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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Abel und der Landtag.
zweige. Das Heer verkam, die schlecht unterhaltenen bairischen Landstraßen
standen bei den süddeutschen Nachbarn in bösem Rufe; und wie das Unter-
richtswesen daniederlag, das erfuhr der Landtag staunend, als die Ver-
treter der drei Universitäten, der conservative Lutheraner Stahl und die
Clericalen Moy und Ringseis völlig übereinstimmend die Dürftigkeit ihrer
Hochschulen schilderten. Am tapfersten sprach Stahl; der Verfassung ge-
mäß bestritt er dem Ministerium rundweg das Recht, über die Erübrigungen
nach Belieben zu verfügen. Zur Strafe befahl ihm Abel, das Fach des
Staatsrechts aufzugeben und fortan Vorlesungen über Civilproceß zu halten.
Diese höhnische Mißhandlung erleichterte ihm die Annahme des Rufs nach
Preußen; sie hinderte freilich nicht, daß der freimüthige Gelehrte von den
aufgeklärten Berlinern sofort als ein Serviler beschimpft wurde. Die
Universitäten aber sanken bald noch tiefer, weil Abel ihnen eine neue
Studienordnung auferlegte mit übel ausgewählten Zwangscollegien und
zahlreichen Zwischenprüfungen, die alle akademische Freiheit vernichten
mußten; er wiegte sich in dem Wahne, daß die Künste ohne die freie
Wissenschaft auf die Dauer blühen könnten.

Der neue Landtag, der um Neujahr 1840 zusammentrat, verlief an-
fangs still, da der König kein Bedenken trug viele Abgeordnete persönlich
unter Androhung seiner Ungnade zum Gehorsam zu ermahnen, andere
durch Abel's Barschheit eingeschüchtert wurden.*) Wieder wie so oft schon
hatte die Regierung einer langen Reihe von Staats- und Gemeinde-
beamten den Urlaub für den Landtag verweigert; sie beanspruchte jetzt
sogar das Recht, auch die Rechtsanwälte nach Belieben von der Kammer aus-
zuschließen. Selbst darüber kam es nicht zum Bruch, und die heikle Streit-
frage wegen der willkürlichen Verwendung der Erübrigungen wurde durch
den pötzlichen Schluß des Landtags einfach abgeschnitten. Die evangelischen
Abgeordneten, die fast ein Drittel der Kammer ausmachten, zeigten sich
sehr versöhnlich; sie wollten den Landtag nicht zum Tummelplatze con-
fessionellen Zankes machen und beschlossen unter sich, ihre kirchlichen Be-
schwerden in einer besonderen Denkschrift dem Könige selbst vorzutragen.**)
Die Beschwerdeschrift klagte über die parteiische Behandlung der gemischten
Ehen; wurde doch sogar das erzwungene Versprechen katholischer Kinder-
erziehung durch Abel für rechtsgiltig erklärt. Sie wies ferner nach, wie
die Regierung in Neuburg, Landshut, Perlach und anderen Orten die
Bildung evangelischer Gemeinden verboten, auch Betsäle, die mit amt-
licher Erlaubniß schon eröffnet waren, wieder geschlossen hatte; in Ingol-
stadt versuchte die vom Clerus aufgewiegelte katholische Bürgerschaft selbst
den Bau einer evangelischen Kirche zu hintertreiben. Sogar den Namen
"evangelisch" bezeichnete der Minister als unzulässig, als eine Beleidigung

*) Dönhoff's Bericht, 6. Jan. 1840.
**) Dönhoff's Bericht, 28. Febr., Vorstellung der unterzeichneten Mitglieder der
protestantischen Kirche, Febr. 1840.

Abel und der Landtag.
zweige. Das Heer verkam, die ſchlecht unterhaltenen bairiſchen Landſtraßen
ſtanden bei den ſüddeutſchen Nachbarn in böſem Rufe; und wie das Unter-
richtsweſen daniederlag, das erfuhr der Landtag ſtaunend, als die Ver-
treter der drei Univerſitäten, der conſervative Lutheraner Stahl und die
Clericalen Moy und Ringseis völlig übereinſtimmend die Dürftigkeit ihrer
Hochſchulen ſchilderten. Am tapferſten ſprach Stahl; der Verfaſſung ge-
mäß beſtritt er dem Miniſterium rundweg das Recht, über die Erübrigungen
nach Belieben zu verfügen. Zur Strafe befahl ihm Abel, das Fach des
Staatsrechts aufzugeben und fortan Vorleſungen über Civilproceß zu halten.
Dieſe höhniſche Mißhandlung erleichterte ihm die Annahme des Rufs nach
Preußen; ſie hinderte freilich nicht, daß der freimüthige Gelehrte von den
aufgeklärten Berlinern ſofort als ein Serviler beſchimpft wurde. Die
Univerſitäten aber ſanken bald noch tiefer, weil Abel ihnen eine neue
Studienordnung auferlegte mit übel ausgewählten Zwangscollegien und
zahlreichen Zwiſchenprüfungen, die alle akademiſche Freiheit vernichten
mußten; er wiegte ſich in dem Wahne, daß die Künſte ohne die freie
Wiſſenſchaft auf die Dauer blühen könnten.

Der neue Landtag, der um Neujahr 1840 zuſammentrat, verlief an-
fangs ſtill, da der König kein Bedenken trug viele Abgeordnete perſönlich
unter Androhung ſeiner Ungnade zum Gehorſam zu ermahnen, andere
durch Abel’s Barſchheit eingeſchüchtert wurden.*) Wieder wie ſo oft ſchon
hatte die Regierung einer langen Reihe von Staats- und Gemeinde-
beamten den Urlaub für den Landtag verweigert; ſie beanſpruchte jetzt
ſogar das Recht, auch die Rechtsanwälte nach Belieben von der Kammer aus-
zuſchließen. Selbſt darüber kam es nicht zum Bruch, und die heikle Streit-
frage wegen der willkürlichen Verwendung der Erübrigungen wurde durch
den pötzlichen Schluß des Landtags einfach abgeſchnitten. Die evangeliſchen
Abgeordneten, die faſt ein Drittel der Kammer ausmachten, zeigten ſich
ſehr verſöhnlich; ſie wollten den Landtag nicht zum Tummelplatze con-
feſſionellen Zankes machen und beſchloſſen unter ſich, ihre kirchlichen Be-
ſchwerden in einer beſonderen Denkſchrift dem Könige ſelbſt vorzutragen.**)
Die Beſchwerdeſchrift klagte über die parteiiſche Behandlung der gemiſchten
Ehen; wurde doch ſogar das erzwungene Verſprechen katholiſcher Kinder-
erziehung durch Abel für rechtsgiltig erklärt. Sie wies ferner nach, wie
die Regierung in Neuburg, Landshut, Perlach und anderen Orten die
Bildung evangeliſcher Gemeinden verboten, auch Betſäle, die mit amt-
licher Erlaubniß ſchon eröffnet waren, wieder geſchloſſen hatte; in Ingol-
ſtadt verſuchte die vom Clerus aufgewiegelte katholiſche Bürgerſchaft ſelbſt
den Bau einer evangeliſchen Kirche zu hintertreiben. Sogar den Namen
„evangeliſch“ bezeichnete der Miniſter als unzuläſſig, als eine Beleidigung

*) Dönhoff’s Bericht, 6. Jan. 1840.
**) Dönhoff’s Bericht, 28. Febr., Vorſtellung der unterzeichneten Mitglieder der
proteſtantiſchen Kirche, Febr. 1840.
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[313/0327] Abel und der Landtag. zweige. Das Heer verkam, die ſchlecht unterhaltenen bairiſchen Landſtraßen ſtanden bei den ſüddeutſchen Nachbarn in böſem Rufe; und wie das Unter- richtsweſen daniederlag, das erfuhr der Landtag ſtaunend, als die Ver- treter der drei Univerſitäten, der conſervative Lutheraner Stahl und die Clericalen Moy und Ringseis völlig übereinſtimmend die Dürftigkeit ihrer Hochſchulen ſchilderten. Am tapferſten ſprach Stahl; der Verfaſſung ge- mäß beſtritt er dem Miniſterium rundweg das Recht, über die Erübrigungen nach Belieben zu verfügen. Zur Strafe befahl ihm Abel, das Fach des Staatsrechts aufzugeben und fortan Vorleſungen über Civilproceß zu halten. Dieſe höhniſche Mißhandlung erleichterte ihm die Annahme des Rufs nach Preußen; ſie hinderte freilich nicht, daß der freimüthige Gelehrte von den aufgeklärten Berlinern ſofort als ein Serviler beſchimpft wurde. Die Univerſitäten aber ſanken bald noch tiefer, weil Abel ihnen eine neue Studienordnung auferlegte mit übel ausgewählten Zwangscollegien und zahlreichen Zwiſchenprüfungen, die alle akademiſche Freiheit vernichten mußten; er wiegte ſich in dem Wahne, daß die Künſte ohne die freie Wiſſenſchaft auf die Dauer blühen könnten. Der neue Landtag, der um Neujahr 1840 zuſammentrat, verlief an- fangs ſtill, da der König kein Bedenken trug viele Abgeordnete perſönlich unter Androhung ſeiner Ungnade zum Gehorſam zu ermahnen, andere durch Abel’s Barſchheit eingeſchüchtert wurden. *) Wieder wie ſo oft ſchon hatte die Regierung einer langen Reihe von Staats- und Gemeinde- beamten den Urlaub für den Landtag verweigert; ſie beanſpruchte jetzt ſogar das Recht, auch die Rechtsanwälte nach Belieben von der Kammer aus- zuſchließen. Selbſt darüber kam es nicht zum Bruch, und die heikle Streit- frage wegen der willkürlichen Verwendung der Erübrigungen wurde durch den pötzlichen Schluß des Landtags einfach abgeſchnitten. Die evangeliſchen Abgeordneten, die faſt ein Drittel der Kammer ausmachten, zeigten ſich ſehr verſöhnlich; ſie wollten den Landtag nicht zum Tummelplatze con- feſſionellen Zankes machen und beſchloſſen unter ſich, ihre kirchlichen Be- ſchwerden in einer beſonderen Denkſchrift dem Könige ſelbſt vorzutragen. **) Die Beſchwerdeſchrift klagte über die parteiiſche Behandlung der gemiſchten Ehen; wurde doch ſogar das erzwungene Verſprechen katholiſcher Kinder- erziehung durch Abel für rechtsgiltig erklärt. Sie wies ferner nach, wie die Regierung in Neuburg, Landshut, Perlach und anderen Orten die Bildung evangeliſcher Gemeinden verboten, auch Betſäle, die mit amt- licher Erlaubniß ſchon eröffnet waren, wieder geſchloſſen hatte; in Ingol- ſtadt verſuchte die vom Clerus aufgewiegelte katholiſche Bürgerſchaft ſelbſt den Bau einer evangeliſchen Kirche zu hintertreiben. Sogar den Namen „evangeliſch“ bezeichnete der Miniſter als unzuläſſig, als eine Beleidigung *) Dönhoff’s Bericht, 6. Jan. 1840. **) Dönhoff’s Bericht, 28. Febr., Vorſtellung der unterzeichneten Mitglieder der proteſtantiſchen Kirche, Febr. 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/327>, abgerufen am 21.11.2024.