Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 9. Der welfische Staatsstreich. würdig und vornehm, und nirgends verleugnete sich die gemäßigte Gesin-nung des Monarchisten: "Ich kämpfe für den unsterblichen König, für den gesetzmäßigen Willen der Regierung, wenn ich mit den Waffen des Ge- setzes das bekämpfe, was in der Verleitung des Augenblicks der sterbliche König im Widerspruch mit den bestehenden Gesetzen beginnt... Ich traue nicht dem Muth des Liebeleeren und nicht der Liebe des Muthlosen. Hier gilt es Deutschland. Kann eine Landesverfassung vor den Augen des Bundes wie ein Spielzeug zerbrochen werden, eine Verfassung, von der es unmöglich ist zu leugnen, daß sie in anerkannter Wirksamkeit bestanden hat, dann ist über Deutschlands nächste Zukunft entschieden, aber auch über die Zukunft, die dieser folgen wird." Wie Dahlmann die politische, so zeigte Jakob Grimm die menschliche Niedertracht des Staatsstreichs in einem Schriftchen, das mit den Worten der Nibelungen anhob: "war sint die eide komen?" Albrecht beleuchtete die Rechtsfrage in einer scharfsinnigen Erörterung, die um so stärker wirken mußte, weil der große Jurist nie ver- hehlte, daß er die landläufigen liberalen Lehren vom sogenannten Wider- standsrechte für eitle Zirkelschlüsse hielt. Auch Gervinus und Ewald sprachen sich freimüthig aus, und von allen Seiten her kam ihnen Beistand. Georg Beseler, der sich als Kampfgenosse wider die Dänen das Ver- Daß bis Hannover hin der Sang sich schwänge wundertönig Ans Ohr des Herzogs Cumberland, der jetzt Hannovers König. Versteht er auch des Deutschen Lied von deutscher Ehre schwerlich, Wird sich wohl Einer finden dort, ihm's zu verwälschen ehrlich. Ein Märchen "Anno 1937" schilderte, wie die Großmutter dem Enkel IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich. würdig und vornehm, und nirgends verleugnete ſich die gemäßigte Geſin-nung des Monarchiſten: „Ich kämpfe für den unſterblichen König, für den geſetzmäßigen Willen der Regierung, wenn ich mit den Waffen des Ge- ſetzes das bekämpfe, was in der Verleitung des Augenblicks der ſterbliche König im Widerſpruch mit den beſtehenden Geſetzen beginnt… Ich traue nicht dem Muth des Liebeleeren und nicht der Liebe des Muthloſen. Hier gilt es Deutſchland. Kann eine Landesverfaſſung vor den Augen des Bundes wie ein Spielzeug zerbrochen werden, eine Verfaſſung, von der es unmöglich iſt zu leugnen, daß ſie in anerkannter Wirkſamkeit beſtanden hat, dann iſt über Deutſchlands nächſte Zukunft entſchieden, aber auch über die Zukunft, die dieſer folgen wird.“ Wie Dahlmann die politiſche, ſo zeigte Jakob Grimm die menſchliche Niedertracht des Staatsſtreichs in einem Schriftchen, das mit den Worten der Nibelungen anhob: „war ſint die eide komen?“ Albrecht beleuchtete die Rechtsfrage in einer ſcharfſinnigen Erörterung, die um ſo ſtärker wirken mußte, weil der große Juriſt nie ver- hehlte, daß er die landläufigen liberalen Lehren vom ſogenannten Wider- ſtandsrechte für eitle Zirkelſchlüſſe hielt. Auch Gervinus und Ewald ſprachen ſich freimüthig aus, und von allen Seiten her kam ihnen Beiſtand. Georg Beſeler, der ſich als Kampfgenoſſe wider die Dänen das Ver- Daß bis Hannover hin der Sang ſich ſchwänge wundertönig Ans Ohr des Herzogs Cumberland, der jetzt Hannovers König. Verſteht er auch des Deutſchen Lied von deutſcher Ehre ſchwerlich, Wird ſich wohl Einer finden dort, ihm’s zu verwälſchen ehrlich. Ein Märchen „Anno 1937“ ſchilderte, wie die Großmutter dem Enkel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0676" n="662"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 9. Der welfiſche Staatsſtreich.</fw><lb/> würdig und vornehm, und nirgends verleugnete ſich die gemäßigte Geſin-<lb/> nung des Monarchiſten: „Ich kämpfe für den unſterblichen König, für den<lb/> geſetzmäßigen Willen der Regierung, wenn ich mit den Waffen des Ge-<lb/> ſetzes das bekämpfe, was in der Verleitung des Augenblicks der ſterbliche<lb/> König im Widerſpruch mit den beſtehenden Geſetzen beginnt… Ich traue<lb/> nicht dem Muth des Liebeleeren und nicht der Liebe des Muthloſen. 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IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich.
würdig und vornehm, und nirgends verleugnete ſich die gemäßigte Geſin-
nung des Monarchiſten: „Ich kämpfe für den unſterblichen König, für den
geſetzmäßigen Willen der Regierung, wenn ich mit den Waffen des Ge-
ſetzes das bekämpfe, was in der Verleitung des Augenblicks der ſterbliche
König im Widerſpruch mit den beſtehenden Geſetzen beginnt… Ich traue
nicht dem Muth des Liebeleeren und nicht der Liebe des Muthloſen. Hier
gilt es Deutſchland. Kann eine Landesverfaſſung vor den Augen des
Bundes wie ein Spielzeug zerbrochen werden, eine Verfaſſung, von der es
unmöglich iſt zu leugnen, daß ſie in anerkannter Wirkſamkeit beſtanden
hat, dann iſt über Deutſchlands nächſte Zukunft entſchieden, aber auch
über die Zukunft, die dieſer folgen wird.“ Wie Dahlmann die politiſche,
ſo zeigte Jakob Grimm die menſchliche Niedertracht des Staatsſtreichs in
einem Schriftchen, das mit den Worten der Nibelungen anhob: „war ſint
die eide komen?“ Albrecht beleuchtete die Rechtsfrage in einer ſcharfſinnigen
Erörterung, die um ſo ſtärker wirken mußte, weil der große Juriſt nie ver-
hehlte, daß er die landläufigen liberalen Lehren vom ſogenannten Wider-
ſtandsrechte für eitle Zirkelſchlüſſe hielt. Auch Gervinus und Ewald ſprachen
ſich freimüthig aus, und von allen Seiten her kam ihnen Beiſtand.
Georg Beſeler, der ſich als Kampfgenoſſe wider die Dänen das Ver-
trauen Dahlmann’s erworben hatte und jetzt an der Roſtocker Hochſchule
lehrte, rechtfertigte die Sieben in volksthümlichen Briefen. Anaſtaſius Grün
richtete an Jakob Grimm ein begeiſtertes Gedicht und wünſchte,
Daß bis Hannover hin der Sang ſich ſchwänge wundertönig
Ans Ohr des Herzogs Cumberland, der jetzt Hannovers König.
Verſteht er auch des Deutſchen Lied von deutſcher Ehre ſchwerlich,
Wird ſich wohl Einer finden dort, ihm’s zu verwälſchen ehrlich.
Ein Märchen „Anno 1937“ ſchilderte, wie die Großmutter dem Enkel
von dem böſen König, dem zerriſſenen Freiheitsbriefe, den Sieben und
den Dreien erzählte, und der Bube verwundert antwortete: „das kann
unmöglich möglich ſein!“ Ueberall hatten die Vertriebenen Mühe, ſich
den Huldigungen und Zuſchriften zu entziehen. Die Bewegung ergriff
alle deutſchen Gaue, bis zu den fernen Grenzmarken. Die Kieler über-
ſchickten an Dahlmann, den alten Vorkämpfer des Holſtenrechts eine Dank-
adreſſe; die Elbinger Bürger ſprachen ihrem Landsmann Albrecht ihre
Zuſtimmung aus, und die Königsberger philoſophiſche Facultät ſendete ihm
ein von Lobeck verfaßtes Doctor-Diplom. Ein Hamburger Rheder ließ in
Cuxhaven ein auf Dahlmann’s Namen getauftes Schiff vom Stapel laufen.
An den Fenſtern der Spielwaarenläden ſah man den Witzenhauſener Ab-
ſchied in Bleifiguren dargeſtellt, auf den Jahrmärkten wurden Pfeifen-
köpfe mit dem Bilde der Sieben feilgeboten. Und es blieb nicht bei den
Worten und Bildern. Zum erſten male ſeit dem Befreiungskriege ver-
anſtalteten die Deutſchen wieder eine Geldſammlung für ihre eigenen poli-
tiſchen Zwecke; in den letzten zwanzig Jahren hatten ſie nur zu Gunſten
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