Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 4. Die Parteiung in der Kirche. rischen Protestanten. Unter den Berliner Pietisten war zunächst Eichhorngemeint, dem alle Anhänger Oesterreichs das Aergste zutrauten. Leider blieb König Ludwig solchen Einflüsterungen nicht unzugänglich. Weil er selbst die Rolle des katholischen Kurfürsten Max spielen wollte, witterte er jetzt überall politische Umtriebe des Protestantismus; sogar die englischen Phantasien seines preußischen Schwagers erschienen ihm wie eine Be- drohung der römischen Kirche*), und um dem Bisthum Jerusalem ein Gegengewicht zu bieten, sendete er in das gelobte Land einige bairische Ge- lehrte, die sich dort mit geringem Erfolge bemühten katholische Klöster und Hospitäler zu errichten. Als Dönhoff nachher an den Bundestag ver- setzt und sein Nachfolger Graf Bernstorff bei dem bairischen Monarchen eingeführt wurde, da beklagte sich Ludwig bitter über die parteiische Haltung des bisherigen Gesandten. Bernstorff erwiderte mündlich und schriftlich: er würde sich niemals in das Treiben der bairischen Parteien mischen, aber auch nicht seine Glaubensgenossen von sich stoßen, nicht die politischen und religiösen Sympathien seiner Regierung verleugnen, nicht darauf ver- zichten, leidenschaftliche Angriffe gegen evangelische Regierungen zurückzu- weisen. König Friedrich Wilhelm bemerkte dazu: "er hat wie ein Ehren- mann und rechter preußischer Gesandter gesprochen und geschrieben, und es soll ihm meine volle Zufriedenheit zu erkennen gegeben werden." Auch König Ludwig mußte die Offenheit des Preußen anerkennen.**) Trotz- dem und trotz der persönlichen Freundschaft der königlichen Schwäger blieb das Verhältniß der beiden Höfe getrübt. Es war der Fluch der ultramon- tanen Parteiherrschaft, daß sie nicht blos Baierns innere Entwicklung störte, sondern auch seine natürlichen Bundesgenossen abschreckte. Zum ersten male wurde König Ludwig mißtrauisch gegen seine cleri- *) Dönhoff's Berichte, 20. Jan., 2. Febr. 1842. **) Bernstorff's Berichte, 31. Oct., 2. Nov.; Gise an Bernstorff, 2. Nov.; Mini-
sterialschreiben an Bernstorff, 12. 13. Nov. 1845. V. 4. Die Parteiung in der Kirche. riſchen Proteſtanten. Unter den Berliner Pietiſten war zunächſt Eichhorngemeint, dem alle Anhänger Oeſterreichs das Aergſte zutrauten. Leider blieb König Ludwig ſolchen Einflüſterungen nicht unzugänglich. Weil er ſelbſt die Rolle des katholiſchen Kurfürſten Max ſpielen wollte, witterte er jetzt überall politiſche Umtriebe des Proteſtantismus; ſogar die engliſchen Phantaſien ſeines preußiſchen Schwagers erſchienen ihm wie eine Be- drohung der römiſchen Kirche*), und um dem Bisthum Jeruſalem ein Gegengewicht zu bieten, ſendete er in das gelobte Land einige bairiſche Ge- lehrte, die ſich dort mit geringem Erfolge bemühten katholiſche Klöſter und Hospitäler zu errichten. Als Dönhoff nachher an den Bundestag ver- ſetzt und ſein Nachfolger Graf Bernſtorff bei dem bairiſchen Monarchen eingeführt wurde, da beklagte ſich Ludwig bitter über die parteiiſche Haltung des bisherigen Geſandten. Bernſtorff erwiderte mündlich und ſchriftlich: er würde ſich niemals in das Treiben der bairiſchen Parteien miſchen, aber auch nicht ſeine Glaubensgenoſſen von ſich ſtoßen, nicht die politiſchen und religiöſen Sympathien ſeiner Regierung verleugnen, nicht darauf ver- zichten, leidenſchaftliche Angriffe gegen evangeliſche Regierungen zurückzu- weiſen. König Friedrich Wilhelm bemerkte dazu: „er hat wie ein Ehren- mann und rechter preußiſcher Geſandter geſprochen und geſchrieben, und es ſoll ihm meine volle Zufriedenheit zu erkennen gegeben werden.“ Auch König Ludwig mußte die Offenheit des Preußen anerkennen.**) Trotz- dem und trotz der perſönlichen Freundſchaft der königlichen Schwäger blieb das Verhältniß der beiden Höfe getrübt. Es war der Fluch der ultramon- tanen Parteiherrſchaft, daß ſie nicht blos Baierns innere Entwicklung ſtörte, ſondern auch ſeine natürlichen Bundesgenoſſen abſchreckte. Zum erſten male wurde König Ludwig mißtrauiſch gegen ſeine cleri- *) Dönhoff’s Berichte, 20. Jan., 2. Febr. 1842. **) Bernſtorff’s Berichte, 31. Oct., 2. Nov.; Giſe an Bernſtorff, 2. Nov.; Mini-
ſterialſchreiben an Bernſtorff, 12. 13. Nov. 1845. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0324" n="310"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 4. Die Parteiung in der Kirche.</fw><lb/> riſchen Proteſtanten. Unter den Berliner Pietiſten war zunächſt Eichhorn<lb/> gemeint, dem alle Anhänger Oeſterreichs das Aergſte zutrauten. Leider<lb/> blieb König Ludwig ſolchen Einflüſterungen nicht unzugänglich. Weil er<lb/> ſelbſt die Rolle des katholiſchen Kurfürſten Max ſpielen wollte, witterte<lb/> er jetzt überall politiſche Umtriebe des Proteſtantismus; ſogar die engliſchen<lb/> Phantaſien ſeines preußiſchen Schwagers erſchienen ihm wie eine Be-<lb/> drohung der römiſchen Kirche<note place="foot" n="*)">Dönhoff’s Berichte, 20. Jan., 2. Febr. 1842.</note>, und um dem Bisthum Jeruſalem ein<lb/> Gegengewicht zu bieten, ſendete er in das gelobte Land einige bairiſche Ge-<lb/> lehrte, die ſich dort mit geringem Erfolge bemühten katholiſche Klöſter und<lb/> Hospitäler zu errichten. Als Dönhoff nachher an den Bundestag ver-<lb/> ſetzt und ſein Nachfolger Graf Bernſtorff bei dem bairiſchen Monarchen<lb/> eingeführt wurde, da beklagte ſich Ludwig bitter über die parteiiſche Haltung<lb/> des bisherigen Geſandten. Bernſtorff erwiderte mündlich und ſchriftlich:<lb/> er würde ſich niemals in das Treiben der bairiſchen Parteien miſchen,<lb/> aber auch nicht ſeine Glaubensgenoſſen von ſich ſtoßen, nicht die politiſchen<lb/> und religiöſen Sympathien ſeiner Regierung verleugnen, nicht darauf ver-<lb/> zichten, leidenſchaftliche Angriffe gegen evangeliſche Regierungen zurückzu-<lb/> weiſen. König Friedrich Wilhelm bemerkte dazu: „er hat wie ein Ehren-<lb/> mann und rechter preußiſcher Geſandter geſprochen und geſchrieben, und<lb/> es ſoll ihm meine volle Zufriedenheit zu erkennen gegeben werden.“ Auch<lb/> König Ludwig mußte die Offenheit des Preußen anerkennen.<note place="foot" n="**)">Bernſtorff’s Berichte, 31. Oct., 2. Nov.; Giſe an Bernſtorff, 2. Nov.; Mini-<lb/> ſterialſchreiben an Bernſtorff, 12. 13. Nov. 1845.</note> Trotz-<lb/> dem und trotz der perſönlichen Freundſchaft der königlichen Schwäger blieb<lb/> das Verhältniß der beiden Höfe getrübt. Es war der Fluch der ultramon-<lb/> tanen Parteiherrſchaft, daß ſie nicht blos Baierns innere Entwicklung ſtörte,<lb/> ſondern auch ſeine natürlichen Bundesgenoſſen abſchreckte.</p><lb/> <p>Zum erſten male wurde König Ludwig mißtrauiſch gegen ſeine cleri-<lb/> calen Anhänger, als ſein Hofprediger Eberhard (1841) in der Michaels-<lb/> kirche eine Reihe von Predigten hielt, deren pöbelhafte Schmähungen faſt<lb/> darauf berechnet ſchienen, die maſſenhaft herbeigeſtrömten Hörer zum Kriege<lb/> gegen die Proteſtanten aufzuwiegeln: da ward Luther ein elender Betrüger<lb/> genannt, die evangeliſche Ehe Hurerei, die gemiſchte Ehe ein Sacrileg, die<lb/> katholiſche Mutter, die ihr Kind proteſtantiſch erziehen ließe, eine Frevlerin<lb/> wider die Geſetze der Natur. Das Aergerniß war ſo ſchlimm, daß mehrere<lb/> angeſehene Proteſtanten — auch Thierſch war darunter — ſich klagend<lb/> an die Krone wendeten. Diepenbrock, der damals noch dem Regensburger<lb/> Domcapitel angehörte, fand es unbegreiflich, wie man die Kanzel alſo zum<lb/> Fechtboden herabwürdigen könne, und ſein Freund, der greiſe, ſchon tödlich<lb/> erkrankte Biſchof Schwäbl hielt dem Münchener Eiferer in einem ſchönen<lb/> Briefe die Pflichten der chriſtlichen Liebe vor: „ſo redet nicht der Geiſt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [310/0324]
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
riſchen Proteſtanten. Unter den Berliner Pietiſten war zunächſt Eichhorn
gemeint, dem alle Anhänger Oeſterreichs das Aergſte zutrauten. Leider
blieb König Ludwig ſolchen Einflüſterungen nicht unzugänglich. Weil er
ſelbſt die Rolle des katholiſchen Kurfürſten Max ſpielen wollte, witterte
er jetzt überall politiſche Umtriebe des Proteſtantismus; ſogar die engliſchen
Phantaſien ſeines preußiſchen Schwagers erſchienen ihm wie eine Be-
drohung der römiſchen Kirche *), und um dem Bisthum Jeruſalem ein
Gegengewicht zu bieten, ſendete er in das gelobte Land einige bairiſche Ge-
lehrte, die ſich dort mit geringem Erfolge bemühten katholiſche Klöſter und
Hospitäler zu errichten. Als Dönhoff nachher an den Bundestag ver-
ſetzt und ſein Nachfolger Graf Bernſtorff bei dem bairiſchen Monarchen
eingeführt wurde, da beklagte ſich Ludwig bitter über die parteiiſche Haltung
des bisherigen Geſandten. Bernſtorff erwiderte mündlich und ſchriftlich:
er würde ſich niemals in das Treiben der bairiſchen Parteien miſchen,
aber auch nicht ſeine Glaubensgenoſſen von ſich ſtoßen, nicht die politiſchen
und religiöſen Sympathien ſeiner Regierung verleugnen, nicht darauf ver-
zichten, leidenſchaftliche Angriffe gegen evangeliſche Regierungen zurückzu-
weiſen. König Friedrich Wilhelm bemerkte dazu: „er hat wie ein Ehren-
mann und rechter preußiſcher Geſandter geſprochen und geſchrieben, und
es ſoll ihm meine volle Zufriedenheit zu erkennen gegeben werden.“ Auch
König Ludwig mußte die Offenheit des Preußen anerkennen. **) Trotz-
dem und trotz der perſönlichen Freundſchaft der königlichen Schwäger blieb
das Verhältniß der beiden Höfe getrübt. Es war der Fluch der ultramon-
tanen Parteiherrſchaft, daß ſie nicht blos Baierns innere Entwicklung ſtörte,
ſondern auch ſeine natürlichen Bundesgenoſſen abſchreckte.
Zum erſten male wurde König Ludwig mißtrauiſch gegen ſeine cleri-
calen Anhänger, als ſein Hofprediger Eberhard (1841) in der Michaels-
kirche eine Reihe von Predigten hielt, deren pöbelhafte Schmähungen faſt
darauf berechnet ſchienen, die maſſenhaft herbeigeſtrömten Hörer zum Kriege
gegen die Proteſtanten aufzuwiegeln: da ward Luther ein elender Betrüger
genannt, die evangeliſche Ehe Hurerei, die gemiſchte Ehe ein Sacrileg, die
katholiſche Mutter, die ihr Kind proteſtantiſch erziehen ließe, eine Frevlerin
wider die Geſetze der Natur. Das Aergerniß war ſo ſchlimm, daß mehrere
angeſehene Proteſtanten — auch Thierſch war darunter — ſich klagend
an die Krone wendeten. Diepenbrock, der damals noch dem Regensburger
Domcapitel angehörte, fand es unbegreiflich, wie man die Kanzel alſo zum
Fechtboden herabwürdigen könne, und ſein Freund, der greiſe, ſchon tödlich
erkrankte Biſchof Schwäbl hielt dem Münchener Eiferer in einem ſchönen
Briefe die Pflichten der chriſtlichen Liebe vor: „ſo redet nicht der Geiſt
*) Dönhoff’s Berichte, 20. Jan., 2. Febr. 1842.
**) Bernſtorff’s Berichte, 31. Oct., 2. Nov.; Giſe an Bernſtorff, 2. Nov.; Mini-
ſterialſchreiben an Bernſtorff, 12. 13. Nov. 1845.
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