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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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du Thil's Herrschaft in Darmstadt.
Erbach benutzten die Ablösungsgelder, um ihren Grundbesitz zu vergrößern,
aber auch ihre Gutsunterthanen freuten sich der Erleichterung. Den Par-
ticularismus hatte du Thil immer verachtet, und nach den Wiener Minister-
conferenzen war er mehr denn je davon überzeugt, daß dies zerfahrene
deutsche Wesen einer festen Leitung bedürfe; im Stillen wünschte er einen
Kaiser, der ohne Parlament, mit Beirath eines Reichstags deutscher Fürsten,
die Nation führen sollte. Und dieser gescheidte Mann, der die meisten
Minister der kleinen Staaten weit übersah, war gleichwohl kleinlich miß-
trauisch wider die liberale Partei, empfindlich gegen jede freimüthige Kritik,
ganz durchdrungen von jenem unnahbaren Dünkel, der das alte Beamten-
thum auszeichnete. In der Hofburg galt er für den zuverlässigsten aller
kleinen Minister. Als Metternich 1834 eine geheime Centralstelle in Süd-
deutschland einrichtete für die zahlreichen Agenten, welche der Wiener Hof
in Italien und der Schweiz, in Belgien und dem deutschen Süden unter-
hielt, da wurde du Thil in das Geheimniß eingeweiht und empfing fortan
regelmäßige Berichte, während die anderen deutschen Höfe nur zuweilen
einer vertraulichen Mittheilung gewürdigt wurden. Die niederen Agenten
hielt er selbst gutentheils für zweideutige Glücksritter; ihm genügte, daß
der k. k. Oberbeamte, der von Zeit zu Zeit in Darmstadt vorsprach, sich
wie ein feingebildeter Mann benahm und jedes Geldgeschenk zurückwies.*)
Auf Preußens Freundschaft konnte sich der Mitbegründer des Zollvereins
immer verlassen. Als er den Landtag von 1833 auflöste, sprach ihm An-
cillon seine warme Zustimmung aus.**)

Der neue Landtag von 1834 zeigte sich nicht gefügiger. Auch dies-
mal hatte die Opposition die Mehrheit erlangt, und sie trat, unter der
Führung Heinrich v. Gagern's, so scharf auf, daß einige ängstliche Mit-
glieder der Minderheit den Ministern erklärten, sie wagten kaum noch in
der Kammer zu erscheinen, weil jedes ihrer Worte verhöhnt würde.
Währenddem verweilte du Thil auf den Wiener Conferenzen. Sobald er
zu bemerken glaubte, daß Hofmann und die anderen Minister sich zu nach-
giebig zeigten, erbat er sich die Erlaubniß zur Rückkehr. Seine Taubheit
verhinderte ihn im Landtage selbst zu erscheinen; er kannte seine Gegner
kaum, traute ihnen das Aergste zu und rieth dem Großherzog abermals
zur Auflösung der Kammer. Ein Anlaß fand sich bald genug. Die Libe-
ralen stellten einen Antrag auf Wahrung der Selbständigkeit des Richter-
standes und trafen damit die wunde Stelle des Regierungssystems. Gagern
erwies in hochpathetischer Rede, daß die Gerichte nur zu Gunsten einer
Partei zusammengesetzt würden; diese Partei, so fuhr er fort, verstehe das
constitutionelle Princip nicht, sie werde vorzugsweise durch das gegen-
wärtige Ministerium vertreten. Da erhob sich zornglühend der Staats-

*) Nach du Thil's Aufzeichnungen.
**) Ancillon, Weisung an Arnim, 11. Nov. 1833.

du Thil’s Herrſchaft in Darmſtadt.
Erbach benutzten die Ablöſungsgelder, um ihren Grundbeſitz zu vergrößern,
aber auch ihre Gutsunterthanen freuten ſich der Erleichterung. Den Par-
ticularismus hatte du Thil immer verachtet, und nach den Wiener Miniſter-
conferenzen war er mehr denn je davon überzeugt, daß dies zerfahrene
deutſche Weſen einer feſten Leitung bedürfe; im Stillen wünſchte er einen
Kaiſer, der ohne Parlament, mit Beirath eines Reichstags deutſcher Fürſten,
die Nation führen ſollte. Und dieſer geſcheidte Mann, der die meiſten
Miniſter der kleinen Staaten weit überſah, war gleichwohl kleinlich miß-
trauiſch wider die liberale Partei, empfindlich gegen jede freimüthige Kritik,
ganz durchdrungen von jenem unnahbaren Dünkel, der das alte Beamten-
thum auszeichnete. In der Hofburg galt er für den zuverläſſigſten aller
kleinen Miniſter. Als Metternich 1834 eine geheime Centralſtelle in Süd-
deutſchland einrichtete für die zahlreichen Agenten, welche der Wiener Hof
in Italien und der Schweiz, in Belgien und dem deutſchen Süden unter-
hielt, da wurde du Thil in das Geheimniß eingeweiht und empfing fortan
regelmäßige Berichte, während die anderen deutſchen Höfe nur zuweilen
einer vertraulichen Mittheilung gewürdigt wurden. Die niederen Agenten
hielt er ſelbſt gutentheils für zweideutige Glücksritter; ihm genügte, daß
der k. k. Oberbeamte, der von Zeit zu Zeit in Darmſtadt vorſprach, ſich
wie ein feingebildeter Mann benahm und jedes Geldgeſchenk zurückwies.*)
Auf Preußens Freundſchaft konnte ſich der Mitbegründer des Zollvereins
immer verlaſſen. Als er den Landtag von 1833 auflöſte, ſprach ihm An-
cillon ſeine warme Zuſtimmung aus.**)

Der neue Landtag von 1834 zeigte ſich nicht gefügiger. Auch dies-
mal hatte die Oppoſition die Mehrheit erlangt, und ſie trat, unter der
Führung Heinrich v. Gagern’s, ſo ſcharf auf, daß einige ängſtliche Mit-
glieder der Minderheit den Miniſtern erklärten, ſie wagten kaum noch in
der Kammer zu erſcheinen, weil jedes ihrer Worte verhöhnt würde.
Währenddem verweilte du Thil auf den Wiener Conferenzen. Sobald er
zu bemerken glaubte, daß Hofmann und die anderen Miniſter ſich zu nach-
giebig zeigten, erbat er ſich die Erlaubniß zur Rückkehr. Seine Taubheit
verhinderte ihn im Landtage ſelbſt zu erſcheinen; er kannte ſeine Gegner
kaum, traute ihnen das Aergſte zu und rieth dem Großherzog abermals
zur Auflöſung der Kammer. Ein Anlaß fand ſich bald genug. Die Libe-
ralen ſtellten einen Antrag auf Wahrung der Selbſtändigkeit des Richter-
ſtandes und trafen damit die wunde Stelle des Regierungsſyſtems. Gagern
erwies in hochpathetiſcher Rede, daß die Gerichte nur zu Gunſten einer
Partei zuſammengeſetzt würden; dieſe Partei, ſo fuhr er fort, verſtehe das
conſtitutionelle Princip nicht, ſie werde vorzugsweiſe durch das gegen-
wärtige Miniſterium vertreten. Da erhob ſich zornglühend der Staats-

*) Nach du Thil’s Aufzeichnungen.
**) Ancillon, Weiſung an Arnim, 11. Nov. 1833.
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[617/0631] du Thil’s Herrſchaft in Darmſtadt. Erbach benutzten die Ablöſungsgelder, um ihren Grundbeſitz zu vergrößern, aber auch ihre Gutsunterthanen freuten ſich der Erleichterung. Den Par- ticularismus hatte du Thil immer verachtet, und nach den Wiener Miniſter- conferenzen war er mehr denn je davon überzeugt, daß dies zerfahrene deutſche Weſen einer feſten Leitung bedürfe; im Stillen wünſchte er einen Kaiſer, der ohne Parlament, mit Beirath eines Reichstags deutſcher Fürſten, die Nation führen ſollte. Und dieſer geſcheidte Mann, der die meiſten Miniſter der kleinen Staaten weit überſah, war gleichwohl kleinlich miß- trauiſch wider die liberale Partei, empfindlich gegen jede freimüthige Kritik, ganz durchdrungen von jenem unnahbaren Dünkel, der das alte Beamten- thum auszeichnete. In der Hofburg galt er für den zuverläſſigſten aller kleinen Miniſter. Als Metternich 1834 eine geheime Centralſtelle in Süd- deutſchland einrichtete für die zahlreichen Agenten, welche der Wiener Hof in Italien und der Schweiz, in Belgien und dem deutſchen Süden unter- hielt, da wurde du Thil in das Geheimniß eingeweiht und empfing fortan regelmäßige Berichte, während die anderen deutſchen Höfe nur zuweilen einer vertraulichen Mittheilung gewürdigt wurden. Die niederen Agenten hielt er ſelbſt gutentheils für zweideutige Glücksritter; ihm genügte, daß der k. k. Oberbeamte, der von Zeit zu Zeit in Darmſtadt vorſprach, ſich wie ein feingebildeter Mann benahm und jedes Geldgeſchenk zurückwies. *) Auf Preußens Freundſchaft konnte ſich der Mitbegründer des Zollvereins immer verlaſſen. Als er den Landtag von 1833 auflöſte, ſprach ihm An- cillon ſeine warme Zuſtimmung aus. **) Der neue Landtag von 1834 zeigte ſich nicht gefügiger. Auch dies- mal hatte die Oppoſition die Mehrheit erlangt, und ſie trat, unter der Führung Heinrich v. Gagern’s, ſo ſcharf auf, daß einige ängſtliche Mit- glieder der Minderheit den Miniſtern erklärten, ſie wagten kaum noch in der Kammer zu erſcheinen, weil jedes ihrer Worte verhöhnt würde. Währenddem verweilte du Thil auf den Wiener Conferenzen. Sobald er zu bemerken glaubte, daß Hofmann und die anderen Miniſter ſich zu nach- giebig zeigten, erbat er ſich die Erlaubniß zur Rückkehr. Seine Taubheit verhinderte ihn im Landtage ſelbſt zu erſcheinen; er kannte ſeine Gegner kaum, traute ihnen das Aergſte zu und rieth dem Großherzog abermals zur Auflöſung der Kammer. Ein Anlaß fand ſich bald genug. Die Libe- ralen ſtellten einen Antrag auf Wahrung der Selbſtändigkeit des Richter- ſtandes und trafen damit die wunde Stelle des Regierungsſyſtems. Gagern erwies in hochpathetiſcher Rede, daß die Gerichte nur zu Gunſten einer Partei zuſammengeſetzt würden; dieſe Partei, ſo fuhr er fort, verſtehe das conſtitutionelle Princip nicht, ſie werde vorzugsweiſe durch das gegen- wärtige Miniſterium vertreten. Da erhob ſich zornglühend der Staats- *) Nach du Thil’s Aufzeichnungen. **) Ancillon, Weiſung an Arnim, 11. Nov. 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/631>, abgerufen am 24.11.2024.