und doch so unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen keine That folgte. Der boshafte Chorgesang
Ach daß der Schwanenorden Nicht fertig ist geworden --
sprach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß dereinst einmal ein Mann erstehen würde, Germania's wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden Volke. Diese Keckheit verwickelte den Verfasser in eine Anklage wegen Maje- stätsbeleidigung; der König aber schlug großmüthig das Verfahren nieder. --
Wie getreu diese spöttische Dichtung die erbitterten, argwöhnischen Stimmungen der gebildeten Klassen wiederspiegelte, das mußte Friedrich Wilhelm schmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige Pflicht erschien, bei dem Versuche die Ehegesetzgebung zu reinigen. Das Preußische Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre, welche nur Ehebruch und bösliche Verlassung als biblische Scheidungs- gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Geiste der neuen Aufklärung, die Ehescheidung sehr erleichtert, da der große König die Vermehrung der Bevölkerung grundsätzlich begünstigte. Die dehnbaren Vorschriften des Gesetzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Entschei- dung in der Regel überlassen blieb, so leichtfertig gehandhabt, daß die frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder gegenseitiger Einwilligung, die der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen hatte zulassen wollen, sich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war meist ohne Ernst und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck fühlte sich in tiefster Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte mit ansehen mußte, wie gleichmüthig man die tragischen Kämpfe des häuslichen Lebens abzuthun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszusetzen; denn bewußt oder unbewußt stand sie noch unter der Herrschaft des alten Vernunftrechts, das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag sah, und aus der neuen Dichtung hatte sie die Lehre von dem schrankenlosen Rechte des Herzens geschöpft. Nur Wenige erkannten, daß die Ehe die sittliche Grund- lage alles menschlichen Gemeinwesens ist und darum auch dem Staats- rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu diesen Wenigen zählte der alte König, der mehrmals, sehr dringend noch in seinem letzten Regie- rungsjahre, das unbehilfliche Gesetzgebungsministerium zu einer Revision des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die schreienden Uebelstände aufmerksam; er ließ sich von Bunsen ein umfäng- liches Gutachten erstatten; und unablässig drängte ihn Ludwig v. Gerlach zum Kampfe wider das Landrecht, das der gestrenge Hallerianer kurzab "der Feindschaft gegen Kirche, Ehe und Recht" beschuldigte.*)
*) Bunsen's Schrift ist oben V. 8 Anm. angeführt. Gerlach's Gutachten da- rüber, o. D., Anfang 1840.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
und doch ſo unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen keine That folgte. Der boshafte Chorgeſang
Ach daß der Schwanenorden Nicht fertig iſt geworden —
ſprach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß dereinſt einmal ein Mann erſtehen würde, Germania’s wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden Volke. Dieſe Keckheit verwickelte den Verfaſſer in eine Anklage wegen Maje- ſtätsbeleidigung; der König aber ſchlug großmüthig das Verfahren nieder. —
Wie getreu dieſe ſpöttiſche Dichtung die erbitterten, argwöhniſchen Stimmungen der gebildeten Klaſſen wiederſpiegelte, das mußte Friedrich Wilhelm ſchmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige Pflicht erſchien, bei dem Verſuche die Ehegeſetzgebung zu reinigen. Das Preußiſche Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre, welche nur Ehebruch und bösliche Verlaſſung als bibliſche Scheidungs- gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Geiſte der neuen Aufklärung, die Eheſcheidung ſehr erleichtert, da der große König die Vermehrung der Bevölkerung grundſätzlich begünſtigte. Die dehnbaren Vorſchriften des Geſetzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Entſchei- dung in der Regel überlaſſen blieb, ſo leichtfertig gehandhabt, daß die frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder gegenſeitiger Einwilligung, die der Geſetzgeber nur in Ausnahmefällen hatte zulaſſen wollen, ſich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war meiſt ohne Ernſt und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck fühlte ſich in tiefſter Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte mit anſehen mußte, wie gleichmüthig man die tragiſchen Kämpfe des häuslichen Lebens abzuthun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszuſetzen; denn bewußt oder unbewußt ſtand ſie noch unter der Herrſchaft des alten Vernunftrechts, das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag ſah, und aus der neuen Dichtung hatte ſie die Lehre von dem ſchrankenloſen Rechte des Herzens geſchöpft. Nur Wenige erkannten, daß die Ehe die ſittliche Grund- lage alles menſchlichen Gemeinweſens iſt und darum auch dem Staats- rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu dieſen Wenigen zählte der alte König, der mehrmals, ſehr dringend noch in ſeinem letzten Regie- rungsjahre, das unbehilfliche Geſetzgebungsminiſterium zu einer Reviſion des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die ſchreienden Uebelſtände aufmerkſam; er ließ ſich von Bunſen ein umfäng- liches Gutachten erſtatten; und unabläſſig drängte ihn Ludwig v. Gerlach zum Kampfe wider das Landrecht, das der geſtrenge Hallerianer kurzab „der Feindſchaft gegen Kirche, Ehe und Recht“ beſchuldigte.*)
*) Bunſen’s Schrift iſt oben V. 8 Anm. angeführt. Gerlach’s Gutachten da- rüber, o. D., Anfang 1840.
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und doch ſo unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen
keine That folgte. Der boshafte Chorgeſang
Ach daß der Schwanenorden
Nicht fertig iſt geworden —
ſprach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes
Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß dereinſt einmal ein Mann
erſtehen würde, Germania’s wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden
Volke. Dieſe Keckheit verwickelte den Verfaſſer in eine Anklage wegen Maje-
ſtätsbeleidigung; der König aber ſchlug großmüthig das Verfahren nieder. —
Wie getreu dieſe ſpöttiſche Dichtung die erbitterten, argwöhniſchen
Stimmungen der gebildeten Klaſſen wiederſpiegelte, das mußte Friedrich
Wilhelm ſchmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige
Pflicht erſchien, bei dem Verſuche die Ehegeſetzgebung zu reinigen. Das
Preußiſche Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre,
welche nur Ehebruch und bösliche Verlaſſung als bibliſche Scheidungs-
gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Geiſte der neuen Aufklärung,
die Eheſcheidung ſehr erleichtert, da der große König die Vermehrung
der Bevölkerung grundſätzlich begünſtigte. Die dehnbaren Vorſchriften
des Geſetzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Entſchei-
dung in der Regel überlaſſen blieb, ſo leichtfertig gehandhabt, daß die
frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder
gegenſeitiger Einwilligung, die der Geſetzgeber nur in Ausnahmefällen
hatte zulaſſen wollen, ſich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war
meiſt ohne Ernſt und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck
fühlte ſich in tiefſter Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte
mit anſehen mußte, wie gleichmüthig man die tragiſchen Kämpfe des
häuslichen Lebens abzuthun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an
der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszuſetzen; denn bewußt oder
unbewußt ſtand ſie noch unter der Herrſchaft des alten Vernunftrechts,
das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag ſah, und aus
der neuen Dichtung hatte ſie die Lehre von dem ſchrankenloſen Rechte des
Herzens geſchöpft. Nur Wenige erkannten, daß die Ehe die ſittliche Grund-
lage alles menſchlichen Gemeinweſens iſt und darum auch dem Staats-
rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu dieſen Wenigen zählte der
alte König, der mehrmals, ſehr dringend noch in ſeinem letzten Regie-
rungsjahre, das unbehilfliche Geſetzgebungsminiſterium zu einer Reviſion
des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die
ſchreienden Uebelſtände aufmerkſam; er ließ ſich von Bunſen ein umfäng-
liches Gutachten erſtatten; und unabläſſig drängte ihn Ludwig v. Gerlach
zum Kampfe wider das Landrecht, das der geſtrenge Hallerianer kurzab
„der Feindſchaft gegen Kirche, Ehe und Recht“ beſchuldigte. *)
*) Bunſen’s Schrift iſt oben V. 8 Anm. angeführt. Gerlach’s Gutachten da-
rüber, o. D., Anfang 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/264>, abgerufen am 21.11.2024.
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