liken mehrere deutsch-katholische Gemeinden entstanden, die sich bald durch radicale Protestanten verstärkten und mit den freien Gemeinden der be- nachbarten preußischen Provinz in Verbindung traten. In Dresden übernahm ein gewöhnlicher Schwätzer, der Stenograph Wigard, die Füh- rung, in Leipzig aber Robert Blum, neben Friedrich List das größte dema- gogische Talent dieser Tage.
In Köln geboren, kleiner Leute Kind, hatte Blum vor Jahren als Chorknabe den Altardienst verrichtet und sich dann aus tiefer Armuth tapfer in die Höhe gearbeitet, auch eine leidliche Bildung erlangt, die doch niemals weit über den Gesichtskreis des Kleinbürgerthums hinaus- ging, also dem schlichten Volke immer verständlich blieb. Die natürliche Beredsamkeit der Rheinländer besaß er im höchsten Maße und dazu eine dämonische Gabe die Menschen zu beherrschen. Wenn der breitschulterige, behagliche Bürger mit dem unschönen, aber klugen und gutmüthigen Ge- sicht und den strahlenden blauen Augen zu sprechen anhob, immer aus tiefster Brust, meist hochpathetisch, zur rechten Zeit auch sentimental, dann fühlten die Handwerker und die Ladengehilfen: das ist unser Mann. Jetzt bekleidete er in Leipzig die bescheidene Stelle des Theatercassirers und war doch schon eine Macht. Auf den jährlich wiederkehrenden Schiller- festen, die er eingerichtet hatte, feierte er den Dichter der Freiheit; mit den Führern der süddeutschen Oppositionsparteien stand er in regem Ver- kehr; die polnischen Flüchtlinge nahmen in seinem Hause Herberge, und in stiller Nacht feilte er selbst an dem Schlüssel, der den Aufständischen das Thor der Krakauer Citadelle öffnen sollte. Bei allen Wahlen ent- faltete er eine rastlose Thätigkeit, die er selbst ehrlich als Wühlerei bezeichnete. Auch mit gewandter Feder vertrat er die demokratischen Grund- sätze in seinem Volkstaschenbuche "Vorwärts" und in den Sächsischen Vaterlandsblättern, einem sehr wirksamen Blättchen, das namentlich die Abderitenstreiche der Kleinstaaterei köstlich verhöhnte. An Stoff konnte es ja hier in der Mitte Deutschlands niemals fehlen. Da war in Alten- burg der hochmüthige, verschwenderische Hof, in Reuß jüngerer Linie der halbtolle Fürst Heinrich LXXII. Die Erlasse dieses volksbeglückenden Patri- archen brauchte man nur nachzudrucken um den Radicalen ein Fest zu bereiten. Seinen Garten in Osterstein öffnete er allen anständigen Frem- den, aber "mit der Dunkelheit hört der Besuch auf. Warum? Weil dann die Begriffe Anständig und Unanständig sich verwirren." Und nach einem Feuer in Lobenstein ließ sich der zweiundsiebzigste Heinrich also vernehmen: "Mein Grundsatz ist: erst löschen und dann einpacken. Nämlich so: wenn ein kleines Feuer schnell gelöscht wird, so schlafen dann die Leute ruhiger, als wenn durch Vernachlässigung desselben eine schlecht gebaute Stadt vielleicht drauf geht."
Also unermüdlich in der Verbreitung demokratischer Ideen, begrüßte Blum es als einen willkommenen Zufall, daß er selbst katholisch getauft
Robert Blum.
liken mehrere deutſch-katholiſche Gemeinden entſtanden, die ſich bald durch radicale Proteſtanten verſtärkten und mit den freien Gemeinden der be- nachbarten preußiſchen Provinz in Verbindung traten. In Dresden übernahm ein gewöhnlicher Schwätzer, der Stenograph Wigard, die Füh- rung, in Leipzig aber Robert Blum, neben Friedrich Liſt das größte dema- gogiſche Talent dieſer Tage.
In Köln geboren, kleiner Leute Kind, hatte Blum vor Jahren als Chorknabe den Altardienſt verrichtet und ſich dann aus tiefer Armuth tapfer in die Höhe gearbeitet, auch eine leidliche Bildung erlangt, die doch niemals weit über den Geſichtskreis des Kleinbürgerthums hinaus- ging, alſo dem ſchlichten Volke immer verſtändlich blieb. Die natürliche Beredſamkeit der Rheinländer beſaß er im höchſten Maße und dazu eine dämoniſche Gabe die Menſchen zu beherrſchen. Wenn der breitſchulterige, behagliche Bürger mit dem unſchönen, aber klugen und gutmüthigen Ge- ſicht und den ſtrahlenden blauen Augen zu ſprechen anhob, immer aus tiefſter Bruſt, meiſt hochpathetiſch, zur rechten Zeit auch ſentimental, dann fühlten die Handwerker und die Ladengehilfen: das iſt unſer Mann. Jetzt bekleidete er in Leipzig die beſcheidene Stelle des Theatercaſſirers und war doch ſchon eine Macht. Auf den jährlich wiederkehrenden Schiller- feſten, die er eingerichtet hatte, feierte er den Dichter der Freiheit; mit den Führern der ſüddeutſchen Oppoſitionsparteien ſtand er in regem Ver- kehr; die polniſchen Flüchtlinge nahmen in ſeinem Hauſe Herberge, und in ſtiller Nacht feilte er ſelbſt an dem Schlüſſel, der den Aufſtändiſchen das Thor der Krakauer Citadelle öffnen ſollte. Bei allen Wahlen ent- faltete er eine raſtloſe Thätigkeit, die er ſelbſt ehrlich als Wühlerei bezeichnete. Auch mit gewandter Feder vertrat er die demokratiſchen Grund- ſätze in ſeinem Volkstaſchenbuche „Vorwärts“ und in den Sächſiſchen Vaterlandsblättern, einem ſehr wirkſamen Blättchen, das namentlich die Abderitenſtreiche der Kleinſtaaterei köſtlich verhöhnte. An Stoff konnte es ja hier in der Mitte Deutſchlands niemals fehlen. Da war in Alten- burg der hochmüthige, verſchwenderiſche Hof, in Reuß jüngerer Linie der halbtolle Fürſt Heinrich LXXII. Die Erlaſſe dieſes volksbeglückenden Patri- archen brauchte man nur nachzudrucken um den Radicalen ein Feſt zu bereiten. Seinen Garten in Oſterſtein öffnete er allen anſtändigen Frem- den, aber „mit der Dunkelheit hört der Beſuch auf. Warum? Weil dann die Begriffe Anſtändig und Unanſtändig ſich verwirren.“ Und nach einem Feuer in Lobenſtein ließ ſich der zweiundſiebzigſte Heinrich alſo vernehmen: „Mein Grundſatz iſt: erſt löſchen und dann einpacken. Nämlich ſo: wenn ein kleines Feuer ſchnell gelöſcht wird, ſo ſchlafen dann die Leute ruhiger, als wenn durch Vernachläſſigung deſſelben eine ſchlecht gebaute Stadt vielleicht drauf geht.“
Alſo unermüdlich in der Verbreitung demokratiſcher Ideen, begrüßte Blum es als einen willkommenen Zufall, daß er ſelbſt katholiſch getauft
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Robert Blum.
liken mehrere deutſch-katholiſche Gemeinden entſtanden, die ſich bald durch
radicale Proteſtanten verſtärkten und mit den freien Gemeinden der be-
nachbarten preußiſchen Provinz in Verbindung traten. In Dresden
übernahm ein gewöhnlicher Schwätzer, der Stenograph Wigard, die Füh-
rung, in Leipzig aber Robert Blum, neben Friedrich Liſt das größte dema-
gogiſche Talent dieſer Tage.
In Köln geboren, kleiner Leute Kind, hatte Blum vor Jahren als
Chorknabe den Altardienſt verrichtet und ſich dann aus tiefer Armuth
tapfer in die Höhe gearbeitet, auch eine leidliche Bildung erlangt, die
doch niemals weit über den Geſichtskreis des Kleinbürgerthums hinaus-
ging, alſo dem ſchlichten Volke immer verſtändlich blieb. Die natürliche
Beredſamkeit der Rheinländer beſaß er im höchſten Maße und dazu eine
dämoniſche Gabe die Menſchen zu beherrſchen. Wenn der breitſchulterige,
behagliche Bürger mit dem unſchönen, aber klugen und gutmüthigen Ge-
ſicht und den ſtrahlenden blauen Augen zu ſprechen anhob, immer aus
tiefſter Bruſt, meiſt hochpathetiſch, zur rechten Zeit auch ſentimental, dann
fühlten die Handwerker und die Ladengehilfen: das iſt unſer Mann. Jetzt
bekleidete er in Leipzig die beſcheidene Stelle des Theatercaſſirers und
war doch ſchon eine Macht. Auf den jährlich wiederkehrenden Schiller-
feſten, die er eingerichtet hatte, feierte er den Dichter der Freiheit; mit
den Führern der ſüddeutſchen Oppoſitionsparteien ſtand er in regem Ver-
kehr; die polniſchen Flüchtlinge nahmen in ſeinem Hauſe Herberge, und
in ſtiller Nacht feilte er ſelbſt an dem Schlüſſel, der den Aufſtändiſchen
das Thor der Krakauer Citadelle öffnen ſollte. Bei allen Wahlen ent-
faltete er eine raſtloſe Thätigkeit, die er ſelbſt ehrlich als Wühlerei
bezeichnete. Auch mit gewandter Feder vertrat er die demokratiſchen Grund-
ſätze in ſeinem Volkstaſchenbuche „Vorwärts“ und in den Sächſiſchen
Vaterlandsblättern, einem ſehr wirkſamen Blättchen, das namentlich die
Abderitenſtreiche der Kleinſtaaterei köſtlich verhöhnte. An Stoff konnte
es ja hier in der Mitte Deutſchlands niemals fehlen. Da war in Alten-
burg der hochmüthige, verſchwenderiſche Hof, in Reuß jüngerer Linie der
halbtolle Fürſt Heinrich LXXII. Die Erlaſſe dieſes volksbeglückenden Patri-
archen brauchte man nur nachzudrucken um den Radicalen ein Feſt zu
bereiten. Seinen Garten in Oſterſtein öffnete er allen anſtändigen Frem-
den, aber „mit der Dunkelheit hört der Beſuch auf. Warum? Weil dann
die Begriffe Anſtändig und Unanſtändig ſich verwirren.“ Und nach einem
Feuer in Lobenſtein ließ ſich der zweiundſiebzigſte Heinrich alſo vernehmen:
„Mein Grundſatz iſt: erſt löſchen und dann einpacken. Nämlich ſo:
wenn ein kleines Feuer ſchnell gelöſcht wird, ſo ſchlafen dann die Leute
ruhiger, als wenn durch Vernachläſſigung deſſelben eine ſchlecht gebaute
Stadt vielleicht drauf geht.“
Alſo unermüdlich in der Verbreitung demokratiſcher Ideen, begrüßte
Blum es als einen willkommenen Zufall, daß er ſelbſt katholiſch getauft
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/357>, abgerufen am 24.11.2024.
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