Schmedding sagte, eine "formal nagelneue Erfindung"; sie widersprach nicht nur den Staatsgesetzen, sondern auch dem canonischen Rechte, denn noch niemals hatte die Kirche bisher die Universitäten, die ja dem ganzen katho- lischen Deutschland dienen sollten, blos als Diöcesananstalten behandelt. Trotzdem und trotz den Bedenken Eichhorn's fand der König die Zu- muthung ganz unverfänglich. Bald nachher beanspruchte der dankbare Dunin die Ernennung aller Religonslehrer in seiner Diöcese, und auch dieser Anmaßung gab die Krone zuletzt im Wesentlichen nach. Eine Cabinets- ordre vom 6. Nov. 1846 bestimmte, daß der Minister sich mit dem Bischof über die Person jedes neu zu berufenden Religionslehrers verständigen, darauf der Bischof die kanonische Mission ertheilen, und dann erst der Staat die Ernennung vollziehen solle.
Ueber die Gesinnung des neuen rheinischen Oberhirten konnte bald kein Zweifel mehr bestehen. Geissel beeilte sich zwar als gewandter Hof- mann den murrenden rheinischen Adel zu beschwichtigen, dem der halbe Sieg in dem Bischofsstreite noch immer nicht genügte. Er weigerte sich aber Diepenbrock zu seinem Dompropste zu ernennen, obgleich ihn der König dringend darum ersuchen ließ;*) der Regensburger Domherr war ihm zu friedfertig und wohl auch zu bedeutend für einen Untergebenen. Als vertraute Rathgeber dienten ihm erst jener Canonicus Iven, dem der Papst einst eigenmächtig die Verwaltung des Erzbisthums übertragen hatte, nachher der Weihbischof Baudri, Beide erklärte Anhänger der strengen ultramontanen Partei. Von derselben Farbe war auch der auf Geissel's Vorschlag ernannte neue Bischof von Speier, der Begründer des Mainzer "Katholiken" Weis. Wie gänzlich verkannte doch der König die Zeichen der Zeit, wenn er arglos hoffte, die römische Kirche würde ihrer Ver- weltlichung bald entwachsen. Noch niemals seit den Zeiten Tezel's hatte der Clerus unseres Westens so wie jetzt in pomphaften Festlichkeiten ge- schwelgt. Auf das Kölner Domfest folgte die Ausstellung des heiligen Rocks in Trier; dann wurden in Aachen die Windeln des Christkindleins dem gläu- bigen Volke gezeigt, bräunliche Fetzen, von denen selbst Baudri meinte, ihre Echtheit sei zweifelhaft, unzweifelhaft aber ihre Heiligkeit; darauf feierte man zu Münster mit unerhörtem Prunk das Jubiläum des greifen blinden Bischofs Caspar Max Droste, und überall war Geissel mit dabei.
Der heranwachsende rheinische Clerus zeigte, Dank den trefflichen Unterrichtsanstalten des preußischen Staates, mehr Bildung als das ältere Geschlecht, und seit dem Domfeste auch oft ein warmes Verständniß für die alte kirchliche Kunst; dem Erzbischof gegenüber bekundete er aber gar keinen eigenen Willen mehr. Die zahlreichen Succursalpfarrer des linken Rhein- ufers, die nach dem schlechten französischen Brauche keine festen canonischen Pfründen besaßen, standen ganz in Geissel's Hand; und auch die in ihrem
*) Thile an Eichhorn, 24. Juni 1842.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Schmedding ſagte, eine „formal nagelneue Erfindung“; ſie widerſprach nicht nur den Staatsgeſetzen, ſondern auch dem canoniſchen Rechte, denn noch niemals hatte die Kirche bisher die Univerſitäten, die ja dem ganzen katho- liſchen Deutſchland dienen ſollten, blos als Diöceſananſtalten behandelt. Trotzdem und trotz den Bedenken Eichhorn’s fand der König die Zu- muthung ganz unverfänglich. Bald nachher beanſpruchte der dankbare Dunin die Ernennung aller Religonslehrer in ſeiner Diöceſe, und auch dieſer Anmaßung gab die Krone zuletzt im Weſentlichen nach. Eine Cabinets- ordre vom 6. Nov. 1846 beſtimmte, daß der Miniſter ſich mit dem Biſchof über die Perſon jedes neu zu berufenden Religionslehrers verſtändigen, darauf der Biſchof die kanoniſche Miſſion ertheilen, und dann erſt der Staat die Ernennung vollziehen ſolle.
Ueber die Geſinnung des neuen rheiniſchen Oberhirten konnte bald kein Zweifel mehr beſtehen. Geiſſel beeilte ſich zwar als gewandter Hof- mann den murrenden rheiniſchen Adel zu beſchwichtigen, dem der halbe Sieg in dem Biſchofsſtreite noch immer nicht genügte. Er weigerte ſich aber Diepenbrock zu ſeinem Dompropſte zu ernennen, obgleich ihn der König dringend darum erſuchen ließ;*) der Regensburger Domherr war ihm zu friedfertig und wohl auch zu bedeutend für einen Untergebenen. Als vertraute Rathgeber dienten ihm erſt jener Canonicus Iven, dem der Papſt einſt eigenmächtig die Verwaltung des Erzbisthums übertragen hatte, nachher der Weihbiſchof Baudri, Beide erklärte Anhänger der ſtrengen ultramontanen Partei. Von derſelben Farbe war auch der auf Geiſſel’s Vorſchlag ernannte neue Biſchof von Speier, der Begründer des Mainzer „Katholiken“ Weis. Wie gänzlich verkannte doch der König die Zeichen der Zeit, wenn er arglos hoffte, die römiſche Kirche würde ihrer Ver- weltlichung bald entwachſen. Noch niemals ſeit den Zeiten Tezel’s hatte der Clerus unſeres Weſtens ſo wie jetzt in pomphaften Feſtlichkeiten ge- ſchwelgt. Auf das Kölner Domfeſt folgte die Ausſtellung des heiligen Rocks in Trier; dann wurden in Aachen die Windeln des Chriſtkindleins dem gläu- bigen Volke gezeigt, bräunliche Fetzen, von denen ſelbſt Baudri meinte, ihre Echtheit ſei zweifelhaft, unzweifelhaft aber ihre Heiligkeit; darauf feierte man zu Münſter mit unerhörtem Prunk das Jubiläum des greifen blinden Biſchofs Caspar Max Droſte, und überall war Geiſſel mit dabei.
Der heranwachſende rheiniſche Clerus zeigte, Dank den trefflichen Unterrichtsanſtalten des preußiſchen Staates, mehr Bildung als das ältere Geſchlecht, und ſeit dem Domfeſte auch oft ein warmes Verſtändniß für die alte kirchliche Kunſt; dem Erzbiſchof gegenüber bekundete er aber gar keinen eigenen Willen mehr. Die zahlreichen Succurſalpfarrer des linken Rhein- ufers, die nach dem ſchlechten franzöſiſchen Brauche keine feſten canoniſchen Pfründen beſaßen, ſtanden ganz in Geiſſel’s Hand; und auch die in ihrem
*) Thile an Eichhorn, 24. Juni 1842.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0314"n="300"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 4. Die Parteiung in der Kirche.</fw><lb/>
Schmedding ſagte, eine „formal nagelneue Erfindung“; ſie widerſprach nicht<lb/>
nur den Staatsgeſetzen, ſondern auch dem canoniſchen Rechte, denn noch<lb/>
niemals hatte die Kirche bisher die Univerſitäten, die ja dem ganzen katho-<lb/>
liſchen Deutſchland dienen ſollten, blos als Diöceſananſtalten behandelt.<lb/>
Trotzdem und trotz den Bedenken Eichhorn’s fand der König die Zu-<lb/>
muthung ganz unverfänglich. Bald nachher beanſpruchte der dankbare<lb/>
Dunin die Ernennung aller Religonslehrer in ſeiner Diöceſe, und auch dieſer<lb/>
Anmaßung gab die Krone zuletzt im Weſentlichen nach. Eine Cabinets-<lb/>
ordre vom 6. Nov. 1846 beſtimmte, daß der Miniſter ſich mit dem Biſchof<lb/>
über die Perſon jedes neu zu berufenden Religionslehrers verſtändigen,<lb/>
darauf der Biſchof die kanoniſche Miſſion ertheilen, und dann erſt der<lb/>
Staat die Ernennung vollziehen ſolle.</p><lb/><p>Ueber die Geſinnung des neuen rheiniſchen Oberhirten konnte bald<lb/>
kein Zweifel mehr beſtehen. Geiſſel beeilte ſich zwar als gewandter Hof-<lb/>
mann den murrenden rheiniſchen Adel zu beſchwichtigen, dem der halbe<lb/>
Sieg in dem Biſchofsſtreite noch immer nicht genügte. Er weigerte ſich<lb/>
aber Diepenbrock zu ſeinem Dompropſte zu ernennen, obgleich ihn der<lb/>
König dringend darum erſuchen ließ;<noteplace="foot"n="*)">Thile an Eichhorn, 24. Juni 1842.</note> der Regensburger Domherr war<lb/>
ihm zu friedfertig und wohl auch zu bedeutend für einen Untergebenen.<lb/>
Als vertraute Rathgeber dienten ihm erſt jener Canonicus Iven, dem der<lb/>
Papſt einſt eigenmächtig die Verwaltung des Erzbisthums übertragen hatte,<lb/>
nachher der Weihbiſchof Baudri, Beide erklärte Anhänger der ſtrengen<lb/>
ultramontanen Partei. Von derſelben Farbe war auch der auf Geiſſel’s<lb/>
Vorſchlag ernannte neue Biſchof von Speier, der Begründer des Mainzer<lb/>„Katholiken“ Weis. Wie gänzlich verkannte doch der König die Zeichen<lb/>
der Zeit, wenn er arglos hoffte, die römiſche Kirche würde ihrer Ver-<lb/>
weltlichung bald entwachſen. Noch niemals ſeit den Zeiten Tezel’s hatte<lb/>
der Clerus unſeres Weſtens ſo wie jetzt in pomphaften Feſtlichkeiten ge-<lb/>ſchwelgt. Auf das Kölner Domfeſt folgte die Ausſtellung des heiligen Rocks<lb/>
in Trier; dann wurden in Aachen die Windeln des Chriſtkindleins dem gläu-<lb/>
bigen Volke gezeigt, bräunliche Fetzen, von denen ſelbſt Baudri meinte, ihre<lb/>
Echtheit ſei zweifelhaft, unzweifelhaft aber ihre Heiligkeit; darauf feierte man<lb/>
zu Münſter mit unerhörtem Prunk das Jubiläum des greifen blinden<lb/>
Biſchofs Caspar Max Droſte, und überall war Geiſſel mit dabei.</p><lb/><p>Der heranwachſende rheiniſche Clerus zeigte, Dank den trefflichen<lb/>
Unterrichtsanſtalten des preußiſchen Staates, mehr Bildung als das ältere<lb/>
Geſchlecht, und ſeit dem Domfeſte auch oft ein warmes Verſtändniß für die<lb/>
alte kirchliche Kunſt; dem Erzbiſchof gegenüber bekundete er aber gar keinen<lb/>
eigenen Willen mehr. Die zahlreichen Succurſalpfarrer des linken Rhein-<lb/>
ufers, die nach dem ſchlechten franzöſiſchen Brauche keine feſten canoniſchen<lb/>
Pfründen beſaßen, ſtanden ganz in Geiſſel’s Hand; und auch die in ihrem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[300/0314]
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Schmedding ſagte, eine „formal nagelneue Erfindung“; ſie widerſprach nicht
nur den Staatsgeſetzen, ſondern auch dem canoniſchen Rechte, denn noch
niemals hatte die Kirche bisher die Univerſitäten, die ja dem ganzen katho-
liſchen Deutſchland dienen ſollten, blos als Diöceſananſtalten behandelt.
Trotzdem und trotz den Bedenken Eichhorn’s fand der König die Zu-
muthung ganz unverfänglich. Bald nachher beanſpruchte der dankbare
Dunin die Ernennung aller Religonslehrer in ſeiner Diöceſe, und auch dieſer
Anmaßung gab die Krone zuletzt im Weſentlichen nach. Eine Cabinets-
ordre vom 6. Nov. 1846 beſtimmte, daß der Miniſter ſich mit dem Biſchof
über die Perſon jedes neu zu berufenden Religionslehrers verſtändigen,
darauf der Biſchof die kanoniſche Miſſion ertheilen, und dann erſt der
Staat die Ernennung vollziehen ſolle.
Ueber die Geſinnung des neuen rheiniſchen Oberhirten konnte bald
kein Zweifel mehr beſtehen. Geiſſel beeilte ſich zwar als gewandter Hof-
mann den murrenden rheiniſchen Adel zu beſchwichtigen, dem der halbe
Sieg in dem Biſchofsſtreite noch immer nicht genügte. Er weigerte ſich
aber Diepenbrock zu ſeinem Dompropſte zu ernennen, obgleich ihn der
König dringend darum erſuchen ließ; *) der Regensburger Domherr war
ihm zu friedfertig und wohl auch zu bedeutend für einen Untergebenen.
Als vertraute Rathgeber dienten ihm erſt jener Canonicus Iven, dem der
Papſt einſt eigenmächtig die Verwaltung des Erzbisthums übertragen hatte,
nachher der Weihbiſchof Baudri, Beide erklärte Anhänger der ſtrengen
ultramontanen Partei. Von derſelben Farbe war auch der auf Geiſſel’s
Vorſchlag ernannte neue Biſchof von Speier, der Begründer des Mainzer
„Katholiken“ Weis. Wie gänzlich verkannte doch der König die Zeichen
der Zeit, wenn er arglos hoffte, die römiſche Kirche würde ihrer Ver-
weltlichung bald entwachſen. Noch niemals ſeit den Zeiten Tezel’s hatte
der Clerus unſeres Weſtens ſo wie jetzt in pomphaften Feſtlichkeiten ge-
ſchwelgt. Auf das Kölner Domfeſt folgte die Ausſtellung des heiligen Rocks
in Trier; dann wurden in Aachen die Windeln des Chriſtkindleins dem gläu-
bigen Volke gezeigt, bräunliche Fetzen, von denen ſelbſt Baudri meinte, ihre
Echtheit ſei zweifelhaft, unzweifelhaft aber ihre Heiligkeit; darauf feierte man
zu Münſter mit unerhörtem Prunk das Jubiläum des greifen blinden
Biſchofs Caspar Max Droſte, und überall war Geiſſel mit dabei.
Der heranwachſende rheiniſche Clerus zeigte, Dank den trefflichen
Unterrichtsanſtalten des preußiſchen Staates, mehr Bildung als das ältere
Geſchlecht, und ſeit dem Domfeſte auch oft ein warmes Verſtändniß für die
alte kirchliche Kunſt; dem Erzbiſchof gegenüber bekundete er aber gar keinen
eigenen Willen mehr. Die zahlreichen Succurſalpfarrer des linken Rhein-
ufers, die nach dem ſchlechten franzöſiſchen Brauche keine feſten canoniſchen
Pfründen beſaßen, ſtanden ganz in Geiſſel’s Hand; und auch die in ihrem
*) Thile an Eichhorn, 24. Juni 1842.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/314>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.