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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Süddeutſchlands Wehrloſigkeit.
verſprach den Mißbrauch der ſtändigen Beurlaubungen endlich abzuſtellen,
kam aber nicht über den guten Vorſatz hinaus. Kaum beſſer ſtand es
in Württemberg. Dort hatte das in zwei Bataillone eingetheilte Infan-
terieregiment zur Sommerszeit 401, im Winter 307 Mann bei der Fahne.
Aufgeregt durch die bedenklichen Pariſer Nachrichten ſprach König Wil-
helm wieder viel von einer ſchwäbiſchen Landwehr; er meinte aber nicht
das preußiſche Landwehrſyſtem, das ſeinen Landſtänden viel zu koſt-
ſpielig ſchien, ſondern wollte nur durch ein Geſetz die Aushebung neuer,
ganz unausgebildeter Mannſchaften ermöglichen für den Fall, daß Linie
und Reſerve bereits ausgerückt wären. An die allgemeine Wehrpflicht,
die von der Ritterſchaft und vom Beamtenthum verabſcheut wurde, ließ
ſich vollends gar nicht denken; der Geſandte Rochow ſchrieb: „das Ein-
ſteher-Weſen iſt hier wie eine eherne Mauer“ und fand es „für einen
Preußen kaum begreiflich“, wie ſehr man ſich hier vor der mißleiteten
öffentlichen Meinung fürchte.*) In Baden geſchah für das Heer ſehr
wenig, weil Miniſter Blittersdorff den Argwohn hegte, hinter allen dieſen
Kriegsvorbereitungen verbärgen ſich nur Preußens hegemoniſche Gelüſte.

Auch in Darmſtadt hielt du Thil alle Rüſtungen für überflüſſig; er
hatte längſt bemerkt, daß Oeſterreich nur mit halber Seele bei der Sache
war, nur um Preußen nicht allein das Feld zu überlaſſen an den mili-
täriſchen Verhandlungen theilnahm.**) Ohnehin glaubten dieſe Klein-
ſtaaten alleſammt ihren Bundespflichten ſchon überreichlich genügt zu haben;
hatten ſie doch im letzten Herbſt am unteren Neckar gemeinſame Ma-
növer des 7. Bundesarmeecorps veranſtaltet, die erträglich ausfielen und
als ein Beweis thatkräftiger Bundestreue ſelbſt von dem preußiſchen
Generalſtabschef Krauſeneck nachſichtig belobt wurden.***) Auch hinter
patriotiſchen Bedenken wußte ſich die Schlaffheit zu verſchanzen; als
Neſſelrode, taktlos genug, die kleinen Höfe durch ein Rundſchreiben zur
Kriegsbereitſchaft mahnen ließ, da hieß es überall: nimmermehr dürfe
ſich das ſtolze Deutſchland von Rußland drängen laſſen.†) Radowitz’s
Rundreiſe brachte zunächſt nur ein greifbares Ergebniß: die ſüddeutſchen
Staaten traten im Febr. 1841 zu Karlsruhe zuſammen und beſchloſſen
— aus Rückſicht auf Baierns Stolz, zum großen Aerger des ehrgeizigen
Schwabenkönigs — den zukünftigen Oberbefehl über das zukünftige Süd-
heer dem Prinzen Karl von Baiern zu übertragen. In Norddeutſchland
war ſelbſt eine ſolche Einigung unerreichbar, da die kleinen Fürſten des
10. Armeecorps alleſammt Bedenken trugen, ihre Truppen dem verrufenen
hannoverſchen Welfen anzuvertrauen.††)


*) Rochow’s Berichte, 6. Dec. 1840, 17. Jan. 29. Juni 18. Juli 1841.
**) Nach du Thil’s Aufzeichnungen.
***) Berichte von Otterſtedt 21. 22. Sept., von Rochow 12. Sept. 1840.
†) Neſſelrode, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften in Deutſchland, 2. Dec. 1840.
††) Berichte von Rochow, 27. Febr., von Berger, 28. April 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/109>, abgerufen am 11.02.2025.