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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.
man Rom besser als bei Euch.*) Doch leider kannte er selber die preußi-
schen Zustände nicht. Das rein politische Recht der Kirchenhoheit in die
Hände einer confessionellen Behörde zu legen, war an sich ein falscher Ge-
danke, und wenn eine solche übermäßige Nachgiebigkeit in den kleinen Ver-
hältnissen süddeutscher Mittelstaaten vielleicht versöhnend wirken konnte,
so stand es in Preußen doch ganz anders. Wer konnte verhindern, daß
der polnische, der rheinische, der westphälische Adel sich an den Berliner
Kirchenrath herandrängten und die unparteiische Macht der staatlichen
Kirchenhoheit völlig verfälschten? König Friedrich Wilhelm aber fand die
Rathschläge des schwäbischen Königs, weil sie so gerecht und unbefangen
schienen, höchst beachtenswerth; er empfahl sie seinen Ministern, und schon
im Frühjahr 1839 stand der Entschluß fest, eine katholische Abtheilung
im Cultusministerium zu bilden. Die Leitung sollte, zu Schmedding's
Verzweiflung, der Unterstaatssecretär Düesberg, ein katholischer Westphale,
erhalten.

Währenddem bemühte sich der König eifrig, die anderen evangelischen
Fürsten Deutschlands zu einem gemeinsamen Vorgehen in Rom zu be-
wegen. Dies war es, was die Curie am meisten fürchtete. Sie wünschte
vor Allem, den preußischen Staat zu vereinzeln. Der fähigste ihrer deut-
schen Parteigänger, Bischof Reisach in Eichstätt, schrieb schon im Januar
1838 vertraulich an seinen Freund Geissel in Speier: es ist ein Wende-
punkt für die Kirche in Deutschland eingetreten und darum dringend nöthig,
andere Regierungen nicht mit in den preußischen Krieg hereinzuziehen. In
der That verhielt sich der Clerus in den kleinen Staaten ganz still und
befolgte unbedenklich dieselben Gesetze, die er in Preußen als tyrannisch
bekämpfte. Wer durfte also den Schwachen zumuthen, daß sie sich ohne
Noth Verlegenheiten bereiteten um dem Starken zu helfen? Die große
Mehrzahl der evangelischen Fürsten war mit dem Verfahren des Berliner
Hofes einverstanden; der Großherzog von Baden dankte dem preußischen
Gesandten aufs Wärmste im Namen der politischen Ordnung und der
evangelischen Kirche.**) Aber an irgend eine Beihilfe dachte Niemand.
Selbst König Ernst August, der gerade jetzt das Wohlwollen seines Schwa-
gers am wenigsten entbehren konnte, befahl seinem Minister: "Ich bin
Willens, alle möglichen Mittheilungen und Erklärungen an den preußi-
schen Hof zu geben, aber mit dieser Bedingung, daß sie blos als private
Mittheilungen sollen angesehen werden und nicht öffentlich bekannt oder
publicirt sollen sein." Und auf eine erneute Anfrage von Canitz erwiderte
Schele: die größte Vorsicht sei nöthig, damit nicht in den Staaten, welche
bisher des kirchlichen Friedens genossen hätten, eine Spannung der Ge-
müther entstehe.***)

*) Rochow's Berichte, Stuttgart, 27. April, 18. Nov., 6. Dec. 1839.
**) Otterstedt's Bericht, 2. Jan. 1838.
***) Schele an Canitz, 18. April 1838, 8. Jan. 1839.

IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
man Rom beſſer als bei Euch.*) Doch leider kannte er ſelber die preußi-
ſchen Zuſtände nicht. Das rein politiſche Recht der Kirchenhoheit in die
Hände einer confeſſionellen Behörde zu legen, war an ſich ein falſcher Ge-
danke, und wenn eine ſolche übermäßige Nachgiebigkeit in den kleinen Ver-
hältniſſen ſüddeutſcher Mittelſtaaten vielleicht verſöhnend wirken konnte,
ſo ſtand es in Preußen doch ganz anders. Wer konnte verhindern, daß
der polniſche, der rheiniſche, der weſtphäliſche Adel ſich an den Berliner
Kirchenrath herandrängten und die unparteiiſche Macht der ſtaatlichen
Kirchenhoheit völlig verfälſchten? König Friedrich Wilhelm aber fand die
Rathſchläge des ſchwäbiſchen Königs, weil ſie ſo gerecht und unbefangen
ſchienen, höchſt beachtenswerth; er empfahl ſie ſeinen Miniſtern, und ſchon
im Frühjahr 1839 ſtand der Entſchluß feſt, eine katholiſche Abtheilung
im Cultusminiſterium zu bilden. Die Leitung ſollte, zu Schmedding’s
Verzweiflung, der Unterſtaatsſecretär Düesberg, ein katholiſcher Weſtphale,
erhalten.

Währenddem bemühte ſich der König eifrig, die anderen evangeliſchen
Fürſten Deutſchlands zu einem gemeinſamen Vorgehen in Rom zu be-
wegen. Dies war es, was die Curie am meiſten fürchtete. Sie wünſchte
vor Allem, den preußiſchen Staat zu vereinzeln. Der fähigſte ihrer deut-
ſchen Parteigänger, Biſchof Reiſach in Eichſtätt, ſchrieb ſchon im Januar
1838 vertraulich an ſeinen Freund Geiſſel in Speier: es iſt ein Wende-
punkt für die Kirche in Deutſchland eingetreten und darum dringend nöthig,
andere Regierungen nicht mit in den preußiſchen Krieg hereinzuziehen. In
der That verhielt ſich der Clerus in den kleinen Staaten ganz ſtill und
befolgte unbedenklich dieſelben Geſetze, die er in Preußen als tyranniſch
bekämpfte. Wer durfte alſo den Schwachen zumuthen, daß ſie ſich ohne
Noth Verlegenheiten bereiteten um dem Starken zu helfen? Die große
Mehrzahl der evangeliſchen Fürſten war mit dem Verfahren des Berliner
Hofes einverſtanden; der Großherzog von Baden dankte dem preußiſchen
Geſandten aufs Wärmſte im Namen der politiſchen Ordnung und der
evangeliſchen Kirche.**) Aber an irgend eine Beihilfe dachte Niemand.
Selbſt König Ernſt Auguſt, der gerade jetzt das Wohlwollen ſeines Schwa-
gers am wenigſten entbehren konnte, befahl ſeinem Miniſter: „Ich bin
Willens, alle möglichen Mittheilungen und Erklärungen an den preußi-
ſchen Hof zu geben, aber mit dieſer Bedingung, daß ſie blos als private
Mittheilungen ſollen angeſehen werden und nicht öffentlich bekannt oder
publicirt ſollen ſein.“ Und auf eine erneute Anfrage von Canitz erwiderte
Schele: die größte Vorſicht ſei nöthig, damit nicht in den Staaten, welche
bisher des kirchlichen Friedens genoſſen hätten, eine Spannung der Ge-
müther entſtehe.***)

*) Rochow’s Berichte, Stuttgart, 27. April, 18. Nov., 6. Dec. 1839.
**) Otterſtedt’s Bericht, 2. Jan. 1838.
***) Schele an Canitz, 18. April 1838, 8. Jan. 1839.
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[714/0728] IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. man Rom beſſer als bei Euch. *) Doch leider kannte er ſelber die preußi- ſchen Zuſtände nicht. Das rein politiſche Recht der Kirchenhoheit in die Hände einer confeſſionellen Behörde zu legen, war an ſich ein falſcher Ge- danke, und wenn eine ſolche übermäßige Nachgiebigkeit in den kleinen Ver- hältniſſen ſüddeutſcher Mittelſtaaten vielleicht verſöhnend wirken konnte, ſo ſtand es in Preußen doch ganz anders. Wer konnte verhindern, daß der polniſche, der rheiniſche, der weſtphäliſche Adel ſich an den Berliner Kirchenrath herandrängten und die unparteiiſche Macht der ſtaatlichen Kirchenhoheit völlig verfälſchten? König Friedrich Wilhelm aber fand die Rathſchläge des ſchwäbiſchen Königs, weil ſie ſo gerecht und unbefangen ſchienen, höchſt beachtenswerth; er empfahl ſie ſeinen Miniſtern, und ſchon im Frühjahr 1839 ſtand der Entſchluß feſt, eine katholiſche Abtheilung im Cultusminiſterium zu bilden. Die Leitung ſollte, zu Schmedding’s Verzweiflung, der Unterſtaatsſecretär Düesberg, ein katholiſcher Weſtphale, erhalten. Währenddem bemühte ſich der König eifrig, die anderen evangeliſchen Fürſten Deutſchlands zu einem gemeinſamen Vorgehen in Rom zu be- wegen. Dies war es, was die Curie am meiſten fürchtete. Sie wünſchte vor Allem, den preußiſchen Staat zu vereinzeln. Der fähigſte ihrer deut- ſchen Parteigänger, Biſchof Reiſach in Eichſtätt, ſchrieb ſchon im Januar 1838 vertraulich an ſeinen Freund Geiſſel in Speier: es iſt ein Wende- punkt für die Kirche in Deutſchland eingetreten und darum dringend nöthig, andere Regierungen nicht mit in den preußiſchen Krieg hereinzuziehen. In der That verhielt ſich der Clerus in den kleinen Staaten ganz ſtill und befolgte unbedenklich dieſelben Geſetze, die er in Preußen als tyranniſch bekämpfte. Wer durfte alſo den Schwachen zumuthen, daß ſie ſich ohne Noth Verlegenheiten bereiteten um dem Starken zu helfen? Die große Mehrzahl der evangeliſchen Fürſten war mit dem Verfahren des Berliner Hofes einverſtanden; der Großherzog von Baden dankte dem preußiſchen Geſandten aufs Wärmſte im Namen der politiſchen Ordnung und der evangeliſchen Kirche. **) Aber an irgend eine Beihilfe dachte Niemand. Selbſt König Ernſt Auguſt, der gerade jetzt das Wohlwollen ſeines Schwa- gers am wenigſten entbehren konnte, befahl ſeinem Miniſter: „Ich bin Willens, alle möglichen Mittheilungen und Erklärungen an den preußi- ſchen Hof zu geben, aber mit dieſer Bedingung, daß ſie blos als private Mittheilungen ſollen angeſehen werden und nicht öffentlich bekannt oder publicirt ſollen ſein.“ Und auf eine erneute Anfrage von Canitz erwiderte Schele: die größte Vorſicht ſei nöthig, damit nicht in den Staaten, welche bisher des kirchlichen Friedens genoſſen hätten, eine Spannung der Ge- müther entſtehe. ***) *) Rochow’s Berichte, Stuttgart, 27. April, 18. Nov., 6. Dec. 1839. **) Otterſtedt’s Bericht, 2. Jan. 1838. ***) Schele an Canitz, 18. April 1838, 8. Jan. 1839.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/728>, abgerufen am 24.11.2024.