Nach dem Thronwechsel ward die Reform alsbald ernstlich erwogen es galt den christlichen Staat auf dem Boden des christlichen Hauswesens aufzubauen. Gerlach erhielt den Auftrag, unter Savigny's Oberleitung den Entwurf eines Ehescheidungsgesetzes auszuarbeiten; er rühmte das Unternehmen als "eine Sr. Majestät persönlich eigene, die innersten, tiefsten Tendenzen der Regierung des Königs bezeichnende Maßregel".*) Als gewiegter Kenner der Geschichte gab der Minister unbefangen zu, daß die Staatsgewalt weder Sittlichkeit erzwingen noch Unsittlichkeit verhüten könne; genug, wenn sie durch den Ernst ihrer Gesetze verhindere, daß die Begriffe des Volks von Recht und Unrecht, Gut und Böse sich verwirrten. Trotzdem genehmigte er den Entwurf seines Freundes, der in purita- nischem Eifer weit über diese Grundsätze hinausging. Gerlach wollte von den Scheidungsgründen des Landrechts ihrer elf aufheben, die Eheschei- dung in der Regel nur nach einer vorläufigen langen Trennung von Tisch und Bett gestatten, den Ehebruch auch ohne den Antrag des ver- letzten Gatten bestrafen; so blieb gar kein Raum mehr für das christliche Verzeihen und Erbarmen, das doch von solchen, mehr sittlichen als recht- lichen Streitfällen nicht ausgeschlossen werden darf.
Kaum hatte Savigny diese Vorschläge im November 1842 dem Staats- ministerium unterbreitet, so wurden sie schon widerrechtlich in den Zeitungen veröffentlicht, gewiß nicht ohne die Mitschuld eines der unzufriedenen alten Geheimen Räthe, die fast allesammt noch auf dem Boden des Land- rechts standen. Die Wirkung war furchtbar. Auf der ganzen Linie der liberalen Presse erscholl der Lärmruf: die Grundsätze Friedrich's des Großen werden preisgegeben, die Krone will die Unauflöslichkeit der Ehen anbefehlen. Der alte Argwohn gegen Friedrich Wilhelm's katholische Nei- gungen sprach sich überall lebhaft aus; und, wie üblich, wurde Eichhorn wieder als der Urheber alles Unheils verlästert, obgleich er bei diesem Gesetze nur in zweiter Reihe mitwirkte. Die Königsberger Zeitung ver- herrlichte die Scheidungen auf Grund unüberwindlicher Abneigung also: "wir halten diese Bestimmung für die Blüthe unserer Gesetzgebung, weil sie des freien Menschen würdig ist;" sie sprach von "dem Schrei des Un- willens in der ganzen Nation" und schalt so ungebärdig, daß der König das Blatt seinem Cabinetsminister sendete mit der entrüsteten Frage: "haben wir noch Richter, die nach dem Gesetze erkennen?"**) Auch an frechen Gesellen fehlte es nicht, die nach den Lehren des Jungen Deutsch- lands das freie Concubinat priesen und die Zwangsehe der Frömmler verhöhnten. Umsonst vertheidigte Puchta die wohlberechtigten Grundgedanken des Entwurfs in einer geistvollen Flugschrift "die Ehescheidungsfrage"; seine ruhige Stimme verhallte in dem allgemeinen Toben.
*) Gerlach's Votum, 15. Dec. 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 3. Dec. 1842.
Berathungen über die Eheſcheidung.
Nach dem Thronwechſel ward die Reform alsbald ernſtlich erwogen es galt den chriſtlichen Staat auf dem Boden des chriſtlichen Hausweſens aufzubauen. Gerlach erhielt den Auftrag, unter Savigny’s Oberleitung den Entwurf eines Eheſcheidungsgeſetzes auszuarbeiten; er rühmte das Unternehmen als „eine Sr. Majeſtät perſönlich eigene, die innerſten, tiefſten Tendenzen der Regierung des Königs bezeichnende Maßregel“.*) Als gewiegter Kenner der Geſchichte gab der Miniſter unbefangen zu, daß die Staatsgewalt weder Sittlichkeit erzwingen noch Unſittlichkeit verhüten könne; genug, wenn ſie durch den Ernſt ihrer Geſetze verhindere, daß die Begriffe des Volks von Recht und Unrecht, Gut und Böſe ſich verwirrten. Trotzdem genehmigte er den Entwurf ſeines Freundes, der in purita- niſchem Eifer weit über dieſe Grundſätze hinausging. Gerlach wollte von den Scheidungsgründen des Landrechts ihrer elf aufheben, die Eheſchei- dung in der Regel nur nach einer vorläufigen langen Trennung von Tiſch und Bett geſtatten, den Ehebruch auch ohne den Antrag des ver- letzten Gatten beſtrafen; ſo blieb gar kein Raum mehr für das chriſtliche Verzeihen und Erbarmen, das doch von ſolchen, mehr ſittlichen als recht- lichen Streitfällen nicht ausgeſchloſſen werden darf.
Kaum hatte Savigny dieſe Vorſchläge im November 1842 dem Staats- miniſterium unterbreitet, ſo wurden ſie ſchon widerrechtlich in den Zeitungen veröffentlicht, gewiß nicht ohne die Mitſchuld eines der unzufriedenen alten Geheimen Räthe, die faſt alleſammt noch auf dem Boden des Land- rechts ſtanden. Die Wirkung war furchtbar. Auf der ganzen Linie der liberalen Preſſe erſcholl der Lärmruf: die Grundſätze Friedrich’s des Großen werden preisgegeben, die Krone will die Unauflöslichkeit der Ehen anbefehlen. Der alte Argwohn gegen Friedrich Wilhelm’s katholiſche Nei- gungen ſprach ſich überall lebhaft aus; und, wie üblich, wurde Eichhorn wieder als der Urheber alles Unheils verläſtert, obgleich er bei dieſem Geſetze nur in zweiter Reihe mitwirkte. Die Königsberger Zeitung ver- herrlichte die Scheidungen auf Grund unüberwindlicher Abneigung alſo: „wir halten dieſe Beſtimmung für die Blüthe unſerer Geſetzgebung, weil ſie des freien Menſchen würdig iſt;“ ſie ſprach von „dem Schrei des Un- willens in der ganzen Nation“ und ſchalt ſo ungebärdig, daß der König das Blatt ſeinem Cabinetsminiſter ſendete mit der entrüſteten Frage: „haben wir noch Richter, die nach dem Geſetze erkennen?“**) Auch an frechen Geſellen fehlte es nicht, die nach den Lehren des Jungen Deutſch- lands das freie Concubinat prieſen und die Zwangsehe der Frömmler verhöhnten. Umſonſt vertheidigte Puchta die wohlberechtigten Grundgedanken des Entwurfs in einer geiſtvollen Flugſchrift „die Eheſcheidungsfrage“; ſeine ruhige Stimme verhallte in dem allgemeinen Toben.
*) Gerlach’s Votum, 15. Dec. 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 3. Dec. 1842.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0265"n="251"/><fwplace="top"type="header">Berathungen über die Eheſcheidung.</fw><lb/><p>Nach dem Thronwechſel ward die Reform alsbald ernſtlich erwogen<lb/>
es galt den chriſtlichen Staat auf dem Boden des chriſtlichen Hausweſens<lb/>
aufzubauen. Gerlach erhielt den Auftrag, unter Savigny’s Oberleitung<lb/>
den Entwurf eines Eheſcheidungsgeſetzes auszuarbeiten; er rühmte das<lb/>
Unternehmen als „eine Sr. Majeſtät perſönlich eigene, die innerſten,<lb/>
tiefſten Tendenzen der Regierung des Königs bezeichnende Maßregel“.<noteplace="foot"n="*)">Gerlach’s Votum, 15. Dec. 1842.</note><lb/>
Als gewiegter Kenner der Geſchichte gab der Miniſter unbefangen zu, daß<lb/>
die Staatsgewalt weder Sittlichkeit erzwingen noch Unſittlichkeit verhüten<lb/>
könne; genug, wenn ſie durch den Ernſt ihrer Geſetze verhindere, daß die<lb/>
Begriffe des Volks von Recht und Unrecht, Gut und Böſe ſich verwirrten.<lb/>
Trotzdem genehmigte er den Entwurf ſeines Freundes, der in purita-<lb/>
niſchem Eifer weit über dieſe Grundſätze hinausging. Gerlach wollte von<lb/>
den Scheidungsgründen des Landrechts ihrer elf aufheben, die Eheſchei-<lb/>
dung in der Regel nur nach einer vorläufigen langen Trennung von<lb/>
Tiſch und Bett geſtatten, den Ehebruch auch ohne den Antrag des ver-<lb/>
letzten Gatten beſtrafen; ſo blieb gar kein Raum mehr für das chriſtliche<lb/>
Verzeihen und Erbarmen, das doch von ſolchen, mehr ſittlichen als recht-<lb/>
lichen Streitfällen nicht ausgeſchloſſen werden darf.</p><lb/><p>Kaum hatte Savigny dieſe Vorſchläge im November 1842 dem Staats-<lb/>
miniſterium unterbreitet, ſo wurden ſie ſchon widerrechtlich in den Zeitungen<lb/>
veröffentlicht, gewiß nicht ohne die Mitſchuld eines der unzufriedenen<lb/>
alten Geheimen Räthe, die faſt alleſammt noch auf dem Boden des Land-<lb/>
rechts ſtanden. Die Wirkung war furchtbar. Auf der ganzen Linie der<lb/>
liberalen Preſſe erſcholl der Lärmruf: die Grundſätze Friedrich’s des<lb/>
Großen werden preisgegeben, die Krone will die Unauflöslichkeit der Ehen<lb/>
anbefehlen. Der alte Argwohn gegen Friedrich Wilhelm’s katholiſche Nei-<lb/>
gungen ſprach ſich überall lebhaft aus; und, wie üblich, wurde Eichhorn<lb/>
wieder als der Urheber alles Unheils verläſtert, obgleich er bei dieſem<lb/>
Geſetze nur in zweiter Reihe mitwirkte. Die Königsberger Zeitung ver-<lb/>
herrlichte die Scheidungen auf Grund unüberwindlicher Abneigung alſo:<lb/>„wir halten dieſe Beſtimmung für die Blüthe unſerer Geſetzgebung, weil ſie<lb/>
des freien Menſchen würdig iſt;“ſie ſprach von „dem Schrei des Un-<lb/>
willens in der ganzen Nation“ und ſchalt ſo ungebärdig, daß der König<lb/>
das Blatt ſeinem Cabinetsminiſter ſendete mit der entrüſteten Frage:<lb/>„haben wir noch Richter, die nach dem Geſetze erkennen?“<noteplace="foot"n="**)">König Friedrich Wilhelm an Thile, 3. Dec. 1842.</note> Auch an<lb/>
frechen Geſellen fehlte es nicht, die nach den Lehren des Jungen Deutſch-<lb/>
lands das freie Concubinat prieſen und die Zwangsehe der Frömmler<lb/>
verhöhnten. Umſonſt vertheidigte Puchta die wohlberechtigten Grundgedanken<lb/>
des Entwurfs in einer geiſtvollen Flugſchrift „die Eheſcheidungsfrage“; ſeine<lb/>
ruhige Stimme verhallte in dem allgemeinen Toben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[251/0265]
Berathungen über die Eheſcheidung.
Nach dem Thronwechſel ward die Reform alsbald ernſtlich erwogen
es galt den chriſtlichen Staat auf dem Boden des chriſtlichen Hausweſens
aufzubauen. Gerlach erhielt den Auftrag, unter Savigny’s Oberleitung
den Entwurf eines Eheſcheidungsgeſetzes auszuarbeiten; er rühmte das
Unternehmen als „eine Sr. Majeſtät perſönlich eigene, die innerſten,
tiefſten Tendenzen der Regierung des Königs bezeichnende Maßregel“. *)
Als gewiegter Kenner der Geſchichte gab der Miniſter unbefangen zu, daß
die Staatsgewalt weder Sittlichkeit erzwingen noch Unſittlichkeit verhüten
könne; genug, wenn ſie durch den Ernſt ihrer Geſetze verhindere, daß die
Begriffe des Volks von Recht und Unrecht, Gut und Böſe ſich verwirrten.
Trotzdem genehmigte er den Entwurf ſeines Freundes, der in purita-
niſchem Eifer weit über dieſe Grundſätze hinausging. Gerlach wollte von
den Scheidungsgründen des Landrechts ihrer elf aufheben, die Eheſchei-
dung in der Regel nur nach einer vorläufigen langen Trennung von
Tiſch und Bett geſtatten, den Ehebruch auch ohne den Antrag des ver-
letzten Gatten beſtrafen; ſo blieb gar kein Raum mehr für das chriſtliche
Verzeihen und Erbarmen, das doch von ſolchen, mehr ſittlichen als recht-
lichen Streitfällen nicht ausgeſchloſſen werden darf.
Kaum hatte Savigny dieſe Vorſchläge im November 1842 dem Staats-
miniſterium unterbreitet, ſo wurden ſie ſchon widerrechtlich in den Zeitungen
veröffentlicht, gewiß nicht ohne die Mitſchuld eines der unzufriedenen
alten Geheimen Räthe, die faſt alleſammt noch auf dem Boden des Land-
rechts ſtanden. Die Wirkung war furchtbar. Auf der ganzen Linie der
liberalen Preſſe erſcholl der Lärmruf: die Grundſätze Friedrich’s des
Großen werden preisgegeben, die Krone will die Unauflöslichkeit der Ehen
anbefehlen. Der alte Argwohn gegen Friedrich Wilhelm’s katholiſche Nei-
gungen ſprach ſich überall lebhaft aus; und, wie üblich, wurde Eichhorn
wieder als der Urheber alles Unheils verläſtert, obgleich er bei dieſem
Geſetze nur in zweiter Reihe mitwirkte. Die Königsberger Zeitung ver-
herrlichte die Scheidungen auf Grund unüberwindlicher Abneigung alſo:
„wir halten dieſe Beſtimmung für die Blüthe unſerer Geſetzgebung, weil ſie
des freien Menſchen würdig iſt;“ ſie ſprach von „dem Schrei des Un-
willens in der ganzen Nation“ und ſchalt ſo ungebärdig, daß der König
das Blatt ſeinem Cabinetsminiſter ſendete mit der entrüſteten Frage:
„haben wir noch Richter, die nach dem Geſetze erkennen?“ **) Auch an
frechen Geſellen fehlte es nicht, die nach den Lehren des Jungen Deutſch-
lands das freie Concubinat prieſen und die Zwangsehe der Frömmler
verhöhnten. Umſonſt vertheidigte Puchta die wohlberechtigten Grundgedanken
des Entwurfs in einer geiſtvollen Flugſchrift „die Eheſcheidungsfrage“; ſeine
ruhige Stimme verhallte in dem allgemeinen Toben.
*) Gerlach’s Votum, 15. Dec. 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 3. Dec. 1842.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/265>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.