Wort!" -- so sagte einer der Redner des Landtags, unter jubelndem Bei- fall; und Mancher der Rufer dachte dabei an den Citoyen der fran- zösischen Republik. Der Mehrzahl der Rheinländer gereichte es zu hoher Genugthuung, daß der Prüß ihrem hartnäckigen Liberalismus endlich doch so viel nachgegeben hatte; sie glaubten dem Osten auch in ihrem Gemeinde- leben weit überlegen zu sein, und vernahmen nicht ohne Schadenfreude, wie der Monarch einigen altländischen Provinziallandtagen, die um Reform ihrer Landgemeindeordnungen baten, ungnädig erwiderte: er denke nichts zu ändern an dem geschichtlich erwachsenen Zustande "der Provinzen, welche das Glück gehabt hätten, daß die Grundlagen ihrer ländlichen Communalverfassung nicht durch eine revolutionäre Gesetzgebung aufgelöst worden seien". --
Der König empfand schmerzlich, wie er die Fühlung mit seinem Volke nach und nach verlor. Es war ein Unheil, daß Preußen in diese große Krisis seines Verfassungslebens erst eintrat zu einer Zeit, da sich im übrigen Deutschland schon eine fertige Theorie des allgemeinen con- stitutionellen Staatsrechts gebildet hatte, und je länger sich jetzt noch die Entscheidung verzögerte, um so höher mußten die Ansprüche der Libe- ralen steigen. Dennoch kam der König noch immer nicht in's Reine mit den Verfassungsplänen, über denen er nun seit vierthalb Jahren brütete. Nur der Grundgedanke, die Berufung eines großen Vereinigten Landtags stand ihm unerschütterlich fest; über alles Einzelne wußte er sich noch keinen Rath, und sein seltsam zerklüftetes Ministerium konnte ihm diesen Rath nicht bieten. Der Vorsitzende, der Prinz von Preußen erklärte sich entschieden gegen eine reichsständische Versammlung, die durch Steuer- verweigerungen die Wehrkraft, die ganze Machtstellung des Staates zu gefährden drohe. Aus vertraulichen Unterredungen ersah der König, daß er sich mit dem Bruder so leicht nicht verständigen könne, und der Thron- folger blieb fortan lange ohne nähere Kenntniß von den weiteren stän- dischen Plänen des Monarchen. Der Prinz dachte von früh auf ernst über die jedem Thronfolger gebotene Zurückhaltung, und niemals hätte er sich dazu herabgelassen, der Führer der conservativen Partei zu werden; dawider sträubten sich sein Fürstenstolz und seine Königstreue. Trotzdem konnte es nicht ausbleiben, daß alle Anhänger des alten absoluten Regi- ments auf ihn als ihr natürliches Haupt blickten. "Es steht", sagte Graf Arnim traurig, "eine hochachtbare Ueberzeugung an der Spitze des Mini- steriums, welche es als den ihr gewordenen Beruf betrachtet, das Be- stehende mit der äußersten Festigkeit zu vertheidigen."*) Das aufgeklärte Berlin, das den Prinzen bisher wenig beachtet hatte, begann nunmehr ihn zu beargwöhnen. Auch sein schlichtes soldatisches Wesen und die warme Verehrung, die ihm das Heer entgegenbrachte, schadeten jetzt seinem Rufe;
*) Graf Arnim, Promemoria, 25. Mai 1845.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Wort!“ — ſo ſagte einer der Redner des Landtags, unter jubelndem Bei- fall; und Mancher der Rufer dachte dabei an den Citoyen der fran- zöſiſchen Republik. Der Mehrzahl der Rheinländer gereichte es zu hoher Genugthuung, daß der Prüß ihrem hartnäckigen Liberalismus endlich doch ſo viel nachgegeben hatte; ſie glaubten dem Oſten auch in ihrem Gemeinde- leben weit überlegen zu ſein, und vernahmen nicht ohne Schadenfreude, wie der Monarch einigen altländiſchen Provinziallandtagen, die um Reform ihrer Landgemeindeordnungen baten, ungnädig erwiderte: er denke nichts zu ändern an dem geſchichtlich erwachſenen Zuſtande „der Provinzen, welche das Glück gehabt hätten, daß die Grundlagen ihrer ländlichen Communalverfaſſung nicht durch eine revolutionäre Geſetzgebung aufgelöſt worden ſeien“. —
Der König empfand ſchmerzlich, wie er die Fühlung mit ſeinem Volke nach und nach verlor. Es war ein Unheil, daß Preußen in dieſe große Kriſis ſeines Verfaſſungslebens erſt eintrat zu einer Zeit, da ſich im übrigen Deutſchland ſchon eine fertige Theorie des allgemeinen con- ſtitutionellen Staatsrechts gebildet hatte, und je länger ſich jetzt noch die Entſcheidung verzögerte, um ſo höher mußten die Anſprüche der Libe- ralen ſteigen. Dennoch kam der König noch immer nicht in’s Reine mit den Verfaſſungsplänen, über denen er nun ſeit vierthalb Jahren brütete. Nur der Grundgedanke, die Berufung eines großen Vereinigten Landtags ſtand ihm unerſchütterlich feſt; über alles Einzelne wußte er ſich noch keinen Rath, und ſein ſeltſam zerklüftetes Miniſterium konnte ihm dieſen Rath nicht bieten. Der Vorſitzende, der Prinz von Preußen erklärte ſich entſchieden gegen eine reichsſtändiſche Verſammlung, die durch Steuer- verweigerungen die Wehrkraft, die ganze Machtſtellung des Staates zu gefährden drohe. Aus vertraulichen Unterredungen erſah der König, daß er ſich mit dem Bruder ſo leicht nicht verſtändigen könne, und der Thron- folger blieb fortan lange ohne nähere Kenntniß von den weiteren ſtän- diſchen Plänen des Monarchen. Der Prinz dachte von früh auf ernſt über die jedem Thronfolger gebotene Zurückhaltung, und niemals hätte er ſich dazu herabgelaſſen, der Führer der conſervativen Partei zu werden; dawider ſträubten ſich ſein Fürſtenſtolz und ſeine Königstreue. Trotzdem konnte es nicht ausbleiben, daß alle Anhänger des alten abſoluten Regi- ments auf ihn als ihr natürliches Haupt blickten. „Es ſteht“, ſagte Graf Arnim traurig, „eine hochachtbare Ueberzeugung an der Spitze des Mini- ſteriums, welche es als den ihr gewordenen Beruf betrachtet, das Be- ſtehende mit der äußerſten Feſtigkeit zu vertheidigen.“*) Das aufgeklärte Berlin, das den Prinzen bisher wenig beachtet hatte, begann nunmehr ihn zu beargwöhnen. Auch ſein ſchlichtes ſoldatiſches Weſen und die warme Verehrung, die ihm das Heer entgegenbrachte, ſchadeten jetzt ſeinem Rufe;
*) Graf Arnim, Promemoria, 25. Mai 1845.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0278"n="264"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäuſchung und Verwirrung.</fw><lb/>
Wort!“—ſo ſagte einer der Redner des Landtags, unter jubelndem Bei-<lb/>
fall; und Mancher der Rufer dachte dabei an den Citoyen der fran-<lb/>
zöſiſchen Republik. Der Mehrzahl der Rheinländer gereichte es zu hoher<lb/>
Genugthuung, daß der Prüß ihrem hartnäckigen Liberalismus endlich doch<lb/>ſo viel nachgegeben hatte; ſie glaubten dem Oſten auch in ihrem Gemeinde-<lb/>
leben weit überlegen zu ſein, und vernahmen nicht ohne Schadenfreude,<lb/>
wie der Monarch einigen altländiſchen Provinziallandtagen, die um Reform<lb/>
ihrer Landgemeindeordnungen baten, ungnädig erwiderte: er denke nichts<lb/>
zu ändern an dem geſchichtlich erwachſenen Zuſtande „der Provinzen,<lb/>
welche das Glück gehabt hätten, daß die Grundlagen ihrer ländlichen<lb/>
Communalverfaſſung nicht durch eine revolutionäre Geſetzgebung aufgelöſt<lb/>
worden ſeien“. —</p><lb/><p>Der König empfand ſchmerzlich, wie er die Fühlung mit ſeinem<lb/>
Volke nach und nach verlor. Es war ein Unheil, daß Preußen in dieſe<lb/>
große Kriſis ſeines Verfaſſungslebens erſt eintrat zu einer Zeit, da ſich<lb/>
im übrigen Deutſchland ſchon eine fertige Theorie des allgemeinen con-<lb/>ſtitutionellen Staatsrechts gebildet hatte, und je länger ſich jetzt noch die<lb/>
Entſcheidung verzögerte, um ſo höher mußten die Anſprüche der Libe-<lb/>
ralen ſteigen. Dennoch kam der König noch immer nicht in’s Reine mit<lb/>
den Verfaſſungsplänen, über denen er nun ſeit vierthalb Jahren brütete.<lb/>
Nur der Grundgedanke, die Berufung eines großen Vereinigten Landtags<lb/>ſtand ihm unerſchütterlich feſt; über alles Einzelne wußte er ſich noch<lb/>
keinen Rath, und ſein ſeltſam zerklüftetes Miniſterium konnte ihm dieſen<lb/>
Rath nicht bieten. Der Vorſitzende, der Prinz von Preußen erklärte ſich<lb/>
entſchieden gegen eine reichsſtändiſche Verſammlung, die durch Steuer-<lb/>
verweigerungen die Wehrkraft, die ganze Machtſtellung des Staates zu<lb/>
gefährden drohe. Aus vertraulichen Unterredungen erſah der König, daß<lb/>
er ſich mit dem Bruder ſo leicht nicht verſtändigen könne, und der Thron-<lb/>
folger blieb fortan lange ohne nähere Kenntniß von den weiteren ſtän-<lb/>
diſchen Plänen des Monarchen. Der Prinz dachte von früh auf ernſt<lb/>
über die jedem Thronfolger gebotene Zurückhaltung, und niemals hätte<lb/>
er ſich dazu herabgelaſſen, der Führer der conſervativen Partei zu werden;<lb/>
dawider ſträubten ſich ſein Fürſtenſtolz und ſeine Königstreue. Trotzdem<lb/>
konnte es nicht ausbleiben, daß alle Anhänger des alten abſoluten Regi-<lb/>
ments auf ihn als ihr natürliches Haupt blickten. „Es ſteht“, ſagte Graf<lb/>
Arnim traurig, „eine hochachtbare Ueberzeugung an der Spitze des Mini-<lb/>ſteriums, welche es als den ihr gewordenen Beruf betrachtet, das Be-<lb/>ſtehende mit der äußerſten Feſtigkeit zu vertheidigen.“<noteplace="foot"n="*)">Graf Arnim, Promemoria, 25. Mai 1845.</note> Das aufgeklärte<lb/>
Berlin, das den Prinzen bisher wenig beachtet hatte, begann nunmehr<lb/>
ihn zu beargwöhnen. Auch ſein ſchlichtes ſoldatiſches Weſen und die warme<lb/>
Verehrung, die ihm das Heer entgegenbrachte, ſchadeten jetzt ſeinem Rufe;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[264/0278]
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Wort!“ — ſo ſagte einer der Redner des Landtags, unter jubelndem Bei-
fall; und Mancher der Rufer dachte dabei an den Citoyen der fran-
zöſiſchen Republik. Der Mehrzahl der Rheinländer gereichte es zu hoher
Genugthuung, daß der Prüß ihrem hartnäckigen Liberalismus endlich doch
ſo viel nachgegeben hatte; ſie glaubten dem Oſten auch in ihrem Gemeinde-
leben weit überlegen zu ſein, und vernahmen nicht ohne Schadenfreude,
wie der Monarch einigen altländiſchen Provinziallandtagen, die um Reform
ihrer Landgemeindeordnungen baten, ungnädig erwiderte: er denke nichts
zu ändern an dem geſchichtlich erwachſenen Zuſtande „der Provinzen,
welche das Glück gehabt hätten, daß die Grundlagen ihrer ländlichen
Communalverfaſſung nicht durch eine revolutionäre Geſetzgebung aufgelöſt
worden ſeien“. —
Der König empfand ſchmerzlich, wie er die Fühlung mit ſeinem
Volke nach und nach verlor. Es war ein Unheil, daß Preußen in dieſe
große Kriſis ſeines Verfaſſungslebens erſt eintrat zu einer Zeit, da ſich
im übrigen Deutſchland ſchon eine fertige Theorie des allgemeinen con-
ſtitutionellen Staatsrechts gebildet hatte, und je länger ſich jetzt noch die
Entſcheidung verzögerte, um ſo höher mußten die Anſprüche der Libe-
ralen ſteigen. Dennoch kam der König noch immer nicht in’s Reine mit
den Verfaſſungsplänen, über denen er nun ſeit vierthalb Jahren brütete.
Nur der Grundgedanke, die Berufung eines großen Vereinigten Landtags
ſtand ihm unerſchütterlich feſt; über alles Einzelne wußte er ſich noch
keinen Rath, und ſein ſeltſam zerklüftetes Miniſterium konnte ihm dieſen
Rath nicht bieten. Der Vorſitzende, der Prinz von Preußen erklärte ſich
entſchieden gegen eine reichsſtändiſche Verſammlung, die durch Steuer-
verweigerungen die Wehrkraft, die ganze Machtſtellung des Staates zu
gefährden drohe. Aus vertraulichen Unterredungen erſah der König, daß
er ſich mit dem Bruder ſo leicht nicht verſtändigen könne, und der Thron-
folger blieb fortan lange ohne nähere Kenntniß von den weiteren ſtän-
diſchen Plänen des Monarchen. Der Prinz dachte von früh auf ernſt
über die jedem Thronfolger gebotene Zurückhaltung, und niemals hätte
er ſich dazu herabgelaſſen, der Führer der conſervativen Partei zu werden;
dawider ſträubten ſich ſein Fürſtenſtolz und ſeine Königstreue. Trotzdem
konnte es nicht ausbleiben, daß alle Anhänger des alten abſoluten Regi-
ments auf ihn als ihr natürliches Haupt blickten. „Es ſteht“, ſagte Graf
Arnim traurig, „eine hochachtbare Ueberzeugung an der Spitze des Mini-
ſteriums, welche es als den ihr gewordenen Beruf betrachtet, das Be-
ſtehende mit der äußerſten Feſtigkeit zu vertheidigen.“ *) Das aufgeklärte
Berlin, das den Prinzen bisher wenig beachtet hatte, begann nunmehr
ihn zu beargwöhnen. Auch ſein ſchlichtes ſoldatiſches Weſen und die warme
Verehrung, die ihm das Heer entgegenbrachte, ſchadeten jetzt ſeinem Rufe;
*) Graf Arnim, Promemoria, 25. Mai 1845.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/278>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.