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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Dritte Sendung Brühl's.
auf die übrigen protestantischen Staaten in Deutschland auch dort jenen
revolutionären Grundsätzen ein Ende machen, die aus der hehren
Himmelstochter die dienstbare Magd des modernen Staatsthums heraus-
bilden, sie entweihen und entwürdigen möchten." Wahrlich, es geschahen
Zeichen und Wunder, seit die neue ultramontane Partei sich fest zusammen-
geschlossen hatte. Wer hätte vordem für denkbar gehalten, daß ein deutscher
Minister einen Priester gradeswegs zum Kampfe wider die Kirchenpolitik
deutscher Regierungen auffordern könnte? Geissel antwortete zunächst vor-
sichtig ablehnend; aus den wohlgewählten Worten ließen sich jedoch seine
ehrgeizigen Wünsche leicht herauslesen.

In Rom wurde Brühl diesmal, nach den neuen großen Gewährungen
des Königs, mit offenen Armen aufgenommen; und als er Geissel nannte,
fand weder Lambruschini noch der Papst selber gegen diesen guten Namen
etwas einzuwenden. Da mit einem male ward ein neuer Pfeil aus dem
unerschöpflichen Köcher vaticanischer Verhandlungskünste herausgeholt, ein
schweres, ganz unüberwindliches Bedenken. Geissel war ja schon Bischof,
also konnte er auch nicht durch Droste nachträglich die Bischofsweihe
empfangen, und folglich -- so schlossen die Monsignoren, alle früheren
Abreden vergessend, mit verblüffender Unbefangenheit -- folglich mußte
er nicht durch den Papst, sondern durch Droste selbst in das Coadjutor-
Amt eingesetzt werden, damit der alte Erzbischof doch irgend eine Genug-
thuung erhielte. In Berlin hatte man sich jedoch gegen solche Ueber-
fälle gerüstet. Brühl lehnte die Zumuthung unbedingt ab, und als die
Curie nicht nachgab, erklärte er plötzlich: nun wohl, dann lassen wir
Geissel fallen und verlangen den Domherrn Arnoldi in Trier -- denselben
Arnoldi, den einst der alte König als persona minus grata von dem
Trierschen Bischofsstuhle ausgeschlossen hatte! Nach kurzem Zögern nahm
Gregor diesen neuen Vorschlag an; über alles einzelne ward man schnell
einig, und wenige Tage später meldete Brühl zufrieden: "Das Beschlossene
ist unwiderruflich;" der Papst ernennt Arnoldi zum Coadjutor und
sendet nachher den alten Erzbischof für einen Tag nach Köln, wo die
Bischofsweihe im Auftrage des heiligen Vaters vollzogen wird. In welche
Widersprüche war doch der König durch seine Herzensgüte hineingedrängt
worden. Aus Pietät gegen seinen Vater hatte er Droste's Rückkehr unter-
sagt und jetzt wollte er doch gestatten, daß dieser von dem alten Könige
wegen Ungehorsams weggewiesene Prälat auf vierundzwanzig Stunden
zurückkam um die Bischofsweihe dem neuen Kölnischen Coadjutor zu er-
theilen, dem der alte Herr nicht einmal das bescheidene Bisthum Trier
hatte anvertrauen wollen! Hieß das nicht, das Andenken des Vaters
zweimal beschimpfen? Eine schmachvolle Niederlage stand der Krone
Preußen und der Person ihres Trägers bevor; denn so gewiß der Staat
Macht ist, ebenso gewiß bleibt die Schwäche, auch die wohlmeinende Schwäche
unter allen politischen Sünden die schwerste.


Dritte Sendung Brühl’s.
auf die übrigen proteſtantiſchen Staaten in Deutſchland auch dort jenen
revolutionären Grundſätzen ein Ende machen, die aus der hehren
Himmelstochter die dienſtbare Magd des modernen Staatsthums heraus-
bilden, ſie entweihen und entwürdigen möchten.“ Wahrlich, es geſchahen
Zeichen und Wunder, ſeit die neue ultramontane Partei ſich feſt zuſammen-
geſchloſſen hatte. Wer hätte vordem für denkbar gehalten, daß ein deutſcher
Miniſter einen Prieſter gradeswegs zum Kampfe wider die Kirchenpolitik
deutſcher Regierungen auffordern könnte? Geiſſel antwortete zunächſt vor-
ſichtig ablehnend; aus den wohlgewählten Worten ließen ſich jedoch ſeine
ehrgeizigen Wünſche leicht herausleſen.

In Rom wurde Brühl diesmal, nach den neuen großen Gewährungen
des Königs, mit offenen Armen aufgenommen; und als er Geiſſel nannte,
fand weder Lambruschini noch der Papſt ſelber gegen dieſen guten Namen
etwas einzuwenden. Da mit einem male ward ein neuer Pfeil aus dem
unerſchöpflichen Köcher vaticaniſcher Verhandlungskünſte herausgeholt, ein
ſchweres, ganz unüberwindliches Bedenken. Geiſſel war ja ſchon Biſchof,
alſo konnte er auch nicht durch Droſte nachträglich die Biſchofsweihe
empfangen, und folglich — ſo ſchloſſen die Monſignoren, alle früheren
Abreden vergeſſend, mit verblüffender Unbefangenheit — folglich mußte
er nicht durch den Papſt, ſondern durch Droſte ſelbſt in das Coadjutor-
Amt eingeſetzt werden, damit der alte Erzbiſchof doch irgend eine Genug-
thuung erhielte. In Berlin hatte man ſich jedoch gegen ſolche Ueber-
fälle gerüſtet. Brühl lehnte die Zumuthung unbedingt ab, und als die
Curie nicht nachgab, erklärte er plötzlich: nun wohl, dann laſſen wir
Geiſſel fallen und verlangen den Domherrn Arnoldi in Trier — denſelben
Arnoldi, den einſt der alte König als persona minus grata von dem
Trierſchen Biſchofsſtuhle ausgeſchloſſen hatte! Nach kurzem Zögern nahm
Gregor dieſen neuen Vorſchlag an; über alles einzelne ward man ſchnell
einig, und wenige Tage ſpäter meldete Brühl zufrieden: „Das Beſchloſſene
iſt unwiderruflich;“ der Papſt ernennt Arnoldi zum Coadjutor und
ſendet nachher den alten Erzbiſchof für einen Tag nach Köln, wo die
Biſchofsweihe im Auftrage des heiligen Vaters vollzogen wird. In welche
Widerſprüche war doch der König durch ſeine Herzensgüte hineingedrängt
worden. Aus Pietät gegen ſeinen Vater hatte er Droſte’s Rückkehr unter-
ſagt und jetzt wollte er doch geſtatten, daß dieſer von dem alten Könige
wegen Ungehorſams weggewieſene Prälat auf vierundzwanzig Stunden
zurückkam um die Biſchofsweihe dem neuen Kölniſchen Coadjutor zu er-
theilen, dem der alte Herr nicht einmal das beſcheidene Bisthum Trier
hatte anvertrauen wollen! Hieß das nicht, das Andenken des Vaters
zweimal beſchimpfen? Eine ſchmachvolle Niederlage ſtand der Krone
Preußen und der Perſon ihres Trägers bevor; denn ſo gewiß der Staat
Macht iſt, ebenſo gewiß bleibt die Schwäche, auch die wohlmeinende Schwäche
unter allen politiſchen Sünden die ſchwerſte.


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[287/0301] Dritte Sendung Brühl’s. auf die übrigen proteſtantiſchen Staaten in Deutſchland auch dort jenen revolutionären Grundſätzen ein Ende machen, die aus der hehren Himmelstochter die dienſtbare Magd des modernen Staatsthums heraus- bilden, ſie entweihen und entwürdigen möchten.“ Wahrlich, es geſchahen Zeichen und Wunder, ſeit die neue ultramontane Partei ſich feſt zuſammen- geſchloſſen hatte. Wer hätte vordem für denkbar gehalten, daß ein deutſcher Miniſter einen Prieſter gradeswegs zum Kampfe wider die Kirchenpolitik deutſcher Regierungen auffordern könnte? Geiſſel antwortete zunächſt vor- ſichtig ablehnend; aus den wohlgewählten Worten ließen ſich jedoch ſeine ehrgeizigen Wünſche leicht herausleſen. In Rom wurde Brühl diesmal, nach den neuen großen Gewährungen des Königs, mit offenen Armen aufgenommen; und als er Geiſſel nannte, fand weder Lambruschini noch der Papſt ſelber gegen dieſen guten Namen etwas einzuwenden. Da mit einem male ward ein neuer Pfeil aus dem unerſchöpflichen Köcher vaticaniſcher Verhandlungskünſte herausgeholt, ein ſchweres, ganz unüberwindliches Bedenken. Geiſſel war ja ſchon Biſchof, alſo konnte er auch nicht durch Droſte nachträglich die Biſchofsweihe empfangen, und folglich — ſo ſchloſſen die Monſignoren, alle früheren Abreden vergeſſend, mit verblüffender Unbefangenheit — folglich mußte er nicht durch den Papſt, ſondern durch Droſte ſelbſt in das Coadjutor- Amt eingeſetzt werden, damit der alte Erzbiſchof doch irgend eine Genug- thuung erhielte. In Berlin hatte man ſich jedoch gegen ſolche Ueber- fälle gerüſtet. Brühl lehnte die Zumuthung unbedingt ab, und als die Curie nicht nachgab, erklärte er plötzlich: nun wohl, dann laſſen wir Geiſſel fallen und verlangen den Domherrn Arnoldi in Trier — denſelben Arnoldi, den einſt der alte König als persona minus grata von dem Trierſchen Biſchofsſtuhle ausgeſchloſſen hatte! Nach kurzem Zögern nahm Gregor dieſen neuen Vorſchlag an; über alles einzelne ward man ſchnell einig, und wenige Tage ſpäter meldete Brühl zufrieden: „Das Beſchloſſene iſt unwiderruflich;“ der Papſt ernennt Arnoldi zum Coadjutor und ſendet nachher den alten Erzbiſchof für einen Tag nach Köln, wo die Biſchofsweihe im Auftrage des heiligen Vaters vollzogen wird. In welche Widerſprüche war doch der König durch ſeine Herzensgüte hineingedrängt worden. Aus Pietät gegen ſeinen Vater hatte er Droſte’s Rückkehr unter- ſagt und jetzt wollte er doch geſtatten, daß dieſer von dem alten Könige wegen Ungehorſams weggewieſene Prälat auf vierundzwanzig Stunden zurückkam um die Biſchofsweihe dem neuen Kölniſchen Coadjutor zu er- theilen, dem der alte Herr nicht einmal das beſcheidene Bisthum Trier hatte anvertrauen wollen! Hieß das nicht, das Andenken des Vaters zweimal beſchimpfen? Eine ſchmachvolle Niederlage ſtand der Krone Preußen und der Perſon ihres Trägers bevor; denn ſo gewiß der Staat Macht iſt, ebenſo gewiß bleibt die Schwäche, auch die wohlmeinende Schwäche unter allen politiſchen Sünden die ſchwerſte.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/301>, abgerufen am 21.11.2024.