithin nur den Durchgang zur Republik bilde. Geiſtreicher klangen die „Aeſthe- tiſchen Feldzüge“ und die anderen kleinen kritiſchen Aufſätze des Holſten Ludolf Wienbarg. Sinnlichkeit und Verſtand betrachtete er als die Mächte der neuen Zeit; nachdem Luther den Verſtand befreit ſollten nunmehr auch die Sinne zu ihrem Rechte kommen. Darum blieb den modernen „Deſtinsſchriftſtellern“ vorbehalten, die Dichtung ganz mit der Wirklichkeit zu erfüllen: „Poeſie und Leben ſind Inſeparabeln, das Weibchen härmt ſich zu Tode wenn das Männchen von ihm getrennt.“ Dazu Aufklärung und Weltbürgerthum im Ueberſchwang, denn „Pantheismus und Pan- civismus wachſen auf einem Stiel“. Weder Mundt noch Wienbarg ver- mochte zu wachſen; jenem fehlte die Begabung, dieſem der Fleiß.
Mehr Lebenskraft beſaß Heinrich Laube; er brachte etwas ſchleſiſche Munterkeit in die blaſirte Berliner Schriftſtellerwelt. Leider trat er zu früh auf den literariſchen Markt hinaus, und da er noch nichts Eigenes bieten konnte, ſo mußte er durch Peitſchenknallen und burſchikoſe Großſprecherei Aufſehen erregen. In ſeinem „Neuen Jahrhundert“ verſuchte er „alles Mög- liche und Unmögliche dem Maßſtabe des Liberalismus anzuzwingen“ — ſo geſtand er ſpäterhin als gereifter Mann: er feierte Rotteck als deutſchen Lafayette, erklärte die Vernunft für die Grundlage der liberalen Weltan- ſchauung, für die oberſte aller Rechtsquellen und bewunderte die polniſche Freiheit mit einer Unſchuld, die einem Schleſier wunderlich anſtand. Auch „das junge Europa“ enthielt nur Feuilleton-Betrachtungen; er gab ihnen je- doch, wie er ſelbſt ſagt, „eine Roman-Phyſiognomie“, und bei den mehr aufrichtigen als anmuthigen Schilderungen der freien Liebe konnten jugend- liche Leſer wohl glauben, daß ſie eine Dichtung vor ſich hätten. Von künſtleriſcher Schönheit war nichts darin; nur der geſunde Menſchenver- ſtand, der zuweilen durchbrach, ließ errathen, daß der junge Poet dieſer vorlauten Prahlereien bald müde werden würde. Ueber Goethe ſprach Laube mit Bewunderung, aber auch mit dem Gefühle der Ueberlegenheit; denn das ſtand dem Jungen Deutſchland feſt, daß die neue Literatur über den alten genußſüchtigen Fürſtendiener unendlich weit hinausſchreiten müſſe: „So lange Goethe’s Zeit klein war, war er groß; als ſie groß wurde, war er klein. Vielleicht wird aus ſeinem Sarge die Freiheit ſteigen. Mit allen Jungfrauen hat er gekoſt, aber mit dieſer ſchönſten nimmer.“
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IV. 7. Das Junge Deutſchland.
Den Herold ihres Ruhmes ſpielte der Berliner Journaliſt Theodor
Mundt. Der heimſte im Salon der Rahel die neuen Gedanken ein, beſprach
in den Dioskuren und anderen kurzlebigen Zeitſchriften die Werke der
jungen Titanen, verherrlichte in ſeiner „Madonna“ das Recht der freien
Liebe, wiederholte in den „Modernen Lebenswirren“ die alten Börniſchen
Witze über Hochwohlgeboren, über den Zeitpolypen, über Kleinweltwinkel,
und erwies in einer langweiligen Schrift über die Einheit Deutſchlands,
daß große Monarchen fortan weder möglich noch nöthig ſeien, da die con-
ſtitutionelle Monarchie das Königthum „phyſiognomielos“ mache und mithin
nur den Durchgang zur Republik bilde. Geiſtreicher klangen die „Aeſthe-
tiſchen Feldzüge“ und die anderen kleinen kritiſchen Aufſätze des Holſten
Ludolf Wienbarg. Sinnlichkeit und Verſtand betrachtete er als die Mächte
der neuen Zeit; nachdem Luther den Verſtand befreit ſollten nunmehr
auch die Sinne zu ihrem Rechte kommen. Darum blieb den modernen
„Deſtinsſchriftſtellern“ vorbehalten, die Dichtung ganz mit der Wirklichkeit
zu erfüllen: „Poeſie und Leben ſind Inſeparabeln, das Weibchen härmt
ſich zu Tode wenn das Männchen von ihm getrennt.“ Dazu Aufklärung
und Weltbürgerthum im Ueberſchwang, denn „Pantheismus und Pan-
civismus wachſen auf einem Stiel“. Weder Mundt noch Wienbarg ver-
mochte zu wachſen; jenem fehlte die Begabung, dieſem der Fleiß.
Mehr Lebenskraft beſaß Heinrich Laube; er brachte etwas ſchleſiſche
Munterkeit in die blaſirte Berliner Schriftſtellerwelt. Leider trat er zu früh
auf den literariſchen Markt hinaus, und da er noch nichts Eigenes bieten
konnte, ſo mußte er durch Peitſchenknallen und burſchikoſe Großſprecherei
Aufſehen erregen. In ſeinem „Neuen Jahrhundert“ verſuchte er „alles Mög-
liche und Unmögliche dem Maßſtabe des Liberalismus anzuzwingen“ — ſo
geſtand er ſpäterhin als gereifter Mann: er feierte Rotteck als deutſchen
Lafayette, erklärte die Vernunft für die Grundlage der liberalen Weltan-
ſchauung, für die oberſte aller Rechtsquellen und bewunderte die polniſche
Freiheit mit einer Unſchuld, die einem Schleſier wunderlich anſtand. Auch
„das junge Europa“ enthielt nur Feuilleton-Betrachtungen; er gab ihnen je-
doch, wie er ſelbſt ſagt, „eine Roman-Phyſiognomie“, und bei den mehr
aufrichtigen als anmuthigen Schilderungen der freien Liebe konnten jugend-
liche Leſer wohl glauben, daß ſie eine Dichtung vor ſich hätten. Von
künſtleriſcher Schönheit war nichts darin; nur der geſunde Menſchenver-
ſtand, der zuweilen durchbrach, ließ errathen, daß der junge Poet dieſer
vorlauten Prahlereien bald müde werden würde. Ueber Goethe ſprach
Laube mit Bewunderung, aber auch mit dem Gefühle der Ueberlegenheit;
denn das ſtand dem Jungen Deutſchland feſt, daß die neue Literatur
über den alten genußſüchtigen Fürſtendiener unendlich weit hinausſchreiten
müſſe: „So lange Goethe’s Zeit klein war, war er groß; als ſie groß
wurde, war er klein. Vielleicht wird aus ſeinem Sarge die Freiheit ſteigen.
Mit allen Jungfrauen hat er gekoſt, aber mit dieſer ſchönſten nimmer.“
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/444>, abgerufen am 24.11.2024.
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