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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Rheinische Zeitung.
verlangte nur Ausbau der ständischen Institutionen und, in einem ehr-
furchtsvollen Artikel zum Dombaufeste, Aufhebung der Censur; sie sprach
mit einem kräftigen preußischen Stolze, wie er am Rhein noch selten war,
und glaubte fest an die große Zukunft Deutschlands, das in Religion
und Literatur dem Welttheil Gesetze gegeben habe und dereinst auch die
Politik Europas beherrschen werde, "so lächerlich das heute klingen möge".

Die Augsburger Allgemeine Zeitung wehklagte schon: diese erwachende
preußische Presse rede mit einer Zuversicht, als ob ihrem Staate die Hege-
monie in Deutschland gebührte -- worauf die Rheinische fröhlich erwiderte:
die preußische Hegemonie ist nur das moralische Uebergewicht, das aus
dem Zollvereine, aus dem Geiste des Fortschritts und dem neuen Regie-
rungssysteme entsteht. Wenn die Regierung diese Angst ihrer süddeut-
schen Feinde richtig würdigte, dann mußte sie die übermüthige und doch
patriotische Jugend des mächtigen rheinischen Bürgerthums durch Nachsicht
zu gewinnen suchen. Der König aber fand den religiösen Radicalismus
der Zeitung frevelhaft; auch ihre scharfen, wohlberechtigten Angriffe wider
das Treiben der rheinischen Ultramontanen erschienen jetzt unbequem seit
sich der Wind in Berlin gedreht hatte. Darum wurde sie durch Censur-
striche und Verwarnungen arg mißhandelt. Da ihr Absatz trotzdem sehr rasch
wuchs, so konnte es nicht ausbleiben, daß die Heißsporne unter den jungen
Leuten die Oberhand erlangten: der Referendar Georg Jung, ein eleganter
Lebemann, der die Opposition nach Heine's Weise wie einen kurzweiligen
Sport betrieb, und der jüngste unter allen, Karl Marx aus Trier, ein
kräftiger Mann von vierundzwanzig Jahren, dem die dichten schwarzen
Haare aus Wangen, Armen, Nase und Ohren quollen, herrisch, ungestüm,
leidenschaftlich, voll unermeßlichen Selbstgefühles, aber tief ernst und ge-
lehrt, ein rastloser Dialektiker, der mit seinem unerbittlichen jüdischen
Scharfsinn jeden Satz der junghegelschen Lehre bis zu den letzen Folge-
rungen durchführte und jetzt schon durch strenge volkswirthschaftliche Stu-
dien seinen Uebergang zum Communismus vorbereitete. Unter Mar-
xens Leitung begann die junge Zeitung bald sehr rücksichtslos zu reden;
die Behörden betrachteten sie mit wachsender Besorgniß und hegten sogar
den ganz thörichten Argwohn, daß sie von Frankreich bezahlt würde.*)

Die preußischen Skandalgeschichten der Leipziger Allgemeinen Zeitung
wurden bald gemein und schmutzig; in ihrer aussichtslosen Opposi-
tionsstellung hatten sich die Liberalen ja längst gewöhnt jeden Gegner wie
einen knechtischen Liebediener zu behandeln, sie verfuhren in der literarischen
Polemik meist unanständiger als die Conservativen, die in den Worten
Maß hielten weil sie ihre Feinde durch gewaltsamere Mittel niederwerfen
konnten. Mittlerweile waren Ruge's Jahrbücher auf ihren dialektischen Irr-
fahrten bei der Selbstkritik des Liberalismus angelangt und stellten die

*) Graf Arnim's Bericht an Bülow, Paris, 30. Jan. 1843.

Rheiniſche Zeitung.
verlangte nur Ausbau der ſtändiſchen Inſtitutionen und, in einem ehr-
furchtsvollen Artikel zum Dombaufeſte, Aufhebung der Cenſur; ſie ſprach
mit einem kräftigen preußiſchen Stolze, wie er am Rhein noch ſelten war,
und glaubte feſt an die große Zukunft Deutſchlands, das in Religion
und Literatur dem Welttheil Geſetze gegeben habe und dereinſt auch die
Politik Europas beherrſchen werde, „ſo lächerlich das heute klingen möge“.

Die Augsburger Allgemeine Zeitung wehklagte ſchon: dieſe erwachende
preußiſche Preſſe rede mit einer Zuverſicht, als ob ihrem Staate die Hege-
monie in Deutſchland gebührte — worauf die Rheiniſche fröhlich erwiderte:
die preußiſche Hegemonie iſt nur das moraliſche Uebergewicht, das aus
dem Zollvereine, aus dem Geiſte des Fortſchritts und dem neuen Regie-
rungsſyſteme entſteht. Wenn die Regierung dieſe Angſt ihrer ſüddeut-
ſchen Feinde richtig würdigte, dann mußte ſie die übermüthige und doch
patriotiſche Jugend des mächtigen rheiniſchen Bürgerthums durch Nachſicht
zu gewinnen ſuchen. Der König aber fand den religiöſen Radicalismus
der Zeitung frevelhaft; auch ihre ſcharfen, wohlberechtigten Angriffe wider
das Treiben der rheiniſchen Ultramontanen erſchienen jetzt unbequem ſeit
ſich der Wind in Berlin gedreht hatte. Darum wurde ſie durch Cenſur-
ſtriche und Verwarnungen arg mißhandelt. Da ihr Abſatz trotzdem ſehr raſch
wuchs, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß die Heißſporne unter den jungen
Leuten die Oberhand erlangten: der Referendar Georg Jung, ein eleganter
Lebemann, der die Oppoſition nach Heine’s Weiſe wie einen kurzweiligen
Sport betrieb, und der jüngſte unter allen, Karl Marx aus Trier, ein
kräftiger Mann von vierundzwanzig Jahren, dem die dichten ſchwarzen
Haare aus Wangen, Armen, Naſe und Ohren quollen, herriſch, ungeſtüm,
leidenſchaftlich, voll unermeßlichen Selbſtgefühles, aber tief ernſt und ge-
lehrt, ein raſtloſer Dialektiker, der mit ſeinem unerbittlichen jüdiſchen
Scharfſinn jeden Satz der junghegelſchen Lehre bis zu den letzen Folge-
rungen durchführte und jetzt ſchon durch ſtrenge volkswirthſchaftliche Stu-
dien ſeinen Uebergang zum Communismus vorbereitete. Unter Mar-
xens Leitung begann die junge Zeitung bald ſehr rückſichtslos zu reden;
die Behörden betrachteten ſie mit wachſender Beſorgniß und hegten ſogar
den ganz thörichten Argwohn, daß ſie von Frankreich bezahlt würde.*)

Die preußiſchen Skandalgeſchichten der Leipziger Allgemeinen Zeitung
wurden bald gemein und ſchmutzig; in ihrer ausſichtsloſen Oppoſi-
tionsſtellung hatten ſich die Liberalen ja längſt gewöhnt jeden Gegner wie
einen knechtiſchen Liebediener zu behandeln, ſie verfuhren in der literariſchen
Polemik meiſt unanſtändiger als die Conſervativen, die in den Worten
Maß hielten weil ſie ihre Feinde durch gewaltſamere Mittel niederwerfen
konnten. Mittlerweile waren Ruge’s Jahrbücher auf ihren dialektiſchen Irr-
fahrten bei der Selbſtkritik des Liberalismus angelangt und ſtellten die

*) Graf Arnim’s Bericht an Bülow, Paris, 30. Jan. 1843.
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[201/0215] Rheiniſche Zeitung. verlangte nur Ausbau der ſtändiſchen Inſtitutionen und, in einem ehr- furchtsvollen Artikel zum Dombaufeſte, Aufhebung der Cenſur; ſie ſprach mit einem kräftigen preußiſchen Stolze, wie er am Rhein noch ſelten war, und glaubte feſt an die große Zukunft Deutſchlands, das in Religion und Literatur dem Welttheil Geſetze gegeben habe und dereinſt auch die Politik Europas beherrſchen werde, „ſo lächerlich das heute klingen möge“. Die Augsburger Allgemeine Zeitung wehklagte ſchon: dieſe erwachende preußiſche Preſſe rede mit einer Zuverſicht, als ob ihrem Staate die Hege- monie in Deutſchland gebührte — worauf die Rheiniſche fröhlich erwiderte: die preußiſche Hegemonie iſt nur das moraliſche Uebergewicht, das aus dem Zollvereine, aus dem Geiſte des Fortſchritts und dem neuen Regie- rungsſyſteme entſteht. Wenn die Regierung dieſe Angſt ihrer ſüddeut- ſchen Feinde richtig würdigte, dann mußte ſie die übermüthige und doch patriotiſche Jugend des mächtigen rheiniſchen Bürgerthums durch Nachſicht zu gewinnen ſuchen. Der König aber fand den religiöſen Radicalismus der Zeitung frevelhaft; auch ihre ſcharfen, wohlberechtigten Angriffe wider das Treiben der rheiniſchen Ultramontanen erſchienen jetzt unbequem ſeit ſich der Wind in Berlin gedreht hatte. Darum wurde ſie durch Cenſur- ſtriche und Verwarnungen arg mißhandelt. Da ihr Abſatz trotzdem ſehr raſch wuchs, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß die Heißſporne unter den jungen Leuten die Oberhand erlangten: der Referendar Georg Jung, ein eleganter Lebemann, der die Oppoſition nach Heine’s Weiſe wie einen kurzweiligen Sport betrieb, und der jüngſte unter allen, Karl Marx aus Trier, ein kräftiger Mann von vierundzwanzig Jahren, dem die dichten ſchwarzen Haare aus Wangen, Armen, Naſe und Ohren quollen, herriſch, ungeſtüm, leidenſchaftlich, voll unermeßlichen Selbſtgefühles, aber tief ernſt und ge- lehrt, ein raſtloſer Dialektiker, der mit ſeinem unerbittlichen jüdiſchen Scharfſinn jeden Satz der junghegelſchen Lehre bis zu den letzen Folge- rungen durchführte und jetzt ſchon durch ſtrenge volkswirthſchaftliche Stu- dien ſeinen Uebergang zum Communismus vorbereitete. Unter Mar- xens Leitung begann die junge Zeitung bald ſehr rückſichtslos zu reden; die Behörden betrachteten ſie mit wachſender Beſorgniß und hegten ſogar den ganz thörichten Argwohn, daß ſie von Frankreich bezahlt würde. *) Die preußiſchen Skandalgeſchichten der Leipziger Allgemeinen Zeitung wurden bald gemein und ſchmutzig; in ihrer ausſichtsloſen Oppoſi- tionsſtellung hatten ſich die Liberalen ja längſt gewöhnt jeden Gegner wie einen knechtiſchen Liebediener zu behandeln, ſie verfuhren in der literariſchen Polemik meiſt unanſtändiger als die Conſervativen, die in den Worten Maß hielten weil ſie ihre Feinde durch gewaltſamere Mittel niederwerfen konnten. Mittlerweile waren Ruge’s Jahrbücher auf ihren dialektiſchen Irr- fahrten bei der Selbſtkritik des Liberalismus angelangt und ſtellten die *) Graf Arnim’s Bericht an Bülow, Paris, 30. Jan. 1843.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/215>, abgerufen am 21.11.2024.