Während der drei letzten Jahre seiner Regierung hatte Friedrich Wilhelm III. die Prooinziallandtage nicht mehr versammelt, weil er die Besprechung des Kölnischen Bischofsstreites vermeiden wollte. Der neue König berief sie allesammt schon auf das Frühjahr 1841 zur regelmäßigen Tagung; er hoffte -- so ließ er ihnen aussprechen -- "mit wahrer Freudig- keit auch für die ständischen Verhältnisse eine lebendigere Zeit zu beginnen". Da erinnerte ihn, gerade als die ersten Landtage zusammentraten, zum dritten male ein Mahnruf aus Ostpreußen an die Verheißungen des Vaters. Im Februar erschienen die "Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen" -- eine den Ständen Altpreußens gewidmete Flugschrift, die der unklaren Sehnsucht der Liberalen endlich ein brauchbares Programm, ein handliches Schlagwort darbot. In scharfer, zuversichtlicher, beinah drohender Sprache forderte sie für dies längst mündige hochgebildete Volk "Oeffentlichkeit und wahre Vertretung" statt der Beamtenallgewalt und der politischen Nichtigkeit aller selbständigen Bürger; sie behauptete frisch- weg, das Versprechen der Volksrepräsentation vom Mai 1815 sei giltiges Gesetz, und gelangte dann, ohne in die schwierigen Rechtsfragen tiefer einzugehen, mit der schnellfertigen Logik des Radikalismus zu dem ein- fachen Schlusse: Preußens Provinzialstände sollten "das was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als erwiesenes Recht in Anspruch nehmen." Otto Wigand in Leipzig, der unermüdliche Verleger der radikalen Partei hatte die Vier Fragen gedruckt; auf dem Titel stand aber der Name: Heinrich Hoff in Mannheim, eine Firma, die fortan oftmals von preu- ßischen Schriftstellern vorgeschoben wurde und in der nächsten Zeit als Herberge der Opposition eine ähnliche Rolle spielte wie vor zweihundert Jahren die holländische Scheinfirma Peter Hammer in Köln.
Der ungenannte Verfasser war Johann Jacoby, ein jüdischer Arzt in Königsberg. Er gehörte schon zu dem neuen Geschlechte, das die Be- freiungskriege nicht mit Bewußtsein durchlebt hatte, seine Ideale der Juli-
Dritter Abſchnitt. Enttäuſchung und Verwirrung.
Während der drei letzten Jahre ſeiner Regierung hatte Friedrich Wilhelm III. die Prooinziallandtage nicht mehr verſammelt, weil er die Beſprechung des Kölniſchen Biſchofsſtreites vermeiden wollte. Der neue König berief ſie alleſammt ſchon auf das Frühjahr 1841 zur regelmäßigen Tagung; er hoffte — ſo ließ er ihnen ausſprechen — „mit wahrer Freudig- keit auch für die ſtändiſchen Verhältniſſe eine lebendigere Zeit zu beginnen“. Da erinnerte ihn, gerade als die erſten Landtage zuſammentraten, zum dritten male ein Mahnruf aus Oſtpreußen an die Verheißungen des Vaters. Im Februar erſchienen die „Vier Fragen, beantwortet von einem Oſtpreußen“ — eine den Ständen Altpreußens gewidmete Flugſchrift, die der unklaren Sehnſucht der Liberalen endlich ein brauchbares Programm, ein handliches Schlagwort darbot. In ſcharfer, zuverſichtlicher, beinah drohender Sprache forderte ſie für dies längſt mündige hochgebildete Volk „Oeffentlichkeit und wahre Vertretung“ ſtatt der Beamtenallgewalt und der politiſchen Nichtigkeit aller ſelbſtändigen Bürger; ſie behauptete friſch- weg, das Verſprechen der Volksrepräſentation vom Mai 1815 ſei giltiges Geſetz, und gelangte dann, ohne in die ſchwierigen Rechtsfragen tiefer einzugehen, mit der ſchnellfertigen Logik des Radikalismus zu dem ein- fachen Schluſſe: Preußens Provinzialſtände ſollten „das was ſie bisher als Gunſt erbeten, nunmehr als erwieſenes Recht in Anſpruch nehmen.“ Otto Wigand in Leipzig, der unermüdliche Verleger der radikalen Partei hatte die Vier Fragen gedruckt; auf dem Titel ſtand aber der Name: Heinrich Hoff in Mannheim, eine Firma, die fortan oftmals von preu- ßiſchen Schriftſtellern vorgeſchoben wurde und in der nächſten Zeit als Herberge der Oppoſition eine ähnliche Rolle ſpielte wie vor zweihundert Jahren die holländiſche Scheinfirma Peter Hammer in Köln.
Der ungenannte Verfaſſer war Johann Jacoby, ein jüdiſcher Arzt in Königsberg. Er gehörte ſchon zu dem neuen Geſchlechte, das die Be- freiungskriege nicht mit Bewußtſein durchlebt hatte, ſeine Ideale der Juli-
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Dritter Abſchnitt.
Enttäuſchung und Verwirrung.
Während der drei letzten Jahre ſeiner Regierung hatte Friedrich
Wilhelm III. die Prooinziallandtage nicht mehr verſammelt, weil er die
Beſprechung des Kölniſchen Biſchofsſtreites vermeiden wollte. Der neue
König berief ſie alleſammt ſchon auf das Frühjahr 1841 zur regelmäßigen
Tagung; er hoffte — ſo ließ er ihnen ausſprechen — „mit wahrer Freudig-
keit auch für die ſtändiſchen Verhältniſſe eine lebendigere Zeit zu beginnen“.
Da erinnerte ihn, gerade als die erſten Landtage zuſammentraten, zum
dritten male ein Mahnruf aus Oſtpreußen an die Verheißungen des
Vaters. Im Februar erſchienen die „Vier Fragen, beantwortet von einem
Oſtpreußen“ — eine den Ständen Altpreußens gewidmete Flugſchrift, die
der unklaren Sehnſucht der Liberalen endlich ein brauchbares Programm,
ein handliches Schlagwort darbot. In ſcharfer, zuverſichtlicher, beinah
drohender Sprache forderte ſie für dies längſt mündige hochgebildete Volk
„Oeffentlichkeit und wahre Vertretung“ ſtatt der Beamtenallgewalt und
der politiſchen Nichtigkeit aller ſelbſtändigen Bürger; ſie behauptete friſch-
weg, das Verſprechen der Volksrepräſentation vom Mai 1815 ſei giltiges
Geſetz, und gelangte dann, ohne in die ſchwierigen Rechtsfragen tiefer
einzugehen, mit der ſchnellfertigen Logik des Radikalismus zu dem ein-
fachen Schluſſe: Preußens Provinzialſtände ſollten „das was ſie bisher
als Gunſt erbeten, nunmehr als erwieſenes Recht in Anſpruch nehmen.“
Otto Wigand in Leipzig, der unermüdliche Verleger der radikalen Partei
hatte die Vier Fragen gedruckt; auf dem Titel ſtand aber der Name:
Heinrich Hoff in Mannheim, eine Firma, die fortan oftmals von preu-
ßiſchen Schriftſtellern vorgeſchoben wurde und in der nächſten Zeit als
Herberge der Oppoſition eine ähnliche Rolle ſpielte wie vor zweihundert
Jahren die holländiſche Scheinfirma Peter Hammer in Köln.
Der ungenannte Verfaſſer war Johann Jacoby, ein jüdiſcher Arzt
in Königsberg. Er gehörte ſchon zu dem neuen Geſchlechte, das die Be-
freiungskriege nicht mit Bewußtſein durchlebt hatte, ſeine Ideale der Juli-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. [138]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/152>, abgerufen am 23.11.2024.
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