liche Professur in Berlin. Er war es auch, der dem vielverfolgten Pater Johannes Goßner endlich eine würdige Wirksamkeit in Berlin eröffnete.
Dieser edle Mann, ein geborener Kanzelredner voll feuriger Glaubens- kraft und kindlicher Einfalt, hatte sich einst in Baiern der mystisch-evangeli- schen Richtung des Bischofs Sailer zugewendet; er war dann, weil er die Bibelgesellschaften förderte, aus Rußland vertrieben worden und hierauf förmlich zur evangelischen Kirche übergetreten. In Berlin herrschte aber der Rationalismus noch so unumschränkt, daß unter allen Geistlichen allein Schleiermacher sich bereit fand, dem Convertiten seine Kanzel zu über- lassen. Endlich erlangte Goßner doch, daß der Prediger Moblank an der Luisenstädtischen Kirche ihn für einige Monate mit seiner Vertretung be- auftragte. Die Folge war, wie der Kronprinz schrieb, daß eine Kirche, die seit fünfzig Jahren leer gestanden, die Zahl der Andächtigen nicht mehr fassen konnte, "weil ein Märtyrer der evangelischen Wahrheit, wie sie Luther gepredigt, dort Gottes Wort verkündigt." Das Consistorium jedoch verbot dem Eindringling die Kanzel und verlangte von dem fünfundfünf- zigjährigen ordinirten Priester, er müsse erst seine Befähigung nachweisen. "O wie sind sie mir umgegangen -- sagte Goßner traurig -- daß sich Gott erbarmen möge! Ich alter Esel mußte mich von fünf Räthen examiniren lassen und nachdem ich dreißig Jahre in aller Welt gepredigt, eine Probe- predigt halten!" Dann wurde er endlich von der frömmsten Gemeinde der Hauptstadt, den böhmischen Brüdern der Bethlehemskirche, zum Pastor erwählt, und nun -- so schrieb der Kronprinz an Altenstein -- muß es "sich zeigen, ob er auf dem rechten Wege ist oder nicht, ob er der aus- gezeichnete Mann ist, für den ich ihn gewiß halte, oder der Schleicher, der falsche Pfaffe, der verkappte Jesuit oder Jansenist, oder was weiß ich, wo- für Sie ihn halten." *) Der Erfolg seiner derben, urkräftigen, volksthüm- lichen Beredsamkeit war beispiellos, und nicht minder fruchtbar seine christ- liche Liebesthätigkeit: den Männer-Krankenverein, das Elisabethkrankenhaus, eine Menge von Kinderbewahranstalten und Missionsgesellschaften rief er in's Leben.
In gleichem Sinne wirkte der Freund des Kronprinzen Otto v. Ger- lach, der auf die Fürbitte seines hohen Gönners eine Predigerstelle in der Rosenthaler Vorstadt erhielt **), nachdem der König sich entschlossen hatte, dort in den beständig wachsenden ärmsten Stadttheilen Berlins vier neue Kirchen zu erbauen. Da gab es denn geistlicher Arbeit die Fülle; durch Hausbesuche und Hausandachten, durch Handwerkervereine und Sparkassen, durch Beschäftigung der Erwerblosen und Vertheilung frommer Bücher suchte der begeisterte junge Seelsorger der Verwilderung der armen Arbeiter des "Voigtlandes" entgegenzuwirken. Mit besonderer Sorge betrachtete der
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 14. Jan. 1828, 20. Jan. 1829.
**) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 22. Jan. 1834.
Die Orthodoxen. Goßner. Gerlach.
liche Profeſſur in Berlin. Er war es auch, der dem vielverfolgten Pater Johannes Goßner endlich eine würdige Wirkſamkeit in Berlin eröffnete.
Dieſer edle Mann, ein geborener Kanzelredner voll feuriger Glaubens- kraft und kindlicher Einfalt, hatte ſich einſt in Baiern der myſtiſch-evangeli- ſchen Richtung des Biſchofs Sailer zugewendet; er war dann, weil er die Bibelgeſellſchaften förderte, aus Rußland vertrieben worden und hierauf förmlich zur evangeliſchen Kirche übergetreten. In Berlin herrſchte aber der Rationalismus noch ſo unumſchränkt, daß unter allen Geiſtlichen allein Schleiermacher ſich bereit fand, dem Convertiten ſeine Kanzel zu über- laſſen. Endlich erlangte Goßner doch, daß der Prediger Moblank an der Luiſenſtädtiſchen Kirche ihn für einige Monate mit ſeiner Vertretung be- auftragte. Die Folge war, wie der Kronprinz ſchrieb, daß eine Kirche, die ſeit fünfzig Jahren leer geſtanden, die Zahl der Andächtigen nicht mehr faſſen konnte, „weil ein Märtyrer der evangeliſchen Wahrheit, wie ſie Luther gepredigt, dort Gottes Wort verkündigt.“ Das Conſiſtorium jedoch verbot dem Eindringling die Kanzel und verlangte von dem fünfundfünf- zigjährigen ordinirten Prieſter, er müſſe erſt ſeine Befähigung nachweiſen. „O wie ſind ſie mir umgegangen — ſagte Goßner traurig — daß ſich Gott erbarmen möge! Ich alter Eſel mußte mich von fünf Räthen examiniren laſſen und nachdem ich dreißig Jahre in aller Welt gepredigt, eine Probe- predigt halten!“ Dann wurde er endlich von der frömmſten Gemeinde der Hauptſtadt, den böhmiſchen Brüdern der Bethlehemskirche, zum Paſtor erwählt, und nun — ſo ſchrieb der Kronprinz an Altenſtein — muß es „ſich zeigen, ob er auf dem rechten Wege iſt oder nicht, ob er der aus- gezeichnete Mann iſt, für den ich ihn gewiß halte, oder der Schleicher, der falſche Pfaffe, der verkappte Jeſuit oder Janſeniſt, oder was weiß ich, wo- für Sie ihn halten.“ *) Der Erfolg ſeiner derben, urkräftigen, volksthüm- lichen Beredſamkeit war beiſpiellos, und nicht minder fruchtbar ſeine chriſt- liche Liebesthätigkeit: den Männer-Krankenverein, das Eliſabethkrankenhaus, eine Menge von Kinderbewahranſtalten und Miſſionsgeſellſchaften rief er in’s Leben.
In gleichem Sinne wirkte der Freund des Kronprinzen Otto v. Ger- lach, der auf die Fürbitte ſeines hohen Gönners eine Predigerſtelle in der Roſenthaler Vorſtadt erhielt **), nachdem der König ſich entſchloſſen hatte, dort in den beſtändig wachſenden ärmſten Stadttheilen Berlins vier neue Kirchen zu erbauen. Da gab es denn geiſtlicher Arbeit die Fülle; durch Hausbeſuche und Hausandachten, durch Handwerkervereine und Sparkaſſen, durch Beſchäftigung der Erwerbloſen und Vertheilung frommer Bücher ſuchte der begeiſterte junge Seelſorger der Verwilderung der armen Arbeiter des „Voigtlandes“ entgegenzuwirken. Mit beſonderer Sorge betrachtete der
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 14. Jan. 1828, 20. Jan. 1829.
**) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 22. Jan. 1834.
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Die Orthodoxen. Goßner. Gerlach.
liche Profeſſur in Berlin. Er war es auch, der dem vielverfolgten Pater
Johannes Goßner endlich eine würdige Wirkſamkeit in Berlin eröffnete.
Dieſer edle Mann, ein geborener Kanzelredner voll feuriger Glaubens-
kraft und kindlicher Einfalt, hatte ſich einſt in Baiern der myſtiſch-evangeli-
ſchen Richtung des Biſchofs Sailer zugewendet; er war dann, weil er die
Bibelgeſellſchaften förderte, aus Rußland vertrieben worden und hierauf
förmlich zur evangeliſchen Kirche übergetreten. In Berlin herrſchte aber
der Rationalismus noch ſo unumſchränkt, daß unter allen Geiſtlichen allein
Schleiermacher ſich bereit fand, dem Convertiten ſeine Kanzel zu über-
laſſen. Endlich erlangte Goßner doch, daß der Prediger Moblank an der
Luiſenſtädtiſchen Kirche ihn für einige Monate mit ſeiner Vertretung be-
auftragte. Die Folge war, wie der Kronprinz ſchrieb, daß eine Kirche,
die ſeit fünfzig Jahren leer geſtanden, die Zahl der Andächtigen nicht mehr
faſſen konnte, „weil ein Märtyrer der evangeliſchen Wahrheit, wie ſie
Luther gepredigt, dort Gottes Wort verkündigt.“ Das Conſiſtorium jedoch
verbot dem Eindringling die Kanzel und verlangte von dem fünfundfünf-
zigjährigen ordinirten Prieſter, er müſſe erſt ſeine Befähigung nachweiſen.
„O wie ſind ſie mir umgegangen — ſagte Goßner traurig — daß ſich Gott
erbarmen möge! Ich alter Eſel mußte mich von fünf Räthen examiniren
laſſen und nachdem ich dreißig Jahre in aller Welt gepredigt, eine Probe-
predigt halten!“ Dann wurde er endlich von der frömmſten Gemeinde
der Hauptſtadt, den böhmiſchen Brüdern der Bethlehemskirche, zum Paſtor
erwählt, und nun — ſo ſchrieb der Kronprinz an Altenſtein — muß es
„ſich zeigen, ob er auf dem rechten Wege iſt oder nicht, ob er der aus-
gezeichnete Mann iſt, für den ich ihn gewiß halte, oder der Schleicher, der
falſche Pfaffe, der verkappte Jeſuit oder Janſeniſt, oder was weiß ich, wo-
für Sie ihn halten.“ *) Der Erfolg ſeiner derben, urkräftigen, volksthüm-
lichen Beredſamkeit war beiſpiellos, und nicht minder fruchtbar ſeine chriſt-
liche Liebesthätigkeit: den Männer-Krankenverein, das Eliſabethkrankenhaus,
eine Menge von Kinderbewahranſtalten und Miſſionsgeſellſchaften rief er
in’s Leben.
In gleichem Sinne wirkte der Freund des Kronprinzen Otto v. Ger-
lach, der auf die Fürbitte ſeines hohen Gönners eine Predigerſtelle in der
Roſenthaler Vorſtadt erhielt **), nachdem der König ſich entſchloſſen hatte,
dort in den beſtändig wachſenden ärmſten Stadttheilen Berlins vier neue
Kirchen zu erbauen. Da gab es denn geiſtlicher Arbeit die Fülle; durch
Hausbeſuche und Hausandachten, durch Handwerkervereine und Sparkaſſen,
durch Beſchäftigung der Erwerbloſen und Vertheilung frommer Bücher ſuchte
der begeiſterte junge Seelſorger der Verwilderung der armen Arbeiter des
„Voigtlandes“ entgegenzuwirken. Mit beſonderer Sorge betrachtete der
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 14. Jan. 1828, 20. Jan. 1829.
**) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 22. Jan. 1834.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/509>, abgerufen am 24.11.2024.
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