Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Mecklenburgisch-französischer Handelsvertrag. Kornzoll bildete aber einen der Pfeiler, auf denen die alte aristokratischeParlamentsherrschaft ruhte. Er blieb bestehen und belastete den deutschen Landbau schwer, den Getreidehandel insbesondere durch die Wandelscala; da die Zollsätze sich nach den Marktpreisen veränderten und die Schiffe noch sehr langsam segelten, so konnte der deutsche Schiffer den Zoll für seine Getreideladung nie voraus berechnen. Also versagte die britische Handelspolitik den Deutschen das einzige werthvolle Zugeständniß, das sie ihnen bieten konnte, und hoffte gleichwohl die Handelsherrschaft über Deutschland zu behaupten, indem sie unsere Zwietracht schürte. Nun da der günstige Augenblick längst versäumt war, trat ihr plötzlich der unan- greifbare neue nationale Handelsbund entgegen; die Deutschen hatten ge- lernt, sich durch vereinte Kraft zu schützen, die Zeit der englisch-deutschen Sonderbünde war dahin. Noch einmal versuchten England und Frank- reich ihr altes Spiel zu erneuern. Während der Zollconferenzen von 1839 erschienen Palmerston's Agent Dr. Bowring und der vielgewandte fran- zösische Consul Engelhardt aus Mainz als ungebetene Gäste in Berlin, um durch Lockungen und Verheißungen einige der kleinen Staaten, vor- nehmlich Baden, gegen den Zollverein aufzuregen. Sie fanden aber eine sehr kühle Aufnahme, Bowring's anmaßende Zudringlichkeit mißfiel all- gemein, Beide mußten unverrichteter Dinge abziehen.*) Nur Mecklenburg gab sich noch zum Werkzeuge ausländischer Ränke *) Berichte von Frankenberg, 19. Juli, von Stockhausen, 10. Aug. 1839. **) Berichte von Frankenberg, 3. Nov. 1836, von Münchhausen, 14. Febr., von
Dönhoff, 4. März 1837. Mecklenburgiſch-franzöſiſcher Handelsvertrag. Kornzoll bildete aber einen der Pfeiler, auf denen die alte ariſtokratiſcheParlamentsherrſchaft ruhte. Er blieb beſtehen und belaſtete den deutſchen Landbau ſchwer, den Getreidehandel insbeſondere durch die Wandelſcala; da die Zollſätze ſich nach den Marktpreiſen veränderten und die Schiffe noch ſehr langſam ſegelten, ſo konnte der deutſche Schiffer den Zoll für ſeine Getreideladung nie voraus berechnen. Alſo verſagte die britiſche Handelspolitik den Deutſchen das einzige werthvolle Zugeſtändniß, das ſie ihnen bieten konnte, und hoffte gleichwohl die Handelsherrſchaft über Deutſchland zu behaupten, indem ſie unſere Zwietracht ſchürte. Nun da der günſtige Augenblick längſt verſäumt war, trat ihr plötzlich der unan- greifbare neue nationale Handelsbund entgegen; die Deutſchen hatten ge- lernt, ſich durch vereinte Kraft zu ſchützen, die Zeit der engliſch-deutſchen Sonderbünde war dahin. Noch einmal verſuchten England und Frank- reich ihr altes Spiel zu erneuern. Während der Zollconferenzen von 1839 erſchienen Palmerſton’s Agent Dr. Bowring und der vielgewandte fran- zöſiſche Conſul Engelhardt aus Mainz als ungebetene Gäſte in Berlin, um durch Lockungen und Verheißungen einige der kleinen Staaten, vor- nehmlich Baden, gegen den Zollverein aufzuregen. Sie fanden aber eine ſehr kühle Aufnahme, Bowring’s anmaßende Zudringlichkeit mißfiel all- gemein, Beide mußten unverrichteter Dinge abziehen.*) Nur Mecklenburg gab ſich noch zum Werkzeuge ausländiſcher Ränke *) Berichte von Frankenberg, 19. Juli, von Stockhauſen, 10. Aug. 1839. **) Berichte von Frankenberg, 3. Nov. 1836, von Münchhauſen, 14. Febr., von
Dönhoff, 4. März 1837. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0589" n="575"/><fw place="top" type="header">Mecklenburgiſch-franzöſiſcher Handelsvertrag.</fw><lb/> Kornzoll bildete aber einen der Pfeiler, auf denen die alte ariſtokratiſche<lb/> Parlamentsherrſchaft ruhte. Er blieb beſtehen und belaſtete den deutſchen<lb/> Landbau ſchwer, den Getreidehandel insbeſondere durch die Wandelſcala;<lb/> da die Zollſätze ſich nach den Marktpreiſen veränderten und die Schiffe<lb/> noch ſehr langſam ſegelten, ſo konnte der deutſche Schiffer den Zoll für<lb/> ſeine Getreideladung nie voraus berechnen. Alſo verſagte die britiſche<lb/> Handelspolitik den Deutſchen das einzige werthvolle Zugeſtändniß, das ſie<lb/> ihnen bieten konnte, und hoffte gleichwohl die Handelsherrſchaft über<lb/> Deutſchland zu behaupten, indem ſie unſere Zwietracht ſchürte. Nun da<lb/> der günſtige Augenblick längſt verſäumt war, trat ihr plötzlich der unan-<lb/> greifbare neue nationale Handelsbund entgegen; die Deutſchen hatten ge-<lb/> lernt, ſich durch vereinte Kraft zu ſchützen, die Zeit der engliſch-deutſchen<lb/> Sonderbünde war dahin. Noch einmal verſuchten England und Frank-<lb/> reich ihr altes Spiel zu erneuern. Während der Zollconferenzen von 1839<lb/> erſchienen Palmerſton’s Agent <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Bowring und der vielgewandte fran-<lb/> zöſiſche Conſul Engelhardt aus Mainz als ungebetene Gäſte in Berlin,<lb/> um durch Lockungen und Verheißungen einige der kleinen Staaten, vor-<lb/> nehmlich Baden, gegen den Zollverein aufzuregen. Sie fanden aber eine<lb/> ſehr kühle Aufnahme, Bowring’s anmaßende Zudringlichkeit mißfiel all-<lb/> gemein, Beide mußten unverrichteter Dinge abziehen.<note place="foot" n="*)">Berichte von Frankenberg, 19. Juli, von Stockhauſen, 10. Aug. 1839.</note></p><lb/> <p>Nur Mecklenburg gab ſich noch zum Werkzeuge ausländiſcher Ränke<lb/> her, weil es in ſeinem Sonderleben verharren wollte, und ſchloß am<lb/> 19. Juli 1836 mit Frankreich einen Handelsvertrag, der offenbar den Zweck<lb/> verfolgte, den franzöſiſchen Weinen einen einträglichen Schleichhandel nach<lb/> den benachbarten preußiſchen Provinzen zu ſichern. Die Vereinsregierungen<lb/> waren empört; König Ludwig ſchalt heftig auf die undeutſche Geſinnung<lb/> der Mecklenburger, auch Czar Nikolaus ließ in Schwerin ſeinen Unwillen<lb/> ausſprechen, weil er jede Annäherung an den Bürgerkönig verabſcheute.<note place="foot" n="**)">Berichte von Frankenberg, 3. Nov. 1836, von Münchhauſen, 14. Febr., von<lb/> Dönhoff, 4. März 1837.</note><lb/> Indeſſen gelang es durch ſorgſame Grenzbewachung die üblen Folgen des<lb/> Vertrags von dem Zollvereine abzuwenden. Es war nicht anders; die<lb/> Weſtmächte mußten ſich darein ergeben, daß ſie den deutſchen Handels-<lb/> bund nicht mehr auflockern, ſondern nur noch Macht gegen Macht mit<lb/> ihm rechnen konnten. Und wie ſchwer es hielt, von einem ſo vielköpfigen,<lb/> ſo mannichfaltige Intereſſen umſchließenden Vereine Zugeſtändniſſe zu er-<lb/> langen, das erfuhr England jetzt ſchon bei vertraulichen Vorverhandlungen.<lb/> Palmerſton ließ in Berlin unter der Hand die Ermäßigung der engliſchen<lb/> Holzzölle anbieten, falls der Zollverein ſeine Zölle auf Baumwoll-Waaren<lb/> herabſetze. Ein ſolcher Vorſchlag wäre früherhin, ſo lange Preußen allein<lb/> ſtand, ſicherlich angenommen worden; jetzt aber lautete die kühle Antwort:<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [575/0589]
Mecklenburgiſch-franzöſiſcher Handelsvertrag.
Kornzoll bildete aber einen der Pfeiler, auf denen die alte ariſtokratiſche
Parlamentsherrſchaft ruhte. Er blieb beſtehen und belaſtete den deutſchen
Landbau ſchwer, den Getreidehandel insbeſondere durch die Wandelſcala;
da die Zollſätze ſich nach den Marktpreiſen veränderten und die Schiffe
noch ſehr langſam ſegelten, ſo konnte der deutſche Schiffer den Zoll für
ſeine Getreideladung nie voraus berechnen. Alſo verſagte die britiſche
Handelspolitik den Deutſchen das einzige werthvolle Zugeſtändniß, das ſie
ihnen bieten konnte, und hoffte gleichwohl die Handelsherrſchaft über
Deutſchland zu behaupten, indem ſie unſere Zwietracht ſchürte. Nun da
der günſtige Augenblick längſt verſäumt war, trat ihr plötzlich der unan-
greifbare neue nationale Handelsbund entgegen; die Deutſchen hatten ge-
lernt, ſich durch vereinte Kraft zu ſchützen, die Zeit der engliſch-deutſchen
Sonderbünde war dahin. Noch einmal verſuchten England und Frank-
reich ihr altes Spiel zu erneuern. Während der Zollconferenzen von 1839
erſchienen Palmerſton’s Agent Dr. Bowring und der vielgewandte fran-
zöſiſche Conſul Engelhardt aus Mainz als ungebetene Gäſte in Berlin,
um durch Lockungen und Verheißungen einige der kleinen Staaten, vor-
nehmlich Baden, gegen den Zollverein aufzuregen. Sie fanden aber eine
ſehr kühle Aufnahme, Bowring’s anmaßende Zudringlichkeit mißfiel all-
gemein, Beide mußten unverrichteter Dinge abziehen. *)
Nur Mecklenburg gab ſich noch zum Werkzeuge ausländiſcher Ränke
her, weil es in ſeinem Sonderleben verharren wollte, und ſchloß am
19. Juli 1836 mit Frankreich einen Handelsvertrag, der offenbar den Zweck
verfolgte, den franzöſiſchen Weinen einen einträglichen Schleichhandel nach
den benachbarten preußiſchen Provinzen zu ſichern. Die Vereinsregierungen
waren empört; König Ludwig ſchalt heftig auf die undeutſche Geſinnung
der Mecklenburger, auch Czar Nikolaus ließ in Schwerin ſeinen Unwillen
ausſprechen, weil er jede Annäherung an den Bürgerkönig verabſcheute. **)
Indeſſen gelang es durch ſorgſame Grenzbewachung die üblen Folgen des
Vertrags von dem Zollvereine abzuwenden. Es war nicht anders; die
Weſtmächte mußten ſich darein ergeben, daß ſie den deutſchen Handels-
bund nicht mehr auflockern, ſondern nur noch Macht gegen Macht mit
ihm rechnen konnten. Und wie ſchwer es hielt, von einem ſo vielköpfigen,
ſo mannichfaltige Intereſſen umſchließenden Vereine Zugeſtändniſſe zu er-
langen, das erfuhr England jetzt ſchon bei vertraulichen Vorverhandlungen.
Palmerſton ließ in Berlin unter der Hand die Ermäßigung der engliſchen
Holzzölle anbieten, falls der Zollverein ſeine Zölle auf Baumwoll-Waaren
herabſetze. Ein ſolcher Vorſchlag wäre früherhin, ſo lange Preußen allein
ſtand, ſicherlich angenommen worden; jetzt aber lautete die kühle Antwort:
*) Berichte von Frankenberg, 19. Juli, von Stockhauſen, 10. Aug. 1839.
**) Berichte von Frankenberg, 3. Nov. 1836, von Münchhauſen, 14. Febr., von
Dönhoff, 4. März 1837.
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