Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 4. Die Parteiung in der Kirche. kampfs sorgsam ausbreiteten, die Vertheidiger der Regierung selbst nurverlegene Worte der Entschuldigung vorzubringen wußten, und die Mehr- heit schließlich, auf Itzstein's Antrag, dem Ministerium ihre wohlverdiente Mißbilligung aussprach. Der Beschluß bedeutete rechtlich gar nichts, da die erste Kammer ihm nicht zustimmte; gleichwohl fühlte sich Großherzog Leopold schwer betroffen. Er merkte wohl, fast das ganze Land war einig in dem Rufe: fort mit Blittersdorff; und doch ging es ihm gegen seine fürstliche Ehre, dem Drängen der Stände nachzugeben. Blittersdorff blieb im Amte ohne den Landtag eines Besuchs zu würdigen, und in begreif- lichem Unmuth hielten die Liberalen noch manche zornige Rede über die großen Wünsche der Zeit: Preßfreiheit, Schwurgericht, Beschränkung der Polizeigewalt. Auch einzelne radicale Heißsporne ließen sich schon ver- nehmen, die offenbar weit über die Ziele der liberalen Führer hinaus- strebten, aber durch Itzstein's diplomatische Väterlichkeit noch bei der Stange gehalten wurden: so der unaufhaltsame burschikose Großsprecher Friedrich Hecker, so Bürgermeister Baum, der kurzab verlangte: wenn der Edelmann im Zuchthause den Adel verliere, dann müsse folgerecht der bürgerliche Verbrecher in den Adelstand degradirt werden. Als die Stände im Sep- tember auseinandergingen, mochte die grollende Opposition nicht zu der feierlichen Schlußsitzung erscheinen, und der preußische Gesandte Radowitz berichtete traurig: "So wurde dieser Landtag geschlossen unter dem Lebe- hoch Weniger, dem Schweigen Vieler, der peinlichen Stimmung der Mehr- zahl."*) Trotzdem erweckten die großen Reden dieses unfruchtbaren Landtags Der Itzstein und der Welcker Die gehen kühn voran. Schon tummeln sich die Völker, Schon bricht der Morgen an. Im Lande selbst war der Zweckessen und Versammlungen kein Ende; die *) Radowitz's Bericht, 10. Sept. 1842. **) Metternich, Weisung an Trauttmansdorff, 19. Oct.; Otterstedt's Bericht,
6. Nov. 1841. V. 4. Die Parteiung in der Kirche. kampfs ſorgſam ausbreiteten, die Vertheidiger der Regierung ſelbſt nurverlegene Worte der Entſchuldigung vorzubringen wußten, und die Mehr- heit ſchließlich, auf Itzſtein’s Antrag, dem Miniſterium ihre wohlverdiente Mißbilligung ausſprach. Der Beſchluß bedeutete rechtlich gar nichts, da die erſte Kammer ihm nicht zuſtimmte; gleichwohl fühlte ſich Großherzog Leopold ſchwer betroffen. Er merkte wohl, faſt das ganze Land war einig in dem Rufe: fort mit Blittersdorff; und doch ging es ihm gegen ſeine fürſtliche Ehre, dem Drängen der Stände nachzugeben. Blittersdorff blieb im Amte ohne den Landtag eines Beſuchs zu würdigen, und in begreif- lichem Unmuth hielten die Liberalen noch manche zornige Rede über die großen Wünſche der Zeit: Preßfreiheit, Schwurgericht, Beſchränkung der Polizeigewalt. Auch einzelne radicale Heißſporne ließen ſich ſchon ver- nehmen, die offenbar weit über die Ziele der liberalen Führer hinaus- ſtrebten, aber durch Itzſtein’s diplomatiſche Väterlichkeit noch bei der Stange gehalten wurden: ſo der unaufhaltſame burſchikoſe Großſprecher Friedrich Hecker, ſo Bürgermeiſter Baum, der kurzab verlangte: wenn der Edelmann im Zuchthauſe den Adel verliere, dann müſſe folgerecht der bürgerliche Verbrecher in den Adelſtand degradirt werden. Als die Stände im Sep- tember auseinandergingen, mochte die grollende Oppoſition nicht zu der feierlichen Schlußſitzung erſcheinen, und der preußiſche Geſandte Radowitz berichtete traurig: „So wurde dieſer Landtag geſchloſſen unter dem Lebe- hoch Weniger, dem Schweigen Vieler, der peinlichen Stimmung der Mehr- zahl.“*) Trotzdem erweckten die großen Reden dieſes unfruchtbaren Landtags Der Itzſtein und der Welcker Die gehen kühn voran. Schon tummeln ſich die Völker, Schon bricht der Morgen an. Im Lande ſelbſt war der Zweckeſſen und Verſammlungen kein Ende; die *) Radowitz’s Bericht, 10. Sept. 1842. **) Metternich, Weiſung an Trauttmansdorff, 19. Oct.; Otterſtedt’s Bericht,
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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
kampfs ſorgſam ausbreiteten, die Vertheidiger der Regierung ſelbſt nur
verlegene Worte der Entſchuldigung vorzubringen wußten, und die Mehr-
heit ſchließlich, auf Itzſtein’s Antrag, dem Miniſterium ihre wohlverdiente
Mißbilligung ausſprach. Der Beſchluß bedeutete rechtlich gar nichts, da
die erſte Kammer ihm nicht zuſtimmte; gleichwohl fühlte ſich Großherzog
Leopold ſchwer betroffen. Er merkte wohl, faſt das ganze Land war einig
in dem Rufe: fort mit Blittersdorff; und doch ging es ihm gegen ſeine
fürſtliche Ehre, dem Drängen der Stände nachzugeben. Blittersdorff blieb
im Amte ohne den Landtag eines Beſuchs zu würdigen, und in begreif-
lichem Unmuth hielten die Liberalen noch manche zornige Rede über die
großen Wünſche der Zeit: Preßfreiheit, Schwurgericht, Beſchränkung der
Polizeigewalt. Auch einzelne radicale Heißſporne ließen ſich ſchon ver-
nehmen, die offenbar weit über die Ziele der liberalen Führer hinaus-
ſtrebten, aber durch Itzſtein’s diplomatiſche Väterlichkeit noch bei der Stange
gehalten wurden: ſo der unaufhaltſame burſchikoſe Großſprecher Friedrich
Hecker, ſo Bürgermeiſter Baum, der kurzab verlangte: wenn der Edelmann
im Zuchthauſe den Adel verliere, dann müſſe folgerecht der bürgerliche
Verbrecher in den Adelſtand degradirt werden. Als die Stände im Sep-
tember auseinandergingen, mochte die grollende Oppoſition nicht zu der
feierlichen Schlußſitzung erſcheinen, und der preußiſche Geſandte Radowitz
berichtete traurig: „So wurde dieſer Landtag geſchloſſen unter dem Lebe-
hoch Weniger, dem Schweigen Vieler, der peinlichen Stimmung der Mehr-
zahl.“ *)
Trotzdem erweckten die großen Reden dieſes unfruchtbaren Landtags
weithin in der liberalen Welt begeiſterte Freude. Robert Prutz ſendete
„Badens zweiter Kammer“ drei Jubellieder:
Der Itzſtein und der Welcker
Die gehen kühn voran.
Schon tummeln ſich die Völker,
Schon bricht der Morgen an.
Im Lande ſelbſt war der Zweckeſſen und Verſammlungen kein Ende; die
Oppoſition wußte ſich aller öffentlichen Luſtbarkeiten ſo geſchickt zu bemäch-
tigen, daß ſelbſt die Kirchenfeſte des Oberlandes daneben faſt zurücktraten.
Welcker, der vor Kurzem erſt ſeine Freiburger Profeſſur wieder erhalten
hatte, wurde nunmehr, zu Metternich’s abſonderlichem Wohlgefallen **), zum
zweiten male willkürlich abgeſetzt und ſiedelte nach Heidelberg über. Dort in
ſeiner Villa, jenſeits des Neckars, über dem rothen Steinbruche, wo einſt
der Mithrastempel der Römer geſtanden hatte, pflegten ſich die Liberalen zu
ernſten Berathungen zu verſammeln. Luſtiger ging es in Hallgarten zu,
wo Itzſtein ſeine Sommerraſt hielt; hier und in den weinſeligen Nachbar-
*) Radowitz’s Bericht, 10. Sept. 1842.
**) Metternich, Weiſung an Trauttmansdorff, 19. Oct.; Otterſtedt’s Bericht,
6. Nov. 1841.
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