Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 7. Das Junge Deutschland. sich durch diese maßlose Polemik fast gezwungen, alle wissenschaftliche Kritikzu verdammen und das credo quia absurdum auf ihre Fahne zu schreiben. Zudem waren sie gegen die neue Richtung von Haus aus so scharf, so verfolgungssüchtig aufgetreten, daß sie nicht mehr zurückkonnten. Die von den liberalen Zeitungen beherrschte öffentliche Meinung stand durchweg auf der Seite des verfolgten Schwaben, obschon Strauß selbst sich immer zu gemäßigten politischen Grundsätzen bekannte. Wie freundlich hatte einst Voß in seiner Luise das evangelische Pfarrhaus als eine Stätte des Frie- dens und der Bildung geschildert, und noch in der alten teutonischen Bur- schenschaft waren Sand, Riemann und andere "der Gottesgelahrtheit Be- flissene" immer obenauf gewesen. Anders jetzt. Fast schien es, als sei der christliche Glaube fortan durch eine gähnende Kluft von der modernen Bildung getrennt. Die beliebten Zeitromane pflegten jeden Geistlichen als einen Heuchler oder einen blöden Thoren darzustellen, und auf den Uni- versitäten wurde der Theolog überall mit spöttischer Geringschätzung be- trachtet. Mit Schadenfreude spürte man jede menschliche Schwäche der Kirchlichgesinnten auf und fühlte nicht, daß die Spötter durch den be- liebten Hohnruf: "der Mann ist so gläubig und doch so schlecht" selber die sittliche Ueberlegenheit der religiösen Gesinnung anerkannten; denn noch Niemand hatte je gesagt: "der Mann ist so ungläubig und doch so schlecht". Jene Verachtung kirchlicher Dinge, die sich einst aus der eigen- thümlichen Entwicklung unserer classischen Literatur ergeben hatte *), er- langte nunmehr die Herrschaft in den gebildeten Kreisen. Da solche Vor- urtheile nur durch das Leben überwunden werden können, so behauptete sie ihre Macht scheinbar ein volles Menschenalter hindurch, bis die Deutschen in einer Zeit weltverwandelnder Geschicke plötzlich erfuhren, daß ihre stärksten und klügsten Männer allesammt gläubige Christen waren, ihre heldenhafte Jugend mit Gottvertrauen in den Tod ging. Seit der gesammte Radicalismus für die speculative Theologie ein- *) S. o. II. 39. **) Dieser Thatsache gedenkt der Kronprinz selbst in einem Briefe an Altenstein
vom 4. März 1834. IV. 7. Das Junge Deutſchland. ſich durch dieſe maßloſe Polemik faſt gezwungen, alle wiſſenſchaftliche Kritikzu verdammen und das credo quia absurdum auf ihre Fahne zu ſchreiben. Zudem waren ſie gegen die neue Richtung von Haus aus ſo ſcharf, ſo verfolgungsſüchtig aufgetreten, daß ſie nicht mehr zurückkonnten. Die von den liberalen Zeitungen beherrſchte öffentliche Meinung ſtand durchweg auf der Seite des verfolgten Schwaben, obſchon Strauß ſelbſt ſich immer zu gemäßigten politiſchen Grundſätzen bekannte. Wie freundlich hatte einſt Voß in ſeiner Luiſe das evangeliſche Pfarrhaus als eine Stätte des Frie- dens und der Bildung geſchildert, und noch in der alten teutoniſchen Bur- ſchenſchaft waren Sand, Riemann und andere „der Gottesgelahrtheit Be- fliſſene“ immer obenauf geweſen. Anders jetzt. Faſt ſchien es, als ſei der chriſtliche Glaube fortan durch eine gähnende Kluft von der modernen Bildung getrennt. Die beliebten Zeitromane pflegten jeden Geiſtlichen als einen Heuchler oder einen blöden Thoren darzuſtellen, und auf den Uni- verſitäten wurde der Theolog überall mit ſpöttiſcher Geringſchätzung be- trachtet. Mit Schadenfreude ſpürte man jede menſchliche Schwäche der Kirchlichgeſinnten auf und fühlte nicht, daß die Spötter durch den be- liebten Hohnruf: „der Mann iſt ſo gläubig und doch ſo ſchlecht“ ſelber die ſittliche Ueberlegenheit der religiöſen Geſinnung anerkannten; denn noch Niemand hatte je geſagt: „der Mann iſt ſo ungläubig und doch ſo ſchlecht“. Jene Verachtung kirchlicher Dinge, die ſich einſt aus der eigen- thümlichen Entwicklung unſerer claſſiſchen Literatur ergeben hatte *), er- langte nunmehr die Herrſchaft in den gebildeten Kreiſen. Da ſolche Vor- urtheile nur durch das Leben überwunden werden können, ſo behauptete ſie ihre Macht ſcheinbar ein volles Menſchenalter hindurch, bis die Deutſchen in einer Zeit weltverwandelnder Geſchicke plötzlich erfuhren, daß ihre ſtärkſten und klügſten Männer alleſammt gläubige Chriſten waren, ihre heldenhafte Jugend mit Gottvertrauen in den Tod ging. Seit der geſammte Radicalismus für die ſpeculative Theologie ein- *) S. o. II. 39. **) Dieſer Thatſache gedenkt der Kronprinz ſelbſt in einem Briefe an Altenſtein
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IV. 7. Das Junge Deutſchland.
ſich durch dieſe maßloſe Polemik faſt gezwungen, alle wiſſenſchaftliche Kritik
zu verdammen und das credo quia absurdum auf ihre Fahne zu ſchreiben.
Zudem waren ſie gegen die neue Richtung von Haus aus ſo ſcharf, ſo
verfolgungsſüchtig aufgetreten, daß ſie nicht mehr zurückkonnten. Die von
den liberalen Zeitungen beherrſchte öffentliche Meinung ſtand durchweg
auf der Seite des verfolgten Schwaben, obſchon Strauß ſelbſt ſich immer
zu gemäßigten politiſchen Grundſätzen bekannte. Wie freundlich hatte einſt
Voß in ſeiner Luiſe das evangeliſche Pfarrhaus als eine Stätte des Frie-
dens und der Bildung geſchildert, und noch in der alten teutoniſchen Bur-
ſchenſchaft waren Sand, Riemann und andere „der Gottesgelahrtheit Be-
fliſſene“ immer obenauf geweſen. Anders jetzt. Faſt ſchien es, als ſei
der chriſtliche Glaube fortan durch eine gähnende Kluft von der modernen
Bildung getrennt. Die beliebten Zeitromane pflegten jeden Geiſtlichen als
einen Heuchler oder einen blöden Thoren darzuſtellen, und auf den Uni-
verſitäten wurde der Theolog überall mit ſpöttiſcher Geringſchätzung be-
trachtet. Mit Schadenfreude ſpürte man jede menſchliche Schwäche der
Kirchlichgeſinnten auf und fühlte nicht, daß die Spötter durch den be-
liebten Hohnruf: „der Mann iſt ſo gläubig und doch ſo ſchlecht“ ſelber
die ſittliche Ueberlegenheit der religiöſen Geſinnung anerkannten; denn
noch Niemand hatte je geſagt: „der Mann iſt ſo ungläubig und doch ſo
ſchlecht“. Jene Verachtung kirchlicher Dinge, die ſich einſt aus der eigen-
thümlichen Entwicklung unſerer claſſiſchen Literatur ergeben hatte *), er-
langte nunmehr die Herrſchaft in den gebildeten Kreiſen. Da ſolche Vor-
urtheile nur durch das Leben überwunden werden können, ſo behauptete
ſie ihre Macht ſcheinbar ein volles Menſchenalter hindurch, bis die Deutſchen
in einer Zeit weltverwandelnder Geſchicke plötzlich erfuhren, daß ihre ſtärkſten
und klügſten Männer alleſammt gläubige Chriſten waren, ihre heldenhafte
Jugend mit Gottvertrauen in den Tod ging.
Seit der geſammte Radicalismus für die ſpeculative Theologie ein-
trat, mußten die Regierungen die ſtrenge Rechtgläubigkeit begünſtigen.
Selber allem poſitiven Glauben entfremdet, aber durchdrungen von der
Ueberzeugung, daß er kraft ſeines Amtes jede Kirche bei ihrem alten Be-
kenntniß erhalten müſſe, ſtand Altenſtein dieſen theologiſchen Kämpfen rath-
los gegenüber. Daher erlangte der ſtrenggläubige Kronprinz, der in der
europäiſchen Politik kaum mitreden durfte, über den weichmüthigen Cultus-
miniſter eine ſolche Macht, daß ſelbſt die Begünſtigung der Althegelianer
allmählich aufhörte und alle wichtigen Stellen der preußiſchen Landeskirche
fortan mit Orthodoxen beſetzt wurden. Auf die Fürſprache des Kronprinzen
wurde der Leipziger Hahn, der Todfeind der Rationaliſten, nach Breslau
berufen **); durch ihn erhielt Hengſtenberg, ungewöhnlich früh, eine ordent-
*) S. o. II. 39.
**) Dieſer Thatſache gedenkt der Kronprinz ſelbſt in einem Briefe an Altenſtein
vom 4. März 1834.
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