Schwurgerichte belehren konnte. So erwachte plötzlich der politische Sinn in dem vordem so stillen Lande. Inzwischen verstärkte sich die Opposition durch neue Wahlen; Schaffrath, Joseph und einige andere Radicale er- schienen im Landtage, noch eine kleine Schaar, maßlos in den Grund- sätzen, formlos im Auftreten. Selbst die allzeit getreue freie Bergstadt Freiberg begann zu grollen, als zwischen den Bergstudenten und der Garnison Zwistigkeiten entstanden, die durch rechtzeitige Strenge der Be- hörden leicht beigelegt werden konnten,*) und die Regierung dann, nach einem unglücklichen Duell, volle zwei Drittel der Studentenschaft relegirte; das Land war eine Zeit lang nahe daran, seinen Stolz, die berühmte Bergakademie ganz zu verlieren.
Und nun bewährte sich wieder, wie noch in allen unruhigen Zeiten der neueren sächsischen Geschichte, der alte Fluch des albertinischen Hauses: selber schuldlos mußten die Nachkommen noch immer unter dem unseligen Glaubenswechsel August's des Starken leiden. In dem wohlwollenden Charakter des Königs lag gar kein Zug confessioneller Engherzigkeit, und im Vatican kannte man den hartprotestantischen Boden Kursachsens zu gut um die Hebel grade hier einzusetzen. Trotzdem fühlte sich das Volk schwer beunruhigt durch den Uebermuth, den die ultramontane Partei im benachbarten Preußen und Baiern zur Schau trug; man glaubte allgemein, auch in Sachsen trieben die Clericalen ihr Wesen, und bald hieß es, die Jesuiten seien im Lande. Ernsthafte Beschwerden lagen nicht vor. Die Erzbrüderschaft vom Herzen Jesu hatte in einer Ortschaft der Lausitz eine kleine Niederlassung gegründet, aber ohne Vorwissen der Re- gierung; dann fand man in der neuen katholischen Kirche zu Annaberg am Hochaltar den Namen des heiligen Ignatius und schloß daraus, ganz willkürlich, diese Kirche gehöre der Gesellschaft Jesu. Das war nahezu Alles. Doch das Mißtrauen im Volke ließ sich nicht beschwichtigen und wendete sich mit unbegreiflicher Verblendung gegen den Prinzen Johann, der allerdings ein strengerer Katholik war als sein königlicher Bruder, aber in allen kirchenpolitischen Fragen stets eine untadelhafte Mäßigung ge- zeigt und soeben erst durchgesetzt hatte, daß die Kniebeugung der pro- testantischen Soldaten in der Dresdener Hofkirche abgestellt wurde. Der schändlich verleumdete Prinz sollte durchaus ein Jesuit sein, das glaubte Jedermann bis zu den Schulkindern herunter, und Jedermann nahm es für ein Zeichen des göttlichen Zornes wider den katholischen Hof, daß bei dem schweren Eisgange des Frühjahres 1845 das große goldene Cruzifix auf der Dresdener Brücke, für immer unauffindbar, in den Wellen versank.
Nur diese krankhafte Jesuitenfurcht und die politische Verstimmung des Landes bewirkten, daß in dem kleinen Häuflein der sächsischen Katho-
*) Jordan's Bericht, 19. Febr. 1845.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Schwurgerichte belehren konnte. So erwachte plötzlich der politiſche Sinn in dem vordem ſo ſtillen Lande. Inzwiſchen verſtärkte ſich die Oppoſition durch neue Wahlen; Schaffrath, Joſeph und einige andere Radicale er- ſchienen im Landtage, noch eine kleine Schaar, maßlos in den Grund- ſätzen, formlos im Auftreten. Selbſt die allzeit getreue freie Bergſtadt Freiberg begann zu grollen, als zwiſchen den Bergſtudenten und der Garniſon Zwiſtigkeiten entſtanden, die durch rechtzeitige Strenge der Be- hörden leicht beigelegt werden konnten,*) und die Regierung dann, nach einem unglücklichen Duell, volle zwei Drittel der Studentenſchaft relegirte; das Land war eine Zeit lang nahe daran, ſeinen Stolz, die berühmte Bergakademie ganz zu verlieren.
Und nun bewährte ſich wieder, wie noch in allen unruhigen Zeiten der neueren ſächſiſchen Geſchichte, der alte Fluch des albertiniſchen Hauſes: ſelber ſchuldlos mußten die Nachkommen noch immer unter dem unſeligen Glaubenswechſel Auguſt’s des Starken leiden. In dem wohlwollenden Charakter des Königs lag gar kein Zug confeſſioneller Engherzigkeit, und im Vatican kannte man den hartproteſtantiſchen Boden Kurſachſens zu gut um die Hebel grade hier einzuſetzen. Trotzdem fühlte ſich das Volk ſchwer beunruhigt durch den Uebermuth, den die ultramontane Partei im benachbarten Preußen und Baiern zur Schau trug; man glaubte allgemein, auch in Sachſen trieben die Clericalen ihr Weſen, und bald hieß es, die Jeſuiten ſeien im Lande. Ernſthafte Beſchwerden lagen nicht vor. Die Erzbrüderſchaft vom Herzen Jeſu hatte in einer Ortſchaft der Lauſitz eine kleine Niederlaſſung gegründet, aber ohne Vorwiſſen der Re- gierung; dann fand man in der neuen katholiſchen Kirche zu Annaberg am Hochaltar den Namen des heiligen Ignatius und ſchloß daraus, ganz willkürlich, dieſe Kirche gehöre der Geſellſchaft Jeſu. Das war nahezu Alles. Doch das Mißtrauen im Volke ließ ſich nicht beſchwichtigen und wendete ſich mit unbegreiflicher Verblendung gegen den Prinzen Johann, der allerdings ein ſtrengerer Katholik war als ſein königlicher Bruder, aber in allen kirchenpolitiſchen Fragen ſtets eine untadelhafte Mäßigung ge- zeigt und ſoeben erſt durchgeſetzt hatte, daß die Kniebeugung der pro- teſtantiſchen Soldaten in der Dresdener Hofkirche abgeſtellt wurde. Der ſchändlich verleumdete Prinz ſollte durchaus ein Jeſuit ſein, das glaubte Jedermann bis zu den Schulkindern herunter, und Jedermann nahm es für ein Zeichen des göttlichen Zornes wider den katholiſchen Hof, daß bei dem ſchweren Eisgange des Frühjahres 1845 das große goldene Cruzifix auf der Dresdener Brücke, für immer unauffindbar, in den Wellen verſank.
Nur dieſe krankhafte Jeſuitenfurcht und die politiſche Verſtimmung des Landes bewirkten, daß in dem kleinen Häuflein der ſächſiſchen Katho-
*) Jordan’s Bericht, 19. Febr. 1845.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0356"n="342"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 4. Die Parteiung in der Kirche.</fw><lb/>
Schwurgerichte belehren konnte. So erwachte plötzlich der politiſche Sinn<lb/>
in dem vordem ſo ſtillen Lande. Inzwiſchen verſtärkte ſich die Oppoſition<lb/>
durch neue Wahlen; Schaffrath, Joſeph und einige andere Radicale er-<lb/>ſchienen im Landtage, noch eine kleine Schaar, maßlos in den Grund-<lb/>ſätzen, formlos im Auftreten. Selbſt die allzeit getreue freie Bergſtadt<lb/>
Freiberg begann zu grollen, als zwiſchen den Bergſtudenten und der<lb/>
Garniſon Zwiſtigkeiten entſtanden, die durch rechtzeitige Strenge der Be-<lb/>
hörden leicht beigelegt werden konnten,<noteplace="foot"n="*)">Jordan’s Bericht, 19. Febr. 1845.</note> und die Regierung dann, nach<lb/>
einem unglücklichen Duell, volle zwei Drittel der Studentenſchaft relegirte;<lb/>
das Land war eine Zeit lang nahe daran, ſeinen Stolz, die berühmte<lb/>
Bergakademie ganz zu verlieren.</p><lb/><p>Und nun bewährte ſich wieder, wie noch in allen unruhigen Zeiten der<lb/>
neueren ſächſiſchen Geſchichte, der alte Fluch des albertiniſchen Hauſes:<lb/>ſelber ſchuldlos mußten die Nachkommen noch immer unter dem unſeligen<lb/>
Glaubenswechſel Auguſt’s des Starken leiden. In dem wohlwollenden<lb/>
Charakter des Königs lag gar kein Zug confeſſioneller Engherzigkeit, und<lb/>
im Vatican kannte man den hartproteſtantiſchen Boden Kurſachſens zu<lb/>
gut um die Hebel grade hier einzuſetzen. Trotzdem fühlte ſich das Volk<lb/>ſchwer beunruhigt durch den Uebermuth, den die ultramontane Partei<lb/>
im benachbarten Preußen und Baiern zur Schau trug; man glaubte<lb/>
allgemein, auch in Sachſen trieben die Clericalen ihr Weſen, und bald<lb/>
hieß es, die Jeſuiten ſeien im Lande. Ernſthafte Beſchwerden lagen nicht<lb/>
vor. Die Erzbrüderſchaft vom Herzen Jeſu hatte in einer Ortſchaft der<lb/>
Lauſitz eine kleine Niederlaſſung gegründet, aber ohne Vorwiſſen der Re-<lb/>
gierung; dann fand man in der neuen katholiſchen Kirche zu Annaberg<lb/>
am Hochaltar den Namen des heiligen Ignatius und ſchloß daraus, ganz<lb/>
willkürlich, dieſe Kirche gehöre der Geſellſchaft Jeſu. Das war nahezu<lb/>
Alles. Doch das Mißtrauen im Volke ließ ſich nicht beſchwichtigen und<lb/>
wendete ſich mit unbegreiflicher Verblendung gegen den Prinzen Johann,<lb/>
der allerdings ein ſtrengerer Katholik war als ſein königlicher Bruder, aber<lb/>
in allen kirchenpolitiſchen Fragen ſtets eine untadelhafte Mäßigung ge-<lb/>
zeigt und ſoeben erſt durchgeſetzt hatte, daß die Kniebeugung der pro-<lb/>
teſtantiſchen Soldaten in der Dresdener Hofkirche abgeſtellt wurde. Der<lb/>ſchändlich verleumdete Prinz ſollte durchaus ein Jeſuit ſein, das glaubte<lb/>
Jedermann bis zu den Schulkindern herunter, und Jedermann nahm<lb/>
es für ein Zeichen des göttlichen Zornes wider den katholiſchen Hof, daß<lb/>
bei dem ſchweren Eisgange des Frühjahres 1845 das große goldene<lb/>
Cruzifix auf der Dresdener Brücke, für immer unauffindbar, in den Wellen<lb/>
verſank.</p><lb/><p>Nur dieſe krankhafte Jeſuitenfurcht und die politiſche Verſtimmung<lb/>
des Landes bewirkten, daß in dem kleinen Häuflein der ſächſiſchen Katho-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[342/0356]
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Schwurgerichte belehren konnte. So erwachte plötzlich der politiſche Sinn
in dem vordem ſo ſtillen Lande. Inzwiſchen verſtärkte ſich die Oppoſition
durch neue Wahlen; Schaffrath, Joſeph und einige andere Radicale er-
ſchienen im Landtage, noch eine kleine Schaar, maßlos in den Grund-
ſätzen, formlos im Auftreten. Selbſt die allzeit getreue freie Bergſtadt
Freiberg begann zu grollen, als zwiſchen den Bergſtudenten und der
Garniſon Zwiſtigkeiten entſtanden, die durch rechtzeitige Strenge der Be-
hörden leicht beigelegt werden konnten, *) und die Regierung dann, nach
einem unglücklichen Duell, volle zwei Drittel der Studentenſchaft relegirte;
das Land war eine Zeit lang nahe daran, ſeinen Stolz, die berühmte
Bergakademie ganz zu verlieren.
Und nun bewährte ſich wieder, wie noch in allen unruhigen Zeiten der
neueren ſächſiſchen Geſchichte, der alte Fluch des albertiniſchen Hauſes:
ſelber ſchuldlos mußten die Nachkommen noch immer unter dem unſeligen
Glaubenswechſel Auguſt’s des Starken leiden. In dem wohlwollenden
Charakter des Königs lag gar kein Zug confeſſioneller Engherzigkeit, und
im Vatican kannte man den hartproteſtantiſchen Boden Kurſachſens zu
gut um die Hebel grade hier einzuſetzen. Trotzdem fühlte ſich das Volk
ſchwer beunruhigt durch den Uebermuth, den die ultramontane Partei
im benachbarten Preußen und Baiern zur Schau trug; man glaubte
allgemein, auch in Sachſen trieben die Clericalen ihr Weſen, und bald
hieß es, die Jeſuiten ſeien im Lande. Ernſthafte Beſchwerden lagen nicht
vor. Die Erzbrüderſchaft vom Herzen Jeſu hatte in einer Ortſchaft der
Lauſitz eine kleine Niederlaſſung gegründet, aber ohne Vorwiſſen der Re-
gierung; dann fand man in der neuen katholiſchen Kirche zu Annaberg
am Hochaltar den Namen des heiligen Ignatius und ſchloß daraus, ganz
willkürlich, dieſe Kirche gehöre der Geſellſchaft Jeſu. Das war nahezu
Alles. Doch das Mißtrauen im Volke ließ ſich nicht beſchwichtigen und
wendete ſich mit unbegreiflicher Verblendung gegen den Prinzen Johann,
der allerdings ein ſtrengerer Katholik war als ſein königlicher Bruder, aber
in allen kirchenpolitiſchen Fragen ſtets eine untadelhafte Mäßigung ge-
zeigt und ſoeben erſt durchgeſetzt hatte, daß die Kniebeugung der pro-
teſtantiſchen Soldaten in der Dresdener Hofkirche abgeſtellt wurde. Der
ſchändlich verleumdete Prinz ſollte durchaus ein Jeſuit ſein, das glaubte
Jedermann bis zu den Schulkindern herunter, und Jedermann nahm
es für ein Zeichen des göttlichen Zornes wider den katholiſchen Hof, daß
bei dem ſchweren Eisgange des Frühjahres 1845 das große goldene
Cruzifix auf der Dresdener Brücke, für immer unauffindbar, in den Wellen
verſank.
Nur dieſe krankhafte Jeſuitenfurcht und die politiſche Verſtimmung
des Landes bewirkten, daß in dem kleinen Häuflein der ſächſiſchen Katho-
*) Jordan’s Bericht, 19. Febr. 1845.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/356>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.