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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.

Der Bundestag trieb unterdeſſen trotz der ſchweren Zeiten ſeine
gewohnte Kurzweil. Die Staaten der ſechzehnten Curie hatten bisher
an dem reichen Frankfurter v. Leonhardi einen überaus wohlfeilen gemein-
ſamen Bundesgeſandten beſeſſen, der die Geſchäfte nur zu ſeinem Ver-
gnügen führte, und zankten ſich nunmehr, als dieſer göttliche Philiſter
geſtorben war, mit ſolcher Ausdauer über den Gehalt des Nachfolgers,
daß der Poſten drei Jahre unbeſetzt blieb. Der Landgraf von Homburg,
der im Jahre 1817 dem Bunde nachträglich beigetreten war, forderte
ſtürmiſch das ihm gebührende Stimmrecht und erlangte endlich nach fünf-
undzwanzigjährigen Kämpfen Einlaß in die ſechzehnte Curie. Die Erne-
ſtiner konnten ſich über den Vorrang bei der Unterſchrift nicht einigen,
und ihr neuer Bundesgeſandter mußte daher mit vier gleichlautenden
Vollmachten ausgerüſtet werden.*) Derweil man ſich alſo vergnügte,
ſuchte Graf Münch, unbekümmert um die dringenden Mahnungen des
preußiſchen Geſandten mehrere Monate hindurch jede Berathung über die
Kriegsbereitſchaft des Bundes zu vereiteln. Er wußte wohl, daß dieſe
Zögerung den ſtillen Wünſchen faſt aller kleinen Höfe entſprach; hatte
doch ſelbſt König Ludwig von Baiern in Berlin vorſichtig erklären laſſen:
erſt wenn die Rüſtung Süddeutſchlands ganz vollendet ſei, dürfe der
Bund in Paris eine Anfrage ſtellen.**)

Endlich am 13. März 1841, acht Monate nach dem Juli-Vertrage,
beantragte Münch, die Militärcommiſſion ſolle aufgefordert werden über
die näheren Bedingungen der Kriegsbereitſchaft ein Gutachten zu er-
ſtatten. Voran ging ein langer Vortrag, deſſen hochpatriotiſcher Ton
von dem dürftigen Inhalte lächerlich abſtach: „die Pflicht ſämmtlicher
deutſchen Regierungen, für die Ehre des deutſchen Namens ſowie für
die Sicherheit der Völker Deutſchlands Sorge zu tragen, erheiſcht, daß
überall die Wehrkraft der Bundesſtaaten allen eintretenden Wechſelfällen
zu genügen im Stande ſei.“ Dieſe tiefſinnigen Worte hatte Metternich
ſelbſt in den Präſidialvortrag eingefügt, an der Stelle eines etwas ſchär-
feren, von General Heß vorgeſchlagenen Satzes.***) Die Hofburg wollte
Alles vermeiden was dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe auch nur
wie ein leiſer Zwang erſcheinen konnte. Natürlich wurde der Antrag,
unter den üblichen Dankesbezeigungen gegen die allezeit fürſorgliche Prä-
ſidialmacht, pflichtſchuldigſt angenommen; die vertraulichen Eröffnungen
in Paris überließ man den beiden Großmächten. Es ſtand noch immer
wie in den Regensburger Zeiten. Der Bundestag durfte ſich der ange-
nehmen Erwartung hingeben, daß ſein Beſchluß gar keine Folgen haben,
ſondern entweder durch eine friedliche Wendung der europäiſchen Händel
oder durch eine Kriegserklärung Frankreichs überholt werden würde.


*) Berichte von Bülow, 15. Oct. 1841, von Schöler 17. Oct. 1840.
**) Giſe, königliche Weiſung an Lerchenfeld, 20. Dec. 1840.
***) Sydow’s Bericht, 13. März 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/110>, abgerufen am 11.02.2025.