teten einen reichsständischen Versammlung besaß Preußen ihrer acht, die im Wetteifer, unmaßgeblich, und eben deßhalb oft leichtfertig, vorlaut, rücksichtslos, über alle erdenklichen Fragen der allgemeinen Gesetzgebung Gutachten abgaben oder Wünsche äußerten und durch dies achtfache Drein- reden schließlich jede Regierung unmöglich machen mußten. Ueberall schritten die Provinzialstände weit über ihre bescheidenen Befugnisse hin- aus; gleichwohl ließ sich der großen Mehrzahl weder ein zuchtloser Ueber- muth vorwerfen, noch eine förmliche Verletzung des Verfassungsrechts, denn alle allgemeinen Gesetze berührten mittelbar auch jede einzelne Pro- vinz insbesondere, und irgendwo mußten die Begehren der gährenden Zeit doch zu Worte kommen.
Gleich im Anfang wurde des Königs weiches Herz schmerzlich berührt durch die Undankbarkeit seiner geliebten Polen. Die sarmatischen Edel- leute wollten den letzten Landtagsabschied, der ihnen so väterlich ihre Pflichten gegen den preußischen Staat vorgehalten hatte, nicht ruhig hinnehmen. Ermuthigt durch die Schlaffheit der Regierung, entwarfen sie alsbald eine nach Form und Inhalt gleich ungehörige Adresse, welche dem Landesverrathe, der Lossagung von Preußen sehr nahe kam. Da hieß es: "Sollen sie, gleich den in ihrer Nationalität nicht mehr bestehen- den litthauisch und wallonisch redenden Unterthanen, ihren Vereinigungs- punkt in dem Namen Preußen finden, so erblicken sie hierin eine Ge- fährdung jener Verheißung (v. J. 1815); sie fürchten, nicht mehr sein und sich nennen zu dürfen, was sie nach ihrer Sprache, ihren Sitten, ihren geschichtlichen Erinnerungen, was sie nach feierlich geschlossenen Ver- trägen und ertheilten Zusicherungen sind: -- Polen!" Die Adresse wurde, nach polnischem Brauche, unter wüstem Geschrei hastig angenommen; Viele wußten kaum was man beschloß.*) Ohne die deutsche Minderheit auch nur einer Erwähnung zu würdigen, sprach die polnische Mehrheit kurzweg im Namen der gesammten Provinz; denn wie einst die alte sar- matische Adelsrepublik alle nicht-polnischen Nationalitäten grausam miß- handelt hatte, so stellte der Posener Adel jetzt, da er wieder zu hoffen wagte, die dreiste Behauptung auf: die Deutschen in Posen, deren Stamm sich dort seit sechshundert Jahren als Vorkämpfer der Gesittung behauptet hatte, seien einfach "Polen deutscher Abkunft"; gebe es doch auch in Breslau und Berlin einzelne Deutsche polnischer Abkunft. Solche Frechheiten konnte sich der König doch nicht bieten lassen. "Die Adresse der Posener Stände", schrieb er zornig, "ist der Art, daß mir eine Antwort mit um- gehender Post ausnahmsweise gerechtfertigt scheint."**) Eigenhändig ent- warf er eine scharfe Erwiderung, die, vom Staatsministerium fast un- verändert angenommen, am 12. März nach Posen abging. Sie sprach
*) Bericht des Oberpräsidenten v. Beurmann an Graf Arnim, 9. März 1843.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile (o. D.) März 1843.
17*
Adreſſe des Poſener Landtags.
teten einen reichsſtändiſchen Verſammlung beſaß Preußen ihrer acht, die im Wetteifer, unmaßgeblich, und eben deßhalb oft leichtfertig, vorlaut, rückſichtslos, über alle erdenklichen Fragen der allgemeinen Geſetzgebung Gutachten abgaben oder Wünſche äußerten und durch dies achtfache Drein- reden ſchließlich jede Regierung unmöglich machen mußten. Ueberall ſchritten die Provinzialſtände weit über ihre beſcheidenen Befugniſſe hin- aus; gleichwohl ließ ſich der großen Mehrzahl weder ein zuchtloſer Ueber- muth vorwerfen, noch eine förmliche Verletzung des Verfaſſungsrechts, denn alle allgemeinen Geſetze berührten mittelbar auch jede einzelne Pro- vinz insbeſondere, und irgendwo mußten die Begehren der gährenden Zeit doch zu Worte kommen.
Gleich im Anfang wurde des Königs weiches Herz ſchmerzlich berührt durch die Undankbarkeit ſeiner geliebten Polen. Die ſarmatiſchen Edel- leute wollten den letzten Landtagsabſchied, der ihnen ſo väterlich ihre Pflichten gegen den preußiſchen Staat vorgehalten hatte, nicht ruhig hinnehmen. Ermuthigt durch die Schlaffheit der Regierung, entwarfen ſie alsbald eine nach Form und Inhalt gleich ungehörige Adreſſe, welche dem Landesverrathe, der Losſagung von Preußen ſehr nahe kam. Da hieß es: „Sollen ſie, gleich den in ihrer Nationalität nicht mehr beſtehen- den litthauiſch und walloniſch redenden Unterthanen, ihren Vereinigungs- punkt in dem Namen Preußen finden, ſo erblicken ſie hierin eine Ge- fährdung jener Verheißung (v. J. 1815); ſie fürchten, nicht mehr ſein und ſich nennen zu dürfen, was ſie nach ihrer Sprache, ihren Sitten, ihren geſchichtlichen Erinnerungen, was ſie nach feierlich geſchloſſenen Ver- trägen und ertheilten Zuſicherungen ſind: — Polen!“ Die Adreſſe wurde, nach polniſchem Brauche, unter wüſtem Geſchrei haſtig angenommen; Viele wußten kaum was man beſchloß.*) Ohne die deutſche Minderheit auch nur einer Erwähnung zu würdigen, ſprach die polniſche Mehrheit kurzweg im Namen der geſammten Provinz; denn wie einſt die alte ſar- matiſche Adelsrepublik alle nicht-polniſchen Nationalitäten grauſam miß- handelt hatte, ſo ſtellte der Poſener Adel jetzt, da er wieder zu hoffen wagte, die dreiſte Behauptung auf: die Deutſchen in Poſen, deren Stamm ſich dort ſeit ſechshundert Jahren als Vorkämpfer der Geſittung behauptet hatte, ſeien einfach „Polen deutſcher Abkunft“; gebe es doch auch in Breslau und Berlin einzelne Deutſche polniſcher Abkunft. Solche Frechheiten konnte ſich der König doch nicht bieten laſſen. „Die Adreſſe der Poſener Stände“, ſchrieb er zornig, „iſt der Art, daß mir eine Antwort mit um- gehender Poſt ausnahmsweiſe gerechtfertigt ſcheint.“**) Eigenhändig ent- warf er eine ſcharfe Erwiderung, die, vom Staatsminiſterium faſt un- verändert angenommen, am 12. März nach Poſen abging. Sie ſprach
*) Bericht des Oberpräſidenten v. Beurmann an Graf Arnim, 9. März 1843.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile (o. D.) März 1843.
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Adreſſe des Poſener Landtags.
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im Wetteifer, unmaßgeblich, und eben deßhalb oft leichtfertig, vorlaut,
rückſichtslos, über alle erdenklichen Fragen der allgemeinen Geſetzgebung
Gutachten abgaben oder Wünſche äußerten und durch dies achtfache Drein-
reden ſchließlich jede Regierung unmöglich machen mußten. Ueberall
ſchritten die Provinzialſtände weit über ihre beſcheidenen Befugniſſe hin-
aus; gleichwohl ließ ſich der großen Mehrzahl weder ein zuchtloſer Ueber-
muth vorwerfen, noch eine förmliche Verletzung des Verfaſſungsrechts,
denn alle allgemeinen Geſetze berührten mittelbar auch jede einzelne Pro-
vinz insbeſondere, und irgendwo mußten die Begehren der gährenden Zeit
doch zu Worte kommen.
Gleich im Anfang wurde des Königs weiches Herz ſchmerzlich berührt
durch die Undankbarkeit ſeiner geliebten Polen. Die ſarmatiſchen Edel-
leute wollten den letzten Landtagsabſchied, der ihnen ſo väterlich ihre
Pflichten gegen den preußiſchen Staat vorgehalten hatte, nicht ruhig
hinnehmen. Ermuthigt durch die Schlaffheit der Regierung, entwarfen
ſie alsbald eine nach Form und Inhalt gleich ungehörige Adreſſe, welche
dem Landesverrathe, der Losſagung von Preußen ſehr nahe kam. Da
hieß es: „Sollen ſie, gleich den in ihrer Nationalität nicht mehr beſtehen-
den litthauiſch und walloniſch redenden Unterthanen, ihren Vereinigungs-
punkt in dem Namen Preußen finden, ſo erblicken ſie hierin eine Ge-
fährdung jener Verheißung (v. J. 1815); ſie fürchten, nicht mehr ſein
und ſich nennen zu dürfen, was ſie nach ihrer Sprache, ihren Sitten,
ihren geſchichtlichen Erinnerungen, was ſie nach feierlich geſchloſſenen Ver-
trägen und ertheilten Zuſicherungen ſind: — Polen!“ Die Adreſſe wurde,
nach polniſchem Brauche, unter wüſtem Geſchrei haſtig angenommen;
Viele wußten kaum was man beſchloß. *) Ohne die deutſche Minderheit
auch nur einer Erwähnung zu würdigen, ſprach die polniſche Mehrheit
kurzweg im Namen der geſammten Provinz; denn wie einſt die alte ſar-
matiſche Adelsrepublik alle nicht-polniſchen Nationalitäten grauſam miß-
handelt hatte, ſo ſtellte der Poſener Adel jetzt, da er wieder zu hoffen
wagte, die dreiſte Behauptung auf: die Deutſchen in Poſen, deren Stamm
ſich dort ſeit ſechshundert Jahren als Vorkämpfer der Geſittung behauptet
hatte, ſeien einfach „Polen deutſcher Abkunft“; gebe es doch auch in Breslau
und Berlin einzelne Deutſche polniſcher Abkunft. Solche Frechheiten
konnte ſich der König doch nicht bieten laſſen. „Die Adreſſe der Poſener
Stände“, ſchrieb er zornig, „iſt der Art, daß mir eine Antwort mit um-
gehender Poſt ausnahmsweiſe gerechtfertigt ſcheint.“ **) Eigenhändig ent-
warf er eine ſcharfe Erwiderung, die, vom Staatsminiſterium faſt un-
verändert angenommen, am 12. März nach Poſen abging. Sie ſprach
*) Bericht des Oberpräſidenten v. Beurmann an Graf Arnim, 9. März 1843.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile (o. D.) März 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/273>, abgerufen am 21.11.2024.
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