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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Verstimmung der deutschen Protestanten.
der in der Taufe den Namen Alexander angenommen hatte und sein
schwieriges Amt sehr würdig ausfüllte. Die Weihepredigt feierte den Bischof-
sitz auf Zion als die Erstlingsfrucht der Union aller Evangelischen. So
schenkte Preußen dem neuen anglikanischen Bisthum außer der Hälfte
der Unterhaltungskosten auch die Person des Bischofs. Bunsen schwamm
in Wonne; er glaubte wieder einmal einen großen diplomatischen Sieg
errungen zu haben, da er die Briten zur Annahme der preußischen Ge-
schenke bewogen hatte, und vernahm mit Entzücken, wie sein gottseliger
Freund Lord Ashley Preußens christlichen Monarchen als "den besten
und herrlichsten König dieser Welt" pries. Nicht ohne Schadenfreude
bemerkte er, daß die anderen Großmächte allesammt das evangelische Bis-
thum mit scheelen Augen betrachteten.*) Rußland und Frankreich bewarben
sich seit dem Dardanellen-Vertrage wieder wetteifernd um Englands Gunst
und konnten nicht wünschen, durch Preußen überboten zu werden, während
Metternich von der Freundschaft der beiden protestantischen Großmächte
unbestimmte Gefahren für die katholische Kirche befürchtete, und sein ge-
treuer Neumann in London ängstlich sagte: Bunsen soll hier einen neuen
schmalkaldischen Bund gründen.

Aber auch die deutschen Protestanten zeigten sich mißtrauisch. Ganz
vergeblich versuchten General Gerlach in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung, Hengstenberg in seiner Kirchenzeitung das Werk ihres königlichen
Gönners zu rechtfertigen.**) Geradezu abschreckend wirkte das weihevolle
Büchlein über "das evangelische Bisthum in Jerusalem", das von Bunsen
gemeinsam mit einem anderen theologischen Diplomaten, dem jungen
Abeken ausgearbeitet war und über die unermeßliche Zukunft des christia-
nisirten Palästinas mit einer Sicherheit redete, als ob die Weltgeschichte
verpflichtet wäre ihre Schauplätze niemals zu verändern. Die liberale
Welt wollte sich zu kirchlichen Unternehmungen überhaupt ein Herz fassen;
sie lächelte über die Berliner "diplomatische Romantik" und fragte spöttisch,
warum nur dieser König, der seine preußischen Juden so wenig liebe, für
das Volk Gottes in der Urheimath so zärtlich sorge. Aber auch "sehr gut
gesinnte Männer" in Preußen und in Süddeutschland fanden, wie General
Thile berichtete, die Unterordnung deutscher Gemeinden unter einen angli-
kanischen Bischof höchst anstößig; das längst verbreitete Gerücht von den
katholischen Neigungen des Königs schien jetzt seine volle Bestätigung zu
empfangen. Als Bischof Alexander den ersten Jahrestag seines Einzugs
in Jerusalem durch eine Danksagung feiern wollte und der König die
Gemeinden seiner Landeskirche "in aller Freiheit" zur Mitwirkung auffor-
dern ließ, da zeigte sich nur an wenigen Orten aufrichtige Theilnahme.***)

*) Bunsen's Berichte, 6. Jan. 1842 ff.
**) Thile's Bericht an den König, 14. Dec. 1841.
***) Thile's Bericht an den König, 14. Aug. 1842. Cabinetsordre an Thile und
Eichhorn, 9. Jan. 1843.

Verſtimmung der deutſchen Proteſtanten.
der in der Taufe den Namen Alexander angenommen hatte und ſein
ſchwieriges Amt ſehr würdig ausfüllte. Die Weihepredigt feierte den Biſchof-
ſitz auf Zion als die Erſtlingsfrucht der Union aller Evangeliſchen. So
ſchenkte Preußen dem neuen anglikaniſchen Bisthum außer der Hälfte
der Unterhaltungskoſten auch die Perſon des Biſchofs. Bunſen ſchwamm
in Wonne; er glaubte wieder einmal einen großen diplomatiſchen Sieg
errungen zu haben, da er die Briten zur Annahme der preußiſchen Ge-
ſchenke bewogen hatte, und vernahm mit Entzücken, wie ſein gottſeliger
Freund Lord Aſhley Preußens chriſtlichen Monarchen als „den beſten
und herrlichſten König dieſer Welt“ pries. Nicht ohne Schadenfreude
bemerkte er, daß die anderen Großmächte alleſammt das evangeliſche Bis-
thum mit ſcheelen Augen betrachteten.*) Rußland und Frankreich bewarben
ſich ſeit dem Dardanellen-Vertrage wieder wetteifernd um Englands Gunſt
und konnten nicht wünſchen, durch Preußen überboten zu werden, während
Metternich von der Freundſchaft der beiden proteſtantiſchen Großmächte
unbeſtimmte Gefahren für die katholiſche Kirche befürchtete, und ſein ge-
treuer Neumann in London ängſtlich ſagte: Bunſen ſoll hier einen neuen
ſchmalkaldiſchen Bund gründen.

Aber auch die deutſchen Proteſtanten zeigten ſich mißtrauiſch. Ganz
vergeblich verſuchten General Gerlach in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung, Hengſtenberg in ſeiner Kirchenzeitung das Werk ihres königlichen
Gönners zu rechtfertigen.**) Geradezu abſchreckend wirkte das weihevolle
Büchlein über „das evangeliſche Bisthum in Jeruſalem“, das von Bunſen
gemeinſam mit einem anderen theologiſchen Diplomaten, dem jungen
Abeken ausgearbeitet war und über die unermeßliche Zukunft des chriſtia-
niſirten Paläſtinas mit einer Sicherheit redete, als ob die Weltgeſchichte
verpflichtet wäre ihre Schauplätze niemals zu verändern. Die liberale
Welt wollte ſich zu kirchlichen Unternehmungen überhaupt ein Herz faſſen;
ſie lächelte über die Berliner „diplomatiſche Romantik“ und fragte ſpöttiſch,
warum nur dieſer König, der ſeine preußiſchen Juden ſo wenig liebe, für
das Volk Gottes in der Urheimath ſo zärtlich ſorge. Aber auch „ſehr gut
geſinnte Männer“ in Preußen und in Süddeutſchland fanden, wie General
Thile berichtete, die Unterordnung deutſcher Gemeinden unter einen angli-
kaniſchen Biſchof höchſt anſtößig; das längſt verbreitete Gerücht von den
katholiſchen Neigungen des Königs ſchien jetzt ſeine volle Beſtätigung zu
empfangen. Als Biſchof Alexander den erſten Jahrestag ſeines Einzugs
in Jeruſalem durch eine Dankſagung feiern wollte und der König die
Gemeinden ſeiner Landeskirche „in aller Freiheit“ zur Mitwirkung auffor-
dern ließ, da zeigte ſich nur an wenigen Orten aufrichtige Theilnahme.***)

*) Bunſen’s Berichte, 6. Jan. 1842 ff.
**) Thile’s Bericht an den König, 14. Dec. 1841.
***) Thile’s Bericht an den König, 14. Aug. 1842. Cabinetsordre an Thile und
Eichhorn, 9. Jan. 1843.
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[123/0137] Verſtimmung der deutſchen Proteſtanten. der in der Taufe den Namen Alexander angenommen hatte und ſein ſchwieriges Amt ſehr würdig ausfüllte. Die Weihepredigt feierte den Biſchof- ſitz auf Zion als die Erſtlingsfrucht der Union aller Evangeliſchen. So ſchenkte Preußen dem neuen anglikaniſchen Bisthum außer der Hälfte der Unterhaltungskoſten auch die Perſon des Biſchofs. Bunſen ſchwamm in Wonne; er glaubte wieder einmal einen großen diplomatiſchen Sieg errungen zu haben, da er die Briten zur Annahme der preußiſchen Ge- ſchenke bewogen hatte, und vernahm mit Entzücken, wie ſein gottſeliger Freund Lord Aſhley Preußens chriſtlichen Monarchen als „den beſten und herrlichſten König dieſer Welt“ pries. Nicht ohne Schadenfreude bemerkte er, daß die anderen Großmächte alleſammt das evangeliſche Bis- thum mit ſcheelen Augen betrachteten. *) Rußland und Frankreich bewarben ſich ſeit dem Dardanellen-Vertrage wieder wetteifernd um Englands Gunſt und konnten nicht wünſchen, durch Preußen überboten zu werden, während Metternich von der Freundſchaft der beiden proteſtantiſchen Großmächte unbeſtimmte Gefahren für die katholiſche Kirche befürchtete, und ſein ge- treuer Neumann in London ängſtlich ſagte: Bunſen ſoll hier einen neuen ſchmalkaldiſchen Bund gründen. Aber auch die deutſchen Proteſtanten zeigten ſich mißtrauiſch. Ganz vergeblich verſuchten General Gerlach in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, Hengſtenberg in ſeiner Kirchenzeitung das Werk ihres königlichen Gönners zu rechtfertigen. **) Geradezu abſchreckend wirkte das weihevolle Büchlein über „das evangeliſche Bisthum in Jeruſalem“, das von Bunſen gemeinſam mit einem anderen theologiſchen Diplomaten, dem jungen Abeken ausgearbeitet war und über die unermeßliche Zukunft des chriſtia- niſirten Paläſtinas mit einer Sicherheit redete, als ob die Weltgeſchichte verpflichtet wäre ihre Schauplätze niemals zu verändern. Die liberale Welt wollte ſich zu kirchlichen Unternehmungen überhaupt ein Herz faſſen; ſie lächelte über die Berliner „diplomatiſche Romantik“ und fragte ſpöttiſch, warum nur dieſer König, der ſeine preußiſchen Juden ſo wenig liebe, für das Volk Gottes in der Urheimath ſo zärtlich ſorge. Aber auch „ſehr gut geſinnte Männer“ in Preußen und in Süddeutſchland fanden, wie General Thile berichtete, die Unterordnung deutſcher Gemeinden unter einen angli- kaniſchen Biſchof höchſt anſtößig; das längſt verbreitete Gerücht von den katholiſchen Neigungen des Königs ſchien jetzt ſeine volle Beſtätigung zu empfangen. Als Biſchof Alexander den erſten Jahrestag ſeines Einzugs in Jeruſalem durch eine Dankſagung feiern wollte und der König die Gemeinden ſeiner Landeskirche „in aller Freiheit“ zur Mitwirkung auffor- dern ließ, da zeigte ſich nur an wenigen Orten aufrichtige Theilnahme. ***) *) Bunſen’s Berichte, 6. Jan. 1842 ff. **) Thile’s Bericht an den König, 14. Dec. 1841. ***) Thile’s Bericht an den König, 14. Aug. 1842. Cabinetsordre an Thile und Eichhorn, 9. Jan. 1843.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/137>, abgerufen am 28.11.2024.