Noch früher, als Laube, schon mit einundzwanzig Jahren, versuchte sich Karl Gutzkow in der Schriftstellerei, ein echter Berliner, der Natur entfremdet, ganz Verstand, ganz Bildung, so daß selbst seine Leidenschaft einen doktrinären Zug zeigte. Wie ernstlich er sich auch späterhin bemühte zu schauen, zu erleben, zu empfinden, sein Tagelang hing es ihm nach, daß er in dieser Großstadt aufgewachsen war, wo selbst der Pöbel kein ärgeres Schimpfwort kannte als den Namen "ungebildeter Mensch", wo die Kinder sich frühe schon in den Thierbuden ihrer eigenen Affenähnlichkeit bewußt wurden aber selten oder niemals eine deutsche Rinderheerde zu Gesicht bekamen. Immer mußte er geistreich sein, einen einfachen Ge- danken einfach auszudrücken war ihm unmöglich. Er glühte von Ruhm- sucht, die Erfolge Anderer wurmten ihn tief, und Fernstehende konnten den nervösen, im Grunde gutmüthigen Mann leicht für einen bösen Neid- hart halten. In rascher Folge erschienen eine Reihe von Novellen, alle arm an Gestalten und überfüllt mit weltschmerzlichen Betrachtungen; dann die Briefe eines Narren an eine Närrin, eine Gefühlsspielerei in Jean Paul's schwülstigem Stile, nur ohne dessen Gemüthlichkeit; dann Nero, ein formloses Drama, das angeblich "den bis auf unsere Tage noch un- entschiedenen Kampf des Schönen mit dem Guten" darstellen sollte, aber nur verworrene starkgeistige Reden oder frostige Späße vorbrachte und nicht einmal durch die Schilderung des Cäsarenwahnsinns ein Gefühl des Grauens erweckte.
Erst durch einen großen literarischen Skandal drang Gutzkow's Name in weitere Kreise. Die beiden heißen wonnigen Weinjahre 34 und 35 sollten unserer Literatur schwere Stürme bringen. Im Herbst 1834 starb Schleiermacher. Die Kirche klagte um ihren großen Lehrer, und wer die stille Tragik eines Denkerlebens zu begreifen vermochte, blickte tief er- schüttert zurück auf die Laufbahn dieses Mannes, der nur darum die be- ladenen Herzen so mächtig hatte trösten können, weil er selbst so schwer gelitten, den ewigen Schicksalsmächten so nahe gestanden hatte. Wie wunderbar hatte Gott ihn geführt! Wie viele Kämpfe, bis dieser Scheue seinen Widerwillen gegen alles öffentliche Wirken überwand und dann eine Macht ward in seinem Volke; wie viele Irrungen des Gefühls, wie viele Enttäuschungen, mühsam verborgen unter scharfem Witze, bis dieses reiche Herz, das alle seine Wurzeln und Blätter nach Liebe ausstreckte, mit dem gebrechlichen, mißgestalteten Körper sich vertragen lernte und endlich doch in einer reinen Neigung seinen Frieden fand; wie viele Zweifel, bis sich ihm das Gefühl der Abhängigkeit von Gott zu dem frohen Be- wußtsein der Zugehörigkeit, der Gotteskindschaft steigerte, bis der kühne Forscher sich mit seiner Kirche ganz einig wußte und auf dem Todesbette, nach seinem evangelischen Rechte, sich selber und den Seinigen das Abend- mahl spendete.
Und an diesem Grabe, vor dem selbst Varnhagen in Ehrfurcht stand,
Gutzkow und Schleiermacher.
Noch früher, als Laube, ſchon mit einundzwanzig Jahren, verſuchte ſich Karl Gutzkow in der Schriftſtellerei, ein echter Berliner, der Natur entfremdet, ganz Verſtand, ganz Bildung, ſo daß ſelbſt ſeine Leidenſchaft einen doktrinären Zug zeigte. Wie ernſtlich er ſich auch ſpäterhin bemühte zu ſchauen, zu erleben, zu empfinden, ſein Tagelang hing es ihm nach, daß er in dieſer Großſtadt aufgewachſen war, wo ſelbſt der Pöbel kein ärgeres Schimpfwort kannte als den Namen „ungebildeter Menſch“, wo die Kinder ſich frühe ſchon in den Thierbuden ihrer eigenen Affenähnlichkeit bewußt wurden aber ſelten oder niemals eine deutſche Rinderheerde zu Geſicht bekamen. Immer mußte er geiſtreich ſein, einen einfachen Ge- danken einfach auszudrücken war ihm unmöglich. Er glühte von Ruhm- ſucht, die Erfolge Anderer wurmten ihn tief, und Fernſtehende konnten den nervöſen, im Grunde gutmüthigen Mann leicht für einen böſen Neid- hart halten. In raſcher Folge erſchienen eine Reihe von Novellen, alle arm an Geſtalten und überfüllt mit weltſchmerzlichen Betrachtungen; dann die Briefe eines Narren an eine Närrin, eine Gefühlsſpielerei in Jean Paul’s ſchwülſtigem Stile, nur ohne deſſen Gemüthlichkeit; dann Nero, ein formloſes Drama, das angeblich „den bis auf unſere Tage noch un- entſchiedenen Kampf des Schönen mit dem Guten“ darſtellen ſollte, aber nur verworrene ſtarkgeiſtige Reden oder froſtige Späße vorbrachte und nicht einmal durch die Schilderung des Cäſarenwahnſinns ein Gefühl des Grauens erweckte.
Erſt durch einen großen literariſchen Skandal drang Gutzkow’s Name in weitere Kreiſe. Die beiden heißen wonnigen Weinjahre 34 und 35 ſollten unſerer Literatur ſchwere Stürme bringen. Im Herbſt 1834 ſtarb Schleiermacher. Die Kirche klagte um ihren großen Lehrer, und wer die ſtille Tragik eines Denkerlebens zu begreifen vermochte, blickte tief er- ſchüttert zurück auf die Laufbahn dieſes Mannes, der nur darum die be- ladenen Herzen ſo mächtig hatte tröſten können, weil er ſelbſt ſo ſchwer gelitten, den ewigen Schickſalsmächten ſo nahe geſtanden hatte. Wie wunderbar hatte Gott ihn geführt! Wie viele Kämpfe, bis dieſer Scheue ſeinen Widerwillen gegen alles öffentliche Wirken überwand und dann eine Macht ward in ſeinem Volke; wie viele Irrungen des Gefühls, wie viele Enttäuſchungen, mühſam verborgen unter ſcharfem Witze, bis dieſes reiche Herz, das alle ſeine Wurzeln und Blätter nach Liebe ausſtreckte, mit dem gebrechlichen, mißgeſtalteten Körper ſich vertragen lernte und endlich doch in einer reinen Neigung ſeinen Frieden fand; wie viele Zweifel, bis ſich ihm das Gefühl der Abhängigkeit von Gott zu dem frohen Be- wußtſein der Zugehörigkeit, der Gotteskindſchaft ſteigerte, bis der kühne Forſcher ſich mit ſeiner Kirche ganz einig wußte und auf dem Todesbette, nach ſeinem evangeliſchen Rechte, ſich ſelber und den Seinigen das Abend- mahl ſpendete.
Und an dieſem Grabe, vor dem ſelbſt Varnhagen in Ehrfurcht ſtand,
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Gutzkow und Schleiermacher.
Noch früher, als Laube, ſchon mit einundzwanzig Jahren, verſuchte
ſich Karl Gutzkow in der Schriftſtellerei, ein echter Berliner, der Natur
entfremdet, ganz Verſtand, ganz Bildung, ſo daß ſelbſt ſeine Leidenſchaft
einen doktrinären Zug zeigte. Wie ernſtlich er ſich auch ſpäterhin bemühte
zu ſchauen, zu erleben, zu empfinden, ſein Tagelang hing es ihm nach,
daß er in dieſer Großſtadt aufgewachſen war, wo ſelbſt der Pöbel kein
ärgeres Schimpfwort kannte als den Namen „ungebildeter Menſch“, wo
die Kinder ſich frühe ſchon in den Thierbuden ihrer eigenen Affenähnlichkeit
bewußt wurden aber ſelten oder niemals eine deutſche Rinderheerde zu
Geſicht bekamen. Immer mußte er geiſtreich ſein, einen einfachen Ge-
danken einfach auszudrücken war ihm unmöglich. Er glühte von Ruhm-
ſucht, die Erfolge Anderer wurmten ihn tief, und Fernſtehende konnten
den nervöſen, im Grunde gutmüthigen Mann leicht für einen böſen Neid-
hart halten. In raſcher Folge erſchienen eine Reihe von Novellen, alle
arm an Geſtalten und überfüllt mit weltſchmerzlichen Betrachtungen; dann
die Briefe eines Narren an eine Närrin, eine Gefühlsſpielerei in Jean
Paul’s ſchwülſtigem Stile, nur ohne deſſen Gemüthlichkeit; dann Nero,
ein formloſes Drama, das angeblich „den bis auf unſere Tage noch un-
entſchiedenen Kampf des Schönen mit dem Guten“ darſtellen ſollte, aber
nur verworrene ſtarkgeiſtige Reden oder froſtige Späße vorbrachte und
nicht einmal durch die Schilderung des Cäſarenwahnſinns ein Gefühl des
Grauens erweckte.
Erſt durch einen großen literariſchen Skandal drang Gutzkow’s Name
in weitere Kreiſe. Die beiden heißen wonnigen Weinjahre 34 und 35
ſollten unſerer Literatur ſchwere Stürme bringen. Im Herbſt 1834 ſtarb
Schleiermacher. Die Kirche klagte um ihren großen Lehrer, und wer die
ſtille Tragik eines Denkerlebens zu begreifen vermochte, blickte tief er-
ſchüttert zurück auf die Laufbahn dieſes Mannes, der nur darum die be-
ladenen Herzen ſo mächtig hatte tröſten können, weil er ſelbſt ſo ſchwer
gelitten, den ewigen Schickſalsmächten ſo nahe geſtanden hatte. Wie
wunderbar hatte Gott ihn geführt! Wie viele Kämpfe, bis dieſer Scheue
ſeinen Widerwillen gegen alles öffentliche Wirken überwand und dann
eine Macht ward in ſeinem Volke; wie viele Irrungen des Gefühls, wie
viele Enttäuſchungen, mühſam verborgen unter ſcharfem Witze, bis dieſes
reiche Herz, das alle ſeine Wurzeln und Blätter nach Liebe ausſtreckte,
mit dem gebrechlichen, mißgeſtalteten Körper ſich vertragen lernte und
endlich doch in einer reinen Neigung ſeinen Frieden fand; wie viele Zweifel,
bis ſich ihm das Gefühl der Abhängigkeit von Gott zu dem frohen Be-
wußtſein der Zugehörigkeit, der Gotteskindſchaft ſteigerte, bis der kühne
Forſcher ſich mit ſeiner Kirche ganz einig wußte und auf dem Todesbette,
nach ſeinem evangeliſchen Rechte, ſich ſelber und den Seinigen das Abend-
mahl ſpendete.
Und an dieſem Grabe, vor dem ſelbſt Varnhagen in Ehrfurcht ſtand,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/445>, abgerufen am 24.11.2024.
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