Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. ward ihm aber, als ihm der Dichter noch aus Königsberg einen höchstunziemlichen Brief zusendete. Herwegh beabsichtigte in der Schweiz eine für Deutschland bestimmte Zeitschrift herauszugeben; das Blatt wurde in Preußen eben jetzt im Voraus verboten -- was den Behörden gesetzlich freistand, aber gleich nach jener Audienz sich sehr gehässig ausnahm -- und der Gekränkte richtete nun "ein Wort unter vier Augen" an den Monarchen, "ohne eine Devotion zu heucheln, die ich nicht kenne, oder Gefühle, die ich nicht empfinde und nie empfinden werde". Er klagte die Diener der Fürsten an, deren "alterndem Bewußtsein" sein beschränkter Unterthanenverstand, sein Bewußtsein einer neuen Zeit auf ewig wider- sprechen müsse; er betheuerte: "ich bin durch die Nothwendigkeit meiner Natur Republikaner", und drohte: "noch giebt es Menschen, die durch nichts zu schrecken sind, und ich rechne mich zu ihnen." Die kindischen Groß- sprechereien verdienten keine Beachtung. Zu Weihnachten jedoch wurde der den Königsberger Liberalen längst mitgetheilte Brief in der Leipziger All- gemeinen Zeitung abgedruckt, und also veröffentlicht erschien er wie eine freche Verhöhnung des Monarchen. Am Berliner Hofe war nur eine Stimme der Entrüstung. Man fand Auf den Schutz der Gerichte glaubte er sich nicht mehr verlassen zu *) Denkschrift über Herwegh's Brief, Dec. 1842, o. N., wahrscheinlich von Ludw.
v. Gerlach. V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. ward ihm aber, als ihm der Dichter noch aus Königsberg einen höchſtunziemlichen Brief zuſendete. Herwegh beabſichtigte in der Schweiz eine für Deutſchland beſtimmte Zeitſchrift herauszugeben; das Blatt wurde in Preußen eben jetzt im Voraus verboten — was den Behörden geſetzlich freiſtand, aber gleich nach jener Audienz ſich ſehr gehäſſig ausnahm — und der Gekränkte richtete nun „ein Wort unter vier Augen“ an den Monarchen, „ohne eine Devotion zu heucheln, die ich nicht kenne, oder Gefühle, die ich nicht empfinde und nie empfinden werde“. Er klagte die Diener der Fürſten an, deren „alterndem Bewußtſein“ ſein beſchränkter Unterthanenverſtand, ſein Bewußtſein einer neuen Zeit auf ewig wider- ſprechen müſſe; er betheuerte: „ich bin durch die Nothwendigkeit meiner Natur Republikaner“, und drohte: „noch giebt es Menſchen, die durch nichts zu ſchrecken ſind, und ich rechne mich zu ihnen.“ Die kindiſchen Groß- ſprechereien verdienten keine Beachtung. Zu Weihnachten jedoch wurde der den Königsberger Liberalen längſt mitgetheilte Brief in der Leipziger All- gemeinen Zeitung abgedruckt, und alſo veröffentlicht erſchien er wie eine freche Verhöhnung des Monarchen. Am Berliner Hofe war nur eine Stimme der Entrüſtung. Man fand Auf den Schutz der Gerichte glaubte er ſich nicht mehr verlaſſen zu *) Denkſchrift über Herwegh’s Brief, Dec. 1842, o. N., wahrſcheinlich von Ludw.
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V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
ward ihm aber, als ihm der Dichter noch aus Königsberg einen höchſt
unziemlichen Brief zuſendete. Herwegh beabſichtigte in der Schweiz eine
für Deutſchland beſtimmte Zeitſchrift herauszugeben; das Blatt wurde in
Preußen eben jetzt im Voraus verboten — was den Behörden geſetzlich
freiſtand, aber gleich nach jener Audienz ſich ſehr gehäſſig ausnahm —
und der Gekränkte richtete nun „ein Wort unter vier Augen“ an den
Monarchen, „ohne eine Devotion zu heucheln, die ich nicht kenne, oder
Gefühle, die ich nicht empfinde und nie empfinden werde“. Er klagte
die Diener der Fürſten an, deren „alterndem Bewußtſein“ ſein beſchränkter
Unterthanenverſtand, ſein Bewußtſein einer neuen Zeit auf ewig wider-
ſprechen müſſe; er betheuerte: „ich bin durch die Nothwendigkeit meiner
Natur Republikaner“, und drohte: „noch giebt es Menſchen, die durch nichts
zu ſchrecken ſind, und ich rechne mich zu ihnen.“ Die kindiſchen Groß-
ſprechereien verdienten keine Beachtung. Zu Weihnachten jedoch wurde der
den Königsberger Liberalen längſt mitgetheilte Brief in der Leipziger All-
gemeinen Zeitung abgedruckt, und alſo veröffentlicht erſchien er wie eine freche
Verhöhnung des Monarchen.
Am Berliner Hofe war nur eine Stimme der Entrüſtung. Man fand
es auch menſchlich niederträchtig, daß „ein Wort unter vier Augen“, nich
ohne die Mitſchuld ſeines Urhebers, verrathen wurde, *) und hielt für nöthig,
mindeſtens auf einige Zeit „einen Belagerungszuſtand“ über die Preſſe zu ver-
hängen. Zur Vorbereitung mußte die Literariſche Zeitung eine laute Wehklage
anſtimmen: die Wortführer der Freiheit haben in einem Jahre die deutſche
Preſſe um ihren hundertjährigen guten Ruf gebracht; durch Verkündigung
der vollen Preßfreiheit würde der Staat eine außer ſeinem Bereiche ſtehende
Macht anerkennen. Darauf wurde Herwegh aus Preußen ausgewieſen und
die Leipziger Allgemeine Zeitung verboten, weil ſie „eine Niederlage von Lügent
Entſtellungen und böswilligen Angriffen“ geworden ſei. In welche peinliche
Lage gerieth nun Graf Arnim-Boitzenburg. Er wünſchte dringend die
freiere Bewegung der Preſſe und war eben deshalb in den Rath der Krone
berufen worden; jetzt ſah er ſich doch genöthigt, als Miniſter des Innern
bei allen Zwangsmaßregeln voranzugehen, auf ſeinen Namen ſammelte
ſich der ganze Haß der Liberalen. Der König verlangte indeß noch weitere
Verbote.
Auf den Schutz der Gerichte glaubte er ſich nicht mehr verlaſſen zu
können; denn grade in dieſen Tagen (Jan. 1843) wurde Johann Jacoby,
der, einmal ſchon verurtheilt, ſeine Vier Fragen in zwei Rechtfertigungs-
ſchriften tapfer vertheidigt hatte, von dem Ober-Appellationsſenate des Kam-
mergerichts endgiltig freigeſprochen. Das Urtheil trug die Unterſchrift des
ehrwürdigen Präſidenten Grolman. In den ſehr ausführlichen Entſcheidungs-
*) Denkſchrift über Herwegh’s Brief, Dec. 1842, o. N., wahrſcheinlich von Ludw.
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