Die Pfandbriefsanstalt war in Posen noch neu, in den alten Provinzen aber hatten schon Tausende ihr Vermögen in Pfandbriefen angelegt, und die Regierung mußte sich dort hüten, den ohnehin durch das Sinken der Getreidepreise schwer erschütterten Credit der Großgrundbesitzer ganz zu zerstören.
Mittlerweile erhielten auch die Juden, die damals noch gemeinhin mit den Deutschen gegen die Polen zusammenhielten, erweiterte Rechte: sie sollten Synagogen-Gemeinden bilden mit Corporationsrechten und der Ver- pflichtung, für die Jugenderziehung zu sorgen; zum Militärdienste wurden sie fortan zugelassen, wenn sie nicht vorzogen, das althergebrachte Rekruten- geld zu zahlen; wer sich in leidlich geordneten bürgerlichen Verhältnissen befand, konnte auch die förmliche Naturalisation, und damit den Zutritt zu den meisten Gemeindeämtern erlangen. So hoffte die Staatsgewalt den finsteren Haß gegen die Gojim, der auf der Lissaer Judenschule gepflegt wurde, allmählich zu überwinden; doch selbst diese vorsichtig beschränkte Reform schritt den Ansichten des Landes weit voraus und rief auf dem Landtage heftigen Widerspruch hervor. In den Dörfern wurden binnen zehn Jahren über zweihundert Volksschulen errichtet, die meisten mit pol- nischer Schulsprache und mangelhaftem deutschen Unterrichte -- denn weiter wagte auch diese wegen ihrer Strenge verrufene Regierung noch nicht zu gehen --, dazu zwei neue Gymnasien mit geistlichen Alumnaten, ein katholisches Predigerseminar und eine Reihe evangelischer Pfarreien. Bei seinem Amtsantritt fand Flottwell vier Meilen Chausseen vor; nach einem Jahrzehnt war das große Straßennetz, das die Stadt Posen mit Berlin, Altpreußen, Schlesien verband, nahezu vollendet.
Noch niemals war dies Land so gerecht, so einsichtig, so sorgsam regiert worden; doch die Nachsicht, welche der König den Theilnehmern an dem polnischen Aufstande erwies, galt dem Adel für ein Zeichen der Schwäche.*) Die Begnadigten traten mit herausforderndem Trotze auf, dem Kröbener Kreise mußte die Krone wegen grober Gesetzwidrigkeiten das Wahlrecht für die Provinzialstände vorläufig entziehen, und auf dem Landtage von 1834 wurden wieder die alten maßlosen Beschwerden über die Vergewaltigung der polnischen Sprache vorgebracht. Drei Viertel der Ritterschaft stimmten dafür, von den Abgeordneten der Städte nur zwei, von den Bauern nur einer. Da verlangte der Adel die itio in partes, die nur zur Wahrung der ständischen Sonderrechte gestattet war; er brachte seine Klage eigenmächtig vor den Thron, obgleich die Mehrheit Einspruch erhob und feierlich erklärte, sie wolle "keine politische Absonde- rung" von den übrigen Provinzen. Der König aber sprach der protestiren- den Mehrheit seine Billigung aus und erklärte kurzab, den gesetzwidrigen Antrag der Ritterschaft betrachte er als nicht vorhanden.
*) S. o. IV. 209.
IV. 8. Stille Jahre.
Die Pfandbriefsanſtalt war in Poſen noch neu, in den alten Provinzen aber hatten ſchon Tauſende ihr Vermögen in Pfandbriefen angelegt, und die Regierung mußte ſich dort hüten, den ohnehin durch das Sinken der Getreidepreiſe ſchwer erſchütterten Credit der Großgrundbeſitzer ganz zu zerſtören.
Mittlerweile erhielten auch die Juden, die damals noch gemeinhin mit den Deutſchen gegen die Polen zuſammenhielten, erweiterte Rechte: ſie ſollten Synagogen-Gemeinden bilden mit Corporationsrechten und der Ver- pflichtung, für die Jugenderziehung zu ſorgen; zum Militärdienſte wurden ſie fortan zugelaſſen, wenn ſie nicht vorzogen, das althergebrachte Rekruten- geld zu zahlen; wer ſich in leidlich geordneten bürgerlichen Verhältniſſen befand, konnte auch die förmliche Naturaliſation, und damit den Zutritt zu den meiſten Gemeindeämtern erlangen. So hoffte die Staatsgewalt den finſteren Haß gegen die Gojim, der auf der Liſſaer Judenſchule gepflegt wurde, allmählich zu überwinden; doch ſelbſt dieſe vorſichtig beſchränkte Reform ſchritt den Anſichten des Landes weit voraus und rief auf dem Landtage heftigen Widerſpruch hervor. In den Dörfern wurden binnen zehn Jahren über zweihundert Volksſchulen errichtet, die meiſten mit pol- niſcher Schulſprache und mangelhaftem deutſchen Unterrichte — denn weiter wagte auch dieſe wegen ihrer Strenge verrufene Regierung noch nicht zu gehen —, dazu zwei neue Gymnaſien mit geiſtlichen Alumnaten, ein katholiſches Predigerſeminar und eine Reihe evangeliſcher Pfarreien. Bei ſeinem Amtsantritt fand Flottwell vier Meilen Chauſſeen vor; nach einem Jahrzehnt war das große Straßennetz, das die Stadt Poſen mit Berlin, Altpreußen, Schleſien verband, nahezu vollendet.
Noch niemals war dies Land ſo gerecht, ſo einſichtig, ſo ſorgſam regiert worden; doch die Nachſicht, welche der König den Theilnehmern an dem polniſchen Aufſtande erwies, galt dem Adel für ein Zeichen der Schwäche.*) Die Begnadigten traten mit herausforderndem Trotze auf, dem Kröbener Kreiſe mußte die Krone wegen grober Geſetzwidrigkeiten das Wahlrecht für die Provinzialſtände vorläufig entziehen, und auf dem Landtage von 1834 wurden wieder die alten maßloſen Beſchwerden über die Vergewaltigung der polniſchen Sprache vorgebracht. Drei Viertel der Ritterſchaft ſtimmten dafür, von den Abgeordneten der Städte nur zwei, von den Bauern nur einer. Da verlangte der Adel die itio in partes, die nur zur Wahrung der ſtändiſchen Sonderrechte geſtattet war; er brachte ſeine Klage eigenmächtig vor den Thron, obgleich die Mehrheit Einſpruch erhob und feierlich erklärte, ſie wolle „keine politiſche Abſonde- rung“ von den übrigen Provinzen. Der König aber ſprach der proteſtiren- den Mehrheit ſeine Billigung aus und erklärte kurzab, den geſetzwidrigen Antrag der Ritterſchaft betrachte er als nicht vorhanden.
*) S. o. IV. 209.
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IV. 8. Stille Jahre.
Die Pfandbriefsanſtalt war in Poſen noch neu, in den alten Provinzen
aber hatten ſchon Tauſende ihr Vermögen in Pfandbriefen angelegt, und
die Regierung mußte ſich dort hüten, den ohnehin durch das Sinken der
Getreidepreiſe ſchwer erſchütterten Credit der Großgrundbeſitzer ganz zu
zerſtören.
Mittlerweile erhielten auch die Juden, die damals noch gemeinhin
mit den Deutſchen gegen die Polen zuſammenhielten, erweiterte Rechte: ſie
ſollten Synagogen-Gemeinden bilden mit Corporationsrechten und der Ver-
pflichtung, für die Jugenderziehung zu ſorgen; zum Militärdienſte wurden
ſie fortan zugelaſſen, wenn ſie nicht vorzogen, das althergebrachte Rekruten-
geld zu zahlen; wer ſich in leidlich geordneten bürgerlichen Verhältniſſen
befand, konnte auch die förmliche Naturaliſation, und damit den Zutritt
zu den meiſten Gemeindeämtern erlangen. So hoffte die Staatsgewalt
den finſteren Haß gegen die Gojim, der auf der Liſſaer Judenſchule gepflegt
wurde, allmählich zu überwinden; doch ſelbſt dieſe vorſichtig beſchränkte
Reform ſchritt den Anſichten des Landes weit voraus und rief auf dem
Landtage heftigen Widerſpruch hervor. In den Dörfern wurden binnen
zehn Jahren über zweihundert Volksſchulen errichtet, die meiſten mit pol-
niſcher Schulſprache und mangelhaftem deutſchen Unterrichte — denn
weiter wagte auch dieſe wegen ihrer Strenge verrufene Regierung noch
nicht zu gehen —, dazu zwei neue Gymnaſien mit geiſtlichen Alumnaten,
ein katholiſches Predigerſeminar und eine Reihe evangeliſcher Pfarreien.
Bei ſeinem Amtsantritt fand Flottwell vier Meilen Chauſſeen vor; nach
einem Jahrzehnt war das große Straßennetz, das die Stadt Poſen mit
Berlin, Altpreußen, Schleſien verband, nahezu vollendet.
Noch niemals war dies Land ſo gerecht, ſo einſichtig, ſo ſorgſam
regiert worden; doch die Nachſicht, welche der König den Theilnehmern
an dem polniſchen Aufſtande erwies, galt dem Adel für ein Zeichen der
Schwäche. *) Die Begnadigten traten mit herausforderndem Trotze auf,
dem Kröbener Kreiſe mußte die Krone wegen grober Geſetzwidrigkeiten
das Wahlrecht für die Provinzialſtände vorläufig entziehen, und auf dem
Landtage von 1834 wurden wieder die alten maßloſen Beſchwerden über
die Vergewaltigung der polniſchen Sprache vorgebracht. Drei Viertel der
Ritterſchaft ſtimmten dafür, von den Abgeordneten der Städte nur zwei,
von den Bauern nur einer. Da verlangte der Adel die itio in partes,
die nur zur Wahrung der ſtändiſchen Sonderrechte geſtattet war; er
brachte ſeine Klage eigenmächtig vor den Thron, obgleich die Mehrheit
Einſpruch erhob und feierlich erklärte, ſie wolle „keine politiſche Abſonde-
rung“ von den übrigen Provinzen. Der König aber ſprach der proteſtiren-
den Mehrheit ſeine Billigung aus und erklärte kurzab, den geſetzwidrigen
Antrag der Ritterſchaft betrachte er als nicht vorhanden.
*) S. o. IV. 209.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/574>, abgerufen am 24.11.2024.
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