die Ermäßigung der Holzzölle bringe zunächst dem englischen Schiffbau selber Vortheil, in Deutschland nur den östlichen Provinzen Preußens, und diesen wolle man die Interessen der sächsischen Baumwoll-Industrie nicht aufopfern.*)
Also wuchs das neue Deutschland kräftig heran, zum Schrecken aller Mächte, die auf Mitteleuropas Schwäche zählten. Und doch war der Bestand des Zollvereins gerade in diesen ersten Jahren seines fröhlichen Aufblühens ernstlich bedroht. Diesmal kam die Gefahr aus Preußen selbst. Das fiscalische Interesse, das durch den Idealismus der Politik unleugbar schwer geschädigt war, erhob sich zur Abwehr. Die für Süd- deutschland so günstigen Ergebnisse der Zollvereinsabrechnungen brachten den preußischen Staatskassen zunächst nur Verluste; die Vertheilung der Einnahmen nach der Kopfzahl erwies sich als eine offenbare Ungerechtig- keit, zu Preußens Schaden. Preußens Zolleinnahmen betrugen im Jahre 1833 auf den Kopf der Bevölkerung 20 Sgr.; im folgenden Jahre, nach der Gründung des Zollvereins sanken sie fast um ein Viertel, auf 151/2 Sgr., und erst im Jahre 1838 wurde der frühere Satz annähernd wieder er- reicht. In fünf Jahren einer unerhörten Verkehrssteigerung erlitt Preu- ßens Finanzverwaltung also nur Einbußen. Von den 12,18 Mill. Thlr., welche der Zollverein in seinem ersten Jahre unter die Bundesgenossen vertheilte, warf Preußen allein 8,99 Mill. Thlr. ein, während Baiern nur 950,000, Württemberg nur 270,000 Thlr. an Reinertrag eingenommen hatte. Und dies ungeheuerliche Mißverhältniß zwischen den Einnahmen der Verbündeten steigerte sich sogar mit den Jahren. Bis zum Jahre 1840 wuchsen die Summen, welche Preußen zur Vertheilung einwarf, fast um die Hälfte, bis auf 12,95 Mill., während Baierns reine Einnahme sich nur auf 1,21 Mill. erhob, das Zolleinkommen Württembergs in den Jahren 1838--40 ziemlich gleichmäßig auf der Summe von 427,000 Thlr. verblieb. Allein in dem verkehrsreichen Sachsen stiegen die Einnahmen noch schneller als in Preußen, binnen sieben Jahren von 1,07 auf 1,94 Mill. Thlr.; die übrigen Vereinsstaaten erhielten allesammt von Preußen beständig wachsende Auszahlungen.
Angesichts dieser Thatsachen ließ sich gar nicht leugnen, daß Preußens Staatshaushalt von den süddeutschen Verbündeten beständig übervortheilt wurde, wenngleich ein Theil der in Preußen verzollten Waaren späterhin nach dem Süden weitergehen mochte, und mithin eine genaue Abrechnung unmöglich war. Minister Rother, der seit 1835 das Handelsamt als ein selbständiges Ministerium verwaltete, und die anderen gestrengen Finanz- männer der alten Schule fragten empört: ob jemals ein mächtiger Staat solche Opfer gebracht habe für eine erhabene Idee? Wo waren denn die erhofften politischen Vortheile des Zollvereins? Wer nur von oben hin
*) Frankenberg's Bericht, 31. März 1836.
IV. 8. Stille Jahre.
die Ermäßigung der Holzzölle bringe zunächſt dem engliſchen Schiffbau ſelber Vortheil, in Deutſchland nur den öſtlichen Provinzen Preußens, und dieſen wolle man die Intereſſen der ſächſiſchen Baumwoll-Induſtrie nicht aufopfern.*)
Alſo wuchs das neue Deutſchland kräftig heran, zum Schrecken aller Mächte, die auf Mitteleuropas Schwäche zählten. Und doch war der Beſtand des Zollvereins gerade in dieſen erſten Jahren ſeines fröhlichen Aufblühens ernſtlich bedroht. Diesmal kam die Gefahr aus Preußen ſelbſt. Das fiscaliſche Intereſſe, das durch den Idealismus der Politik unleugbar ſchwer geſchädigt war, erhob ſich zur Abwehr. Die für Süd- deutſchland ſo günſtigen Ergebniſſe der Zollvereinsabrechnungen brachten den preußiſchen Staatskaſſen zunächſt nur Verluſte; die Vertheilung der Einnahmen nach der Kopfzahl erwies ſich als eine offenbare Ungerechtig- keit, zu Preußens Schaden. Preußens Zolleinnahmen betrugen im Jahre 1833 auf den Kopf der Bevölkerung 20 Sgr.; im folgenden Jahre, nach der Gründung des Zollvereins ſanken ſie faſt um ein Viertel, auf 15½ Sgr., und erſt im Jahre 1838 wurde der frühere Satz annähernd wieder er- reicht. In fünf Jahren einer unerhörten Verkehrsſteigerung erlitt Preu- ßens Finanzverwaltung alſo nur Einbußen. Von den 12,18 Mill. Thlr., welche der Zollverein in ſeinem erſten Jahre unter die Bundesgenoſſen vertheilte, warf Preußen allein 8,99 Mill. Thlr. ein, während Baiern nur 950,000, Württemberg nur 270,000 Thlr. an Reinertrag eingenommen hatte. Und dies ungeheuerliche Mißverhältniß zwiſchen den Einnahmen der Verbündeten ſteigerte ſich ſogar mit den Jahren. Bis zum Jahre 1840 wuchſen die Summen, welche Preußen zur Vertheilung einwarf, faſt um die Hälfte, bis auf 12,95 Mill., während Baierns reine Einnahme ſich nur auf 1,21 Mill. erhob, das Zolleinkommen Württembergs in den Jahren 1838—40 ziemlich gleichmäßig auf der Summe von 427,000 Thlr. verblieb. Allein in dem verkehrsreichen Sachſen ſtiegen die Einnahmen noch ſchneller als in Preußen, binnen ſieben Jahren von 1,07 auf 1,94 Mill. Thlr.; die übrigen Vereinsſtaaten erhielten alleſammt von Preußen beſtändig wachſende Auszahlungen.
Angeſichts dieſer Thatſachen ließ ſich gar nicht leugnen, daß Preußens Staatshaushalt von den ſüddeutſchen Verbündeten beſtändig übervortheilt wurde, wenngleich ein Theil der in Preußen verzollten Waaren ſpäterhin nach dem Süden weitergehen mochte, und mithin eine genaue Abrechnung unmöglich war. Miniſter Rother, der ſeit 1835 das Handelsamt als ein ſelbſtändiges Miniſterium verwaltete, und die anderen geſtrengen Finanz- männer der alten Schule fragten empört: ob jemals ein mächtiger Staat ſolche Opfer gebracht habe für eine erhabene Idee? Wo waren denn die erhofften politiſchen Vortheile des Zollvereins? Wer nur von oben hin
*) Frankenberg’s Bericht, 31. März 1836.
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IV. 8. Stille Jahre.
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ſelber Vortheil, in Deutſchland nur den öſtlichen Provinzen Preußens,
und dieſen wolle man die Intereſſen der ſächſiſchen Baumwoll-Induſtrie
nicht aufopfern. *)
Alſo wuchs das neue Deutſchland kräftig heran, zum Schrecken aller
Mächte, die auf Mitteleuropas Schwäche zählten. Und doch war der
Beſtand des Zollvereins gerade in dieſen erſten Jahren ſeines fröhlichen
Aufblühens ernſtlich bedroht. Diesmal kam die Gefahr aus Preußen
ſelbſt. Das fiscaliſche Intereſſe, das durch den Idealismus der Politik
unleugbar ſchwer geſchädigt war, erhob ſich zur Abwehr. Die für Süd-
deutſchland ſo günſtigen Ergebniſſe der Zollvereinsabrechnungen brachten
den preußiſchen Staatskaſſen zunächſt nur Verluſte; die Vertheilung der
Einnahmen nach der Kopfzahl erwies ſich als eine offenbare Ungerechtig-
keit, zu Preußens Schaden. Preußens Zolleinnahmen betrugen im Jahre
1833 auf den Kopf der Bevölkerung 20 Sgr.; im folgenden Jahre, nach
der Gründung des Zollvereins ſanken ſie faſt um ein Viertel, auf 15½ Sgr.,
und erſt im Jahre 1838 wurde der frühere Satz annähernd wieder er-
reicht. In fünf Jahren einer unerhörten Verkehrsſteigerung erlitt Preu-
ßens Finanzverwaltung alſo nur Einbußen. Von den 12,18 Mill. Thlr.,
welche der Zollverein in ſeinem erſten Jahre unter die Bundesgenoſſen
vertheilte, warf Preußen allein 8,99 Mill. Thlr. ein, während Baiern nur
950,000, Württemberg nur 270,000 Thlr. an Reinertrag eingenommen
hatte. Und dies ungeheuerliche Mißverhältniß zwiſchen den Einnahmen
der Verbündeten ſteigerte ſich ſogar mit den Jahren. Bis zum Jahre 1840
wuchſen die Summen, welche Preußen zur Vertheilung einwarf, faſt um
die Hälfte, bis auf 12,95 Mill., während Baierns reine Einnahme ſich
nur auf 1,21 Mill. erhob, das Zolleinkommen Württembergs in den Jahren
1838—40 ziemlich gleichmäßig auf der Summe von 427,000 Thlr. verblieb.
Allein in dem verkehrsreichen Sachſen ſtiegen die Einnahmen noch ſchneller
als in Preußen, binnen ſieben Jahren von 1,07 auf 1,94 Mill. Thlr.;
die übrigen Vereinsſtaaten erhielten alleſammt von Preußen beſtändig
wachſende Auszahlungen.
Angeſichts dieſer Thatſachen ließ ſich gar nicht leugnen, daß Preußens
Staatshaushalt von den ſüddeutſchen Verbündeten beſtändig übervortheilt
wurde, wenngleich ein Theil der in Preußen verzollten Waaren ſpäterhin
nach dem Süden weitergehen mochte, und mithin eine genaue Abrechnung
unmöglich war. Miniſter Rother, der ſeit 1835 das Handelsamt als ein
ſelbſtändiges Miniſterium verwaltete, und die anderen geſtrengen Finanz-
männer der alten Schule fragten empört: ob jemals ein mächtiger Staat
ſolche Opfer gebracht habe für eine erhabene Idee? Wo waren denn die
erhofften politiſchen Vortheile des Zollvereins? Wer nur von oben hin
*) Frankenberg’s Bericht, 31. März 1836.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/590>, abgerufen am 24.11.2024.
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