der Griechen und der Polen freiwillig gesteuert. In Leipzig entstand der Göttinger Verein, der sich bald über ganz Deutschland verzweigte und den Sieben bis zu ihrer Wiederanstellung ihren alten Gehalt zahlte. Einige der unternehmenden Bürger, welche die erste Eisenbahn bauten, Gustav Harkort und Dufour standen an der Spitze, dazu die Besitzer der Weid- mann'schen Buchhandlung Karl Reimer und der junge Schweizer Salomon Hirzel; in Berlin übernahm Gans die Leitung, in Baden Rotteck, in Königsberg der radicale Jakoby, in Jena der streng kirchlich gesinnte Buch- händler Frommann, in Marburg sein Gesinnungsgenosse V. A. Huber. Alle guten Kräfte des Bürgerthums fanden sich zusammen.
In der amtlichen Welt waren die Meinungen getheilt. Die Thaten des Welfen in Schutz zu nehmen, wagte fast Niemand; nur da und dort jubelte ein übermüthiger Junker wie der Prinz von Noer, das sei brav, daß man die Kerls fortgejagt habe. Aber nach den Anschauungen des alten Beamtenstaats erschien das kühne Auftreten einfacher Professoren, die kein obrigkeitliches Amt bekleideten, als eine gefährliche Anmaßung. Selbst Canitz, der das Treiben am hannöverschen Hofe mit wachsender Sorge be- trachtete und mit seinen Landsleuten den Brüdern Grimm auf freund- lichem Fuße stand, meinte doch ängstlich: die Sieben hätten still ihren Ab- schied fordern sollen ohne die Gewissen Anderer zu verwirren.*) Diesen Kleinmuth der Regierungen verstand der Welfe sehr geschickt auszubeuten; er wußte aus seiner parlamentarischen Erfahrung, wie viel die Frechheit über die Menschen vermag. Seine Gesandten traten mit einer Zuversicht auf, als ob sich Hannover durch seinen Staatsstreich besondere Ansprüche auf Dank und Dienst aller Kronen erworben hätte. Als Beseler's Schrift erschienen war, sendete Ernst August den Prinzen Solms nach Schwerin um die Bestrafung des Verfassers zu verlangen; der gutherzige Groß- herzog Paul Friedrich ordnete auch eine Untersuchung an, er berief aber in die Commission drei verständige Männer, die natürlich erklärten, daß keine strafwürdige Handlung vorliege. Sobald er hörte, daß einige der Sieben in Leipzig Vorlesungen halten wollten, verbot Ernst August seinen Unterthanen sofort den Besuch der Leipziger Universität, worauf sich denn herausstellte, daß nur ein einziger Hannoveraner an der Pleiße studirte. Wo immer ein Buch zu Gunsten der Sieben oder des Staatsgrund- gesetzes erschien, erhoben die welfischen Diplomaten alsbald Beschwerde; der Gesandte General v. Berger in Berlin, ein alter Herr, der sich sogar unter ihnen durch Beschränktheit auszeichnete, fand es immer wieder un- begreiflich, wie die Censur solchen Produkten "das Ultimatum ertheilen könne"!**)
Ganz ohne Erfolg blieben diese Einschüchterungsversuche nicht; Dahl- mann und Jakob Grimm mußten ihre Rechtfertigungsschriften, zur Schande
*) Canitz's Bericht, 27. Nov. 1837.
**) Berger's Bericht, 29. Sept. 1838.
Sammlungen für die Sieben.
der Griechen und der Polen freiwillig geſteuert. In Leipzig entſtand der Göttinger Verein, der ſich bald über ganz Deutſchland verzweigte und den Sieben bis zu ihrer Wiederanſtellung ihren alten Gehalt zahlte. Einige der unternehmenden Bürger, welche die erſte Eiſenbahn bauten, Guſtav Harkort und Dufour ſtanden an der Spitze, dazu die Beſitzer der Weid- mann’ſchen Buchhandlung Karl Reimer und der junge Schweizer Salomon Hirzel; in Berlin übernahm Gans die Leitung, in Baden Rotteck, in Königsberg der radicale Jakoby, in Jena der ſtreng kirchlich geſinnte Buch- händler Frommann, in Marburg ſein Geſinnungsgenoſſe V. A. Huber. Alle guten Kräfte des Bürgerthums fanden ſich zuſammen.
In der amtlichen Welt waren die Meinungen getheilt. Die Thaten des Welfen in Schutz zu nehmen, wagte faſt Niemand; nur da und dort jubelte ein übermüthiger Junker wie der Prinz von Noer, das ſei brav, daß man die Kerls fortgejagt habe. Aber nach den Anſchauungen des alten Beamtenſtaats erſchien das kühne Auftreten einfacher Profeſſoren, die kein obrigkeitliches Amt bekleideten, als eine gefährliche Anmaßung. Selbſt Canitz, der das Treiben am hannöverſchen Hofe mit wachſender Sorge be- trachtete und mit ſeinen Landsleuten den Brüdern Grimm auf freund- lichem Fuße ſtand, meinte doch ängſtlich: die Sieben hätten ſtill ihren Ab- ſchied fordern ſollen ohne die Gewiſſen Anderer zu verwirren.*) Dieſen Kleinmuth der Regierungen verſtand der Welfe ſehr geſchickt auszubeuten; er wußte aus ſeiner parlamentariſchen Erfahrung, wie viel die Frechheit über die Menſchen vermag. Seine Geſandten traten mit einer Zuverſicht auf, als ob ſich Hannover durch ſeinen Staatsſtreich beſondere Anſprüche auf Dank und Dienſt aller Kronen erworben hätte. Als Beſeler’s Schrift erſchienen war, ſendete Ernſt Auguſt den Prinzen Solms nach Schwerin um die Beſtrafung des Verfaſſers zu verlangen; der gutherzige Groß- herzog Paul Friedrich ordnete auch eine Unterſuchung an, er berief aber in die Commiſſion drei verſtändige Männer, die natürlich erklärten, daß keine ſtrafwürdige Handlung vorliege. Sobald er hörte, daß einige der Sieben in Leipzig Vorleſungen halten wollten, verbot Ernſt Auguſt ſeinen Unterthanen ſofort den Beſuch der Leipziger Univerſität, worauf ſich denn herausſtellte, daß nur ein einziger Hannoveraner an der Pleiße ſtudirte. Wo immer ein Buch zu Gunſten der Sieben oder des Staatsgrund- geſetzes erſchien, erhoben die welfiſchen Diplomaten alsbald Beſchwerde; der Geſandte General v. Berger in Berlin, ein alter Herr, der ſich ſogar unter ihnen durch Beſchränktheit auszeichnete, fand es immer wieder un- begreiflich, wie die Cenſur ſolchen Produkten „das Ultimatum ertheilen könne“!**)
Ganz ohne Erfolg blieben dieſe Einſchüchterungsverſuche nicht; Dahl- mann und Jakob Grimm mußten ihre Rechtfertigungsſchriften, zur Schande
*) Canitz’s Bericht, 27. Nov. 1837.
**) Berger’s Bericht, 29. Sept. 1838.
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Sammlungen für die Sieben.
der Griechen und der Polen freiwillig geſteuert. In Leipzig entſtand der
Göttinger Verein, der ſich bald über ganz Deutſchland verzweigte und den
Sieben bis zu ihrer Wiederanſtellung ihren alten Gehalt zahlte. Einige
der unternehmenden Bürger, welche die erſte Eiſenbahn bauten, Guſtav
Harkort und Dufour ſtanden an der Spitze, dazu die Beſitzer der Weid-
mann’ſchen Buchhandlung Karl Reimer und der junge Schweizer Salomon
Hirzel; in Berlin übernahm Gans die Leitung, in Baden Rotteck, in
Königsberg der radicale Jakoby, in Jena der ſtreng kirchlich geſinnte Buch-
händler Frommann, in Marburg ſein Geſinnungsgenoſſe V. A. Huber. Alle
guten Kräfte des Bürgerthums fanden ſich zuſammen.
In der amtlichen Welt waren die Meinungen getheilt. Die Thaten
des Welfen in Schutz zu nehmen, wagte faſt Niemand; nur da und dort
jubelte ein übermüthiger Junker wie der Prinz von Noer, das ſei brav,
daß man die Kerls fortgejagt habe. Aber nach den Anſchauungen des
alten Beamtenſtaats erſchien das kühne Auftreten einfacher Profeſſoren, die
kein obrigkeitliches Amt bekleideten, als eine gefährliche Anmaßung. Selbſt
Canitz, der das Treiben am hannöverſchen Hofe mit wachſender Sorge be-
trachtete und mit ſeinen Landsleuten den Brüdern Grimm auf freund-
lichem Fuße ſtand, meinte doch ängſtlich: die Sieben hätten ſtill ihren Ab-
ſchied fordern ſollen ohne die Gewiſſen Anderer zu verwirren. *) Dieſen
Kleinmuth der Regierungen verſtand der Welfe ſehr geſchickt auszubeuten;
er wußte aus ſeiner parlamentariſchen Erfahrung, wie viel die Frechheit
über die Menſchen vermag. Seine Geſandten traten mit einer Zuverſicht
auf, als ob ſich Hannover durch ſeinen Staatsſtreich beſondere Anſprüche
auf Dank und Dienſt aller Kronen erworben hätte. Als Beſeler’s Schrift
erſchienen war, ſendete Ernſt Auguſt den Prinzen Solms nach Schwerin
um die Beſtrafung des Verfaſſers zu verlangen; der gutherzige Groß-
herzog Paul Friedrich ordnete auch eine Unterſuchung an, er berief aber
in die Commiſſion drei verſtändige Männer, die natürlich erklärten, daß
keine ſtrafwürdige Handlung vorliege. Sobald er hörte, daß einige der
Sieben in Leipzig Vorleſungen halten wollten, verbot Ernſt Auguſt ſeinen
Unterthanen ſofort den Beſuch der Leipziger Univerſität, worauf ſich denn
herausſtellte, daß nur ein einziger Hannoveraner an der Pleiße ſtudirte.
Wo immer ein Buch zu Gunſten der Sieben oder des Staatsgrund-
geſetzes erſchien, erhoben die welfiſchen Diplomaten alsbald Beſchwerde;
der Geſandte General v. Berger in Berlin, ein alter Herr, der ſich ſogar
unter ihnen durch Beſchränktheit auszeichnete, fand es immer wieder un-
begreiflich, wie die Cenſur ſolchen Produkten „das Ultimatum ertheilen
könne“! **)
Ganz ohne Erfolg blieben dieſe Einſchüchterungsverſuche nicht; Dahl-
mann und Jakob Grimm mußten ihre Rechtfertigungsſchriften, zur Schande
*) Canitz’s Bericht, 27. Nov. 1837.
**) Berger’s Bericht, 29. Sept. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/677>, abgerufen am 24.11.2024.
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