Dieser versöhnlichen Politik der deutschen Mächte widerstand der Peters- burger Hof lange mit hochmüthiger Schroffheit. Nikolaus verhehlte nicht seine Schadenfreude über den Londoner Vertrag; er hoffte dem französischen Thronräuber wo nicht eine Niederlage auf dem Schlachtfelde, so doch eine beschämende öffentliche Demüthigung zu bereiten. Unter mannich- fachen Vorwänden lehnte Brunnow alle Vermittlungsvorschläge ab.*) Auf jeden Fall, meinte der Czar, müsse Frankreich den ersten Schritt zur Versöhnung thun: "wenn die Initiative für das französische Cabinet schwer ist, so ist sie für uns noch viel schwerer, und ganz gewiß werden wir sie nicht ergreifen."**) Und Nesselrode schrieb den deutschen Höfen: jeder Versöhnungsversuch wird Frankreichs Uebermuth nur steigern; jetzt ist die Zeit "dem französischen Volke eine Lektion zu geben, die ihm ebenso nöthig ist wie sie für uns vortheilhaft sein wird;" nach den Kriegsdroh- ungen der Franzosen können die vier Mächte heute Vieles nicht mehr bewilligen was früher annehmbar erschien.***) Fast ebenso herausfordernd redete zuweilen das englische Cabinet. Obgleich Palmerston anfangs, gleich den anderen Mächten, die Absetzung Mehemed Ali's verurtheilt hatte, so blieb er doch auf die Dauer nicht unempfänglich für die Berichte Pon- sonby's, der polternd und schmähend den fanatischen Haß des Divans noch zu überbieten suchte. Derselbe Lord Feuerbrand, der in Europa jede muthwillige Empörung schadenfroh begünstigte, entblödete sich nicht, die Doktrin der starren Legitimität auf den Orient anzuwenden, wo für ein legitimes Recht gar kein Boden war, und meinte jetzt mit Ponsonby: man dürfe dem Sultan die jedem Souverän zustehende Befugniß, einen rebellischen Statthalter abzusetzen, nicht bestreiten. Der preußischen Re- gierung ließ er, da sie den Gewaltstreich des Sultans nach wie vor miß- billigte, mit gewohnter Ungeschliffenheit sagen: sie habe sich "nicht die Mühe gegeben diese Sache und ihre Folgen zu ergründen."+) Bis zur Vernichtung Mehemed Ali's wollte er allerdings nicht gehen; er wünschte vielmehr, der rebellische Pascha möge sich dem Oberlehnsherrn bald unter- werfen, um dann vom Sultan begnadigt und mit der Erbherrschaft über Aegypten neu belehnt zu werden.++)
Die Meinungsverschiedenheit im Schooße der vier Mächte begann schon bedrohlich zu werden; da fiel die Entscheidung auf dem orientalischen Kriegsschauplatze. Die Flotte der Verbündeten, mit einer Handvoll tür- kischer Truppen an Bord eroberte, nicht ohne die Beihilfe des englischen
*) Berichte von Liebermann 3. Oct.; von Schleinitz, London, 5. 27. Oct., von Bülow 24. Oct. 1840.
**) Liebermann's Bericht, 17. Oct. 1840.
***) Nesselrode an Tatistschew in Wien, 5. Oct. a. St., an Meyendorff in Berlin, 12. 25. 31. Oct. a. St. 1840.
+) Ponsonby an Palmerston 10. Sept. Will. Russell an Werther 20. Oct. 1840.
++) Palmerston, Weisung an Ponsonby, 15. Oct. 1840.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 8
Die Entſcheidung im Mittelmeere.
Dieſer verſöhnlichen Politik der deutſchen Mächte widerſtand der Peters- burger Hof lange mit hochmüthiger Schroffheit. Nikolaus verhehlte nicht ſeine Schadenfreude über den Londoner Vertrag; er hoffte dem franzöſiſchen Thronräuber wo nicht eine Niederlage auf dem Schlachtfelde, ſo doch eine beſchämende öffentliche Demüthigung zu bereiten. Unter mannich- fachen Vorwänden lehnte Brunnow alle Vermittlungsvorſchläge ab.*) Auf jeden Fall, meinte der Czar, müſſe Frankreich den erſten Schritt zur Verſöhnung thun: „wenn die Initiative für das franzöſiſche Cabinet ſchwer iſt, ſo iſt ſie für uns noch viel ſchwerer, und ganz gewiß werden wir ſie nicht ergreifen.“**) Und Neſſelrode ſchrieb den deutſchen Höfen: jeder Verſöhnungsverſuch wird Frankreichs Uebermuth nur ſteigern; jetzt iſt die Zeit „dem franzöſiſchen Volke eine Lektion zu geben, die ihm ebenſo nöthig iſt wie ſie für uns vortheilhaft ſein wird;“ nach den Kriegsdroh- ungen der Franzoſen können die vier Mächte heute Vieles nicht mehr bewilligen was früher annehmbar erſchien.***) Faſt ebenſo herausfordernd redete zuweilen das engliſche Cabinet. Obgleich Palmerſton anfangs, gleich den anderen Mächten, die Abſetzung Mehemed Ali’s verurtheilt hatte, ſo blieb er doch auf die Dauer nicht unempfänglich für die Berichte Pon- ſonby’s, der polternd und ſchmähend den fanatiſchen Haß des Divans noch zu überbieten ſuchte. Derſelbe Lord Feuerbrand, der in Europa jede muthwillige Empörung ſchadenfroh begünſtigte, entblödete ſich nicht, die Doktrin der ſtarren Legitimität auf den Orient anzuwenden, wo für ein legitimes Recht gar kein Boden war, und meinte jetzt mit Ponſonby: man dürfe dem Sultan die jedem Souverän zuſtehende Befugniß, einen rebelliſchen Statthalter abzuſetzen, nicht beſtreiten. Der preußiſchen Re- gierung ließ er, da ſie den Gewaltſtreich des Sultans nach wie vor miß- billigte, mit gewohnter Ungeſchliffenheit ſagen: ſie habe ſich „nicht die Mühe gegeben dieſe Sache und ihre Folgen zu ergründen.“†) Bis zur Vernichtung Mehemed Ali’s wollte er allerdings nicht gehen; er wünſchte vielmehr, der rebelliſche Paſcha möge ſich dem Oberlehnsherrn bald unter- werfen, um dann vom Sultan begnadigt und mit der Erbherrſchaft über Aegypten neu belehnt zu werden.††)
Die Meinungsverſchiedenheit im Schooße der vier Mächte begann ſchon bedrohlich zu werden; da fiel die Entſcheidung auf dem orientaliſchen Kriegsſchauplatze. Die Flotte der Verbündeten, mit einer Handvoll tür- kiſcher Truppen an Bord eroberte, nicht ohne die Beihilfe des engliſchen
*) Berichte von Liebermann 3. Oct.; von Schleinitz, London, 5. 27. Oct., von Bülow 24. Oct. 1840.
**) Liebermann’s Bericht, 17. Oct. 1840.
***) Neſſelrode an Tatiſtſchew in Wien, 5. Oct. a. St., an Meyendorff in Berlin, 12. 25. 31. Oct. a. St. 1840.
†) Ponſonby an Palmerſton 10. Sept. Will. Ruſſell an Werther 20. Oct. 1840.
††) Palmerſton, Weiſung an Ponſonby, 15. Oct. 1840.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 8
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Die Entſcheidung im Mittelmeere.
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burger Hof lange mit hochmüthiger Schroffheit. Nikolaus verhehlte nicht
ſeine Schadenfreude über den Londoner Vertrag; er hoffte dem franzöſiſchen
Thronräuber wo nicht eine Niederlage auf dem Schlachtfelde, ſo doch
eine beſchämende öffentliche Demüthigung zu bereiten. Unter mannich-
fachen Vorwänden lehnte Brunnow alle Vermittlungsvorſchläge ab. *)
Auf jeden Fall, meinte der Czar, müſſe Frankreich den erſten Schritt
zur Verſöhnung thun: „wenn die Initiative für das franzöſiſche Cabinet
ſchwer iſt, ſo iſt ſie für uns noch viel ſchwerer, und ganz gewiß werden
wir ſie nicht ergreifen.“ **) Und Neſſelrode ſchrieb den deutſchen Höfen:
jeder Verſöhnungsverſuch wird Frankreichs Uebermuth nur ſteigern; jetzt
iſt die Zeit „dem franzöſiſchen Volke eine Lektion zu geben, die ihm ebenſo
nöthig iſt wie ſie für uns vortheilhaft ſein wird;“ nach den Kriegsdroh-
ungen der Franzoſen können die vier Mächte heute Vieles nicht mehr
bewilligen was früher annehmbar erſchien. ***) Faſt ebenſo herausfordernd
redete zuweilen das engliſche Cabinet. Obgleich Palmerſton anfangs,
gleich den anderen Mächten, die Abſetzung Mehemed Ali’s verurtheilt hatte,
ſo blieb er doch auf die Dauer nicht unempfänglich für die Berichte Pon-
ſonby’s, der polternd und ſchmähend den fanatiſchen Haß des Divans
noch zu überbieten ſuchte. Derſelbe Lord Feuerbrand, der in Europa jede
muthwillige Empörung ſchadenfroh begünſtigte, entblödete ſich nicht, die
Doktrin der ſtarren Legitimität auf den Orient anzuwenden, wo für ein
legitimes Recht gar kein Boden war, und meinte jetzt mit Ponſonby:
man dürfe dem Sultan die jedem Souverän zuſtehende Befugniß, einen
rebelliſchen Statthalter abzuſetzen, nicht beſtreiten. Der preußiſchen Re-
gierung ließ er, da ſie den Gewaltſtreich des Sultans nach wie vor miß-
billigte, mit gewohnter Ungeſchliffenheit ſagen: ſie habe ſich „nicht die
Mühe gegeben dieſe Sache und ihre Folgen zu ergründen.“ †) Bis zur
Vernichtung Mehemed Ali’s wollte er allerdings nicht gehen; er wünſchte
vielmehr, der rebelliſche Paſcha möge ſich dem Oberlehnsherrn bald unter-
werfen, um dann vom Sultan begnadigt und mit der Erbherrſchaft über
Aegypten neu belehnt zu werden. ††)
Die Meinungsverſchiedenheit im Schooße der vier Mächte begann ſchon
bedrohlich zu werden; da fiel die Entſcheidung auf dem orientaliſchen
Kriegsſchauplatze. Die Flotte der Verbündeten, mit einer Handvoll tür-
kiſcher Truppen an Bord eroberte, nicht ohne die Beihilfe des engliſchen
*) Berichte von Liebermann 3. Oct.; von Schleinitz, London, 5. 27. Oct., von
Bülow 24. Oct. 1840.
**) Liebermann’s Bericht, 17. Oct. 1840.
***) Neſſelrode an Tatiſtſchew in Wien, 5. Oct. a. St., an Meyendorff in Berlin,
12. 25. 31. Oct. a. St. 1840.
†) Ponſonby an Palmerſton 10. Sept. Will. Ruſſell an Werther 20. Oct. 1840.
††) Palmerſton, Weiſung an Ponſonby, 15. Oct. 1840.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 8
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/127>, abgerufen am 29.11.2024.
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