sich unterstehen dürfen, seinen König zur Beraubung des Hauses Oranien zu verleiten!
Durch alle diese Zettelungen wurde die Kriegsgefahr wieder näher gerückt. Czar Nikolaus knirschte vor Zorn, als er den Einmarsch der Franzosen erfuhr. Er ließ den deutschen Mächten feierlich versichern -- dies seine seine eigenen Worte --: augenblicklich werde sein Reich noch durch innere Verlegenheiten, durch den polnischen Krieg und die Cholera gehemmt; aber "wenn ihm auch nur ein einziges Regiment zur Verfügung bliebe, so würde er es senden um in den Reihen des österreichischen und preußischen Heeres zu kämpfen, damit im Angesichte Europas die unzer- trennliche Verbindung der drei Mächte des Festlandes sich bewähre."*) Als Rußland bald darauf durch den Fall von Warschau wieder freie Hand erhielt, schlug Metternich den Ostmächten vor, ihr altes Bündniß enger zu schließen, einen ständigen diplomatischen Ausschuß, ein centre d'entente zur Leitung der gemeinsamen Politik einzusetzen, da auf Eng- land doch nicht mehr zu rechnen sei.**) Der Plan gelangte jedoch nicht zur Reife. Das Friedensbedürfniß war überall zu stark; alle Mächte wünschten den leidigen belgischen Handel endlich aus der Welt zu schaffen.
Die Londoner Conferenz nahm ihre Versöhnungsversuche wieder auf, jetzt aber mit etwas veränderter Gesinnung. Die Kriegsthaten des hollän- dischen Heeres übten doch ihre Wirkung, Belgien war durch seine offen- barte Schwäche tief in der allgemeinen Achtung gesunken, die Ostmächte bestanden darauf, daß der unbeugsame Oranier nicht allzu hart behandelt würde.***) Am 14. October stellte die Conferenz in Vierundzwanzig Artikeln neue Friedenspräliminarien fest, welche für Holland günstiger lauteten als die Achtzehn Artikel: der Streit über die Grenzen sollte da- durch geschlichtet werden, daß Belgien einen Theil der Provinz Limburg abtrat und dafür die westliche Hälfte von Luxemburg eintauschte -- immer mit Vorbehalt der Rechte des Deutschen Bundes. Die Belgier murrten; ihr König aber sah weiter, er verkannte nicht, daß sein ungerüsteter Staat keinen Widerstand wagen durfte, und nahm die Vierundzwanzig Artikel an. König Wilhelm hingegen hatte aus den Erfolgen seines Heeres neuen Muth geschöpft und ließ in Berlin durch Prinz Albrecht von Preußen schroff erklären, "den schmachvollen Untergang Hollands" könne er nimmer- mehr genehmigen. Dabei blieb er, auch als die preußische Regierung ihm in einer ausführlichen Denkschrift vorhielt, daß Holland nach den Vier- undzwanzig Artikeln noch immer ein größeres Gebiet behalte als zu den Zeiten der Republik.+) Der kluge Coburger hatte also nochmals die großen
*) Nesselrode an Tatistschew, in Berlin überreicht 30. Aug. 1831.
**) Ancillon an Maltzahn, 23. Sept. 18. Oct., Nesselrode an Tatistschew, 7. Oct. 1831.
***) Nesselrode an Lieven, 17. Nov. 1831.
+) Witzleben an Ancillon, 22. Oct. Eichhorn's Denkschrift über die niederländische Frage, 25. Oct. 1831.
Die 24 Artikel der Londoner Conferenz.
ſich unterſtehen dürfen, ſeinen König zur Beraubung des Hauſes Oranien zu verleiten!
Durch alle dieſe Zettelungen wurde die Kriegsgefahr wieder näher gerückt. Czar Nikolaus knirſchte vor Zorn, als er den Einmarſch der Franzoſen erfuhr. Er ließ den deutſchen Mächten feierlich verſichern — dies ſeine ſeine eigenen Worte —: augenblicklich werde ſein Reich noch durch innere Verlegenheiten, durch den polniſchen Krieg und die Cholera gehemmt; aber „wenn ihm auch nur ein einziges Regiment zur Verfügung bliebe, ſo würde er es ſenden um in den Reihen des öſterreichiſchen und preußiſchen Heeres zu kämpfen, damit im Angeſichte Europas die unzer- trennliche Verbindung der drei Mächte des Feſtlandes ſich bewähre.“*) Als Rußland bald darauf durch den Fall von Warſchau wieder freie Hand erhielt, ſchlug Metternich den Oſtmächten vor, ihr altes Bündniß enger zu ſchließen, einen ſtändigen diplomatiſchen Ausſchuß, ein centre d’entente zur Leitung der gemeinſamen Politik einzuſetzen, da auf Eng- land doch nicht mehr zu rechnen ſei.**) Der Plan gelangte jedoch nicht zur Reife. Das Friedensbedürfniß war überall zu ſtark; alle Mächte wünſchten den leidigen belgiſchen Handel endlich aus der Welt zu ſchaffen.
Die Londoner Conferenz nahm ihre Verſöhnungsverſuche wieder auf, jetzt aber mit etwas veränderter Geſinnung. Die Kriegsthaten des hollän- diſchen Heeres übten doch ihre Wirkung, Belgien war durch ſeine offen- barte Schwäche tief in der allgemeinen Achtung geſunken, die Oſtmächte beſtanden darauf, daß der unbeugſame Oranier nicht allzu hart behandelt würde.***) Am 14. October ſtellte die Conferenz in Vierundzwanzig Artikeln neue Friedenspräliminarien feſt, welche für Holland günſtiger lauteten als die Achtzehn Artikel: der Streit über die Grenzen ſollte da- durch geſchlichtet werden, daß Belgien einen Theil der Provinz Limburg abtrat und dafür die weſtliche Hälfte von Luxemburg eintauſchte — immer mit Vorbehalt der Rechte des Deutſchen Bundes. Die Belgier murrten; ihr König aber ſah weiter, er verkannte nicht, daß ſein ungerüſteter Staat keinen Widerſtand wagen durfte, und nahm die Vierundzwanzig Artikel an. König Wilhelm hingegen hatte aus den Erfolgen ſeines Heeres neuen Muth geſchöpft und ließ in Berlin durch Prinz Albrecht von Preußen ſchroff erklären, „den ſchmachvollen Untergang Hollands“ könne er nimmer- mehr genehmigen. Dabei blieb er, auch als die preußiſche Regierung ihm in einer ausführlichen Denkſchrift vorhielt, daß Holland nach den Vier- undzwanzig Artikeln noch immer ein größeres Gebiet behalte als zu den Zeiten der Republik.†) Der kluge Coburger hatte alſo nochmals die großen
*) Neſſelrode an Tatiſtſchew, in Berlin überreicht 30. Aug. 1831.
**) Ancillon an Maltzahn, 23. Sept. 18. Oct., Neſſelrode an Tatiſtſchew, 7. Oct. 1831.
***) Neſſelrode an Lieven, 17. Nov. 1831.
†) Witzleben an Ancillon, 22. Oct. Eichhorn’s Denkſchrift über die niederländiſche Frage, 25. Oct. 1831.
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ſich unterſtehen dürfen, ſeinen König zur Beraubung des Hauſes Oranien
zu verleiten!
Durch alle dieſe Zettelungen wurde die Kriegsgefahr wieder näher
gerückt. Czar Nikolaus knirſchte vor Zorn, als er den Einmarſch der
Franzoſen erfuhr. Er ließ den deutſchen Mächten feierlich verſichern —
dies ſeine ſeine eigenen Worte —: augenblicklich werde ſein Reich noch
durch innere Verlegenheiten, durch den polniſchen Krieg und die Cholera
gehemmt; aber „wenn ihm auch nur ein einziges Regiment zur Verfügung
bliebe, ſo würde er es ſenden um in den Reihen des öſterreichiſchen und
preußiſchen Heeres zu kämpfen, damit im Angeſichte Europas die unzer-
trennliche Verbindung der drei Mächte des Feſtlandes ſich bewähre.“ *)
Als Rußland bald darauf durch den Fall von Warſchau wieder freie
Hand erhielt, ſchlug Metternich den Oſtmächten vor, ihr altes Bündniß
enger zu ſchließen, einen ſtändigen diplomatiſchen Ausſchuß, ein centre
d’entente zur Leitung der gemeinſamen Politik einzuſetzen, da auf Eng-
land doch nicht mehr zu rechnen ſei. **) Der Plan gelangte jedoch nicht
zur Reife. Das Friedensbedürfniß war überall zu ſtark; alle Mächte
wünſchten den leidigen belgiſchen Handel endlich aus der Welt zu ſchaffen.
Die Londoner Conferenz nahm ihre Verſöhnungsverſuche wieder auf,
jetzt aber mit etwas veränderter Geſinnung. Die Kriegsthaten des hollän-
diſchen Heeres übten doch ihre Wirkung, Belgien war durch ſeine offen-
barte Schwäche tief in der allgemeinen Achtung geſunken, die Oſtmächte
beſtanden darauf, daß der unbeugſame Oranier nicht allzu hart behandelt
würde. ***) Am 14. October ſtellte die Conferenz in Vierundzwanzig
Artikeln neue Friedenspräliminarien feſt, welche für Holland günſtiger
lauteten als die Achtzehn Artikel: der Streit über die Grenzen ſollte da-
durch geſchlichtet werden, daß Belgien einen Theil der Provinz Limburg
abtrat und dafür die weſtliche Hälfte von Luxemburg eintauſchte — immer
mit Vorbehalt der Rechte des Deutſchen Bundes. Die Belgier murrten;
ihr König aber ſah weiter, er verkannte nicht, daß ſein ungerüſteter Staat
keinen Widerſtand wagen durfte, und nahm die Vierundzwanzig Artikel
an. König Wilhelm hingegen hatte aus den Erfolgen ſeines Heeres neuen
Muth geſchöpft und ließ in Berlin durch Prinz Albrecht von Preußen
ſchroff erklären, „den ſchmachvollen Untergang Hollands“ könne er nimmer-
mehr genehmigen. Dabei blieb er, auch als die preußiſche Regierung ihm
in einer ausführlichen Denkſchrift vorhielt, daß Holland nach den Vier-
undzwanzig Artikeln noch immer ein größeres Gebiet behalte als zu den
Zeiten der Republik. †) Der kluge Coburger hatte alſo nochmals die großen
*) Neſſelrode an Tatiſtſchew, in Berlin überreicht 30. Aug. 1831.
**) Ancillon an Maltzahn, 23. Sept. 18. Oct., Neſſelrode an Tatiſtſchew, 7. Oct. 1831.
***) Neſſelrode an Lieven, 17. Nov. 1831.
†) Witzleben an Ancillon, 22. Oct. Eichhorn’s Denkſchrift über die niederländiſche
Frage, 25. Oct. 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/93>, abgerufen am 28.11.2024.
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