Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
ward ihm aber, als ihm der Dichter noch aus Königsberg einen höchst
unziemlichen Brief zusendete. Herwegh beabsichtigte in der Schweiz eine
für Deutschland bestimmte Zeitschrift herauszugeben; das Blatt wurde in
Preußen eben jetzt im Voraus verboten -- was den Behörden gesetzlich
freistand, aber gleich nach jener Audienz sich sehr gehässig ausnahm --
und der Gekränkte richtete nun "ein Wort unter vier Augen" an den
Monarchen, "ohne eine Devotion zu heucheln, die ich nicht kenne, oder
Gefühle, die ich nicht empfinde und nie empfinden werde". Er klagte
die Diener der Fürsten an, deren "alterndem Bewußtsein" sein beschränkter
Unterthanenverstand, sein Bewußtsein einer neuen Zeit auf ewig wider-
sprechen müsse; er betheuerte: "ich bin durch die Nothwendigkeit meiner
Natur Republikaner", und drohte: "noch giebt es Menschen, die durch nichts
zu schrecken sind, und ich rechne mich zu ihnen." Die kindischen Groß-
sprechereien verdienten keine Beachtung. Zu Weihnachten jedoch wurde der
den Königsberger Liberalen längst mitgetheilte Brief in der Leipziger All-
gemeinen Zeitung abgedruckt, und also veröffentlicht erschien er wie eine freche
Verhöhnung des Monarchen.

Am Berliner Hofe war nur eine Stimme der Entrüstung. Man fand
es auch menschlich niederträchtig, daß "ein Wort unter vier Augen", nich
ohne die Mitschuld seines Urhebers, verrathen wurde,*) und hielt für nöthig,
mindestens auf einige Zeit "einen Belagerungszustand" über die Presse zu ver-
hängen. Zur Vorbereitung mußte die Literarische Zeitung eine laute Wehklage
anstimmen: die Wortführer der Freiheit haben in einem Jahre die deutsche
Presse um ihren hundertjährigen guten Ruf gebracht; durch Verkündigung
der vollen Preßfreiheit würde der Staat eine außer seinem Bereiche stehende
Macht anerkennen. Darauf wurde Herwegh aus Preußen ausgewiesen und
die Leipziger Allgemeine Zeitung verboten, weil sie "eine Niederlage von Lügent
Entstellungen und böswilligen Angriffen" geworden sei. In welche peinliche
Lage gerieth nun Graf Arnim-Boitzenburg. Er wünschte dringend die
freiere Bewegung der Presse und war eben deshalb in den Rath der Krone
berufen worden; jetzt sah er sich doch genöthigt, als Minister des Innern
bei allen Zwangsmaßregeln voranzugehen, auf seinen Namen sammelte
sich der ganze Haß der Liberalen. Der König verlangte indeß noch weitere
Verbote.

Auf den Schutz der Gerichte glaubte er sich nicht mehr verlassen zu
können; denn grade in diesen Tagen (Jan. 1843) wurde Johann Jacoby,
der, einmal schon verurtheilt, seine Vier Fragen in zwei Rechtfertigungs-
schriften tapfer vertheidigt hatte, von dem Ober-Appellationssenate des Kam-
mergerichts endgiltig freigesprochen. Das Urtheil trug die Unterschrift des
ehrwürdigen Präsidenten Grolman. In den sehr ausführlichen Entscheidungs-

*) Denkschrift über Herwegh's Brief, Dec. 1842, o. N., wahrscheinlich von Ludw.
v. Gerlach.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
ward ihm aber, als ihm der Dichter noch aus Königsberg einen höchſt
unziemlichen Brief zuſendete. Herwegh beabſichtigte in der Schweiz eine
für Deutſchland beſtimmte Zeitſchrift herauszugeben; das Blatt wurde in
Preußen eben jetzt im Voraus verboten — was den Behörden geſetzlich
freiſtand, aber gleich nach jener Audienz ſich ſehr gehäſſig ausnahm —
und der Gekränkte richtete nun „ein Wort unter vier Augen“ an den
Monarchen, „ohne eine Devotion zu heucheln, die ich nicht kenne, oder
Gefühle, die ich nicht empfinde und nie empfinden werde“. Er klagte
die Diener der Fürſten an, deren „alterndem Bewußtſein“ ſein beſchränkter
Unterthanenverſtand, ſein Bewußtſein einer neuen Zeit auf ewig wider-
ſprechen müſſe; er betheuerte: „ich bin durch die Nothwendigkeit meiner
Natur Republikaner“, und drohte: „noch giebt es Menſchen, die durch nichts
zu ſchrecken ſind, und ich rechne mich zu ihnen.“ Die kindiſchen Groß-
ſprechereien verdienten keine Beachtung. Zu Weihnachten jedoch wurde der
den Königsberger Liberalen längſt mitgetheilte Brief in der Leipziger All-
gemeinen Zeitung abgedruckt, und alſo veröffentlicht erſchien er wie eine freche
Verhöhnung des Monarchen.

Am Berliner Hofe war nur eine Stimme der Entrüſtung. Man fand
es auch menſchlich niederträchtig, daß „ein Wort unter vier Augen“, nich
ohne die Mitſchuld ſeines Urhebers, verrathen wurde,*) und hielt für nöthig,
mindeſtens auf einige Zeit „einen Belagerungszuſtand“ über die Preſſe zu ver-
hängen. Zur Vorbereitung mußte die Literariſche Zeitung eine laute Wehklage
anſtimmen: die Wortführer der Freiheit haben in einem Jahre die deutſche
Preſſe um ihren hundertjährigen guten Ruf gebracht; durch Verkündigung
der vollen Preßfreiheit würde der Staat eine außer ſeinem Bereiche ſtehende
Macht anerkennen. Darauf wurde Herwegh aus Preußen ausgewieſen und
die Leipziger Allgemeine Zeitung verboten, weil ſie „eine Niederlage von Lügent
Entſtellungen und böswilligen Angriffen“ geworden ſei. In welche peinliche
Lage gerieth nun Graf Arnim-Boitzenburg. Er wünſchte dringend die
freiere Bewegung der Preſſe und war eben deshalb in den Rath der Krone
berufen worden; jetzt ſah er ſich doch genöthigt, als Miniſter des Innern
bei allen Zwangsmaßregeln voranzugehen, auf ſeinen Namen ſammelte
ſich der ganze Haß der Liberalen. Der König verlangte indeß noch weitere
Verbote.

Auf den Schutz der Gerichte glaubte er ſich nicht mehr verlaſſen zu
können; denn grade in dieſen Tagen (Jan. 1843) wurde Johann Jacoby,
der, einmal ſchon verurtheilt, ſeine Vier Fragen in zwei Rechtfertigungs-
ſchriften tapfer vertheidigt hatte, von dem Ober-Appellationsſenate des Kam-
mergerichts endgiltig freigeſprochen. Das Urtheil trug die Unterſchrift des
ehrwürdigen Präſidenten Grolman. In den ſehr ausführlichen Entſcheidungs-

*) Denkſchrift über Herwegh’s Brief, Dec. 1842, o. N., wahrſcheinlich von Ludw.
v. Gerlach.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0220" n="206"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäu&#x017F;chung und Verwirrung.</fw><lb/>
ward ihm aber, als ihm der Dichter noch aus Königsberg einen höch&#x017F;t<lb/>
unziemlichen Brief zu&#x017F;endete. Herwegh beab&#x017F;ichtigte in der Schweiz eine<lb/>
für Deut&#x017F;chland be&#x017F;timmte Zeit&#x017F;chrift herauszugeben; das Blatt wurde in<lb/>
Preußen eben jetzt im Voraus verboten &#x2014; was den Behörden ge&#x017F;etzlich<lb/>
frei&#x017F;tand, aber gleich nach jener Audienz &#x017F;ich &#x017F;ehr gehä&#x017F;&#x017F;ig ausnahm &#x2014;<lb/>
und der Gekränkte richtete nun &#x201E;ein Wort unter vier Augen&#x201C; an den<lb/>
Monarchen, &#x201E;ohne eine Devotion zu heucheln, die ich nicht kenne, oder<lb/>
Gefühle, die ich nicht empfinde und nie empfinden werde&#x201C;. Er klagte<lb/>
die Diener der Für&#x017F;ten an, deren &#x201E;alterndem Bewußt&#x017F;ein&#x201C; &#x017F;ein be&#x017F;chränkter<lb/>
Unterthanenver&#x017F;tand, &#x017F;ein Bewußt&#x017F;ein einer neuen Zeit auf ewig wider-<lb/>
&#x017F;prechen mü&#x017F;&#x017F;e; er betheuerte: &#x201E;ich bin durch die Nothwendigkeit meiner<lb/>
Natur Republikaner&#x201C;, und drohte: &#x201E;noch giebt es Men&#x017F;chen, die durch nichts<lb/>
zu &#x017F;chrecken &#x017F;ind, und ich rechne mich zu ihnen.&#x201C; Die kindi&#x017F;chen Groß-<lb/>
&#x017F;prechereien verdienten keine Beachtung. Zu Weihnachten jedoch wurde der<lb/>
den Königsberger Liberalen läng&#x017F;t mitgetheilte Brief in der Leipziger All-<lb/>
gemeinen Zeitung abgedruckt, und al&#x017F;o veröffentlicht er&#x017F;chien er wie eine freche<lb/>
Verhöhnung des Monarchen.</p><lb/>
          <p>Am Berliner Hofe war nur eine Stimme der Entrü&#x017F;tung. Man fand<lb/>
es auch men&#x017F;chlich niederträchtig, daß &#x201E;ein Wort unter vier Augen&#x201C;, nich<lb/>
ohne die Mit&#x017F;chuld &#x017F;eines Urhebers, verrathen wurde,<note place="foot" n="*)">Denk&#x017F;chrift über Herwegh&#x2019;s Brief, Dec. 1842, o. N., wahr&#x017F;cheinlich von Ludw.<lb/>
v. Gerlach.</note> und hielt für nöthig,<lb/>
minde&#x017F;tens auf einige Zeit &#x201E;einen Belagerungszu&#x017F;tand&#x201C; über die Pre&#x017F;&#x017F;e zu ver-<lb/>
hängen. Zur Vorbereitung mußte die Literari&#x017F;che Zeitung eine laute Wehklage<lb/>
an&#x017F;timmen: die Wortführer der Freiheit haben in einem Jahre die deut&#x017F;che<lb/>
Pre&#x017F;&#x017F;e um ihren hundertjährigen guten Ruf gebracht; durch Verkündigung<lb/>
der vollen Preßfreiheit würde der Staat eine außer &#x017F;einem Bereiche &#x017F;tehende<lb/>
Macht anerkennen. Darauf wurde Herwegh aus Preußen ausgewie&#x017F;en und<lb/>
die Leipziger Allgemeine Zeitung verboten, weil &#x017F;ie &#x201E;eine Niederlage von Lügent<lb/>
Ent&#x017F;tellungen und böswilligen Angriffen&#x201C; geworden &#x017F;ei. In welche peinliche<lb/>
Lage gerieth nun Graf Arnim-Boitzenburg. Er wün&#x017F;chte dringend die<lb/>
freiere Bewegung der Pre&#x017F;&#x017F;e und war eben deshalb in den Rath der Krone<lb/>
berufen worden; jetzt &#x017F;ah er &#x017F;ich doch genöthigt, als Mini&#x017F;ter des Innern<lb/>
bei allen Zwangsmaßregeln voranzugehen, auf &#x017F;einen Namen &#x017F;ammelte<lb/>
&#x017F;ich der ganze Haß der Liberalen. Der König verlangte indeß noch weitere<lb/>
Verbote.</p><lb/>
          <p>Auf den Schutz der Gerichte glaubte er &#x017F;ich nicht mehr verla&#x017F;&#x017F;en zu<lb/>
können; denn grade in die&#x017F;en Tagen (Jan. 1843) wurde Johann Jacoby,<lb/>
der, einmal &#x017F;chon verurtheilt, &#x017F;eine Vier Fragen in zwei Rechtfertigungs-<lb/>
&#x017F;chriften tapfer vertheidigt hatte, von dem Ober-Appellations&#x017F;enate des Kam-<lb/>
mergerichts endgiltig freige&#x017F;prochen. Das Urtheil trug die Unter&#x017F;chrift des<lb/>
ehrwürdigen Prä&#x017F;identen Grolman. In den &#x017F;ehr ausführlichen Ent&#x017F;cheidungs-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0220] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. ward ihm aber, als ihm der Dichter noch aus Königsberg einen höchſt unziemlichen Brief zuſendete. Herwegh beabſichtigte in der Schweiz eine für Deutſchland beſtimmte Zeitſchrift herauszugeben; das Blatt wurde in Preußen eben jetzt im Voraus verboten — was den Behörden geſetzlich freiſtand, aber gleich nach jener Audienz ſich ſehr gehäſſig ausnahm — und der Gekränkte richtete nun „ein Wort unter vier Augen“ an den Monarchen, „ohne eine Devotion zu heucheln, die ich nicht kenne, oder Gefühle, die ich nicht empfinde und nie empfinden werde“. Er klagte die Diener der Fürſten an, deren „alterndem Bewußtſein“ ſein beſchränkter Unterthanenverſtand, ſein Bewußtſein einer neuen Zeit auf ewig wider- ſprechen müſſe; er betheuerte: „ich bin durch die Nothwendigkeit meiner Natur Republikaner“, und drohte: „noch giebt es Menſchen, die durch nichts zu ſchrecken ſind, und ich rechne mich zu ihnen.“ Die kindiſchen Groß- ſprechereien verdienten keine Beachtung. Zu Weihnachten jedoch wurde der den Königsberger Liberalen längſt mitgetheilte Brief in der Leipziger All- gemeinen Zeitung abgedruckt, und alſo veröffentlicht erſchien er wie eine freche Verhöhnung des Monarchen. Am Berliner Hofe war nur eine Stimme der Entrüſtung. Man fand es auch menſchlich niederträchtig, daß „ein Wort unter vier Augen“, nich ohne die Mitſchuld ſeines Urhebers, verrathen wurde, *) und hielt für nöthig, mindeſtens auf einige Zeit „einen Belagerungszuſtand“ über die Preſſe zu ver- hängen. Zur Vorbereitung mußte die Literariſche Zeitung eine laute Wehklage anſtimmen: die Wortführer der Freiheit haben in einem Jahre die deutſche Preſſe um ihren hundertjährigen guten Ruf gebracht; durch Verkündigung der vollen Preßfreiheit würde der Staat eine außer ſeinem Bereiche ſtehende Macht anerkennen. Darauf wurde Herwegh aus Preußen ausgewieſen und die Leipziger Allgemeine Zeitung verboten, weil ſie „eine Niederlage von Lügent Entſtellungen und böswilligen Angriffen“ geworden ſei. In welche peinliche Lage gerieth nun Graf Arnim-Boitzenburg. Er wünſchte dringend die freiere Bewegung der Preſſe und war eben deshalb in den Rath der Krone berufen worden; jetzt ſah er ſich doch genöthigt, als Miniſter des Innern bei allen Zwangsmaßregeln voranzugehen, auf ſeinen Namen ſammelte ſich der ganze Haß der Liberalen. Der König verlangte indeß noch weitere Verbote. Auf den Schutz der Gerichte glaubte er ſich nicht mehr verlaſſen zu können; denn grade in dieſen Tagen (Jan. 1843) wurde Johann Jacoby, der, einmal ſchon verurtheilt, ſeine Vier Fragen in zwei Rechtfertigungs- ſchriften tapfer vertheidigt hatte, von dem Ober-Appellationsſenate des Kam- mergerichts endgiltig freigeſprochen. Das Urtheil trug die Unterſchrift des ehrwürdigen Präſidenten Grolman. In den ſehr ausführlichen Entſcheidungs- *) Denkſchrift über Herwegh’s Brief, Dec. 1842, o. N., wahrſcheinlich von Ludw. v. Gerlach.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/220
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/220>, abgerufen am 21.11.2024.