wider die Krone.*) In Wahrheit verbarg sich hinter diesem vielgeschäftigen Treiben nur die Angst. Der greise Staatskanzler wollte schlechterdings nicht an die Möglichkeit eines europäischen Krieges glauben, weil er seinem morschen Reiche nicht mehr die Kraft zutraute solchen Gefahren zu wider- stehen; er beabsichtigte von vornherein, die dem Sultan verheißene Unter- stützung nur durch die Absendung einiger Kriegsschiffe, nimmermehr durch Landtruppen zu leisten, und zeigte eine sorglose Sicherheit, welche Graf Maltzan ganz unbegreiflich fand, da ja bekanntlich alle Rüstungen in Oesterreich nur schwer und langsam zu Stande kämen.**) Endlich gingen dem Preußen die Augen auf. Am 11. Sept. gestand er seinem Monarchen: wir sind Alle von Metternich betrogen, Alle "in der possierlichsten Weise hineingefallen"; der Fürst hat uns nur in Königswart hingehalten, weil er nicht nach Wien gehen, unliebsame Erörterungen mit seinem überspar- samen, den gefährlichen Vierbund verabscheuenden Nebenbuhler Kolowrat vermeiden will.***) So stand es in der That. Metternich regierte Oester- reich nicht, er konnte auf die Unterstützung des Triumvirats nicht zählen; alle die verrosteten Räder der unförmlichen Staatsmaschine knarrten und knirschten.
Wie hochbedenklich mußten einem solchen Hofe die immerhin etwas herzhafteren preußischen Vertheidigungspläne erscheinen. Schon am 25. August erklärte Maltzan, sein Monarch halte für nöthig, daß die beiden deutschen Großmächte sich über die gemeinsame Abwehr verständigten und dann die kleinen Höfe zur Mitwirkung aufforderten. Preußen könne binnen acht Wochen 200,000 Mann am Rhein versammeln; wie viele Truppen denke Oesterreich in Vorarlberg aufzustellen? Dort standen augenblick- lich kaum 1000 Mann. Metternich antwortete "aufs höchste entzückt" mit einigen allgemeinen Redensarten.+) So ging es weiter, viele Wochen hindurch, ohne jedes Ergebniß. Noch in den ersten Octobertagen sprach der Oesterreicher von bewaffneter Neutralität und schrieb an Neumann in London: eben weil Frankreich rüstet dürfen die vier Mächte nicht rüsten. Maltzan sagte entsetzt: Welche Logik! Und Preußen ist Frank- reichs Nachbar! Er faßte sich ein Herz und schrieb nach Berlin: "Heute tauschen Oesterreich und Preußen ihre Rollen. Der Geist des kaiserlichen Cabinets ist wesentlich friedlich. Preußen dagegen, stark durch seine phy- sische und sittliche Kraft, überbietet Oesterreich und ist offenbar berufen, die Bewegungen der beiden Großmächte und Deutschlands sowohl hervor- zurufen als zu leiten."++) Nach neuem lebhaftem Andrängen des preu- ßischen Hofes sendete Metternich am 9. Oct. an König Friedrich Wilhelm
*) Metternich an Münch 9. Sept.; an Apponyi 20. Aug. 1840.
**) Maltzan's Berichte, 8. 26. 29. Aug. 1840.
***) Maltzan's Bericht, 11. Sept. 1840.
+) Maltzan's Bericht, 25. Aug. Metternich an Min. Werther, 26. Aug. 1840.
++) Maltzan's Berichte, 3. 5. Oct. 1840.
Preußens Vertheidigungspläne.
wider die Krone.*) In Wahrheit verbarg ſich hinter dieſem vielgeſchäftigen Treiben nur die Angſt. Der greiſe Staatskanzler wollte ſchlechterdings nicht an die Möglichkeit eines europäiſchen Krieges glauben, weil er ſeinem morſchen Reiche nicht mehr die Kraft zutraute ſolchen Gefahren zu wider- ſtehen; er beabſichtigte von vornherein, die dem Sultan verheißene Unter- ſtützung nur durch die Abſendung einiger Kriegsſchiffe, nimmermehr durch Landtruppen zu leiſten, und zeigte eine ſorgloſe Sicherheit, welche Graf Maltzan ganz unbegreiflich fand, da ja bekanntlich alle Rüſtungen in Oeſterreich nur ſchwer und langſam zu Stande kämen.**) Endlich gingen dem Preußen die Augen auf. Am 11. Sept. geſtand er ſeinem Monarchen: wir ſind Alle von Metternich betrogen, Alle „in der poſſierlichſten Weiſe hineingefallen“; der Fürſt hat uns nur in Königswart hingehalten, weil er nicht nach Wien gehen, unliebſame Erörterungen mit ſeinem überſpar- ſamen, den gefährlichen Vierbund verabſcheuenden Nebenbuhler Kolowrat vermeiden will.***) So ſtand es in der That. Metternich regierte Oeſter- reich nicht, er konnte auf die Unterſtützung des Triumvirats nicht zählen; alle die verroſteten Räder der unförmlichen Staatsmaſchine knarrten und knirſchten.
Wie hochbedenklich mußten einem ſolchen Hofe die immerhin etwas herzhafteren preußiſchen Vertheidigungspläne erſcheinen. Schon am 25. Auguſt erklärte Maltzan, ſein Monarch halte für nöthig, daß die beiden deutſchen Großmächte ſich über die gemeinſame Abwehr verſtändigten und dann die kleinen Höfe zur Mitwirkung aufforderten. Preußen könne binnen acht Wochen 200,000 Mann am Rhein verſammeln; wie viele Truppen denke Oeſterreich in Vorarlberg aufzuſtellen? Dort ſtanden augenblick- lich kaum 1000 Mann. Metternich antwortete „aufs höchſte entzückt“ mit einigen allgemeinen Redensarten.†) So ging es weiter, viele Wochen hindurch, ohne jedes Ergebniß. Noch in den erſten Octobertagen ſprach der Oeſterreicher von bewaffneter Neutralität und ſchrieb an Neumann in London: eben weil Frankreich rüſtet dürfen die vier Mächte nicht rüſten. Maltzan ſagte entſetzt: Welche Logik! Und Preußen iſt Frank- reichs Nachbar! Er faßte ſich ein Herz und ſchrieb nach Berlin: „Heute tauſchen Oeſterreich und Preußen ihre Rollen. Der Geiſt des kaiſerlichen Cabinets iſt weſentlich friedlich. Preußen dagegen, ſtark durch ſeine phy- ſiſche und ſittliche Kraft, überbietet Oeſterreich und iſt offenbar berufen, die Bewegungen der beiden Großmächte und Deutſchlands ſowohl hervor- zurufen als zu leiten.“††) Nach neuem lebhaftem Andrängen des preu- ßiſchen Hofes ſendete Metternich am 9. Oct. an König Friedrich Wilhelm
*) Metternich an Münch 9. Sept.; an Apponyi 20. Aug. 1840.
**) Maltzan’s Berichte, 8. 26. 29. Aug. 1840.
***) Maltzan’s Bericht, 11. Sept. 1840.
†) Maltzan’s Bericht, 25. Aug. Metternich an Min. Werther, 26. Aug. 1840.
††) Maltzan’s Berichte, 3. 5. Oct. 1840.
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[91/0105]
Preußens Vertheidigungspläne.
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Treiben nur die Angſt. Der greiſe Staatskanzler wollte ſchlechterdings
nicht an die Möglichkeit eines europäiſchen Krieges glauben, weil er ſeinem
morſchen Reiche nicht mehr die Kraft zutraute ſolchen Gefahren zu wider-
ſtehen; er beabſichtigte von vornherein, die dem Sultan verheißene Unter-
ſtützung nur durch die Abſendung einiger Kriegsſchiffe, nimmermehr durch
Landtruppen zu leiſten, und zeigte eine ſorgloſe Sicherheit, welche Graf
Maltzan ganz unbegreiflich fand, da ja bekanntlich alle Rüſtungen in
Oeſterreich nur ſchwer und langſam zu Stande kämen. **) Endlich gingen
dem Preußen die Augen auf. Am 11. Sept. geſtand er ſeinem Monarchen:
wir ſind Alle von Metternich betrogen, Alle „in der poſſierlichſten Weiſe
hineingefallen“; der Fürſt hat uns nur in Königswart hingehalten, weil
er nicht nach Wien gehen, unliebſame Erörterungen mit ſeinem überſpar-
ſamen, den gefährlichen Vierbund verabſcheuenden Nebenbuhler Kolowrat
vermeiden will. ***) So ſtand es in der That. Metternich regierte Oeſter-
reich nicht, er konnte auf die Unterſtützung des Triumvirats nicht zählen;
alle die verroſteten Räder der unförmlichen Staatsmaſchine knarrten und
knirſchten.
Wie hochbedenklich mußten einem ſolchen Hofe die immerhin etwas
herzhafteren preußiſchen Vertheidigungspläne erſcheinen. Schon am 25.
Auguſt erklärte Maltzan, ſein Monarch halte für nöthig, daß die beiden
deutſchen Großmächte ſich über die gemeinſame Abwehr verſtändigten und
dann die kleinen Höfe zur Mitwirkung aufforderten. Preußen könne binnen
acht Wochen 200,000 Mann am Rhein verſammeln; wie viele Truppen
denke Oeſterreich in Vorarlberg aufzuſtellen? Dort ſtanden augenblick-
lich kaum 1000 Mann. Metternich antwortete „aufs höchſte entzückt“
mit einigen allgemeinen Redensarten. †) So ging es weiter, viele Wochen
hindurch, ohne jedes Ergebniß. Noch in den erſten Octobertagen ſprach
der Oeſterreicher von bewaffneter Neutralität und ſchrieb an Neumann
in London: eben weil Frankreich rüſtet dürfen die vier Mächte nicht
rüſten. Maltzan ſagte entſetzt: Welche Logik! Und Preußen iſt Frank-
reichs Nachbar! Er faßte ſich ein Herz und ſchrieb nach Berlin: „Heute
tauſchen Oeſterreich und Preußen ihre Rollen. Der Geiſt des kaiſerlichen
Cabinets iſt weſentlich friedlich. Preußen dagegen, ſtark durch ſeine phy-
ſiſche und ſittliche Kraft, überbietet Oeſterreich und iſt offenbar berufen,
die Bewegungen der beiden Großmächte und Deutſchlands ſowohl hervor-
zurufen als zu leiten.“ ††) Nach neuem lebhaftem Andrängen des preu-
ßiſchen Hofes ſendete Metternich am 9. Oct. an König Friedrich Wilhelm
*) Metternich an Münch 9. Sept.; an Apponyi 20. Aug. 1840.
**) Maltzan’s Berichte, 8. 26. 29. Aug. 1840.
***) Maltzan’s Bericht, 11. Sept. 1840.
†) Maltzan’s Bericht, 25. Aug. Metternich an Min. Werther, 26. Aug. 1840.
††) Maltzan’s Berichte, 3. 5. Oct. 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/105>, abgerufen am 11.02.2025.
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