Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Brief des Königs an Metternich. angelegenheiten; zum zweiten die Vereinigten Ausschüsse, die regelmäßig zurBerathung allgemeiner Gesetze zusammentreten sollten; zum dritten endlich dachte er von Zeit zu Zeit, nach seinem freien Ermessen, die sämmtlichen Provinzialstände zu einem Vereinigten Landtage zusammenzurufen, der, nach dem uralten Rechte deutscher Stände, in Friedenszeiten neue Anleihen und Steuern zu bewilligen, vielleicht auch über einzelne allgemeine Ge- setze zu berathen hätte. Inmitten dieses großen Landtags sollte eine Art Oberhaus bestehen, gemeinsam berathend mit den anderen Ständecurien, aber gesondert beschließend. Im Jahre 1847 hoffte der König die Ver- einigten Landstände zuerst zu versammeln, vielleicht in dem stillen Bran- denburg. Das war sein alter Lieblingsgedanke, der noch aus Ancillon's Lehrstunden herstammte. Was für schreckliche Demüthigungen sollte der Arglose noch erleben, bis wirklich einmal ein preußisches Parlament in Brandenburg zusammentrat! Wer konnte die Hochherzigkeit Friedrich Wilhelm's in diesen Entwürfen Mittlerweile hatte der König dem Fürsten Metternich seine Ab- *) Dieser Brief vom 8. Nov. bis 8. Dec. 1844 wurde im Aug. 1888 in der Köl-
nischen Ztg. wortgetreu veröffentlicht. Es fehlen aber in diesem Abdruck einige Sätze des eigenhändigen Concepts, die möglicherweise in der letzten Stunde noch gestrichen worden sind. Brief des Königs an Metternich. angelegenheiten; zum zweiten die Vereinigten Ausſchüſſe, die regelmäßig zurBerathung allgemeiner Geſetze zuſammentreten ſollten; zum dritten endlich dachte er von Zeit zu Zeit, nach ſeinem freien Ermeſſen, die ſämmtlichen Provinzialſtände zu einem Vereinigten Landtage zuſammenzurufen, der, nach dem uralten Rechte deutſcher Stände, in Friedenszeiten neue Anleihen und Steuern zu bewilligen, vielleicht auch über einzelne allgemeine Ge- ſetze zu berathen hätte. Inmitten dieſes großen Landtags ſollte eine Art Oberhaus beſtehen, gemeinſam berathend mit den anderen Ständecurien, aber geſondert beſchließend. Im Jahre 1847 hoffte der König die Ver- einigten Landſtände zuerſt zu verſammeln, vielleicht in dem ſtillen Bran- denburg. Das war ſein alter Lieblingsgedanke, der noch aus Ancillon’s Lehrſtunden herſtammte. Was für ſchreckliche Demüthigungen ſollte der Argloſe noch erleben, bis wirklich einmal ein preußiſches Parlament in Brandenburg zuſammentrat! Wer konnte die Hochherzigkeit Friedrich Wilhelm’s in dieſen Entwürfen Mittlerweile hatte der König dem Fürſten Metternich ſeine Ab- *) Dieſer Brief vom 8. Nov. bis 8. Dec. 1844 wurde im Aug. 1888 in der Köl-
niſchen Ztg. wortgetreu veröffentlicht. Es fehlen aber in dieſem Abdruck einige Sätze des eigenhändigen Concepts, die möglicherweiſe in der letzten Stunde noch geſtrichen worden ſind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0285" n="271"/><fw place="top" type="header">Brief des Königs an Metternich.</fw><lb/> angelegenheiten; zum zweiten die Vereinigten Ausſchüſſe, die regelmäßig zur<lb/> Berathung allgemeiner Geſetze zuſammentreten ſollten; zum dritten endlich<lb/> dachte er von Zeit zu Zeit, nach ſeinem freien Ermeſſen, die ſämmtlichen<lb/> Provinzialſtände zu einem Vereinigten Landtage zuſammenzurufen, der,<lb/> nach dem uralten Rechte deutſcher Stände, in Friedenszeiten neue Anleihen<lb/> und Steuern zu bewilligen, vielleicht auch über einzelne allgemeine Ge-<lb/> ſetze zu berathen hätte. Inmitten dieſes großen Landtags ſollte eine Art<lb/> Oberhaus beſtehen, gemeinſam berathend mit den anderen Ständecurien,<lb/> aber geſondert beſchließend. Im Jahre 1847 hoffte der König die Ver-<lb/> einigten Landſtände zuerſt zu verſammeln, vielleicht in dem ſtillen Bran-<lb/> denburg. Das war ſein alter Lieblingsgedanke, der noch aus Ancillon’s<lb/> Lehrſtunden herſtammte. Was für ſchreckliche Demüthigungen ſollte der<lb/> Argloſe noch erleben, bis wirklich einmal ein preußiſches Parlament in<lb/> Brandenburg zuſammentrat!</p><lb/> <p>Wer konnte die Hochherzigkeit Friedrich Wilhelm’s in dieſen Entwürfen<lb/> verkennen? Von freien Stücken ging er weit hinaus über die Verheiß-<lb/> ungen des Vaters; an ein Steuerbewilligungsrecht ſeiner blos berathenden<lb/> Stände hatte der alte Herr ja nie gedacht. Und doch, wie verwickelt,<lb/> überladen, unhandlich war der ganze Plan: dies verhüllte Zweikammer-<lb/> ſyſtem, dieſer übergroße Reichstag, der ja nicht einmal ſeiner regelmäßigen<lb/> Wiederberufung ſicher war, dieſe überfein ausgeklügelte Vertheilung der<lb/> reichsſtändiſchen Befugniſſe an die Ausſchüſſe und an den Vereinigten<lb/> Landtag — eine Künſtelei, woraus unfehlbar die von Arnim vorherge-<lb/> ſagte allgemeine Begriffsverwirrung hervorgehen mußte. Am gefähr-<lb/> lichſten blieb doch, daß der Entwurf des Königs mit den Verheißungen der<lb/> älteren Geſetze nicht ganz übereinſtimmte. Gelang es nicht noch, dieſen<lb/> unweſentlichen, aber willkürlichen Aenderungen eine unangreifbare geſetz-<lb/> liche Form zu geben, ſo drohte ein Rechtsſtreit mit den künftigen Reichs-<lb/> ſtänden, der ſich durch den zähen juriſtiſchen Eigenſinn der Deutſchen<lb/> bald verſchärfen konnte.</p><lb/> <p>Mittlerweile hatte der König dem Fürſten Metternich ſeine Ab-<lb/> ſichten noch einmal erläutert, in einem langen, vertrauensvollen Schrei-<lb/> ben, das ihn ſeit dem 8. Nov. faſt fünf Wochen lang beſchäftigte.<note place="foot" n="*)">Dieſer Brief vom 8. Nov. bis 8. Dec. 1844 wurde im Aug. 1888 in der Köl-<lb/> niſchen Ztg. wortgetreu veröffentlicht. Es fehlen aber in dieſem Abdruck einige Sätze<lb/> des eigenhändigen Concepts, die möglicherweiſe in der letzten Stunde noch geſtrichen<lb/> worden ſind.</note><lb/> Hier ſtellte er die ſeltſame Behauptung auf, Preußen leide an einer<lb/> dreifachen Krankheit, weil die drei Geſetze von 1815, 20, 23 einander<lb/> widerſprächen; in Wahrheit lag die Urſache der Krankheit allein in<lb/> dem Doctrinarismus des Königs, der an dem Wortlaut jener Geſetze<lb/> ſo lange deutelte und brütete, bis er darin Widerſprüche entdeckte, die<lb/> ein handfeſter, entſchloſſener Staatsmann kaum bemerkt hätte. Demnach<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [271/0285]
Brief des Königs an Metternich.
angelegenheiten; zum zweiten die Vereinigten Ausſchüſſe, die regelmäßig zur
Berathung allgemeiner Geſetze zuſammentreten ſollten; zum dritten endlich
dachte er von Zeit zu Zeit, nach ſeinem freien Ermeſſen, die ſämmtlichen
Provinzialſtände zu einem Vereinigten Landtage zuſammenzurufen, der,
nach dem uralten Rechte deutſcher Stände, in Friedenszeiten neue Anleihen
und Steuern zu bewilligen, vielleicht auch über einzelne allgemeine Ge-
ſetze zu berathen hätte. Inmitten dieſes großen Landtags ſollte eine Art
Oberhaus beſtehen, gemeinſam berathend mit den anderen Ständecurien,
aber geſondert beſchließend. Im Jahre 1847 hoffte der König die Ver-
einigten Landſtände zuerſt zu verſammeln, vielleicht in dem ſtillen Bran-
denburg. Das war ſein alter Lieblingsgedanke, der noch aus Ancillon’s
Lehrſtunden herſtammte. Was für ſchreckliche Demüthigungen ſollte der
Argloſe noch erleben, bis wirklich einmal ein preußiſches Parlament in
Brandenburg zuſammentrat!
Wer konnte die Hochherzigkeit Friedrich Wilhelm’s in dieſen Entwürfen
verkennen? Von freien Stücken ging er weit hinaus über die Verheiß-
ungen des Vaters; an ein Steuerbewilligungsrecht ſeiner blos berathenden
Stände hatte der alte Herr ja nie gedacht. Und doch, wie verwickelt,
überladen, unhandlich war der ganze Plan: dies verhüllte Zweikammer-
ſyſtem, dieſer übergroße Reichstag, der ja nicht einmal ſeiner regelmäßigen
Wiederberufung ſicher war, dieſe überfein ausgeklügelte Vertheilung der
reichsſtändiſchen Befugniſſe an die Ausſchüſſe und an den Vereinigten
Landtag — eine Künſtelei, woraus unfehlbar die von Arnim vorherge-
ſagte allgemeine Begriffsverwirrung hervorgehen mußte. Am gefähr-
lichſten blieb doch, daß der Entwurf des Königs mit den Verheißungen der
älteren Geſetze nicht ganz übereinſtimmte. Gelang es nicht noch, dieſen
unweſentlichen, aber willkürlichen Aenderungen eine unangreifbare geſetz-
liche Form zu geben, ſo drohte ein Rechtsſtreit mit den künftigen Reichs-
ſtänden, der ſich durch den zähen juriſtiſchen Eigenſinn der Deutſchen
bald verſchärfen konnte.
Mittlerweile hatte der König dem Fürſten Metternich ſeine Ab-
ſichten noch einmal erläutert, in einem langen, vertrauensvollen Schrei-
ben, das ihn ſeit dem 8. Nov. faſt fünf Wochen lang beſchäftigte. *)
Hier ſtellte er die ſeltſame Behauptung auf, Preußen leide an einer
dreifachen Krankheit, weil die drei Geſetze von 1815, 20, 23 einander
widerſprächen; in Wahrheit lag die Urſache der Krankheit allein in
dem Doctrinarismus des Königs, der an dem Wortlaut jener Geſetze
ſo lange deutelte und brütete, bis er darin Widerſprüche entdeckte, die
ein handfeſter, entſchloſſener Staatsmann kaum bemerkt hätte. Demnach
*) Dieſer Brief vom 8. Nov. bis 8. Dec. 1844 wurde im Aug. 1888 in der Köl-
niſchen Ztg. wortgetreu veröffentlicht. Es fehlen aber in dieſem Abdruck einige Sätze
des eigenhändigen Concepts, die möglicherweiſe in der letzten Stunde noch geſtrichen
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