Bonner Arzt Windischmann und mehrere deutsche Theologen beauftragt, ihre Gutachten dem heiligen Stuhle einzureichen.*)
Graf Reisach in Rom und der Jesuit Perrone erstatteten den Schluß- bericht, und im September 1835, bald nach Spiegel's Ableben, wurden die Hauptsätze der Hermesianer durch ein scharfes, von Gregor XVI. selbst verfaßtes päpstliches Breve als der Ketzerei verdächtig (haeresin sapientes) verdammt. Der König von Preußen trug Bedenken seine landesherrliche Genehmigung zu ertheilen. Aber in diesem Zeitalter der Oeffentlichkeit hatte das Schwert des placet längst keine Schneide mehr. Die Verord- nung des Papstes erschien in der Aschaffenburger Kirchenzeitung, Freund und Feind mußten mit der vollendeten Thatsache rechnen. Groß war der Schrecken unter den gemäßigten Clerikern. Bischof Bausch in Limburg richtete an den Bonner Braun, der mit seinem Amtsgenossen Achterfeldt für das Haupt der Hermesianer galt, einen wehmüthigen Trostbrief und be- theuerte, daß in seiner Diöcese Hermes' Schüler "sich durchaus kirchlich und katholisch benehmen, sich durch einen gesitteten Lebenswandel auszeichnen und empfehlen." Noch heftiger klagte der Wiener Theolog Pabst über dies Urtheil, das "unsere nahe wissenschaftliche Uebermacht über den Protestan- tismus" vernichte, "den respectabelsten Theil der katholischen Geistlichen Deutschlands" mit schwerem Kummer treffe.**) Metternich aber ermahnte den Papst inständig, gegen die Hermesianer fest zu bleiben.***) Um dem Papste die Unschuld des verstorbenen Meisters zu erweisen, ging Braun mit seinem Freunde Elvenich selbst nach Rom; dort wurden die Beiden an den Jesuitengeneral verwiesen und, wie vorauszusehen, unverrichteter Dinge heimgeschickt. So mächtig war schon der Drang nach unbedingter Einheit in der erstarkenden römischen Kirche, so schwach die sittliche Kraft einer wohlmeinenden Gelehrtenschule, welche das Unversöhnliche versöhnen wollte: nach kurzer Frist unterwarfen sich die Hermesianer allesammt, mit der einzigen Ausnahme von Braun und Achterfeldt. Ein Wort des Pon- tifex genügte, um den Lehrer, der so lange im deutschen Westen für eine Säule der Kirche gegolten hatte, aus der Heerde der Gläubigen hinaus- zuweisen.
Daß die Krone sich in diesen rein dogmatischen Streit nicht ein- mischen durfte, war dem Cultusminister von Haus aus unzweifelhaft. Wohl sprach er aus, in solchen Händeln entlade sich nur der alte Haß, welchen der römische Stuhl seit Luther's Tagen gegen die deutschen Universitäten hege; sein Wunsch ging aber nur dahin, daß der Kampf mit Ruhe geführt werde und womöglich "sich in sich selbst verblute", denn "theologisch wahr
*) Dies Alles ergab sich aus den Nachforschungen, welche Schmedding bei den Bonner Professoren anstellen ließ. (Altenstein an Rehfues, 3. Juni 1836; Schmedding an Rehfues, 11. Febr., Rehfues' Bericht, 21. Febr. 1837).
**) Bischof Bausch an Braun, 10. Nov.; Dr. Pabst an Braun, 9. Oct. 1835.
***) Metternich, Weisung an Lützow, 10. Juni 1837.
Der hermeſianiſche Streit.
Bonner Arzt Windiſchmann und mehrere deutſche Theologen beauftragt, ihre Gutachten dem heiligen Stuhle einzureichen.*)
Graf Reiſach in Rom und der Jeſuit Perrone erſtatteten den Schluß- bericht, und im September 1835, bald nach Spiegel’s Ableben, wurden die Hauptſätze der Hermeſianer durch ein ſcharfes, von Gregor XVI. ſelbſt verfaßtes päpſtliches Breve als der Ketzerei verdächtig (haeresin sapientes) verdammt. Der König von Preußen trug Bedenken ſeine landesherrliche Genehmigung zu ertheilen. Aber in dieſem Zeitalter der Oeffentlichkeit hatte das Schwert des placet längſt keine Schneide mehr. Die Verord- nung des Papſtes erſchien in der Aſchaffenburger Kirchenzeitung, Freund und Feind mußten mit der vollendeten Thatſache rechnen. Groß war der Schrecken unter den gemäßigten Clerikern. Biſchof Bauſch in Limburg richtete an den Bonner Braun, der mit ſeinem Amtsgenoſſen Achterfeldt für das Haupt der Hermeſianer galt, einen wehmüthigen Troſtbrief und be- theuerte, daß in ſeiner Diöceſe Hermes’ Schüler „ſich durchaus kirchlich und katholiſch benehmen, ſich durch einen geſitteten Lebenswandel auszeichnen und empfehlen.“ Noch heftiger klagte der Wiener Theolog Pabſt über dies Urtheil, das „unſere nahe wiſſenſchaftliche Uebermacht über den Proteſtan- tismus“ vernichte, „den reſpectabelſten Theil der katholiſchen Geiſtlichen Deutſchlands“ mit ſchwerem Kummer treffe.**) Metternich aber ermahnte den Papſt inſtändig, gegen die Hermeſianer feſt zu bleiben.***) Um dem Papſte die Unſchuld des verſtorbenen Meiſters zu erweiſen, ging Braun mit ſeinem Freunde Elvenich ſelbſt nach Rom; dort wurden die Beiden an den Jeſuitengeneral verwieſen und, wie vorauszuſehen, unverrichteter Dinge heimgeſchickt. So mächtig war ſchon der Drang nach unbedingter Einheit in der erſtarkenden römiſchen Kirche, ſo ſchwach die ſittliche Kraft einer wohlmeinenden Gelehrtenſchule, welche das Unverſöhnliche verſöhnen wollte: nach kurzer Friſt unterwarfen ſich die Hermeſianer alleſammt, mit der einzigen Ausnahme von Braun und Achterfeldt. Ein Wort des Pon- tifex genügte, um den Lehrer, der ſo lange im deutſchen Weſten für eine Säule der Kirche gegolten hatte, aus der Heerde der Gläubigen hinaus- zuweiſen.
Daß die Krone ſich in dieſen rein dogmatiſchen Streit nicht ein- miſchen durfte, war dem Cultusminiſter von Haus aus unzweifelhaft. Wohl ſprach er aus, in ſolchen Händeln entlade ſich nur der alte Haß, welchen der römiſche Stuhl ſeit Luther’s Tagen gegen die deutſchen Univerſitäten hege; ſein Wunſch ging aber nur dahin, daß der Kampf mit Ruhe geführt werde und womöglich „ſich in ſich ſelbſt verblute“, denn „theologiſch wahr
*) Dies Alles ergab ſich aus den Nachforſchungen, welche Schmedding bei den Bonner Profeſſoren anſtellen ließ. (Altenſtein an Rehfues, 3. Juni 1836; Schmedding an Rehfues, 11. Febr., Rehfues’ Bericht, 21. Febr. 1837).
**) Biſchof Bauſch an Braun, 10. Nov.; Dr. Pabſt an Braun, 9. Oct. 1835.
***) Metternich, Weiſung an Lützow, 10. Juni 1837.
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Der hermeſianiſche Streit.
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ihre Gutachten dem heiligen Stuhle einzureichen. *)
Graf Reiſach in Rom und der Jeſuit Perrone erſtatteten den Schluß-
bericht, und im September 1835, bald nach Spiegel’s Ableben, wurden
die Hauptſätze der Hermeſianer durch ein ſcharfes, von Gregor XVI. ſelbſt
verfaßtes päpſtliches Breve als der Ketzerei verdächtig (haeresin sapientes)
verdammt. Der König von Preußen trug Bedenken ſeine landesherrliche
Genehmigung zu ertheilen. Aber in dieſem Zeitalter der Oeffentlichkeit
hatte das Schwert des placet längſt keine Schneide mehr. Die Verord-
nung des Papſtes erſchien in der Aſchaffenburger Kirchenzeitung, Freund
und Feind mußten mit der vollendeten Thatſache rechnen. Groß war der
Schrecken unter den gemäßigten Clerikern. Biſchof Bauſch in Limburg
richtete an den Bonner Braun, der mit ſeinem Amtsgenoſſen Achterfeldt
für das Haupt der Hermeſianer galt, einen wehmüthigen Troſtbrief und be-
theuerte, daß in ſeiner Diöceſe Hermes’ Schüler „ſich durchaus kirchlich
und katholiſch benehmen, ſich durch einen geſitteten Lebenswandel auszeichnen
und empfehlen.“ Noch heftiger klagte der Wiener Theolog Pabſt über dies
Urtheil, das „unſere nahe wiſſenſchaftliche Uebermacht über den Proteſtan-
tismus“ vernichte, „den reſpectabelſten Theil der katholiſchen Geiſtlichen
Deutſchlands“ mit ſchwerem Kummer treffe. **) Metternich aber ermahnte
den Papſt inſtändig, gegen die Hermeſianer feſt zu bleiben. ***) Um dem
Papſte die Unſchuld des verſtorbenen Meiſters zu erweiſen, ging Braun
mit ſeinem Freunde Elvenich ſelbſt nach Rom; dort wurden die Beiden
an den Jeſuitengeneral verwieſen und, wie vorauszuſehen, unverrichteter
Dinge heimgeſchickt. So mächtig war ſchon der Drang nach unbedingter
Einheit in der erſtarkenden römiſchen Kirche, ſo ſchwach die ſittliche Kraft
einer wohlmeinenden Gelehrtenſchule, welche das Unverſöhnliche verſöhnen
wollte: nach kurzer Friſt unterwarfen ſich die Hermeſianer alleſammt, mit
der einzigen Ausnahme von Braun und Achterfeldt. Ein Wort des Pon-
tifex genügte, um den Lehrer, der ſo lange im deutſchen Weſten für eine
Säule der Kirche gegolten hatte, aus der Heerde der Gläubigen hinaus-
zuweiſen.
Daß die Krone ſich in dieſen rein dogmatiſchen Streit nicht ein-
miſchen durfte, war dem Cultusminiſter von Haus aus unzweifelhaft. Wohl
ſprach er aus, in ſolchen Händeln entlade ſich nur der alte Haß, welchen
der römiſche Stuhl ſeit Luther’s Tagen gegen die deutſchen Univerſitäten
hege; ſein Wunſch ging aber nur dahin, daß der Kampf mit Ruhe geführt
werde und womöglich „ſich in ſich ſelbſt verblute“, denn „theologiſch wahr
*) Dies Alles ergab ſich aus den Nachforſchungen, welche Schmedding bei den
Bonner Profeſſoren anſtellen ließ. (Altenſtein an Rehfues, 3. Juni 1836; Schmedding
an Rehfues, 11. Febr., Rehfues’ Bericht, 21. Febr. 1837).
**) Biſchof Bauſch an Braun, 10. Nov.; Dr. Pabſt an Braun, 9. Oct. 1835.
***) Metternich, Weiſung an Lützow, 10. Juni 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/707>, abgerufen am 24.11.2024.
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