Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. beabsichtigte er, das erste Verheißungsgesetz von 1815 aufzuheben, weildarin der unzulässige Ausdruck "Landesrepräsentation" vorkam; das Staats- schuldengesetz von 1820 wollte er "reguliren", indem er den Reichsständen nur für Friedenszeiten das Recht der Bewilligung neuer Anleihen ein- räumte; das Provinzialständegesetz von 1823 hingegen dachte er vollständig zu erfüllen. Nach seiner Gewohnheit sagte er wieder sehr nachdrücklich was er nicht wolle: "Ich will bestimmt und entschieden 1) keine Na- tionalrepräsentation, 2) keine Charte, 3) keine periodischen Fieber, d. h. periodischen Reichstage, 4) keine Reichstagswahlen ... weil ich König von Preußen bleiben, weil ich Preußens Stellung in Europa nicht umwerfen will." So hoffte er "jedes fernere Begehren des Fortschritts nach den Theorien des Tages nachdrücklich und wohlgemuth zurückzuweisen". Besonders erfreulich erschien ihm, daß durch die Berufung des Vereinigten Landtags die Vereinigten Ausschüsse -- wie er auf eine frühere Warnung Metternich's anspielend sagte -- "auf eine gerade Fläche gestellt" würden und nicht mehr versuchen könnten ihre Rechte zu erweitern: "Die arglistige Absicht, die periodischen Ausschuß- tage durch die eigene Schwere in die Reichstags-Categorie hinüberrollen zu lassen, ist mausetodt." Leider entging ihm, daß er seinen Ver- einigten Landtag selbst auf eine schiefe Fläche gestellt hatte; denn unaus- bleiblich mußte eine so große, mit so bedeutsamen Rechten ausgestattete Versammlung zum mindesten ihre periodische Wiederkehr verlangen; an der Nichtberufung der Landtage waren ja die ständischen Verfassungen der preußischen Kronländer einst fast allesammt zu Grunde gegangen. Vergeblich bat Arnim den König, er möge seine Herzensergießung *) Arnim an den König, 13. Dec. 1844. **) Rochow's Berichte, Stuttgart 5. Jan., 30. April 1845.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. beabſichtigte er, das erſte Verheißungsgeſetz von 1815 aufzuheben, weildarin der unzuläſſige Ausdruck „Landesrepräſentation“ vorkam; das Staats- ſchuldengeſetz von 1820 wollte er „reguliren“, indem er den Reichsſtänden nur für Friedenszeiten das Recht der Bewilligung neuer Anleihen ein- räumte; das Provinzialſtändegeſetz von 1823 hingegen dachte er vollſtändig zu erfüllen. Nach ſeiner Gewohnheit ſagte er wieder ſehr nachdrücklich was er nicht wolle: „Ich will beſtimmt und entſchieden 1) keine Na- tionalrepräſentation, 2) keine Charte, 3) keine periodiſchen Fieber, d. h. periodiſchen Reichstage, 4) keine Reichstagswahlen … weil ich König von Preußen bleiben, weil ich Preußens Stellung in Europa nicht umwerfen will.“ So hoffte er „jedes fernere Begehren des Fortſchritts nach den Theorien des Tages nachdrücklich und wohlgemuth zurückzuweiſen“. Beſonders erfreulich erſchien ihm, daß durch die Berufung des Vereinigten Landtags die Vereinigten Ausſchüſſe — wie er auf eine frühere Warnung Metternich’s anſpielend ſagte — „auf eine gerade Fläche geſtellt“ würden und nicht mehr verſuchen könnten ihre Rechte zu erweitern: „Die argliſtige Abſicht, die periodiſchen Ausſchuß- tage durch die eigene Schwere in die Reichstags-Categorie hinüberrollen zu laſſen, iſt mauſetodt.“ Leider entging ihm, daß er ſeinen Ver- einigten Landtag ſelbſt auf eine ſchiefe Fläche geſtellt hatte; denn unaus- bleiblich mußte eine ſo große, mit ſo bedeutſamen Rechten ausgeſtattete Verſammlung zum mindeſten ihre periodiſche Wiederkehr verlangen; an der Nichtberufung der Landtage waren ja die ſtändiſchen Verfaſſungen der preußiſchen Kronländer einſt faſt alleſammt zu Grunde gegangen. Vergeblich bat Arnim den König, er möge ſeine Herzensergießung *) Arnim an den König, 13. Dec. 1844. **) Rochow’s Berichte, Stuttgart 5. Jan., 30. April 1845.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0286" n="272"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäuſchung und Verwirrung.</fw><lb/> beabſichtigte er, das erſte Verheißungsgeſetz von 1815 aufzuheben, weil<lb/> darin der unzuläſſige Ausdruck „Landesrepräſentation“ vorkam; das Staats-<lb/> ſchuldengeſetz von 1820 wollte er „reguliren“, indem er den Reichsſtänden<lb/> nur für Friedenszeiten das Recht der Bewilligung neuer Anleihen ein-<lb/> räumte; das Provinzialſtändegeſetz von 1823 hingegen dachte er vollſtändig<lb/> zu erfüllen. Nach ſeiner Gewohnheit ſagte er wieder ſehr nachdrücklich<lb/> was er nicht wolle: „Ich will beſtimmt und entſchieden 1) <hi rendition="#g">keine Na-<lb/> tionalrepräſentation</hi>, 2) <hi rendition="#g">keine Charte</hi>, 3) <hi rendition="#b">keine</hi> <hi rendition="#g">periodiſchen<lb/> Fieber, d. h. periodiſchen Reichstage</hi>, 4) keine Reichstagswahlen<lb/> … weil ich König von Preußen bleiben, weil ich Preußens Stellung in<lb/> Europa nicht umwerfen will.“ So hoffte er „jedes fernere Begehren<lb/><hi rendition="#g">des Fortſchritts nach den Theorien des Tages</hi> <hi rendition="#b">nachdrücklich</hi> und<lb/><hi rendition="#b">wohlgemuth</hi> zurückzuweiſen“. Beſonders erfreulich erſchien ihm, daß durch<lb/> die Berufung des Vereinigten Landtags die Vereinigten Ausſchüſſe —<lb/> wie er auf eine frühere Warnung Metternich’s anſpielend ſagte — „auf<lb/> eine gerade Fläche geſtellt“ würden und nicht mehr verſuchen könnten ihre<lb/> Rechte zu erweitern: „Die argliſtige Abſicht, die periodiſchen Ausſchuß-<lb/> tage durch die eigene Schwere in die Reichstags-Categorie hinüberrollen<lb/> zu laſſen, <hi rendition="#g">iſt mauſetodt</hi>.“ Leider entging ihm, daß er ſeinen Ver-<lb/> einigten Landtag ſelbſt auf eine ſchiefe Fläche geſtellt hatte; denn unaus-<lb/> bleiblich mußte eine ſo große, mit ſo bedeutſamen Rechten ausgeſtattete<lb/> Verſammlung zum mindeſten ihre periodiſche Wiederkehr verlangen; an der<lb/> Nichtberufung der Landtage waren ja die ſtändiſchen Verfaſſungen der<lb/> preußiſchen Kronländer einſt faſt alleſammt zu Grunde gegangen.</p><lb/> <p>Vergeblich bat Arnim den König, er möge ſeine Herzensergießung<lb/> mindeſtens noch ſo lange zurückhalten bis die Entſcheidung in Preußen<lb/> ſelbſt gefallen ſei: „wird nicht der öſterreichiſche Kanzler dieſe offene Schil-<lb/> derung der preußiſchen Zuſtände aus der Feder des Monarchen zum<lb/> Vortheil Oeſterreichs und zur Schwächung des äußeren Anſehens Preußens<lb/> ausbeuten und zu geeigneten Mittheilungen an andere Regierungen ver-<lb/> wenden?“<note place="foot" n="*)">Arnim an den König, 13. Dec. 1844.</note> Der Brief an Metternich ging ab; und da der König doch<lb/> fremden Einſpruch nicht mehr beachten wollte, ſo nahm er keinen An-<lb/> ſtand, auch den Czaren Nikolaus und den Neſtor der deutſchen conſtitu-<lb/> tionellen Fürſten, den König von Württemberg in ſeine Pläne einzuweihen.<lb/> Metternich wiederholte zur Antwort nur ſeine alten Warnungen, und<lb/> die beiden Monarchen erwiderten in demſelben Sinne. König Wilhelm<lb/> verſicherte dem preußiſchen Geſandten beſtändig, wie gründlich er mit<lb/> ſeinen conſtitutionellen Jugendträumen aufgeräumt hätte: dieſe Inſtitu-<lb/> tionen, ſagte er oft, ſind ein ausländiſches Gewächs, ich kann mich nur<lb/> bemühen ſie ſo unſchädlich zu machen als möglich.<note place="foot" n="**)">Rochow’s Berichte, Stuttgart 5. Jan., 30. April 1845.</note> Nikolaus aber ge-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [272/0286]
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
beabſichtigte er, das erſte Verheißungsgeſetz von 1815 aufzuheben, weil
darin der unzuläſſige Ausdruck „Landesrepräſentation“ vorkam; das Staats-
ſchuldengeſetz von 1820 wollte er „reguliren“, indem er den Reichsſtänden
nur für Friedenszeiten das Recht der Bewilligung neuer Anleihen ein-
räumte; das Provinzialſtändegeſetz von 1823 hingegen dachte er vollſtändig
zu erfüllen. Nach ſeiner Gewohnheit ſagte er wieder ſehr nachdrücklich
was er nicht wolle: „Ich will beſtimmt und entſchieden 1) keine Na-
tionalrepräſentation, 2) keine Charte, 3) keine periodiſchen
Fieber, d. h. periodiſchen Reichstage, 4) keine Reichstagswahlen
… weil ich König von Preußen bleiben, weil ich Preußens Stellung in
Europa nicht umwerfen will.“ So hoffte er „jedes fernere Begehren
des Fortſchritts nach den Theorien des Tages nachdrücklich und
wohlgemuth zurückzuweiſen“. Beſonders erfreulich erſchien ihm, daß durch
die Berufung des Vereinigten Landtags die Vereinigten Ausſchüſſe —
wie er auf eine frühere Warnung Metternich’s anſpielend ſagte — „auf
eine gerade Fläche geſtellt“ würden und nicht mehr verſuchen könnten ihre
Rechte zu erweitern: „Die argliſtige Abſicht, die periodiſchen Ausſchuß-
tage durch die eigene Schwere in die Reichstags-Categorie hinüberrollen
zu laſſen, iſt mauſetodt.“ Leider entging ihm, daß er ſeinen Ver-
einigten Landtag ſelbſt auf eine ſchiefe Fläche geſtellt hatte; denn unaus-
bleiblich mußte eine ſo große, mit ſo bedeutſamen Rechten ausgeſtattete
Verſammlung zum mindeſten ihre periodiſche Wiederkehr verlangen; an der
Nichtberufung der Landtage waren ja die ſtändiſchen Verfaſſungen der
preußiſchen Kronländer einſt faſt alleſammt zu Grunde gegangen.
Vergeblich bat Arnim den König, er möge ſeine Herzensergießung
mindeſtens noch ſo lange zurückhalten bis die Entſcheidung in Preußen
ſelbſt gefallen ſei: „wird nicht der öſterreichiſche Kanzler dieſe offene Schil-
derung der preußiſchen Zuſtände aus der Feder des Monarchen zum
Vortheil Oeſterreichs und zur Schwächung des äußeren Anſehens Preußens
ausbeuten und zu geeigneten Mittheilungen an andere Regierungen ver-
wenden?“ *) Der Brief an Metternich ging ab; und da der König doch
fremden Einſpruch nicht mehr beachten wollte, ſo nahm er keinen An-
ſtand, auch den Czaren Nikolaus und den Neſtor der deutſchen conſtitu-
tionellen Fürſten, den König von Württemberg in ſeine Pläne einzuweihen.
Metternich wiederholte zur Antwort nur ſeine alten Warnungen, und
die beiden Monarchen erwiderten in demſelben Sinne. König Wilhelm
verſicherte dem preußiſchen Geſandten beſtändig, wie gründlich er mit
ſeinen conſtitutionellen Jugendträumen aufgeräumt hätte: dieſe Inſtitu-
tionen, ſagte er oft, ſind ein ausländiſches Gewächs, ich kann mich nur
bemühen ſie ſo unſchädlich zu machen als möglich. **) Nikolaus aber ge-
*) Arnim an den König, 13. Dec. 1844.
**) Rochow’s Berichte, Stuttgart 5. Jan., 30. April 1845.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |