schaft Jesu eine hohe Stellung einnahm: diese durch die Schwäche der Be- hörden verwöhnte "sogenannte Hauptstadt der Intelligenz" sei neben Königs- berg der Hauptsitz des deutschen Demagogenthums; den Tumult hätten die Literaten veranlaßt und die Studenten als Werkzeuge gebraucht; "hier ist Alles zur Revolution reif, versöhnt wird hier Niemand." Seine Schilde- rung war so grell, daß selbst das preußische Ministerium meinte, der Oesterreicher scheine doch nicht unbefangen.*)
Am Morgen nach dem Blutvergießen zeigten sich die königlichen Be- hörden ganz gelähmt vom Schrecken, kein Soldat erschien in den Straßen. Die Studenten, die noch in der Nacht den Fechtboden erbrochen hatten, versahen im Verein mit der Communalgarde allein den Sicherheitsdienst. Nachmittags drängten sich Schaaren von Bürgern und Studenten in das Schützenhaus, Alles verwünschte den Prinzen, dem man eine berechnete Unthat andichtete, und forderte Rache für das vergossene Blut. Da trat plötzlich Robert Blum in die furchtbar aufgeregte Versammlung. Er war am Tage zuvor verreist gewesen -- was ihm jetzt sehr zum Vor- theil gereichte -- und gradeswegs vom Bahnhofe herbeigeeilt. Augen- blicklich übersah er die Lage und begriff, daß die Zeit für neue Gewalt- thätigkeiten noch nicht gekommen war; in mächtiger, tief ergreifender Rede sprach er den Versammelten aus, eine Sühne müsse der Stadt werden, aber nur auf gesetzlichem Wege. Dann führte er diese erbitterten Tau- sende in ruhiger Ordnung nach dem Markte; kein Unfug befleckte, so rühmte Blum, "die wahrhafte Majestät dieser Volksversammlung". Nach kurzer Frist verkündete er vom Altane des Rathhauses herab, daß der Stadt- rath sich den Beschlüssen des Volks unterworfen habe, Abzug der Garnison und strenge Untersuchung vom Könige verlangen wolle. Vier Tage hindurch beherrschte er die Stadt wie ein Dictator, die Behörden schienen ver- schwunden. Beim Begräbniß der Erschossenen erklangen wieder stürmische Reden, doch die Ordnung blieb völlig ungestört; die Communalgarde hielt strenge Wacht, nach den Weisungen des Demagogen.
Am Dresdener Hofe wußte man sich anfangs nicht zu helfen. Die Minister schöpften erst wieder Muth, als durch Blum's Entschlossenheit die nächste Gefahr beseitigt war, und nun endlich griffen sie sehr scharf ein. In stiller Nacht wurden Truppen mit Geschützen nach Leipzig gesendet, und gedeckt durch diese bewaffnete Macht erschien am 17. als königlicher Commissär der Geh. Rath v. Langenn, ein gelehrter Jurist, der sich in allen politischen Kämpfen als hochreaktionärer Parteimann benahm. Parteiisch verfuhr er auch hier. Er kündigte, wie billig, eine strenge Untersuchung gegen die Aufrührer an, erklärte aber zugleich, daß die Regierung die doch keines- wegs tadelfreien Maßregeln ihrer Organe vertreten würde. Die Stadt,
*) Hübner's Bericht an Metternich, 27. Aug. Schreiben des preuß. Min. des Innern an Canitz, 11. Oct. 1845.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
ſchaft Jeſu eine hohe Stellung einnahm: dieſe durch die Schwäche der Be- hörden verwöhnte „ſogenannte Hauptſtadt der Intelligenz“ ſei neben Königs- berg der Hauptſitz des deutſchen Demagogenthums; den Tumult hätten die Literaten veranlaßt und die Studenten als Werkzeuge gebraucht; „hier iſt Alles zur Revolution reif, verſöhnt wird hier Niemand.“ Seine Schilde- rung war ſo grell, daß ſelbſt das preußiſche Miniſterium meinte, der Oeſterreicher ſcheine doch nicht unbefangen.*)
Am Morgen nach dem Blutvergießen zeigten ſich die königlichen Be- hörden ganz gelähmt vom Schrecken, kein Soldat erſchien in den Straßen. Die Studenten, die noch in der Nacht den Fechtboden erbrochen hatten, verſahen im Verein mit der Communalgarde allein den Sicherheitsdienſt. Nachmittags drängten ſich Schaaren von Bürgern und Studenten in das Schützenhaus, Alles verwünſchte den Prinzen, dem man eine berechnete Unthat andichtete, und forderte Rache für das vergoſſene Blut. Da trat plötzlich Robert Blum in die furchtbar aufgeregte Verſammlung. Er war am Tage zuvor verreiſt geweſen — was ihm jetzt ſehr zum Vor- theil gereichte — und gradeswegs vom Bahnhofe herbeigeeilt. Augen- blicklich überſah er die Lage und begriff, daß die Zeit für neue Gewalt- thätigkeiten noch nicht gekommen war; in mächtiger, tief ergreifender Rede ſprach er den Verſammelten aus, eine Sühne müſſe der Stadt werden, aber nur auf geſetzlichem Wege. Dann führte er dieſe erbitterten Tau- ſende in ruhiger Ordnung nach dem Markte; kein Unfug befleckte, ſo rühmte Blum, „die wahrhafte Majeſtät dieſer Volksverſammlung“. Nach kurzer Friſt verkündete er vom Altane des Rathhauſes herab, daß der Stadt- rath ſich den Beſchlüſſen des Volks unterworfen habe, Abzug der Garniſon und ſtrenge Unterſuchung vom Könige verlangen wolle. Vier Tage hindurch beherrſchte er die Stadt wie ein Dictator, die Behörden ſchienen ver- ſchwunden. Beim Begräbniß der Erſchoſſenen erklangen wieder ſtürmiſche Reden, doch die Ordnung blieb völlig ungeſtört; die Communalgarde hielt ſtrenge Wacht, nach den Weiſungen des Demagogen.
Am Dresdener Hofe wußte man ſich anfangs nicht zu helfen. Die Miniſter ſchöpften erſt wieder Muth, als durch Blum’s Entſchloſſenheit die nächſte Gefahr beſeitigt war, und nun endlich griffen ſie ſehr ſcharf ein. In ſtiller Nacht wurden Truppen mit Geſchützen nach Leipzig geſendet, und gedeckt durch dieſe bewaffnete Macht erſchien am 17. als königlicher Commiſſär der Geh. Rath v. Langenn, ein gelehrter Juriſt, der ſich in allen politiſchen Kämpfen als hochreaktionärer Parteimann benahm. Parteiiſch verfuhr er auch hier. Er kündigte, wie billig, eine ſtrenge Unterſuchung gegen die Aufrührer an, erklärte aber zugleich, daß die Regierung die doch keines- wegs tadelfreien Maßregeln ihrer Organe vertreten würde. Die Stadt,
*) Hübner’s Bericht an Metternich, 27. Aug. Schreiben des preuß. Min. des Innern an Canitz, 11. Oct. 1845.
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berg der Hauptſitz des deutſchen Demagogenthums; den Tumult hätten die
Literaten veranlaßt und die Studenten als Werkzeuge gebraucht; „hier iſt
Alles zur Revolution reif, verſöhnt wird hier Niemand.“ Seine Schilde-
rung war ſo grell, daß ſelbſt das preußiſche Miniſterium meinte, der
Oeſterreicher ſcheine doch nicht unbefangen. *)
Am Morgen nach dem Blutvergießen zeigten ſich die königlichen Be-
hörden ganz gelähmt vom Schrecken, kein Soldat erſchien in den Straßen.
Die Studenten, die noch in der Nacht den Fechtboden erbrochen hatten,
verſahen im Verein mit der Communalgarde allein den Sicherheitsdienſt.
Nachmittags drängten ſich Schaaren von Bürgern und Studenten in das
Schützenhaus, Alles verwünſchte den Prinzen, dem man eine berechnete
Unthat andichtete, und forderte Rache für das vergoſſene Blut. Da trat
plötzlich Robert Blum in die furchtbar aufgeregte Verſammlung. Er
war am Tage zuvor verreiſt geweſen — was ihm jetzt ſehr zum Vor-
theil gereichte — und gradeswegs vom Bahnhofe herbeigeeilt. Augen-
blicklich überſah er die Lage und begriff, daß die Zeit für neue Gewalt-
thätigkeiten noch nicht gekommen war; in mächtiger, tief ergreifender Rede
ſprach er den Verſammelten aus, eine Sühne müſſe der Stadt werden,
aber nur auf geſetzlichem Wege. Dann führte er dieſe erbitterten Tau-
ſende in ruhiger Ordnung nach dem Markte; kein Unfug befleckte, ſo rühmte
Blum, „die wahrhafte Majeſtät dieſer Volksverſammlung“. Nach kurzer
Friſt verkündete er vom Altane des Rathhauſes herab, daß der Stadt-
rath ſich den Beſchlüſſen des Volks unterworfen habe, Abzug der Garniſon
und ſtrenge Unterſuchung vom Könige verlangen wolle. Vier Tage hindurch
beherrſchte er die Stadt wie ein Dictator, die Behörden ſchienen ver-
ſchwunden. Beim Begräbniß der Erſchoſſenen erklangen wieder ſtürmiſche
Reden, doch die Ordnung blieb völlig ungeſtört; die Communalgarde
hielt ſtrenge Wacht, nach den Weiſungen des Demagogen.
Am Dresdener Hofe wußte man ſich anfangs nicht zu helfen. Die
Miniſter ſchöpften erſt wieder Muth, als durch Blum’s Entſchloſſenheit die
nächſte Gefahr beſeitigt war, und nun endlich griffen ſie ſehr ſcharf ein.
In ſtiller Nacht wurden Truppen mit Geſchützen nach Leipzig geſendet, und
gedeckt durch dieſe bewaffnete Macht erſchien am 17. als königlicher Commiſſär
der Geh. Rath v. Langenn, ein gelehrter Juriſt, der ſich in allen politiſchen
Kämpfen als hochreaktionärer Parteimann benahm. Parteiiſch verfuhr er
auch hier. Er kündigte, wie billig, eine ſtrenge Unterſuchung gegen die
Aufrührer an, erklärte aber zugleich, daß die Regierung die doch keines-
wegs tadelfreien Maßregeln ihrer Organe vertreten würde. Die Stadt,
*) Hübner’s Bericht an Metternich, 27. Aug. Schreiben des preuß. Min. des
Innern an Canitz, 11. Oct. 1845.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/360>, abgerufen am 24.11.2024.
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