der Katholiken; dies Wetzlarer Kind schien gar nicht mehr zu wissen, daß der Name "katholisch" noch vor vierzig Jahren durch die alten Reichs- gesetze verboten gewesen war, während der Name des Corpus Evan- gelicorum amtliche Geltung hatte. Und diese kleinlichen Bedrückungen der Protestanten währten noch jahrelang fort unter demselben Könige, der eben jetzt, nach dem Vorbilde seines preußischen Schwagers, den Ver- kehr der Bischöfe mit dem römischen Stuhle freigab.
Die heftigsten Beschwerden richteten sich aber gegen die den evan- gelischen Soldaten aufgezwungene Kniebeugung, eine unbegreiflich ge- hässige Neuerung, die sich wohl nur aus einer phantastischen Schrulle des Königs erklärte; Ludwig hatte einen begeisterten Zeitungsbericht über eine prächtige Kirchenfeier der französischen Truppen in Algier gelesen und meinte nichts Arges zu thun, wenn er ähnliche Ceremonien auch in seinem Heere einführte. Er bedachte nicht, welche widerwärtigen Erinnerungen der Wittelsbachischen Geschichte er damit wieder aufrührte; durch denselben Kniebeugungszwang hatte ja vor hundertundzwanzig Jahren Pfalzgraf Johann Philipp seine treuen Heidelberger dermaßen erbittert, daß er sich gezwungen sah nach Mannheim überzusiedeln. Auch jetzt war der Un- wille in der evangelischen Welt allgemein. Die Protestanten im Herzog- thum Berg gedachten wieder der pfalzbairischen Zeiten und des wirksamen Schutzes, den ihre Vorfahren stets bei Kurbrandenburg gefunden hatten. Ihre Kreissynoden, voran die Düsseldorfer, baten schon 1839 den König von Preußen um seine Vermittlung beim Münchener Hofe, was der alte Herr als gänzlich nutzlos ablehnte. In mehreren bairischen Garnisonen kam es zu bedenklichen Auftritten; viele protestantische Offiziere und Soldaten erklärten, sie würden die schwere Sünde der Anbetung der Crea- tur auf sich laden, wenn sie vor dem Allerheiligsten niederknieten. Selbst Diepenbrock und manche andere wohlmeinende katholische Priester gestanden zu, daß die Protestanten hier das klare Recht für sich hätten.
Unterdessen verwendete sich auch Graf Karl Giech, der einzige Protestant unter den Regierungspräsidenten, nachdrücklich für seine Glaubensgenossen, und da ihn Abel schnöde abfertigte, nahm er seinen Abschied. Vor dem Könige rechtfertigte er sich durch eine ehrerbietige Denkschrift, die unumwun- den alle Sünden des Abel'schen Regimentes aufzählte: wie die Protestanten schon anfingen an der Gerechtigkeit der Krone zu zweifeln, die Kreisregie- rungen, Dank dem Erübrigungssysteme, mit ihren ungenügenden Arbeits- kräften die wachsende Geschäftslast nicht mehr bewältigen könnten, die Be- amten und die Lehrer bei übervollen Staatskassen darben müßten.*) Des Staatsdienstes entledigt ließ Giech sodann in Württemberg ein Büchlein über
*) Gf. K. Giech, Darlegung der Motive meines Austritts aus dem Staatsdienste, Nürnberg 12. Sept. 1840, lithographirt; späterhin abgedruckt in General v. Aster's Betrachtungen und Urtheilen (herausgegeben von Eilers, Saarbrücken 1858) I. 251.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
der Katholiken; dies Wetzlarer Kind ſchien gar nicht mehr zu wiſſen, daß der Name „katholiſch“ noch vor vierzig Jahren durch die alten Reichs- geſetze verboten geweſen war, während der Name des Corpus Evan- gelicorum amtliche Geltung hatte. Und dieſe kleinlichen Bedrückungen der Proteſtanten währten noch jahrelang fort unter demſelben Könige, der eben jetzt, nach dem Vorbilde ſeines preußiſchen Schwagers, den Ver- kehr der Biſchöfe mit dem römiſchen Stuhle freigab.
Die heftigſten Beſchwerden richteten ſich aber gegen die den evan- geliſchen Soldaten aufgezwungene Kniebeugung, eine unbegreiflich ge- häſſige Neuerung, die ſich wohl nur aus einer phantaſtiſchen Schrulle des Königs erklärte; Ludwig hatte einen begeiſterten Zeitungsbericht über eine prächtige Kirchenfeier der franzöſiſchen Truppen in Algier geleſen und meinte nichts Arges zu thun, wenn er ähnliche Ceremonien auch in ſeinem Heere einführte. Er bedachte nicht, welche widerwärtigen Erinnerungen der Wittelsbachiſchen Geſchichte er damit wieder aufrührte; durch denſelben Kniebeugungszwang hatte ja vor hundertundzwanzig Jahren Pfalzgraf Johann Philipp ſeine treuen Heidelberger dermaßen erbittert, daß er ſich gezwungen ſah nach Mannheim überzuſiedeln. Auch jetzt war der Un- wille in der evangeliſchen Welt allgemein. Die Proteſtanten im Herzog- thum Berg gedachten wieder der pfalzbairiſchen Zeiten und des wirkſamen Schutzes, den ihre Vorfahren ſtets bei Kurbrandenburg gefunden hatten. Ihre Kreisſynoden, voran die Düſſeldorfer, baten ſchon 1839 den König von Preußen um ſeine Vermittlung beim Münchener Hofe, was der alte Herr als gänzlich nutzlos ablehnte. In mehreren bairiſchen Garniſonen kam es zu bedenklichen Auftritten; viele proteſtantiſche Offiziere und Soldaten erklärten, ſie würden die ſchwere Sünde der Anbetung der Crea- tur auf ſich laden, wenn ſie vor dem Allerheiligſten niederknieten. Selbſt Diepenbrock und manche andere wohlmeinende katholiſche Prieſter geſtanden zu, daß die Proteſtanten hier das klare Recht für ſich hätten.
Unterdeſſen verwendete ſich auch Graf Karl Giech, der einzige Proteſtant unter den Regierungspräſidenten, nachdrücklich für ſeine Glaubensgenoſſen, und da ihn Abel ſchnöde abfertigte, nahm er ſeinen Abſchied. Vor dem Könige rechtfertigte er ſich durch eine ehrerbietige Denkſchrift, die unumwun- den alle Sünden des Abel’ſchen Regimentes aufzählte: wie die Proteſtanten ſchon anfingen an der Gerechtigkeit der Krone zu zweifeln, die Kreisregie- rungen, Dank dem Erübrigungsſyſteme, mit ihren ungenügenden Arbeits- kräften die wachſende Geſchäftslaſt nicht mehr bewältigen könnten, die Be- amten und die Lehrer bei übervollen Staatskaſſen darben müßten.*) Des Staatsdienſtes entledigt ließ Giech ſodann in Württemberg ein Büchlein über
*) Gf. K. Giech, Darlegung der Motive meines Austritts aus dem Staatsdienſte, Nürnberg 12. Sept. 1840, lithographirt; ſpäterhin abgedruckt in General v. Aſter’s Betrachtungen und Urtheilen (herausgegeben von Eilers, Saarbrücken 1858) I. 251.
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der Katholiken; dies Wetzlarer Kind ſchien gar nicht mehr zu wiſſen, daß
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geſetze verboten geweſen war, während der Name des Corpus Evan-
gelicorum amtliche Geltung hatte. Und dieſe kleinlichen Bedrückungen
der Proteſtanten währten noch jahrelang fort unter demſelben Könige,
der eben jetzt, nach dem Vorbilde ſeines preußiſchen Schwagers, den Ver-
kehr der Biſchöfe mit dem römiſchen Stuhle freigab.
Die heftigſten Beſchwerden richteten ſich aber gegen die den evan-
geliſchen Soldaten aufgezwungene Kniebeugung, eine unbegreiflich ge-
häſſige Neuerung, die ſich wohl nur aus einer phantaſtiſchen Schrulle des
Königs erklärte; Ludwig hatte einen begeiſterten Zeitungsbericht über eine
prächtige Kirchenfeier der franzöſiſchen Truppen in Algier geleſen und
meinte nichts Arges zu thun, wenn er ähnliche Ceremonien auch in ſeinem
Heere einführte. Er bedachte nicht, welche widerwärtigen Erinnerungen der
Wittelsbachiſchen Geſchichte er damit wieder aufrührte; durch denſelben
Kniebeugungszwang hatte ja vor hundertundzwanzig Jahren Pfalzgraf
Johann Philipp ſeine treuen Heidelberger dermaßen erbittert, daß er ſich
gezwungen ſah nach Mannheim überzuſiedeln. Auch jetzt war der Un-
wille in der evangeliſchen Welt allgemein. Die Proteſtanten im Herzog-
thum Berg gedachten wieder der pfalzbairiſchen Zeiten und des wirkſamen
Schutzes, den ihre Vorfahren ſtets bei Kurbrandenburg gefunden hatten.
Ihre Kreisſynoden, voran die Düſſeldorfer, baten ſchon 1839 den König
von Preußen um ſeine Vermittlung beim Münchener Hofe, was der alte
Herr als gänzlich nutzlos ablehnte. In mehreren bairiſchen Garniſonen
kam es zu bedenklichen Auftritten; viele proteſtantiſche Offiziere und
Soldaten erklärten, ſie würden die ſchwere Sünde der Anbetung der Crea-
tur auf ſich laden, wenn ſie vor dem Allerheiligſten niederknieten. Selbſt
Diepenbrock und manche andere wohlmeinende katholiſche Prieſter geſtanden
zu, daß die Proteſtanten hier das klare Recht für ſich hätten.
Unterdeſſen verwendete ſich auch Graf Karl Giech, der einzige Proteſtant
unter den Regierungspräſidenten, nachdrücklich für ſeine Glaubensgenoſſen,
und da ihn Abel ſchnöde abfertigte, nahm er ſeinen Abſchied. Vor dem
Könige rechtfertigte er ſich durch eine ehrerbietige Denkſchrift, die unumwun-
den alle Sünden des Abel’ſchen Regimentes aufzählte: wie die Proteſtanten
ſchon anfingen an der Gerechtigkeit der Krone zu zweifeln, die Kreisregie-
rungen, Dank dem Erübrigungsſyſteme, mit ihren ungenügenden Arbeits-
kräften die wachſende Geſchäftslaſt nicht mehr bewältigen könnten, die Be-
amten und die Lehrer bei übervollen Staatskaſſen darben müßten. *) Des
Staatsdienſtes entledigt ließ Giech ſodann in Württemberg ein Büchlein über
*) Gf. K. Giech, Darlegung der Motive meines Austritts aus dem Staatsdienſte,
Nürnberg 12. Sept. 1840, lithographirt; ſpäterhin abgedruckt in General v. Aſter’s
Betrachtungen und Urtheilen (herausgegeben von Eilers, Saarbrücken 1858) I. 251.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/328>, abgerufen am 21.11.2024.
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