der einen Linie Dresden-Prag, vorläufig unberücksichtigt, weil er einsah, daß dort ganz eigenartige Verhältnisse vorlagen.
Durch diese Schrift wurden vier unternehmende junge Leipziger Kauf- leute für den Plan der Leipzig-Dresdner Eisenbahn gewonnen: Wilhelm Seyfferth, A. Dufour-Feronce, C. Lampe und der Bruder des westphäli- schen Volksmannes, Gustav Harkort. Sie veranstalteten eine Versamm- lung, dann eine Eingabe an die Regierung, und König Friedrich August ging gütig und einsichtig auf die Pläne ein. Nun erließ List einen feu- rigen Aufruf zur Betheiligung an dieser "Nationalangelegenheit". Mit der Begeisterung des Reichsstädters redete er von der neuen Blüthezeit, die unseren alten Städten jetzt kommen werde; seit dem glücklich voll- endeten Zollvereine bedürften die Deutschen nur noch des wohlfeilen und schnellen Transports "um sich auf die Stufe der gewerbfleißigsten Nationen der Erde emporzuschwingen". Für das Comite, das sich nunmehr bildete, erstattete List dem Publikum fortlaufende Berichte, und hier sprach er schon zuversichtlich aus, was den Meisten noch wie Wahnsinn klang: "die Eisen- bahnen müssen auf den großen Routen zum ordinären Transportmittel werden." Er meinte sogar hoffnungsvoll, die Eisenbahnen würden die stehenden Heere beseitigen oder vermindern. Glücklicherweise unterschätzte man beträchtlich die Kosten, sonst wäre das Wagniß in der armen Zeit schwerlich begonnen worden. List, der wie alle Prophetennaturen von aben- teuerndem Leichtsinn nicht frei war, meinte mit einer halben, höchstens mit einer Million Thaler auszukommen. Das vorsichtigere Comite gab für 11/2 Mill. Aktien aus und mußte sich bald überzeugen, daß man der drei- fachen Summe bedurfte. Mittlerweile war aber das Unternehmen schon weit gefördert, Niemand wollte mehr zurück, und auch "die Drillinge" fanden jetzt Abnehmer.
List empfahl den geraden Weg über Meißen durch das schöne volk- reiche Bergland der Mulde; ein englischer Ingenieur J. Walker warnte jedoch vor den Schwierigkeiten einer Gebirgsbahn, und man wählte den Umweg durch die Ebene über Riesa, weil man der jugendlichen deutschen Technik nicht zu viel zumuthen wollte. Dann begann das schwere Werk des Bodenankaufs, das der Staat durch ein verständiges, den Vorschlägen List's entsprechendes Enteignungsgesetz erleichterte. Zahllose Processe mußten überstanden werden. Ein Windmüller klagte, weil ihm die Bahn den Wind abfange, ein anderer, weil sie die Ackerflur seiner Bauern und da- durch seinen Verdienst geschmälert habe; in einigen Dörfern leistete das Landvolk sogar thätlichen Widerstand. Unterdessen leitete Hauptmann Kunz den Bau umsichtig und thatkräftig. Eine Lokomotive, der Komet, wurde in England angekauft und eine Weile für Geld zur Schau gestellt; auch der Wagenbauer und der erste Lokomotivenführer kamen aus Eng- land. Im April 1837 konnte endlich die erste Strecke von Leipzig nach einem nahen Dorfe befahren werden; dicht gedrängt standen die Massen
IV. 8. Stille Jahre.
der einen Linie Dresden-Prag, vorläufig unberückſichtigt, weil er einſah, daß dort ganz eigenartige Verhältniſſe vorlagen.
Durch dieſe Schrift wurden vier unternehmende junge Leipziger Kauf- leute für den Plan der Leipzig-Dresdner Eiſenbahn gewonnen: Wilhelm Seyfferth, A. Dufour-Feronce, C. Lampe und der Bruder des weſtphäli- ſchen Volksmannes, Guſtav Harkort. Sie veranſtalteten eine Verſamm- lung, dann eine Eingabe an die Regierung, und König Friedrich Auguſt ging gütig und einſichtig auf die Pläne ein. Nun erließ Liſt einen feu- rigen Aufruf zur Betheiligung an dieſer „Nationalangelegenheit“. Mit der Begeiſterung des Reichsſtädters redete er von der neuen Blüthezeit, die unſeren alten Städten jetzt kommen werde; ſeit dem glücklich voll- endeten Zollvereine bedürften die Deutſchen nur noch des wohlfeilen und ſchnellen Transports „um ſich auf die Stufe der gewerbfleißigſten Nationen der Erde emporzuſchwingen“. Für das Comité, das ſich nunmehr bildete, erſtattete Liſt dem Publikum fortlaufende Berichte, und hier ſprach er ſchon zuverſichtlich aus, was den Meiſten noch wie Wahnſinn klang: „die Eiſen- bahnen müſſen auf den großen Routen zum ordinären Transportmittel werden.“ Er meinte ſogar hoffnungsvoll, die Eiſenbahnen würden die ſtehenden Heere beſeitigen oder vermindern. Glücklicherweiſe unterſchätzte man beträchtlich die Koſten, ſonſt wäre das Wagniß in der armen Zeit ſchwerlich begonnen worden. Liſt, der wie alle Prophetennaturen von aben- teuerndem Leichtſinn nicht frei war, meinte mit einer halben, höchſtens mit einer Million Thaler auszukommen. Das vorſichtigere Comité gab für 1½ Mill. Aktien aus und mußte ſich bald überzeugen, daß man der drei- fachen Summe bedurfte. Mittlerweile war aber das Unternehmen ſchon weit gefördert, Niemand wollte mehr zurück, und auch „die Drillinge“ fanden jetzt Abnehmer.
Liſt empfahl den geraden Weg über Meißen durch das ſchöne volk- reiche Bergland der Mulde; ein engliſcher Ingenieur J. Walker warnte jedoch vor den Schwierigkeiten einer Gebirgsbahn, und man wählte den Umweg durch die Ebene über Rieſa, weil man der jugendlichen deutſchen Technik nicht zu viel zumuthen wollte. Dann begann das ſchwere Werk des Bodenankaufs, das der Staat durch ein verſtändiges, den Vorſchlägen Liſt’s entſprechendes Enteignungsgeſetz erleichterte. Zahlloſe Proceſſe mußten überſtanden werden. Ein Windmüller klagte, weil ihm die Bahn den Wind abfange, ein anderer, weil ſie die Ackerflur ſeiner Bauern und da- durch ſeinen Verdienſt geſchmälert habe; in einigen Dörfern leiſtete das Landvolk ſogar thätlichen Widerſtand. Unterdeſſen leitete Hauptmann Kunz den Bau umſichtig und thatkräftig. Eine Lokomotive, der Komet, wurde in England angekauft und eine Weile für Geld zur Schau geſtellt; auch der Wagenbauer und der erſte Lokomotivenführer kamen aus Eng- land. Im April 1837 konnte endlich die erſte Strecke von Leipzig nach einem nahen Dorfe befahren werden; dicht gedrängt ſtanden die Maſſen
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daß dort ganz eigenartige Verhältniſſe vorlagen.
Durch dieſe Schrift wurden vier unternehmende junge Leipziger Kauf-
leute für den Plan der Leipzig-Dresdner Eiſenbahn gewonnen: Wilhelm
Seyfferth, A. Dufour-Feronce, C. Lampe und der Bruder des weſtphäli-
ſchen Volksmannes, Guſtav Harkort. Sie veranſtalteten eine Verſamm-
lung, dann eine Eingabe an die Regierung, und König Friedrich Auguſt
ging gütig und einſichtig auf die Pläne ein. Nun erließ Liſt einen feu-
rigen Aufruf zur Betheiligung an dieſer „Nationalangelegenheit“. Mit
der Begeiſterung des Reichsſtädters redete er von der neuen Blüthezeit,
die unſeren alten Städten jetzt kommen werde; ſeit dem glücklich voll-
endeten Zollvereine bedürften die Deutſchen nur noch des wohlfeilen und
ſchnellen Transports „um ſich auf die Stufe der gewerbfleißigſten Nationen
der Erde emporzuſchwingen“. Für das Comité, das ſich nunmehr bildete,
erſtattete Liſt dem Publikum fortlaufende Berichte, und hier ſprach er ſchon
zuverſichtlich aus, was den Meiſten noch wie Wahnſinn klang: „die Eiſen-
bahnen müſſen auf den großen Routen zum ordinären Transportmittel
werden.“ Er meinte ſogar hoffnungsvoll, die Eiſenbahnen würden die
ſtehenden Heere beſeitigen oder vermindern. Glücklicherweiſe unterſchätzte
man beträchtlich die Koſten, ſonſt wäre das Wagniß in der armen Zeit
ſchwerlich begonnen worden. Liſt, der wie alle Prophetennaturen von aben-
teuerndem Leichtſinn nicht frei war, meinte mit einer halben, höchſtens mit
einer Million Thaler auszukommen. Das vorſichtigere Comité gab für
1½ Mill. Aktien aus und mußte ſich bald überzeugen, daß man der drei-
fachen Summe bedurfte. Mittlerweile war aber das Unternehmen ſchon
weit gefördert, Niemand wollte mehr zurück, und auch „die Drillinge“
fanden jetzt Abnehmer.
Liſt empfahl den geraden Weg über Meißen durch das ſchöne volk-
reiche Bergland der Mulde; ein engliſcher Ingenieur J. Walker warnte
jedoch vor den Schwierigkeiten einer Gebirgsbahn, und man wählte den
Umweg durch die Ebene über Rieſa, weil man der jugendlichen deutſchen
Technik nicht zu viel zumuthen wollte. Dann begann das ſchwere Werk
des Bodenankaufs, das der Staat durch ein verſtändiges, den Vorſchlägen
Liſt’s entſprechendes Enteignungsgeſetz erleichterte. Zahlloſe Proceſſe mußten
überſtanden werden. Ein Windmüller klagte, weil ihm die Bahn den
Wind abfange, ein anderer, weil ſie die Ackerflur ſeiner Bauern und da-
durch ſeinen Verdienſt geſchmälert habe; in einigen Dörfern leiſtete das
Landvolk ſogar thätlichen Widerſtand. Unterdeſſen leitete Hauptmann
Kunz den Bau umſichtig und thatkräftig. Eine Lokomotive, der Komet,
wurde in England angekauft und eine Weile für Geld zur Schau geſtellt;
auch der Wagenbauer und der erſte Lokomotivenführer kamen aus Eng-
land. Im April 1837 konnte endlich die erſte Strecke von Leipzig nach
einem nahen Dorfe befahren werden; dicht gedrängt ſtanden die Maſſen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/600>, abgerufen am 24.11.2024.
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