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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
war, und bemächtigte sich sofort der Leipziger Deutschkatholiken; vor
Freunden gestand er aufrichtig, diese kirchlichen Wirren dienten ihm nur
zum Mittel für seine politischen Zwecke. Auf dem Leipziger Concil hielt
er, hinter einem verhängten Tische stehend, zündende Reden. Kam eine
schwierige kanonische Frage vor, dann langte ihm der Historiker Wuttke,
ein giftiger kleiner radicaler Molch, der nebenan hinter einem Haufen
Bücher saß, unter dem Tischtuch einen Zettel herüber; ein Blick darauf
genügte, und der Kirchenstifter sprach alsbald mit bewunderungswürdiger
Geläufigkeit über das tridentinische Concil, dessen Dasein er vordem wohl
kaum gekannt hatte.

Inzwischen ward die Regierung besorgt, da die freien Gemeinden
Preußens ihre Sendboten nach Sachsen schickten und sich mit den Deutsch-
katholiken verbrüderten. Am 17. Juli 1845 erklärten die mit der Wahrung
des lutherischen Kirchenregiments beauftragten Minister, daß sie, eingedenk
ihres Eides, Versammlungen oder Vereine, welche das Augsburgische Be-
kenntniß in Frage stellten, nicht dulden könnten. Der Erlaß war schwer-
lich bös gemeint, aber höchst ungeschickt, wie fast Alles was von Könneritz
und dem neuen Minister des Innern Falkenstein ausging; verstand man
ihn buchstäblich, so schien er in der That die Gewissensfreiheit zu be-
schränken, den Austritt aus der lutherischen Landeskirche zu verbieten.
Ganz deutlich sagte er aber, daß die sächsische Regierung, wie die preu-
ßische, mit dem alten Rationalismus brechen wollte. Und diese behag-
liche, bis zur Gleichgiltigkeit duldsame Aufklärung herrschte im Volke, zumal
in den Städten noch überall vor; ihr gefeierter Vertreter, der greise
Ammon war noch immer Oberhofprediger. Darum erregte die Bekannt-
machung der Minister allgemeinen Unwillen, und wieder schob man alle
Schuld auf den gänzlich unbetheiligten Prinzen Johann.

Die Gemüther waren erhitzt, die Behörden hatten schon mehrfache
Warnungen erhalten; da kam der Prinz am 12. August nach Leipzig um
die Communalgarde zu mustern. Schon während der Truppenschau er-
laubten sich die Zuschauer manche Frechheit; und als der Prinz nachher
spät Abends mit den Spitzen der Behörden bei Tafel saß, im Garten-
hause des Preußischen Hofs am Roßplatze, da sammelte sich eine tobende
Volksmasse auf dem weiten Platze. Die Menge sang "Eine feste Burg ist
unser Gott"; dann ertönten Hochrufe auf Ronge und Czerski, wilde Lieder,
Flüche und Schimpfreden, ein Hagel von Steinen schlug an die Fenster
des Gasthofs. Niemand von den Behörden fand den Muth, dem Haufen
mit einer kräftigen Ansprache entgegenzutreten. Erst als der Unfug sich
bedrohlich steigerte, sendete man nach der Wachtmannschaft der Communal-
garde. Gleich darauf ließ der Stadtcommandant Oberst v. Buttlar, ein
sehr tüchtiger Offizier, auf Verlangen der Civilbehörde ein Bataillon seiner
Truppen herbeirufen; die noch von den Dresdener Straßenkämpfen her
beim Pöbel verhaßten schwarzen Schützen waren früher zur Stelle als

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
war, und bemächtigte ſich ſofort der Leipziger Deutſchkatholiken; vor
Freunden geſtand er aufrichtig, dieſe kirchlichen Wirren dienten ihm nur
zum Mittel für ſeine politiſchen Zwecke. Auf dem Leipziger Concil hielt
er, hinter einem verhängten Tiſche ſtehend, zündende Reden. Kam eine
ſchwierige kanoniſche Frage vor, dann langte ihm der Hiſtoriker Wuttke,
ein giftiger kleiner radicaler Molch, der nebenan hinter einem Haufen
Bücher ſaß, unter dem Tiſchtuch einen Zettel herüber; ein Blick darauf
genügte, und der Kirchenſtifter ſprach alsbald mit bewunderungswürdiger
Geläufigkeit über das tridentiniſche Concil, deſſen Daſein er vordem wohl
kaum gekannt hatte.

Inzwiſchen ward die Regierung beſorgt, da die freien Gemeinden
Preußens ihre Sendboten nach Sachſen ſchickten und ſich mit den Deutſch-
katholiken verbrüderten. Am 17. Juli 1845 erklärten die mit der Wahrung
des lutheriſchen Kirchenregiments beauftragten Miniſter, daß ſie, eingedenk
ihres Eides, Verſammlungen oder Vereine, welche das Augsburgiſche Be-
kenntniß in Frage ſtellten, nicht dulden könnten. Der Erlaß war ſchwer-
lich bös gemeint, aber höchſt ungeſchickt, wie faſt Alles was von Könneritz
und dem neuen Miniſter des Innern Falkenſtein ausging; verſtand man
ihn buchſtäblich, ſo ſchien er in der That die Gewiſſensfreiheit zu be-
ſchränken, den Austritt aus der lutheriſchen Landeskirche zu verbieten.
Ganz deutlich ſagte er aber, daß die ſächſiſche Regierung, wie die preu-
ßiſche, mit dem alten Rationalismus brechen wollte. Und dieſe behag-
liche, bis zur Gleichgiltigkeit duldſame Aufklärung herrſchte im Volke, zumal
in den Städten noch überall vor; ihr gefeierter Vertreter, der greiſe
Ammon war noch immer Oberhofprediger. Darum erregte die Bekannt-
machung der Miniſter allgemeinen Unwillen, und wieder ſchob man alle
Schuld auf den gänzlich unbetheiligten Prinzen Johann.

Die Gemüther waren erhitzt, die Behörden hatten ſchon mehrfache
Warnungen erhalten; da kam der Prinz am 12. Auguſt nach Leipzig um
die Communalgarde zu muſtern. Schon während der Truppenſchau er-
laubten ſich die Zuſchauer manche Frechheit; und als der Prinz nachher
ſpät Abends mit den Spitzen der Behörden bei Tafel ſaß, im Garten-
hauſe des Preußiſchen Hofs am Roßplatze, da ſammelte ſich eine tobende
Volksmaſſe auf dem weiten Platze. Die Menge ſang „Eine feſte Burg iſt
unſer Gott“; dann ertönten Hochrufe auf Ronge und Czerski, wilde Lieder,
Flüche und Schimpfreden, ein Hagel von Steinen ſchlug an die Fenſter
des Gaſthofs. Niemand von den Behörden fand den Muth, dem Haufen
mit einer kräftigen Anſprache entgegenzutreten. Erſt als der Unfug ſich
bedrohlich ſteigerte, ſendete man nach der Wachtmannſchaft der Communal-
garde. Gleich darauf ließ der Stadtcommandant Oberſt v. Buttlar, ein
ſehr tüchtiger Offizier, auf Verlangen der Civilbehörde ein Bataillon ſeiner
Truppen herbeirufen; die noch von den Dresdener Straßenkämpfen her
beim Pöbel verhaßten ſchwarzen Schützen waren früher zur Stelle als

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[344/0358] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. war, und bemächtigte ſich ſofort der Leipziger Deutſchkatholiken; vor Freunden geſtand er aufrichtig, dieſe kirchlichen Wirren dienten ihm nur zum Mittel für ſeine politiſchen Zwecke. Auf dem Leipziger Concil hielt er, hinter einem verhängten Tiſche ſtehend, zündende Reden. Kam eine ſchwierige kanoniſche Frage vor, dann langte ihm der Hiſtoriker Wuttke, ein giftiger kleiner radicaler Molch, der nebenan hinter einem Haufen Bücher ſaß, unter dem Tiſchtuch einen Zettel herüber; ein Blick darauf genügte, und der Kirchenſtifter ſprach alsbald mit bewunderungswürdiger Geläufigkeit über das tridentiniſche Concil, deſſen Daſein er vordem wohl kaum gekannt hatte. Inzwiſchen ward die Regierung beſorgt, da die freien Gemeinden Preußens ihre Sendboten nach Sachſen ſchickten und ſich mit den Deutſch- katholiken verbrüderten. Am 17. Juli 1845 erklärten die mit der Wahrung des lutheriſchen Kirchenregiments beauftragten Miniſter, daß ſie, eingedenk ihres Eides, Verſammlungen oder Vereine, welche das Augsburgiſche Be- kenntniß in Frage ſtellten, nicht dulden könnten. Der Erlaß war ſchwer- lich bös gemeint, aber höchſt ungeſchickt, wie faſt Alles was von Könneritz und dem neuen Miniſter des Innern Falkenſtein ausging; verſtand man ihn buchſtäblich, ſo ſchien er in der That die Gewiſſensfreiheit zu be- ſchränken, den Austritt aus der lutheriſchen Landeskirche zu verbieten. Ganz deutlich ſagte er aber, daß die ſächſiſche Regierung, wie die preu- ßiſche, mit dem alten Rationalismus brechen wollte. Und dieſe behag- liche, bis zur Gleichgiltigkeit duldſame Aufklärung herrſchte im Volke, zumal in den Städten noch überall vor; ihr gefeierter Vertreter, der greiſe Ammon war noch immer Oberhofprediger. Darum erregte die Bekannt- machung der Miniſter allgemeinen Unwillen, und wieder ſchob man alle Schuld auf den gänzlich unbetheiligten Prinzen Johann. Die Gemüther waren erhitzt, die Behörden hatten ſchon mehrfache Warnungen erhalten; da kam der Prinz am 12. Auguſt nach Leipzig um die Communalgarde zu muſtern. Schon während der Truppenſchau er- laubten ſich die Zuſchauer manche Frechheit; und als der Prinz nachher ſpät Abends mit den Spitzen der Behörden bei Tafel ſaß, im Garten- hauſe des Preußiſchen Hofs am Roßplatze, da ſammelte ſich eine tobende Volksmaſſe auf dem weiten Platze. Die Menge ſang „Eine feſte Burg iſt unſer Gott“; dann ertönten Hochrufe auf Ronge und Czerski, wilde Lieder, Flüche und Schimpfreden, ein Hagel von Steinen ſchlug an die Fenſter des Gaſthofs. Niemand von den Behörden fand den Muth, dem Haufen mit einer kräftigen Anſprache entgegenzutreten. Erſt als der Unfug ſich bedrohlich ſteigerte, ſendete man nach der Wachtmannſchaft der Communal- garde. Gleich darauf ließ der Stadtcommandant Oberſt v. Buttlar, ein ſehr tüchtiger Offizier, auf Verlangen der Civilbehörde ein Bataillon ſeiner Truppen herbeirufen; die noch von den Dresdener Straßenkämpfen her beim Pöbel verhaßten ſchwarzen Schützen waren früher zur Stelle als

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/358>, abgerufen am 21.11.2024.