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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Preußen, England und Frankreich.
mehr zwischen den beiden bluts- und wahlverwandten Höfen entspann,
wurde von den gemäßigten Parteien diesseits wie jenseits des Canals
nicht ungern gesehen; denn der alte Nationalhaß war wirklich erloschen,
die Idee der Verbrüderung des freien Westens kam trotz mancher Ir-
rungen immer wieder obenauf. Freilich standen an der Spitze beider
Höfe kühle Kaufleute, die ihre dynastischen Sonderinteressen niemals aus
den Augen verloren, und wie leicht konnten diese begehrlichen Hinter-
gedanken eine Freundschaft sprengen, welche immer des Vertrauens ent-
behrte.

Preußen aber stand in der diplomatischen Welt so einsam wie seit
Jahren nicht. Sein König hatte verstanden, in kurzer Zeit die alten
Freunde Oesterreich und Rußland mit Mißtrauen zu erfüllen; er hatte
mit seinen Freundschaftswerbungen in England wenig Anklang gefunden,
und kaum war die Kriegsgefahr vorüber, so bemerkte man bald, daß
Preußen jetzt auch an den kleinen deutschen Höfen weniger geachtet war als
einst unter dem alten Könige. Die ruhige Würde des Vaters erweckte
Vertrauen, die bewegliche Geschäftigkeit des Sohnes Zweifel und Arg-
wohn. --



Preußen, England und Frankreich.
mehr zwiſchen den beiden bluts- und wahlverwandten Höfen entſpann,
wurde von den gemäßigten Parteien dieſſeits wie jenſeits des Canals
nicht ungern geſehen; denn der alte Nationalhaß war wirklich erloſchen,
die Idee der Verbrüderung des freien Weſtens kam trotz mancher Ir-
rungen immer wieder obenauf. Freilich ſtanden an der Spitze beider
Höfe kühle Kaufleute, die ihre dynaſtiſchen Sonderintereſſen niemals aus
den Augen verloren, und wie leicht konnten dieſe begehrlichen Hinter-
gedanken eine Freundſchaft ſprengen, welche immer des Vertrauens ent-
behrte.

Preußen aber ſtand in der diplomatiſchen Welt ſo einſam wie ſeit
Jahren nicht. Sein König hatte verſtanden, in kurzer Zeit die alten
Freunde Oeſterreich und Rußland mit Mißtrauen zu erfüllen; er hatte
mit ſeinen Freundſchaftswerbungen in England wenig Anklang gefunden,
und kaum war die Kriegsgefahr vorüber, ſo bemerkte man bald, daß
Preußen jetzt auch an den kleinen deutſchen Höfen weniger geachtet war als
einſt unter dem alten Könige. Die ruhige Würde des Vaters erweckte
Vertrauen, die bewegliche Geſchäftigkeit des Sohnes Zweifel und Arg-
wohn. —



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[137/0151] Preußen, England und Frankreich. mehr zwiſchen den beiden bluts- und wahlverwandten Höfen entſpann, wurde von den gemäßigten Parteien dieſſeits wie jenſeits des Canals nicht ungern geſehen; denn der alte Nationalhaß war wirklich erloſchen, die Idee der Verbrüderung des freien Weſtens kam trotz mancher Ir- rungen immer wieder obenauf. Freilich ſtanden an der Spitze beider Höfe kühle Kaufleute, die ihre dynaſtiſchen Sonderintereſſen niemals aus den Augen verloren, und wie leicht konnten dieſe begehrlichen Hinter- gedanken eine Freundſchaft ſprengen, welche immer des Vertrauens ent- behrte. Preußen aber ſtand in der diplomatiſchen Welt ſo einſam wie ſeit Jahren nicht. Sein König hatte verſtanden, in kurzer Zeit die alten Freunde Oeſterreich und Rußland mit Mißtrauen zu erfüllen; er hatte mit ſeinen Freundſchaftswerbungen in England wenig Anklang gefunden, und kaum war die Kriegsgefahr vorüber, ſo bemerkte man bald, daß Preußen jetzt auch an den kleinen deutſchen Höfen weniger geachtet war als einſt unter dem alten Könige. Die ruhige Würde des Vaters erweckte Vertrauen, die bewegliche Geſchäftigkeit des Sohnes Zweifel und Arg- wohn. —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/151>, abgerufen am 27.11.2024.