Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Prinz von Preußen. Entlassung Alvensleben's und Mühler's. denn die neufranzösischen Schmähreden wider das Söldnerwesen drangenallmählich auch in Preußen ein; da alle Welt auf die Regierung schalt, so hielt man die schweigende Treue der Offiziere für servil, und mannich- fache häßliche Zänkereien bekundeten schon eine Feindschaft zwischen Heer und Bürgerthum, die in vielen Rheinbundsstaaten wohl gute Gründe haben mochte, in dem Lande der allgemeinen Wehrpflicht aber schlechthin sinnlos war. Genug, die bösen Zungen ließen von dem Thronfolger nicht mehr ab: er sollte des Königs böser Dämon in der Politik sein, wie Eichhorn in den kirchlichen Dingen. Das schändliche Gerede fand schließ- lich fast überall Glauben; in solchen Zeiten, da die politische Leidenschaft schon erwacht ist, aber ein öffentliches Leben noch nicht besteht, wuchern ja die Legenden der Parteien immer am üppigsten auf. In Wahrheit besaß der Prinz, trotz seiner hohen Staatswürden, zur Zeit gar keinen politischen Einfluß; auch die zur Schau getragene Christlichkeit der neuen Gottseligen widerstand seinem einfachen Gradsinn. Zum großen Leidwesen des Königs verlangte im Frühjahr 1844 Gleich darauf mußte noch einer der Minister des alten Königs, *) Nach Kühne's Aufzeichnungen. **) Prinz von Preußen an Thile, 25. Apr. 1844.
Prinz von Preußen. Entlaſſung Alvensleben’s und Mühler’s. denn die neufranzöſiſchen Schmähreden wider das Söldnerweſen drangenallmählich auch in Preußen ein; da alle Welt auf die Regierung ſchalt, ſo hielt man die ſchweigende Treue der Offiziere für ſervil, und mannich- fache häßliche Zänkereien bekundeten ſchon eine Feindſchaft zwiſchen Heer und Bürgerthum, die in vielen Rheinbundsſtaaten wohl gute Gründe haben mochte, in dem Lande der allgemeinen Wehrpflicht aber ſchlechthin ſinnlos war. Genug, die böſen Zungen ließen von dem Thronfolger nicht mehr ab: er ſollte des Königs böſer Dämon in der Politik ſein, wie Eichhorn in den kirchlichen Dingen. Das ſchändliche Gerede fand ſchließ- lich faſt überall Glauben; in ſolchen Zeiten, da die politiſche Leidenſchaft ſchon erwacht iſt, aber ein öffentliches Leben noch nicht beſteht, wuchern ja die Legenden der Parteien immer am üppigſten auf. In Wahrheit beſaß der Prinz, trotz ſeiner hohen Staatswürden, zur Zeit gar keinen politiſchen Einfluß; auch die zur Schau getragene Chriſtlichkeit der neuen Gottſeligen widerſtand ſeinem einfachen Gradſinn. Zum großen Leidweſen des Königs verlangte im Frühjahr 1844 Gleich darauf mußte noch einer der Miniſter des alten Königs, *) Nach Kühne’s Aufzeichnungen. **) Prinz von Preußen an Thile, 25. Apr. 1844.
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Prinz von Preußen. Entlaſſung Alvensleben’s und Mühler’s.
denn die neufranzöſiſchen Schmähreden wider das Söldnerweſen drangen
allmählich auch in Preußen ein; da alle Welt auf die Regierung ſchalt,
ſo hielt man die ſchweigende Treue der Offiziere für ſervil, und mannich-
fache häßliche Zänkereien bekundeten ſchon eine Feindſchaft zwiſchen Heer
und Bürgerthum, die in vielen Rheinbundsſtaaten wohl gute Gründe
haben mochte, in dem Lande der allgemeinen Wehrpflicht aber ſchlechthin
ſinnlos war. Genug, die böſen Zungen ließen von dem Thronfolger
nicht mehr ab: er ſollte des Königs böſer Dämon in der Politik ſein, wie
Eichhorn in den kirchlichen Dingen. Das ſchändliche Gerede fand ſchließ-
lich faſt überall Glauben; in ſolchen Zeiten, da die politiſche Leidenſchaft
ſchon erwacht iſt, aber ein öffentliches Leben noch nicht beſteht, wuchern
ja die Legenden der Parteien immer am üppigſten auf. In Wahrheit
beſaß der Prinz, trotz ſeiner hohen Staatswürden, zur Zeit gar keinen
politiſchen Einfluß; auch die zur Schau getragene Chriſtlichkeit der neuen
Gottſeligen widerſtand ſeinem einfachen Gradſinn.
Zum großen Leidweſen des Königs verlangte im Frühjahr 1844
Graf Alvensleben ſeine Entlaſſung aus dem Amte des Cabinetsminiſters,
das er nur ein Jahr lang bekleidet hatte. Sein derber Geſchäftsverſtand
konnte die Unruhe der pläneſchmiedenden Planloſigkeit nicht mehr ertragen;
und nicht blos die von Humboldt verhöhnten Montmorencys des Havel-
landes beklagten ſeinen Rücktritt, ſondern auch Kühne und alle die er-
fahrenen Beamten, die jetzt den ſtrengen Ordnungsſinn des alten Königs
überall ſchmerzlich vermißten. *) An Alvensleben’s Stelle trat Bodel-
ſchwingh, der ſich kaum erſt im Finanzminiſterium eingerichtet hatte. Es
war ein ewiges Kommen und Gehen. Für die Finanzen ſchlug Bodel-
ſchwingh ſeinen treuen Gehilfen Kühne vor, unzweifelhaft den tüchtigſten
unter den Fachmännern. Der König aber ſcheute die ſcharfe Zunge des
freigeiſtigen alten Junggeſellen und berief zum allgemeinen Erſtaunen
Flottwell — wieder einen bedeutenden Mann auf eine falſche Stelle.
Flottwell hatte, ſeit er aus Poſen verdrängt worden, in Magdeburg
abermals ſein glänzendes Verwaltungstalent bewährt; jedoch vom Finanz-
weſen verſtand er wenig, ſeine feurige, ungeſtüme Natur paßte nicht für
dieſe Geſchäfte, und die reichsſtändiſchen Pläne des Monarchen konnten
an dem Schüler Schön’s auch keine Stütze finden. Der Prinz von
Preußen ſagte betrübt: „Alvensleben’s Ausſcheiden iſt mehr wie eine
Calamität, ebenſo Bodelſchwingh’s Verlaſſen der Finanzen. Beide Stellen
ſind be- aber nicht erſetzt.“ **)
Gleich darauf mußte noch einer der Miniſter des alten Königs,
Mühler zurücktreten. Er konnte ſich mit ſeinem nächſten Amtsgenoſſen
Savigny nicht verſtändigen, er hatte gegen das Ehegeſetz geſtimmt, auch in
*) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
**) Prinz von Preußen an Thile, 25. Apr. 1844.
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