Amte besser gesicherten Pfarrer des rechten Ufers wußte er durch eiserne Disciplin niederzuhalten. Er gehörte nicht förmlich dem Jesuitenorden an wie sein Freund Reisach; doch in rein jesuitischem Geiste ließ er das Bonner Convict durch Professor Martin leiten. Die Seele der Bonner Facultät war der aus Speier mit herübergekommene Schwabe Dieringer, ein Theolog von geringer wissenschaftlicher Bedeutung, aber unschätzbar als rühriger ultramontaner Parteimann. Da die katholische Abtheilung des Ministe- riums gern ein Auge zudrückte, so entstand in der Stille eine Reihe von Klöstern ohne die gesetzlich nothwendige Genehmigung des Landesherrn. Geissel wollte die politische Herrschaft, die der Clerus am Rhein so lange behauptet hatte, durch eine ebenso wirksame sociale Herrschaft ersetzen. Weithin über das Land spannte sich nach und nach ein dichtes Netz von katholischen Genossenschaften aller Art, die für Krankenpflege und Armen- versorgung manches Gute wirkten, immer aber ein hartes confessionelles Gepräge trugen; bald traten auch rein gesellige, offen oder insgeheim von Geistlichen geleitete Vereine hinzu. Der Verkehr zwischen den beiden Con- fessionen beschränkte sich mehr und mehr auf das geschäftliche Leben; der Haß gegen die Protestanten wurde den katholischen Familien durch die Beichtväter so nachdrücklich eingeschärft, daß nur noch selten evangelische Dienstboten bei katholischen Herrschaften Aufnahme fanden.
Etwas erfreulicher gestalteten sich die kirchlichen Zustände in Schlesien. Da der neue Fürstbischof Knauer schon nach kurzer Zeit, 1844 starb, so wurde dem Könige die Freude, daß Melchior Diepenbrock den fürst- bischöflichen Stuhl bestieg, der edelste Charakter unter den deutschen Kirchen- fürsten dieser Zeit. Friedrich Wilhelm hatte den frommen Westphalen schon 1840 in Regensburg durch seinen Radowitz, bei Gelegenheit der militärischen Rundreise besuchen lassen und seitdem nicht mehr aus den Augen verloren. Wohl zeigte schon Diepenbrock's Einzug, wie gründlich das kirchliche Leben verwandelt war. Der katholische Adel bereitete dem Oberhirten prächtige Huldigungen, wie man sie unter preußischer Herr- schaft noch nie erlebt hatte. Und stolz genug schritt er einher, eine große, schlanke, würdevolle Gestalt mit schönen, schwärmerischen Augen; jede Miene verkündete, wie hoch erhaben er sich jetzt über allen Laien fühlte. Keine Macht der Welt konnte ihn in der strengsten Erfüllung seiner kirch- lichen Pflichten beirren: den Fürsten Hatzfeldt, an dessen Seite er soeben in Breslau eingefahren war, excommunicirte er kaum zwei Jahre später, weil der Fürst sich inzwischen von seiner Gemahlin getrennt und eine neue Ehe geschlossen hatte. Auch die clericalen Strömungen der Zeit ließen ihn nicht ganz unberührt; es währte nicht lange, so verlangte er wie Geissel das Recht, den theologischen Professoren der Landesuniversität die kanonische Mission zu ertheilen. Aber unendlich höher als die Macht seiner Kirche stand ihm doch der lebendige Geist des Christenthums. Als er nach der Bischofsweihe majestätisch vor den Altar trat und den Stab
Diepenbrock.
Amte beſſer geſicherten Pfarrer des rechten Ufers wußte er durch eiſerne Disciplin niederzuhalten. Er gehörte nicht förmlich dem Jeſuitenorden an wie ſein Freund Reiſach; doch in rein jeſuitiſchem Geiſte ließ er das Bonner Convict durch Profeſſor Martin leiten. Die Seele der Bonner Facultät war der aus Speier mit herübergekommene Schwabe Dieringer, ein Theolog von geringer wiſſenſchaftlicher Bedeutung, aber unſchätzbar als rühriger ultramontaner Parteimann. Da die katholiſche Abtheilung des Miniſte- riums gern ein Auge zudrückte, ſo entſtand in der Stille eine Reihe von Klöſtern ohne die geſetzlich nothwendige Genehmigung des Landesherrn. Geiſſel wollte die politiſche Herrſchaft, die der Clerus am Rhein ſo lange behauptet hatte, durch eine ebenſo wirkſame ſociale Herrſchaft erſetzen. Weithin über das Land ſpannte ſich nach und nach ein dichtes Netz von katholiſchen Genoſſenſchaften aller Art, die für Krankenpflege und Armen- verſorgung manches Gute wirkten, immer aber ein hartes confeſſionelles Gepräge trugen; bald traten auch rein geſellige, offen oder insgeheim von Geiſtlichen geleitete Vereine hinzu. Der Verkehr zwiſchen den beiden Con- feſſionen beſchränkte ſich mehr und mehr auf das geſchäftliche Leben; der Haß gegen die Proteſtanten wurde den katholiſchen Familien durch die Beichtväter ſo nachdrücklich eingeſchärft, daß nur noch ſelten evangeliſche Dienſtboten bei katholiſchen Herrſchaften Aufnahme fanden.
Etwas erfreulicher geſtalteten ſich die kirchlichen Zuſtände in Schleſien. Da der neue Fürſtbiſchof Knauer ſchon nach kurzer Zeit, 1844 ſtarb, ſo wurde dem Könige die Freude, daß Melchior Diepenbrock den fürſt- biſchöflichen Stuhl beſtieg, der edelſte Charakter unter den deutſchen Kirchen- fürſten dieſer Zeit. Friedrich Wilhelm hatte den frommen Weſtphalen ſchon 1840 in Regensburg durch ſeinen Radowitz, bei Gelegenheit der militäriſchen Rundreiſe beſuchen laſſen und ſeitdem nicht mehr aus den Augen verloren. Wohl zeigte ſchon Diepenbrock’s Einzug, wie gründlich das kirchliche Leben verwandelt war. Der katholiſche Adel bereitete dem Oberhirten prächtige Huldigungen, wie man ſie unter preußiſcher Herr- ſchaft noch nie erlebt hatte. Und ſtolz genug ſchritt er einher, eine große, ſchlanke, würdevolle Geſtalt mit ſchönen, ſchwärmeriſchen Augen; jede Miene verkündete, wie hoch erhaben er ſich jetzt über allen Laien fühlte. Keine Macht der Welt konnte ihn in der ſtrengſten Erfüllung ſeiner kirch- lichen Pflichten beirren: den Fürſten Hatzfeldt, an deſſen Seite er ſoeben in Breslau eingefahren war, excommunicirte er kaum zwei Jahre ſpäter, weil der Fürſt ſich inzwiſchen von ſeiner Gemahlin getrennt und eine neue Ehe geſchloſſen hatte. Auch die clericalen Strömungen der Zeit ließen ihn nicht ganz unberührt; es währte nicht lange, ſo verlangte er wie Geiſſel das Recht, den theologiſchen Profeſſoren der Landesuniverſität die kanoniſche Miſſion zu ertheilen. Aber unendlich höher als die Macht ſeiner Kirche ſtand ihm doch der lebendige Geiſt des Chriſtenthums. Als er nach der Biſchofsweihe majeſtätiſch vor den Altar trat und den Stab
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Diepenbrock.
Amte beſſer geſicherten Pfarrer des rechten Ufers wußte er durch eiſerne
Disciplin niederzuhalten. Er gehörte nicht förmlich dem Jeſuitenorden an
wie ſein Freund Reiſach; doch in rein jeſuitiſchem Geiſte ließ er das Bonner
Convict durch Profeſſor Martin leiten. Die Seele der Bonner Facultät
war der aus Speier mit herübergekommene Schwabe Dieringer, ein Theolog
von geringer wiſſenſchaftlicher Bedeutung, aber unſchätzbar als rühriger
ultramontaner Parteimann. Da die katholiſche Abtheilung des Miniſte-
riums gern ein Auge zudrückte, ſo entſtand in der Stille eine Reihe von
Klöſtern ohne die geſetzlich nothwendige Genehmigung des Landesherrn.
Geiſſel wollte die politiſche Herrſchaft, die der Clerus am Rhein ſo lange
behauptet hatte, durch eine ebenſo wirkſame ſociale Herrſchaft erſetzen.
Weithin über das Land ſpannte ſich nach und nach ein dichtes Netz von
katholiſchen Genoſſenſchaften aller Art, die für Krankenpflege und Armen-
verſorgung manches Gute wirkten, immer aber ein hartes confeſſionelles
Gepräge trugen; bald traten auch rein geſellige, offen oder insgeheim von
Geiſtlichen geleitete Vereine hinzu. Der Verkehr zwiſchen den beiden Con-
feſſionen beſchränkte ſich mehr und mehr auf das geſchäftliche Leben; der
Haß gegen die Proteſtanten wurde den katholiſchen Familien durch die
Beichtväter ſo nachdrücklich eingeſchärft, daß nur noch ſelten evangeliſche
Dienſtboten bei katholiſchen Herrſchaften Aufnahme fanden.
Etwas erfreulicher geſtalteten ſich die kirchlichen Zuſtände in Schleſien.
Da der neue Fürſtbiſchof Knauer ſchon nach kurzer Zeit, 1844 ſtarb,
ſo wurde dem Könige die Freude, daß Melchior Diepenbrock den fürſt-
biſchöflichen Stuhl beſtieg, der edelſte Charakter unter den deutſchen Kirchen-
fürſten dieſer Zeit. Friedrich Wilhelm hatte den frommen Weſtphalen
ſchon 1840 in Regensburg durch ſeinen Radowitz, bei Gelegenheit der
militäriſchen Rundreiſe beſuchen laſſen und ſeitdem nicht mehr aus den
Augen verloren. Wohl zeigte ſchon Diepenbrock’s Einzug, wie gründlich
das kirchliche Leben verwandelt war. Der katholiſche Adel bereitete dem
Oberhirten prächtige Huldigungen, wie man ſie unter preußiſcher Herr-
ſchaft noch nie erlebt hatte. Und ſtolz genug ſchritt er einher, eine große,
ſchlanke, würdevolle Geſtalt mit ſchönen, ſchwärmeriſchen Augen; jede
Miene verkündete, wie hoch erhaben er ſich jetzt über allen Laien fühlte.
Keine Macht der Welt konnte ihn in der ſtrengſten Erfüllung ſeiner kirch-
lichen Pflichten beirren: den Fürſten Hatzfeldt, an deſſen Seite er ſoeben
in Breslau eingefahren war, excommunicirte er kaum zwei Jahre ſpäter,
weil der Fürſt ſich inzwiſchen von ſeiner Gemahlin getrennt und eine
neue Ehe geſchloſſen hatte. Auch die clericalen Strömungen der Zeit
ließen ihn nicht ganz unberührt; es währte nicht lange, ſo verlangte er
wie Geiſſel das Recht, den theologiſchen Profeſſoren der Landesuniverſität
die kanoniſche Miſſion zu ertheilen. Aber unendlich höher als die Macht
ſeiner Kirche ſtand ihm doch der lebendige Geiſt des Chriſtenthums. Als
er nach der Biſchofsweihe majeſtätiſch vor den Altar trat und den Stab
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/315>, abgerufen am 18.06.2024.
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