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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Sendung von Grolman und Radowitz.
beiden Mächte, durch ein Rundſchreiben die deutſchen Höfe zur Wachſam-
keit aufzufordern und zugleich in Paris vertraulich wegen der franzöſiſchen
Rüſtungen anzufragen. Bei Alledem hegte man in Berlin wie in Wien
noch durchaus friedliche Abſichten. Der preußiſche Hof hatte dem fran-
zöſiſchen die Sendung der beiden Offiziere nach Wien ſchon im Voraus
freundſchaftlich angezeigt und die Betheuerung hinzugefügt, durch die Ein-
tracht des Deutſchen Bundes werde die allgemeine Ruhe am beſten ge-
ſichert.*) Nur für den Fall daß die Kriegspartei den friedlichen Bürger-
könig überwältigte, wollte man ſich gedeckt halten. Frankreichs Rüſtungen
bewirkten einen Zuſtand des „bewaffneten Friedens“ — ſo lautete der
neue Modeausdruck der Diplomaten und der Zeitungen. Deutſchland
mußte auf der Wacht ſtehen. Dieſe unſchuldige Abſicht hatte der König
durch die Sendung ſeiner Offiziere in der That erreicht, und mit hohem
Selbſtgefühle ſagte Maltzan zu Metternich: unſer Monarch achtet Oeſter-
reichs Stellung in Deutſchland, er iſt jedoch unabänderlich entſchloſſen,
den Deutſchen Bund aus dem Zuſtande der Entwürdigung zu reißen
und ihn „in die Reihe der Mächte wieder emporzuheben“.**) Friedrich
Wilhelm’s dichteriſche Phantaſie trug ſich wirklich mit dem Wahne, daß
der Deutſche Bund neben Oeſterreich und Preußen noch eine ſelbſtändige
Macht bilden und Deutſchland alſo mit der Wucht dreier Großmächte in
die Geſchicke der Welt eingreifen würde. Metternich’s Nüchternheit konnte
dieſe traumhaften Vorſtellungen von den Rieſenkräften Baierns und
Darmſtadts unmöglich theilen; er hielt jedoch für klug in den weihevollen
Ton des preußiſchen Hofes einzuſtimmen und redete fortan in Geſprächen
und Denkſchriften hochpathetiſch von „dem Deutſchen Bunde, dem Staate
des europäiſchen Feſtlandes, der unter allen nach dem Umfange ſeiner
Machtmittel den erſten Rang einnehme“, im Kampf gegen Frankreichs
bewaffneten Frieden die erſte Rolle zu ſpielen berufen ſei und als
fünfte Macht dem Vierbunde beitreten müſſe.***)

Wie dieſe fünfte Macht in Wirklichkeit beſchaffen war, das ſollte
Radowitz ſofort erfahren, als er nunmehr die Höfe von München, Stutt-
gart, Karlsruhe, Darmſtadt, Wiesbaden beſuchte, die alleſammt ſchon
durch die preußiſche Bundesgeſandtſchaft über die europäiſche Lage und
die Kriegsgefahr unterrichtet waren.†) Etwas ſpäter kam auch, mit gleich-
lautenden Weiſungen verſehen, General Heß, einer der tüchtigſten Sol-
daten aus Radetzky’s Schule. Ueberall wurde der Preuße mit offenen
Armen aufgenommen, überall empfing er bundesfreundliche Zuſagen und
die vertrauliche Betheuerung, daß Süddeutſchland weder der Kraft noch

*) Werther, Weiſung an Arnim in Paris, 14. Nov. 1840.
**) Maltzan’s Bericht, 27. Nov. 1840.
***) Maltzan’s Bericht 14. Dec. Metternich’s Denkſchrift über die europäiſche Lage,
18. Dec. 1840.
†) Sydow’s Bericht, Frankfurt 23. Oct. 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/107>, abgerufen am 11.02.2025.