den Landständen die hohe Mißbilligung des Monarchen aus und drohte: die Posener Stände würden nicht mehr regelmäßig versammelt werden, wenn es sich zeigen sollte, daß die in der Adresse ausgesprochenen Ge- sinnungen nicht blos von einer Partei, sondern von dem Landtage selbst gehegt würden. Czar Nikolaus zeigte sich hoch erfreut und ließ dem Schwager sagen: nun würde er doch wohl Rußlands polnische Politik milder beurtheilen.*)
In Posen aber erbitterte die Antwort nur ohne zu schrecken, denn Niemand traute dem gutherzigen Könige zu, daß er seine Drohung aus- führen würde. Unbelehrt erging sich der Landtag nach wie vor in thö- richten Beschwerden und verlangte sogar die Errichtung einer Universität in Posen; die Absicht ließ sich leicht errathen, denn bisher hatte in Breslau wie in Berlin immer nur ein winziges Häuflein Polen studirt. Der neue Oberpräsident v. Beurmann trat, die Formen schonend, doch etwas fester auf als vor ihm Graf Arnim, und gestand dem durchreisenden Czaren offen: seit er die Polen kennen gelernt, sehe er wohl ein, daß man sie nur mit Strenge beherrschen könne.**) Durch die Gutmüthigkeit des Monarchen sah er sich jedoch überall gehemmt. Der polnische Adel merkte was er sich unter dieser Regierung erlauben durfte; seine Casinos und Leseclubs mehrten sich von Jahr zu Jahr; in den Agronomischen Vereinen suchte er sich den polnischen Bauern wieder zu nähern; sein Jagdclub veranstaltete in den weiten Wäldern Reit- und Schießübungen, und jeder der Genossen wußte, daß er sich rüsten sollte für den ersehnten Tag der Deutschenjagd. --
Da die Regierung mit dem Berathen und Planen nie zu Ende kam, so vermochte sie den Provinziallandtagen nur ein wichtiges allgemeines Gesetz vorzulegen, das schon unter Kamptz's Leitung entworfene und seit- dem wieder mehrfach umgearbeitete Strafgesetzbuch. Und was konnte aus der achtfachen Besprechung eines so umfangreichen und bedeutsamen Ge- setzes anders hervorgehen als ein verwirrendes Durcheinander subjektiver Ansichten? Sehr mächtig zeigte sich die philanthropische Gefühlsseligkeit der liberalen Theorie, die zu den rüstigen Lebensgewohnheiten dieses Volkes in Waffen doch gar nicht stimmte; die allerdings strengen Strafen des Entwurfs fand man grausam, und schon forderten zahlreiche Stimmen die Abschaffung der Todesstrafe. Das eigentliche Hinderniß der Verständi- gung bildete jedoch der veraltete Criminalproceß. Einführung der Schwur- gerichte und des öffentlich-mündlichen Verfahrens war jetzt der allgemeine Wunsch der liberalen Welt, und mindestens die letztere Forderung erkannte auch Savigny als berechtigt an; aber während der Minister die schwierige Reform bedachtsam vorbereitete, wurden die Provinzialstände von dem
*) Liebermann's Bericht, 23. März 1843.
**) Liebermann's Bericht, 23. Oct. 1843.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
den Landſtänden die hohe Mißbilligung des Monarchen aus und drohte: die Poſener Stände würden nicht mehr regelmäßig verſammelt werden, wenn es ſich zeigen ſollte, daß die in der Adreſſe ausgeſprochenen Ge- ſinnungen nicht blos von einer Partei, ſondern von dem Landtage ſelbſt gehegt würden. Czar Nikolaus zeigte ſich hoch erfreut und ließ dem Schwager ſagen: nun würde er doch wohl Rußlands polniſche Politik milder beurtheilen.*)
In Poſen aber erbitterte die Antwort nur ohne zu ſchrecken, denn Niemand traute dem gutherzigen Könige zu, daß er ſeine Drohung aus- führen würde. Unbelehrt erging ſich der Landtag nach wie vor in thö- richten Beſchwerden und verlangte ſogar die Errichtung einer Univerſität in Poſen; die Abſicht ließ ſich leicht errathen, denn bisher hatte in Breslau wie in Berlin immer nur ein winziges Häuflein Polen ſtudirt. Der neue Oberpräſident v. Beurmann trat, die Formen ſchonend, doch etwas feſter auf als vor ihm Graf Arnim, und geſtand dem durchreiſenden Czaren offen: ſeit er die Polen kennen gelernt, ſehe er wohl ein, daß man ſie nur mit Strenge beherrſchen könne.**) Durch die Gutmüthigkeit des Monarchen ſah er ſich jedoch überall gehemmt. Der polniſche Adel merkte was er ſich unter dieſer Regierung erlauben durfte; ſeine Caſinos und Leſeclubs mehrten ſich von Jahr zu Jahr; in den Agronomiſchen Vereinen ſuchte er ſich den polniſchen Bauern wieder zu nähern; ſein Jagdclub veranſtaltete in den weiten Wäldern Reit- und Schießübungen, und jeder der Genoſſen wußte, daß er ſich rüſten ſollte für den erſehnten Tag der Deutſchenjagd. —
Da die Regierung mit dem Berathen und Planen nie zu Ende kam, ſo vermochte ſie den Provinziallandtagen nur ein wichtiges allgemeines Geſetz vorzulegen, das ſchon unter Kamptz’s Leitung entworfene und ſeit- dem wieder mehrfach umgearbeitete Strafgeſetzbuch. Und was konnte aus der achtfachen Beſprechung eines ſo umfangreichen und bedeutſamen Ge- ſetzes anders hervorgehen als ein verwirrendes Durcheinander ſubjektiver Anſichten? Sehr mächtig zeigte ſich die philanthropiſche Gefühlsſeligkeit der liberalen Theorie, die zu den rüſtigen Lebensgewohnheiten dieſes Volkes in Waffen doch gar nicht ſtimmte; die allerdings ſtrengen Strafen des Entwurfs fand man grauſam, und ſchon forderten zahlreiche Stimmen die Abſchaffung der Todesſtrafe. Das eigentliche Hinderniß der Verſtändi- gung bildete jedoch der veraltete Criminalproceß. Einführung der Schwur- gerichte und des öffentlich-mündlichen Verfahrens war jetzt der allgemeine Wunſch der liberalen Welt, und mindeſtens die letztere Forderung erkannte auch Savigny als berechtigt an; aber während der Miniſter die ſchwierige Reform bedachtſam vorbereitete, wurden die Provinzialſtände von dem
*) Liebermann’s Bericht, 23. März 1843.
**) Liebermann’s Bericht, 23. Oct. 1843.
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V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
den Landſtänden die hohe Mißbilligung des Monarchen aus und drohte:
die Poſener Stände würden nicht mehr regelmäßig verſammelt werden,
wenn es ſich zeigen ſollte, daß die in der Adreſſe ausgeſprochenen Ge-
ſinnungen nicht blos von einer Partei, ſondern von dem Landtage ſelbſt
gehegt würden. Czar Nikolaus zeigte ſich hoch erfreut und ließ dem
Schwager ſagen: nun würde er doch wohl Rußlands polniſche Politik
milder beurtheilen. *)
In Poſen aber erbitterte die Antwort nur ohne zu ſchrecken, denn
Niemand traute dem gutherzigen Könige zu, daß er ſeine Drohung aus-
führen würde. Unbelehrt erging ſich der Landtag nach wie vor in thö-
richten Beſchwerden und verlangte ſogar die Errichtung einer Univerſität
in Poſen; die Abſicht ließ ſich leicht errathen, denn bisher hatte in Breslau
wie in Berlin immer nur ein winziges Häuflein Polen ſtudirt. Der
neue Oberpräſident v. Beurmann trat, die Formen ſchonend, doch etwas
feſter auf als vor ihm Graf Arnim, und geſtand dem durchreiſenden
Czaren offen: ſeit er die Polen kennen gelernt, ſehe er wohl ein, daß
man ſie nur mit Strenge beherrſchen könne. **) Durch die Gutmüthigkeit
des Monarchen ſah er ſich jedoch überall gehemmt. Der polniſche Adel
merkte was er ſich unter dieſer Regierung erlauben durfte; ſeine Caſinos
und Leſeclubs mehrten ſich von Jahr zu Jahr; in den Agronomiſchen
Vereinen ſuchte er ſich den polniſchen Bauern wieder zu nähern; ſein
Jagdclub veranſtaltete in den weiten Wäldern Reit- und Schießübungen,
und jeder der Genoſſen wußte, daß er ſich rüſten ſollte für den erſehnten
Tag der Deutſchenjagd. —
Da die Regierung mit dem Berathen und Planen nie zu Ende kam,
ſo vermochte ſie den Provinziallandtagen nur ein wichtiges allgemeines
Geſetz vorzulegen, das ſchon unter Kamptz’s Leitung entworfene und ſeit-
dem wieder mehrfach umgearbeitete Strafgeſetzbuch. Und was konnte aus
der achtfachen Beſprechung eines ſo umfangreichen und bedeutſamen Ge-
ſetzes anders hervorgehen als ein verwirrendes Durcheinander ſubjektiver
Anſichten? Sehr mächtig zeigte ſich die philanthropiſche Gefühlsſeligkeit der
liberalen Theorie, die zu den rüſtigen Lebensgewohnheiten dieſes Volkes
in Waffen doch gar nicht ſtimmte; die allerdings ſtrengen Strafen des
Entwurfs fand man grauſam, und ſchon forderten zahlreiche Stimmen
die Abſchaffung der Todesſtrafe. Das eigentliche Hinderniß der Verſtändi-
gung bildete jedoch der veraltete Criminalproceß. Einführung der Schwur-
gerichte und des öffentlich-mündlichen Verfahrens war jetzt der allgemeine
Wunſch der liberalen Welt, und mindeſtens die letztere Forderung erkannte
auch Savigny als berechtigt an; aber während der Miniſter die ſchwierige
Reform bedachtſam vorbereitete, wurden die Provinzialſtände von dem
*) Liebermann’s Bericht, 23. März 1843.
**) Liebermann’s Bericht, 23. Oct. 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/274>, abgerufen am 21.11.2024.
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