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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Kirchenpolitische Gesetzentwürfe.
k. Maj. erhabener Leitung vorbehalten ist." Friedrich Wilhelm schrieb an
den Rand: "d. h. mit der gehörigen Vorsicht und ohne gewisse Grenzen zu
überschreiten;" im Uebrigen dankte er ihnen für ihren "höchst lobenswerthen
Freimuth".*) Er ahnte dunkel, daß die Dinge leider so einfach nicht
lagen, daß die Staatsgewalt wirklich nicht für das Licht kämpfte, wenn sie
katholische Väter schlechterdings hindern wollte, ihre Kinder evangelisch zu
erziehen. Jenen strengen Territorialisten traten andere namhafte Beamte
gegenüber, so Geh. Rath Göschel, der hochconservative Hegelianer, und
der halbclericale Schmedding. Ueber Schmedding's eigentliche Meinung
ließ sich schwer ins Klare kommen. Die rheinischen Ultramontanen trau-
ten ihm keineswegs; Kaplan Michelis sagte in einem jener aufgefundenen
vertrauten Briefe: "er war von jeher unter dem Scheine eines guten
Katholiken die Pest für unsere Kirchenfreiheit". Doch mit der Behand-
lung der beiden Erzbischöfe war er durchaus nicht einverstanden; er fand
die Verhaftung Dunin's ebenso ungerechtfertigt, wie die Absetzung, und
wünschte an den Berathungen über die Ausführung des Posener Straf-
Erkenntnisses nicht theilzunehmen. Durch Gelegenheitsgesetze einem augen-
blicklichen Nothstande abzuhelfen, hielt er für verkehrt: "Schwerlich dürften
eigentliche Gesetze aus der reinen hohen Atmosphäre, der die Gesetz-
gebung angehört, in den tieferen Dunstkreis hinabzuziehen und als Streit-
waffe zu gebrauchen sein."**)

Da die Meinungen unter den Beamten so weit auseinandergingen
und Altenstein keinen durchschlagenden Entschluß fand, so wurde der
König immer unsicherer und verschob die Unterzeichnung der sechs Gesetze.
Um sich genau zu unterrichten, ließ er bei den befreundeten deutschen
Höfen Erkundigungen über ihre Kirchenpolitik einziehen. Diese wohlge-
meinten Anfragen sollten für Preußen auf lange hinaus verhängnißvoll
werden. König Wilhelm von Württemberg, der als Voltairianer diesen
leidigen Pfaffenstreit gern aus der Welt geschafft hätte, ging auf die Fragen
des preußischen Gesandten v. Rochow eifrig ein und sagte ihm: "Mit einer
Macht wie diejenige des Papstes, die so viel heimliche Alliirte hat, ist bös
anzubinden; jeder katholische Einwohner ist mehr oder weniger ein Agent
dieser fremden Macht;" darum müsse vor Allem das Mißtrauen des katho-
lischen Volks gegen die evangelische Dynastie überwunden werden; dies
sei nur möglich, wenn man, wie in Württemberg und Baden, die Auf-
sicht über die römische Kirche einem besonderen Kirchenrathe anvertraue,
der ausschließlich aus katholischen Mitgliedern bestehe. Sein erfahrener
Minister Schlayer stimmte ihm lebhaft bei. Der kluge Württemberger
hatte ganz Recht, wenn er dem Preußen sagte: in Süddeutschland kennt

*) Denkschrift der sechs Oberpräsidenten vom 26. Nov. 1838.
**) Schmedding's Denkschriften, 2. März, 25. April; Schmedding an Altenstein,
20. Juli 1839.

Kirchenpolitiſche Geſetzentwürfe.
k. Maj. erhabener Leitung vorbehalten iſt.“ Friedrich Wilhelm ſchrieb an
den Rand: „d. h. mit der gehörigen Vorſicht und ohne gewiſſe Grenzen zu
überſchreiten;“ im Uebrigen dankte er ihnen für ihren „höchſt lobenswerthen
Freimuth“.*) Er ahnte dunkel, daß die Dinge leider ſo einfach nicht
lagen, daß die Staatsgewalt wirklich nicht für das Licht kämpfte, wenn ſie
katholiſche Väter ſchlechterdings hindern wollte, ihre Kinder evangeliſch zu
erziehen. Jenen ſtrengen Territorialiſten traten andere namhafte Beamte
gegenüber, ſo Geh. Rath Göſchel, der hochconſervative Hegelianer, und
der halbclericale Schmedding. Ueber Schmedding’s eigentliche Meinung
ließ ſich ſchwer ins Klare kommen. Die rheiniſchen Ultramontanen trau-
ten ihm keineswegs; Kaplan Michelis ſagte in einem jener aufgefundenen
vertrauten Briefe: „er war von jeher unter dem Scheine eines guten
Katholiken die Peſt für unſere Kirchenfreiheit“. Doch mit der Behand-
lung der beiden Erzbiſchöfe war er durchaus nicht einverſtanden; er fand
die Verhaftung Dunin’s ebenſo ungerechtfertigt, wie die Abſetzung, und
wünſchte an den Berathungen über die Ausführung des Poſener Straf-
Erkenntniſſes nicht theilzunehmen. Durch Gelegenheitsgeſetze einem augen-
blicklichen Nothſtande abzuhelfen, hielt er für verkehrt: „Schwerlich dürften
eigentliche Geſetze aus der reinen hohen Atmoſphäre, der die Geſetz-
gebung angehört, in den tieferen Dunſtkreis hinabzuziehen und als Streit-
waffe zu gebrauchen ſein.“**)

Da die Meinungen unter den Beamten ſo weit auseinandergingen
und Altenſtein keinen durchſchlagenden Entſchluß fand, ſo wurde der
König immer unſicherer und verſchob die Unterzeichnung der ſechs Geſetze.
Um ſich genau zu unterrichten, ließ er bei den befreundeten deutſchen
Höfen Erkundigungen über ihre Kirchenpolitik einziehen. Dieſe wohlge-
meinten Anfragen ſollten für Preußen auf lange hinaus verhängnißvoll
werden. König Wilhelm von Württemberg, der als Voltairianer dieſen
leidigen Pfaffenſtreit gern aus der Welt geſchafft hätte, ging auf die Fragen
des preußiſchen Geſandten v. Rochow eifrig ein und ſagte ihm: „Mit einer
Macht wie diejenige des Papſtes, die ſo viel heimliche Alliirte hat, iſt bös
anzubinden; jeder katholiſche Einwohner iſt mehr oder weniger ein Agent
dieſer fremden Macht;“ darum müſſe vor Allem das Mißtrauen des katho-
liſchen Volks gegen die evangeliſche Dynaſtie überwunden werden; dies
ſei nur möglich, wenn man, wie in Württemberg und Baden, die Auf-
ſicht über die römiſche Kirche einem beſonderen Kirchenrathe anvertraue,
der ausſchließlich aus katholiſchen Mitgliedern beſtehe. Sein erfahrener
Miniſter Schlayer ſtimmte ihm lebhaft bei. Der kluge Württemberger
hatte ganz Recht, wenn er dem Preußen ſagte: in Süddeutſchland kennt

*) Denkſchrift der ſechs Oberpräſidenten vom 26. Nov. 1838.
**) Schmedding’s Denkſchriften, 2. März, 25. April; Schmedding an Altenſtein,
20. Juli 1839.
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[713/0727] Kirchenpolitiſche Geſetzentwürfe. k. Maj. erhabener Leitung vorbehalten iſt.“ Friedrich Wilhelm ſchrieb an den Rand: „d. h. mit der gehörigen Vorſicht und ohne gewiſſe Grenzen zu überſchreiten;“ im Uebrigen dankte er ihnen für ihren „höchſt lobenswerthen Freimuth“. *) Er ahnte dunkel, daß die Dinge leider ſo einfach nicht lagen, daß die Staatsgewalt wirklich nicht für das Licht kämpfte, wenn ſie katholiſche Väter ſchlechterdings hindern wollte, ihre Kinder evangeliſch zu erziehen. Jenen ſtrengen Territorialiſten traten andere namhafte Beamte gegenüber, ſo Geh. Rath Göſchel, der hochconſervative Hegelianer, und der halbclericale Schmedding. Ueber Schmedding’s eigentliche Meinung ließ ſich ſchwer ins Klare kommen. Die rheiniſchen Ultramontanen trau- ten ihm keineswegs; Kaplan Michelis ſagte in einem jener aufgefundenen vertrauten Briefe: „er war von jeher unter dem Scheine eines guten Katholiken die Peſt für unſere Kirchenfreiheit“. Doch mit der Behand- lung der beiden Erzbiſchöfe war er durchaus nicht einverſtanden; er fand die Verhaftung Dunin’s ebenſo ungerechtfertigt, wie die Abſetzung, und wünſchte an den Berathungen über die Ausführung des Poſener Straf- Erkenntniſſes nicht theilzunehmen. Durch Gelegenheitsgeſetze einem augen- blicklichen Nothſtande abzuhelfen, hielt er für verkehrt: „Schwerlich dürften eigentliche Geſetze aus der reinen hohen Atmoſphäre, der die Geſetz- gebung angehört, in den tieferen Dunſtkreis hinabzuziehen und als Streit- waffe zu gebrauchen ſein.“ **) Da die Meinungen unter den Beamten ſo weit auseinandergingen und Altenſtein keinen durchſchlagenden Entſchluß fand, ſo wurde der König immer unſicherer und verſchob die Unterzeichnung der ſechs Geſetze. Um ſich genau zu unterrichten, ließ er bei den befreundeten deutſchen Höfen Erkundigungen über ihre Kirchenpolitik einziehen. Dieſe wohlge- meinten Anfragen ſollten für Preußen auf lange hinaus verhängnißvoll werden. König Wilhelm von Württemberg, der als Voltairianer dieſen leidigen Pfaffenſtreit gern aus der Welt geſchafft hätte, ging auf die Fragen des preußiſchen Geſandten v. Rochow eifrig ein und ſagte ihm: „Mit einer Macht wie diejenige des Papſtes, die ſo viel heimliche Alliirte hat, iſt bös anzubinden; jeder katholiſche Einwohner iſt mehr oder weniger ein Agent dieſer fremden Macht;“ darum müſſe vor Allem das Mißtrauen des katho- liſchen Volks gegen die evangeliſche Dynaſtie überwunden werden; dies ſei nur möglich, wenn man, wie in Württemberg und Baden, die Auf- ſicht über die römiſche Kirche einem beſonderen Kirchenrathe anvertraue, der ausſchließlich aus katholiſchen Mitgliedern beſtehe. Sein erfahrener Miniſter Schlayer ſtimmte ihm lebhaft bei. Der kluge Württemberger hatte ganz Recht, wenn er dem Preußen ſagte: in Süddeutſchland kennt *) Denkſchrift der ſechs Oberpräſidenten vom 26. Nov. 1838. **) Schmedding’s Denkſchriften, 2. März, 25. April; Schmedding an Altenſtein, 20. Juli 1839.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/727>, abgerufen am 24.11.2024.