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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Frankreichs Bedrängniß.
entsprach.*) Du Thil machte die angenehme Erfahrung, daß unter diesem
Bundestage Selbsthilfe am sichersten ihr Ziel erreichte. --



Mittlerweile ging die europäische Krisis unter mannichfachen Schwan-
kungen ihrer unvermeidlichen friedlichen Lösung entgegen. Keine der
Großmächte, vielleicht mit Ausnahme Rußlands, wünschte in vollem Ernst
den allgemeinen Krieg, sie alle wurden durch wechselseitiges Mißtrauen
in Schach gehalten. Darum erklärten auch die vier Mächte am 17. Sept.,
in einem Zusatzprotokolle zum Julivertrage, dem türkischen Gesandten
feierlich, daß sie im Oriente weder besondere Vortheile noch Gebiets-
erweiterungen für sich erstrebten.**) Gleichwohl gerieth Thiers in die
peinlichste Lage. Kühne Pläne für Frankreichs afrikanische Machtstellung
hegte er nicht, die festländische Politik lag seinem Gedankenkreise näher.
Aber eine öffentliche Beschämung Frankreichs konnte ein Mann von seiner
Vergangenheit kaum ruhig hinnehmen, und tief empörte ihn die heuch-
lerische Sprache in der Presse und den Denkschriften der vier Mächte.
Ihr werft uns vor, so sagte er zu Apponyi, daß wir durch die Begün-
stigung Mehemed Ali's die Revolution nährten, und Ihr selber hetzt
durch Eure Agenten die Völker Syriens zum Aufstande gegen ihren
Pascha!***) Doch wie sollte er den ungleichen Kampf wagen? Seine
leisen Anfragen, ob nicht Preußen und der Deutsche Bund neutral bleiben
würden, begegneten scharfer Ablehnung.+) Der Turiner Hof, der anfangs
an Neutralität dachte, empfing von Metternich die Zurechtweisung: "der
Krieg ist nur möglich entweder mit Niemand oder mit aller Welt."++)
Fuhr das Schwert aus der Scheide, so stand Frankreich der geschlossenen
Phalanx des legitimen Europas gegenüber. Thiers schwankte lange, der-
weil er die Rüstungen eifrig fortsetzte; noch zu Ende Septembers war
er mit sich nicht im Reinen.+++) Die Presse aber erwies sich wieder als
eine Macht des Unheils für das neue Frankreich, und Thiers am wenig-
sten konnte ihrem wilden Drängen widerstehen, da er seine Laufbahn
gutentheils den Zeitungen verdankte. Seine nächsten Freunde im Con-
stitutionnel drohten: Wir haben ihn erhoben und wir lassen ihn fallen
wenn er Frankreich preisgiebt; "die Gefahr der Schande ist für eine
Regierung schlimmer als die Gefahren des Krieges."


*) Berichte von Dönhoff, 16. Aug. 1842, 3. Aug. 1843.
**) Metternich an Neumann, 5. Oct. Liebermann's Bericht, 3. Oct. 1840.
***) Werther d. J., Bericht aus Paris, 13. Sept. 1840.
+) Werther d. J., Pariser Bericht, 5. Oct. 1840.
++) Metternich an Schwarzenberg in Turin, 11. Oct., an Trauttmansdorff
13. Oct. 1840.
+++) Werther d. J., Pariser Bericht, 30. Sept. 1840.

Frankreichs Bedrängniß.
entſprach.*) Du Thil machte die angenehme Erfahrung, daß unter dieſem
Bundestage Selbſthilfe am ſicherſten ihr Ziel erreichte. —



Mittlerweile ging die europäiſche Kriſis unter mannichfachen Schwan-
kungen ihrer unvermeidlichen friedlichen Löſung entgegen. Keine der
Großmächte, vielleicht mit Ausnahme Rußlands, wünſchte in vollem Ernſt
den allgemeinen Krieg, ſie alle wurden durch wechſelſeitiges Mißtrauen
in Schach gehalten. Darum erklärten auch die vier Mächte am 17. Sept.,
in einem Zuſatzprotokolle zum Julivertrage, dem türkiſchen Geſandten
feierlich, daß ſie im Oriente weder beſondere Vortheile noch Gebiets-
erweiterungen für ſich erſtrebten.**) Gleichwohl gerieth Thiers in die
peinlichſte Lage. Kühne Pläne für Frankreichs afrikaniſche Machtſtellung
hegte er nicht, die feſtländiſche Politik lag ſeinem Gedankenkreiſe näher.
Aber eine öffentliche Beſchämung Frankreichs konnte ein Mann von ſeiner
Vergangenheit kaum ruhig hinnehmen, und tief empörte ihn die heuch-
leriſche Sprache in der Preſſe und den Denkſchriften der vier Mächte.
Ihr werft uns vor, ſo ſagte er zu Apponyi, daß wir durch die Begün-
ſtigung Mehemed Ali’s die Revolution nährten, und Ihr ſelber hetzt
durch Eure Agenten die Völker Syriens zum Aufſtande gegen ihren
Paſcha!***) Doch wie ſollte er den ungleichen Kampf wagen? Seine
leiſen Anfragen, ob nicht Preußen und der Deutſche Bund neutral bleiben
würden, begegneten ſcharfer Ablehnung.†) Der Turiner Hof, der anfangs
an Neutralität dachte, empfing von Metternich die Zurechtweiſung: „der
Krieg iſt nur möglich entweder mit Niemand oder mit aller Welt.“††)
Fuhr das Schwert aus der Scheide, ſo ſtand Frankreich der geſchloſſenen
Phalanx des legitimen Europas gegenüber. Thiers ſchwankte lange, der-
weil er die Rüſtungen eifrig fortſetzte; noch zu Ende Septembers war
er mit ſich nicht im Reinen.†††) Die Preſſe aber erwies ſich wieder als
eine Macht des Unheils für das neue Frankreich, und Thiers am wenig-
ſten konnte ihrem wilden Drängen widerſtehen, da er ſeine Laufbahn
gutentheils den Zeitungen verdankte. Seine nächſten Freunde im Con-
ſtitutionnel drohten: Wir haben ihn erhoben und wir laſſen ihn fallen
wenn er Frankreich preisgiebt; „die Gefahr der Schande iſt für eine
Regierung ſchlimmer als die Gefahren des Krieges.“


*) Berichte von Dönhoff, 16. Aug. 1842, 3. Aug. 1843.
**) Metternich an Neumann, 5. Oct. Liebermann’s Bericht, 3. Oct. 1840.
***) Werther d. J., Bericht aus Paris, 13. Sept. 1840.
†) Werther d. J., Pariſer Bericht, 5. Oct. 1840.
††) Metternich an Schwarzenberg in Turin, 11. Oct., an Trauttmansdorff
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[109/0123] Frankreichs Bedrängniß. entſprach. *) Du Thil machte die angenehme Erfahrung, daß unter dieſem Bundestage Selbſthilfe am ſicherſten ihr Ziel erreichte. — Mittlerweile ging die europäiſche Kriſis unter mannichfachen Schwan- kungen ihrer unvermeidlichen friedlichen Löſung entgegen. Keine der Großmächte, vielleicht mit Ausnahme Rußlands, wünſchte in vollem Ernſt den allgemeinen Krieg, ſie alle wurden durch wechſelſeitiges Mißtrauen in Schach gehalten. Darum erklärten auch die vier Mächte am 17. Sept., in einem Zuſatzprotokolle zum Julivertrage, dem türkiſchen Geſandten feierlich, daß ſie im Oriente weder beſondere Vortheile noch Gebiets- erweiterungen für ſich erſtrebten. **) Gleichwohl gerieth Thiers in die peinlichſte Lage. Kühne Pläne für Frankreichs afrikaniſche Machtſtellung hegte er nicht, die feſtländiſche Politik lag ſeinem Gedankenkreiſe näher. Aber eine öffentliche Beſchämung Frankreichs konnte ein Mann von ſeiner Vergangenheit kaum ruhig hinnehmen, und tief empörte ihn die heuch- leriſche Sprache in der Preſſe und den Denkſchriften der vier Mächte. Ihr werft uns vor, ſo ſagte er zu Apponyi, daß wir durch die Begün- ſtigung Mehemed Ali’s die Revolution nährten, und Ihr ſelber hetzt durch Eure Agenten die Völker Syriens zum Aufſtande gegen ihren Paſcha! ***) Doch wie ſollte er den ungleichen Kampf wagen? Seine leiſen Anfragen, ob nicht Preußen und der Deutſche Bund neutral bleiben würden, begegneten ſcharfer Ablehnung. †) Der Turiner Hof, der anfangs an Neutralität dachte, empfing von Metternich die Zurechtweiſung: „der Krieg iſt nur möglich entweder mit Niemand oder mit aller Welt.“ ††) Fuhr das Schwert aus der Scheide, ſo ſtand Frankreich der geſchloſſenen Phalanx des legitimen Europas gegenüber. Thiers ſchwankte lange, der- weil er die Rüſtungen eifrig fortſetzte; noch zu Ende Septembers war er mit ſich nicht im Reinen. †††) Die Preſſe aber erwies ſich wieder als eine Macht des Unheils für das neue Frankreich, und Thiers am wenig- ſten konnte ihrem wilden Drängen widerſtehen, da er ſeine Laufbahn gutentheils den Zeitungen verdankte. Seine nächſten Freunde im Con- ſtitutionnel drohten: Wir haben ihn erhoben und wir laſſen ihn fallen wenn er Frankreich preisgiebt; „die Gefahr der Schande iſt für eine Regierung ſchlimmer als die Gefahren des Krieges.“ *) Berichte von Dönhoff, 16. Aug. 1842, 3. Aug. 1843. **) Metternich an Neumann, 5. Oct. Liebermann’s Bericht, 3. Oct. 1840. ***) Werther d. J., Bericht aus Paris, 13. Sept. 1840. †) Werther d. J., Pariſer Bericht, 5. Oct. 1840. ††) Metternich an Schwarzenberg in Turin, 11. Oct., an Trauttmansdorff 13. Oct. 1840. †††) Werther d. J., Pariſer Bericht, 30. Sept. 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/123>, abgerufen am 29.11.2024.